Ungewöhnliche Verbündete
Von Aeryn Rudel
Sumpf-Schreiter schob seine Augenstiele aus dem Wasser und blinzelte den schleimigen Schlick des Marsches aus seinen Augen. Die Spitzhäupter hatten eine trockene Stelle im Sumpf gefunden, eine treibende Masse aus Torf und Schlamm, die groß genug war, um sie zu tragen. Der Anura konnte immer noch das Brennen ihrer Fesseln um seine Handgelenke fühlen, ihre Peitschen auf seiner Haut und ihre harte Sprache in seinen Ohren. Er ballte seine Fäuste unter Wasser um das Heft seines Speeres, während er gegen das Verlangen ankämpfte, hochzuschnellen und seine Waffe auf die verhassten Spitzhäupter, die Skorne, zu schleudern.
Zwei weitere Paare Augenstiele erhoben sich aus dem Wasser. Laut-Sänger und Fisch-Jäger waren fähige Jäger und ihr Hass auf die Skorne war genauso abgrundtief wie der von Sumpf-Schreiter. Er unterdrückte seine Wut und zählte die Skorne auf der Torfinsel. Es waren zehn, bewaffnet mit Speeren und in schwere Metallhüllen gewandet. Zehn weitere mit leichteren Hüllen führten je ein Paar Schwerter. Zuletzt war da noch eine zweibeinige Kreatur mit einem einzelnen Auge auf der Mitte ihrer Stirn. Ihr Meister. Ein Skorne mit einer langen Stachelpeitsche, stand in ihrer Nähe.
Zu viele, um alleine gegen sie zu kämpfen. Sumpf-Schreiter gab einen tiefen, summenden Ton von sich, der durch das Wasser trieb und den die anderen Anura eher spüren als hören konnten. Geschlossen glitten sie unter die Oberfläche des Sumpfes und verschwanden.
***
Gorthane runzelte die Stirn, als die Croaks aus dem Wasser traten und sich ihm und seinen Veteranen näherten. Er und die anderen Trollsipplinge hatten mit den Humanoiden, die Fröschen ähnelten, fast den ganzen Monat zusammengearbeitet und er konnte sie immer noch nicht leiden. Sie waren einfach zu seltsam. Es war unmöglich, ihre Gesichtsausdrücke oder Körpersprache zu deuten, und Dhunia allein wusste, was in ihren schleimigen Köpfen vorging. Sie waren jedoch gute Kämpfer, das musste Gorthane zugeben, und noch bessere Kundschafter. Sie hatten den Kriel bei einigen erfolgreichen Überf ä llen auf die Skorne in Rotfurt beigestanden.
Der größte der Croaks, der, den sie Sumpf-Schreiter nannten, streckte ihm seinen Speer quer über beide Handflächen gelegt hin.
Gorthane nahm ihn entgegen, hielt ihn einige Momente fest und reichte ihn zurück. Das war nur eine weitere der sonderbaren ritualisierten Verhaltensweisen der Croak. Torfal, der älteste Steinschnitzer des Kriels, der ziemlich angetan war von den Froschmenschen, hatte gemeint, dass Verbündeten die Waffe darzubieten einen Weg darstellte, sich nochmals dessen Vertrauens zu vergewissern. Gorthane dachte, dass seine Waffe irgendwem auszuhändigen einfach unfassbar dumm war.
»Habt ihr die Skorne gefunden?« fragte Gorthane. Die Croaks hatten ein wenig der Sprache der Trollsipplinge erlernt, genug, um einfache Konzepte zum Ausdruck zu bringen.
Sumpf-Schreiter bewegte seinen Kopf ruckartig hoch und runter, es war nicht ganz ein Nicken. »Viele Skorne«, sagte er mit tiefer, krächzender Stimme, gleichzeitig deutete er mit seinem Speer in die Richtung, aus der er gekommen war. »Wir töten?«
»Wie viele?«, wollte Gothane wissen und fragte sich, ob Croaks zählen konnten.
Sumpf-Schreiter begann mit der Spitze seines Speeres im Schlamm herum zu kratzen. Gorthane blickte nach unten, um zu schauen, was der Croak da tat. Der Froschmensch malte Symbole in die nasse Erde und ordnete sie in einem offensichtlichen Muster an.
