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Rhodin wurde wegen des Verdachts, Anders Dahlquist ermordet zu haben, von Molina in Untersuchungshaft genommen. Da er jedoch nicht dringend tatverdächtig war, konnten sie Rhodin nicht länger als sieben Tage festhalten, wenn sie nichts Neues fanden oder er etwas Neues aussagte. Winter war unzufrieden. Nicht, weil es nicht zum dringenden Tatverdacht gereicht hatte. Rhodin war kein Mörder, jedenfalls keiner, der sich dessen bewusst war. Rhodin war ein Puzzleteil, vielleicht sogar ein wichtiges, aber dieser Fall war kein Puzzle. Wenn alles vorbei war, konnten immer noch Teile fehlen.

Winter hatte Rhodins Vernehmung im Präsidium fortgesetzt. Rhodin hatte kein Verbrechen gestanden. Er war jetzt ruhiger. Manche gestanden nie.

»Wir haben ein bisschen zum Essen getrunken. Das habe ich doch gesagt. Sie hätten es ja kontrollieren können. Hinterher haben wir einen Spaziergang über die Klippen gemacht.«

»Mit wem waren Sie zusammen?«

»Wir waren allein. Das können Sie sich auch im Restaurant bestätigen lassen.«

»Aber wer war bei Ihnen auf den Klippen?«

»Er ist plötzlich aufgetaucht.«

»Wer?«

»Ich weiß nicht, wer es war, das habe ich doch gesagt!«

»Woher kam er?«

»Wie zum Teufel soll ich das wissen? Plötzlich war er einfach da!«

»Was ist passiert? Gab es eine Schlägerei?«

»Ja.«

»Warum haben Sie sich geprügelt?«

»Ich … ich wollte nur helfen.«

»Wem wollten Sie helfen?«

»Anders natürlich. Ihm wollte ich helfen.«

»Warum?«

»Warum? Weil der andere Anders bedroht hat. Er war gefährlich, richtig lebensgefährlich. Er war wütend. Und er faselte irgendwas von Schlüsseln.«

»Schlüsseln?«

»Er hat was von Schlüsseln gesagt. Ich habe nicht richtig verstanden, um was es ging. Ich hatte Angst.«

»Wollte er Schlüssel haben?«

»Ich … habe das nicht verstanden. Und dann hat er noch etwas Seltsames gesagt.«

Winter wartete. Rhodin schien nachzudenken, aber über was? Sein Blick war woanders.

»Was hat er gesagt?«, insistierte Winter.

»Er sagte … dass sie mehr Geld haben wollten.«

»Mehr Geld? Wer wollte mehr Geld haben?«

»Ich weiß es nicht, das hat er nicht gesagt.«

»Hat er das zu Anders gesagt?«

»Ja …«

»Hat Anders es verstanden? Wusste er, wovon die Rede war?«

»Ja. Er sagte, dass sie … ihn einschüchtern wollen.«

»Hat er das so ausgedrückt? Dass sie ihn einschüchtern wollen?«

»Ja.«

»War es eine Bande? Erpresser? Wie viele waren es?«

Rhodin schien wieder nachzudenken. Vielleicht dachte er wirklich nur über diese Szene nach. Für ihn war das Mysterium vorbei. Er hatte keine Geheimnisse mehr.

»Das …« Er brach ab.

»Ja?«

»Es ging um irgendeine ›sie‹. ›Auf sie kann man sich nicht verlassen.‹ Ich glaube, das haben sie gesagt.«

Sie. Sie. In Winters Kopf überstürzten sich die Gedanken, vorwärts, rückwärts. Sie. Er hatte »sie« getroffen, die junge Frau Svensson. Sie musste es sein. Er hatte beide getroffen, sie, die ihn einschüchtern wollten, indem sie mehr Geld forderten. Immer ging es um Geld.

»Wenn … nun noch einmal jemand zurückkommt. Das ist mir unheimlich.«

»Wenn wer zurückkommt?«

»Ich weiß es nicht. Aber Sie sind ja hier, nicht wahr? Sie suchen jemanden, oder? Sie suchen etwas.«

»Was ist eigentlich in der Wohnung passiert?«

»Wir wissen es nicht«, hatte Winter geantwortet. »Wir wissen es wirklich nicht.«

Jetzt wusste er es. Die verdammten armen Idioten. Haben sie es denn nicht kapiert? Warum hatte er es nicht selbst kapiert? Sie haben ihm gewissermaßen alles erzählt. Mildred und Mattias Svensson. Das Paar im Bett. Eine witzige Nummer. So muss er es ihnen schmackhaft gemacht haben. Vielleicht als einen Scherz oder ein Experiment. Filmexperiment, nichts von Bedeutung. Und ich bezahle euch dafür.

Jemand mit viel Überredungstalent. Charme. Psychologisch geschult. Menschenkenntnis.

Wahnsinn.

»Verdammte Scheiße!«, schrie Winter und sprang auf.

Rhodin riss die Hände wie zum Schutz vor das Gesicht.

»Schlagen Sie mich ni…«

Aber Winter war schon auf dem Weg aus dem Verhörzimmer. Er schrie nach Ringmar. Eine Sekunde lang fühlte er sich wie ein Kind, das nach dem Papa brüllt. Hilf mir, Papa. Halt mich fest!

Er tippte Bertils Kurzwahl ein.

Er hörte seine Stimme.

»Bertil? Wo bist du?«

»Unten auf dem Parkp…«

»Warte im Auto!«

Ringmar war am Haupteingang vorgefahren, als Winter aus dem Präsidium gestürmt kam. »Teatergatan«, sagte er, während er sich anschnallte. »Nimm die Abkürzung über Heden.«

»Was ist los?«

»Fahr!«

Und Ringmar fuhr.

Auf Heden gab es zu viele Radfahrer auf dem Asphalt.

Ringmar nahm den Weg über die Fußballplätze.

»Was ist passiert, Erik?«

»Svensson, das Ehepaar Svensson! Sie waren es, die in dem Bett gelegen haben!«

»Was sagst du da? Woher wei…«

»Scheiß drauf, woher ich das weiß. Fahr zu! Vielleicht kommen wir noch nicht zu spät.«

»Wie meinst du das?«

Winter antwortete nicht. Ringmar fuhr über den Fußgängerüberweg von Södra vägen. Ein älterer Mann drohte ihnen mit der Faust. Er würde die Polizei anrufen.

Sie überquerten die Avenyn haarscharf vor einer Straßenbahn. Ringmar bog in die Kristinelundsgatan ein.

Tommy Näver stand immer noch nicht vor dem Tvåkanten.

Ringmar parkte in der zweiten Reihe vor der Haustür. Die Baracken waren noch nicht abgebaut.

Innerhalb von sieben Sekunden hatte Winter die Haustür geöffnet. Der mittelalterliche Schlossgang dahinter hatte sich seit ihrem letzten Besuch nicht verändert. Das gemauerte Gewölbe. Die Stille. Der kalte Wind, der durch den Tunnel strich.

Bei Svenssons öffnete niemand. Beim letzten Mal hatten sie nach dem zweiten Klingelzeichen geöffnet. Winter klingelte ein drittes Mal, wartete einige Sekunden und manipulierte am Schloss. Es dauerte nur fünf Sekunden. Jede Sekunde war wie eine Minute.

Während sie die Tür öffneten, riefen sie: »Frau Svensson! Herr Svensson!« Er ist ein netter Junge, dachte Winter.

»Herr im Himmel. Ich will nicht hierbleiben.«

»Wir können zu deiner Mutter fahren.«

Aber die beiden waren nicht nach Hause zur Mama gefahren. Oder sie waren gefahren, jedoch wieder zurückgekommen.

Sie lagen in dem breiten Doppelbett. Auf den ersten Blick waren sie nicht zu sehen. Sie waren nicht dick, nicht groß, und über dem Kopf hatten sie ein Kopfkissen. Sie lagen auf dem Rücken.

»Du lieber Gott«, sagte Ringmar.

»Am Ende haben wir sie doch gefunden«, sagte Winter. »Es ist wie im Film. Es wurde wie im Film.«

»Oh Gott.«

Winter ging zu dem Bett und nahm die Kissen weg, erst das eine, dann das andere. Mildred und Mattias Svenssons tote Augen starrten gegen die Decke.

Tommy Näver warf wieder die Angelschnur aus. Es war eine einfache Angelrute. Unter der Älvborgsbrücke passierte eine Fähre. Sie verdeckte die Sonne. Im Januar stieg die Sonne nicht höher, und jetzt ging sie schon wieder unter.

»Was gefangen?«, fragte Halders.

Näver hatte sie kommen sehen, widmete sich aber weiter seiner Angelei. Aneta Djanali hatte so nah wie möglich geparkt. Näver stand auf der anderen Seite des Roten Steines, der in der Dämmerung intensiv rot leuchtete.

»Deswegen steh ich nicht hier«, sagte er.

Er zog den Schwimmer mit der Leine aus dem Wasser und legte die Angel auf einen Felsen neben eine Tüte aus dem Schnapsladen. Auf einem flachen Stein stand eine offene Bierdose.

»Arbeiten Sie heute nicht?«, fragte Halders.

»Nee, ich bummle Überstunden ab.« Näver streckte sich nach der Dose.

»Wir haben mit Ihrem Sohn gesprochen«, sagte Halders.

Näver zog die Hand zurück und begegnete zum ersten Mal Halders’ Blick.

»Warum?«

»Er meinte, Sie wären hier.«

»Das war ziemlich überflüssig.« Nävers Stimme klang eher traurig. Er schaute über den Fluss. Dies war sein Platz. Und ein Quadratmeter Asphaltfläche vor dem Tvåkanten in der Avenyn.

Die Fähre war auf dem Weg zum offenen Meer. Näver folgte ihr mit Blicken.

»Eine unserer Kolleginnen ist verschwunden«, sagte Aneta Djanali.

Jetzt sah Näver sie an. Er wirkte nicht betrunken. Er schaute wieder zu seiner Bierdose, ließ sie aber unberührt. Die Dose blitzte in den letzten Sonnenstrahlen auf, ein kleiner blauer Schimmer.

»Wir glauben, dass Sie sie gesehen haben, kurz bevor sie verschwand.«

»Aus welchem Grund glauben Sie das?«

»Sie haben es zwei Polizisten in Zivil erzählt. Aber da wussten wir noch nicht, dass sie verschwunden ist.«

»Wer ist es?«

»Sie hat Sie Heiligabend zur Heilsarmee gefahren«, sagte Aneta Djanali.

»Die ist das?! Die kenne ich! Was ist passiert?«

»Wir wissen es nicht. Sie ist … verschwunden.«

»Oh Gott!«

»Haben Sie sie gesehen?«

»Ja … Wann soll das gewesen sein?«

»Wir wissen es nicht genau. Vielleicht wissen Sie mehr.«

»War sie in Uniform?«

»Am Tag vor Silvester hatte sie frei, und Silvester auch«, antwortete Aneta Djanali. »Sie war in Zivil.«

»Ich habe sie gesehen«, sagte Näver.

»Wann?«

»Das muss … Silvester … nein, einen Tag davor gewesen sein. Ich habe sie gesehen, aber sie hat nicht nach rechts und nicht nach links geschaut. Sie war auf dem Weg zur Kristinelundsgatan.«

»Um welche Tageszeit war das?«

»Mittags vielleicht, ich erinnere mich nicht genau. Ein oder zwei Uhr.«

Die Sonne war jetzt verschwunden. Die Kräne am anderen Flussufer sahen aus wie Silhouetten riesiger Spinnen, die mitten im Schritt erfroren waren. Halders schauderte. Der Wind von Norden wurde plötzlich stärker.

»Wir möchten gern, dass Sie uns zum Polizeipräsidium begleiten«, sagte er.

»Warum? Mehr weiß ich nicht. Ich helfe gern, aber mehr als das weiß ich wirklich nicht.«

»Wir müssen Ihnen noch ein paar weitere Fragen stellen. Auch in einer anderen Angelegenheit.«

»Um was geht es?«

»Darüber reden wir später. Vielleicht waren Sie auch Zeuge in einem anderen Fall. Wir möchten Sie fragen, was Sie gesehen haben.« Halders schauderte wieder. »Hier ist es so verflixt kalt.«

»Was hat Johan gesagt?«

»Wie bitte?«

»Was hat er über mich gesagt?«

»Nur, dass Sie vielleicht hier sind.«

»Das mit den Weihnachtsgeschenken war ein Reinfall. Hat er das erzählt?«

»Nein.«

»Sie sind im Anrollen. Er hatte Heiligabend Geburtstag. Die Sachen sind unterwegs.«

»Gut.«

»Ich hab kürzlich gelogen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe einem Polizisten erzählt … ich erinnere mich nicht, welchem, vielleicht war sie das, Johan und seine Mutter hätten eine Last-Minute-Reise zu den Kanarischen Inseln gebucht. Aber das war gelogen.«

Halders und Aneta Djanali nickten. Es gab solche und solche Lügen.

»Sonst lüge ich nie«, sagte Näver.

Winter und Ringmar waren noch immer in dem düsteren Schlafzimmer. Das vierte Zimmer, dachte Winter. Oder das dritte, immer noch das dritte, je nachdem, von welcher Seite man es betrachtete.

Jetzt haben wir unseren Serienmörder. Drei Morde, innerhalb eines gewissen Zeitraums von demselben Mörder begangen, werden vom FBI als Serienmorde eingestuft. Jetzt sind es vier. Vielleicht sogar fünf. Es waren also mehr als genug Morde.

»War das geplant?«, sagte Ringmar.

Sie warteten auf die Spurensicherung. Zwei Bereitschaftspolizisten waren schon da, sie befanden sich im Treppenhaus. Torsten Öberg wollte persönlich kommen, er wartete nur eine weitere Nachricht ab, die jeden Moment eingehen musste.

»Vielleicht ist dies das dritte Zimmer«, sagte Winter. »Vielleicht war es das die ganze Zeit. Die DVD war nur eine Illustration.«

»Eine Abstraktion«, sagte Ringmar.

»Wenn das der Fall ist, ist es jedenfalls nicht unsere«, sagte Winter.

»Nur am Timing sind wir schuld«, sagte Ringmar.

»Ich weiß nicht, woran wir schuld sind, Bertil.«

»Vielleicht war diese Tat doch nicht geplant.« Ringmar sah sich im Schlafzimmer um. »Nicht von Anfang an.«

»Geht es um Geld?«, sagte Winter mehr zu sich selber. »Das Ehepaar Svensson erklärte sich für ein paar Filmaufnahmen bereit, ohne viele Fragen zu stellen. Ein bisschen Geld als Gegenleistung. Aber hinterher wurden sie misstrauisch.«

»Womöglich waren sie eher gierig als ängstlich«, sagte Ringmar.

»Wir werden sehen«, sagte Winter. »Das wird …«

Er wurde vom Klingeln seines Handys unterbrochen.

»Ja?«

»Hallo, Erik. Torsten hier. Eben ist der neueste Bescheid von der Gerichtschemie gekommen. Substanzen bei Barkner und Lentner zu suchen war vermutlich von vornherein sinnlos, aber der chemische Abbau von Substanzen wird in einem toten Körper vielleicht gestoppt.«

»Soll das heißen, dass bei den Frauen eventuell noch Substanzen nachgewiesen werden könnten?« Winter warf einen Blick auf das blasse Gesicht Mildred Svenssons.

»Wir wissen es noch nicht. Aber die Gerichtschemie – oder wir – machen einen weiteren Versuch. In Koblenz gibt es ein neues Labor, das sich darauf spezialisiert hat, postmortal nach Substanzen zu suchen. Die Proben sind schon unterwegs.«

»Wann ist mit dem Ergebnis zu rechnen?«

»Weiß ich nicht. Und jetzt bin ich unterwegs.« Öberg beendete das Gespräch.

Auch Winter war unterwegs. Als er im Flur war, hörte er Ringmars Handy klingeln.

Ringmar holte ihn unten auf dem Kopfsteinpflaster unter dem gemauerten Gewölbe ein.

»Wo willst du hin, Erik?«

»Ich will mir die anderen Wohnungen noch einmal ansehen. Götabergsgatan und Chalmersgatan.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht genau, Bertil.«

»Hast du die Schlüssel?«

»Die habe ich immer bei mir«, antwortete Winter. »Aber geh du zurück. Einer von uns beiden muss bleiben.«

»Ruf mich sofort an, wenn dir etwas auffällt«, sagte Ringmar.

Winter nickte.

»Möllerström hat angerufen, als du gegangen bist. Er beschäftigt sich gerade mit Sportvereinen und hat für eine Überprüfung der Schulen gesorgt. Bis jetzt hat man nichts gefunden, was darauf hindeutet, dass Dahlquist an irgendeiner Bezirksmeisterschaft teilgenommen hat.«

»Es ist nicht sein Pokal«, sagte Winter.

»Umso besser«, sagte Ringmar.

»Hundert Meter in irgendwas«, sagte Winter. »Hoffentlich findet das Labor es bei der Untersuchung des Pokals heraus.«

»Wie viele Hundertmeter-Bezirksmeisterschaften kann es im Lauf des Jahres gegeben haben?«

»Hunderte«, sagte Winter und trat auf die Straße.

Winter stand in dem Zimmer. Es war das erste Zimmer. Er hatte das Gefühl, es schon hundertmal gesehen zu haben.

Und dennoch habe ich nicht genug gesehen. Etwas ist mir entgangen.

Er lauschte angestrengt. Unten auf der Chalmersgatan fuhr ein Fahrzeug vorbei. Es konnte aber auch der Wind gewesen sein.

Er lauschte auf Geräusche aus anderen Teilen des Hauses. Doch er hörte nichts. Ich sollte so laut schreien, wie ich kann, und dann die Nachbarn fragen, ob sie etwas gehört haben. Niemand hat etwas gehört. Hier gibt es nur Stille. Die Befragung an den Wohnungstüren durch die Leute vom Ermittlungsdezernat hat ergeben, dass niemand etwas gehört hatte. Doch, einer. Der Nachbar draußen auf demselben Treppenabsatz. Er hatte in der frühen Nacht Schritte gehört. Irgendwann mitten in der Nacht.

Winter hatte die Vernehmungsprotokolle gelesen. Niemand hatte etwas anderes gehört, und niemand hatte sich in den betreffenden Nächten oder frühen Morgenstunden im Treppenhaus aufgehalten.

Er lauschte auf Schritte aus dem Treppenhaus. Nichts. Würde ich mich selber hören, wenn ich mich da draußen bewegte? Er ging in den Flur. Überall war es still. Er öffnete die Tür. Eine ältere Frau war gerade auf dem Weg in den vierten Stock. Sie warf ihm über die Schulter einen ängstlichen Blick zu. Winter nickte ihr zu. Schnell drehte sie den Kopf weg und stieg weiter die Treppe hinauf. Vom Flur hatte er sie nicht gehört.

Winter ging zu der Wohnungstür rechter Hand. Ein vergoldetes Namensschild. Schiöld. Herman Schiöld. Das war der Name des Zeugen, der »etwas« gehört hatte, vielleicht Schritte. Winter drückte auf den Klingelknopf und wartete. Es blieb still. Er klingelte noch einmal. Es hörte sich an, als würde der Klingelton in der Wohnung herumrollen und dann dorthin zurückkehren, woher er kam. Es war das einzige Geräusch im ganzen Haus. Er stand wie erstarrt da und wartete, bis es wieder still war. Plötzlich hatte er das Gefühl, als könnte er sich nicht rühren, ein merkwürdiges Gefühl. Er konnte sich nicht von dieser Tür wegbewegen.

In seiner Manteltasche klingelte das Handy.

»Ja?«

»Hallo, Halders hier. Wir sind mit Tommy Näver auf dem Weg ins Präsidium.«

Er brauchte einige Sekunden, bis der Name bei ihm ankam.

»Erik?«

»Ja, ich bin noch dran. Näver. Gut. Was sagt er?«

»Er hat Gerda Hoffner am Tag vor Silvester gesehen, glaubt er. Was das andere angeht, habe ich mich mit Fragen zurückgehalten.«

»Okay. Wir sehen uns im Dezernat.« Winter drückte auf Aus, jetzt konnte er sich wieder bewegen.