Gorthane verstand. »Drei Einheiten, wie?«, sagte er. Das letzte Symbol, das der Croak zog, war riesig und darauf zeichnete er etwas ein, das aussah wie ein rundes Auge. »Zyklop«, sagte Gorthane.
Sumpf-Schreiter blickte auf und richtete er seinen Speer auf Gorthane. Dann zeigte er auf sich selbst und als letztes auf das große Symbol, dass er in den Schlamm gegraben hatte. »Wir töten«, sagte er. »Große Blauhaut und Sumpf-Schreiter.«
Gorthane befehligte zwanzig der fähigsten Krieger des Kriels und er glaubte, dass sie alleine dreißig Skorne besiegen konnten. Der Zyklop würde ihnen die größten Probleme bereiten – wenn man sich nicht um ihn kümmerte, würde er heute viele Sipplinge verlieren. Er hatte gesehen, wie wirksam die Croak-Speere waren; sie waren mit einem Gift bestrichen, das so tödlich war, dass es einen innerhalb von Sekunden umbrachte. Wahrscheinlich würde es ein wenig länger brauchen, um einen Zyklopen zu Fall zu bringen, und während das Gift seine Wirkung tat, würde jemand das Monster beschäftigen müssen. Gorthane hob seinen Kriegshammer vom Boden und legte ihn sich über die Schultern. Er war der Anführer der Veteranen. Also würde dieser jemand er sein.
»Keine schlechte Idee«, sagte Gorthane zu Sumpf-Schreiter. Er tappte mit seinem Fuß auf das Symbol, das der Croak in den Schlamm gezeichnet hatte. »Wir töten.«
***
Die riesige Blauhaut war klüger als er schien und er hatte Sumpf-Schreiters Plan zugestimmt. Die Anura hatten Gorthane k ämpfen sehen und er war der einzige, der eine Chance gegen den Zyklopen hatte.
Die drei Anura bewegten sich unter Wasser fort, als sie sich der Torfinsel der Skorne von Süden her näherten. Die Blauhäute würden von Norden aus zuschlagen. Sie durchbrachen die Wasseroberfläche einige Meter vom Ufer entfernt und durch ihre schlammgrüne Haut verschmolzen sie mit der Umgebung. Der Zyklop stand nah am Wasser, eine Hiebwaffe mit breiten Klingen an einer langen Stange in der einen Hand und in der anderen ein großes, flaches Stück Metall, das die Blauhäute ein Schild nannten. Er trug eine beschützende Metallhülle wie die anderen Skorne-Krieger. Das bereitete Sumpf-Schreiter Sorgen. Wenn die Hülle dick genug wäre, würden ihre Speere daran abprallen. Der Meister des Zyklopen – ein Skorne, der denen ähnelte, die Sumpf-Schreiter gefangen genommen und versklavt hatten – befand sich in der Nähe und säuberte die gebogenen Stacheln seiner Peitsche.
» Der zuerst «, dachte Sumpf-Schreiter und gab den Befehl an Laut-Sänger und Fisch-Jäger durch ein tiefes, brummendes Quaken weiter. Die drei Anura gingen näher an die Torfinsel heran, blieben stehen und schleuderten ihre Speere. Die Skorne bemerkten sie nicht, bis die Speere sie trafen. Alle drei Speere durchbohrten den Bestienmeister der Skorne. Er taumelte, dann trat die Wirkung des Gifts ein und er fiel mit dem Gesicht voran in den Schlamm.
Man hatte sie entdeckt, aber die Skorne auf der Torfinsel vergaßen die drei Anura nur zu bald, denn die Blauhäute brachen in einer brüllenden Woge aus den Zypressen im Norden hervor. Die Blauhäute erreichten die Insel und waren innerhalb von Sekunden zwischen den Skorne, ihre Äxte hoben und senkten sich, Blut spritzte. Gorthane schritt zwischen seinen Kriegern hindurch, an ihnen vorbei, wobei er die Skorne in seinem Weg zur Seite schmetterte. Sein Ziel war klar: Der Zyklop, der auf seine Veteranen zumarschierte, seine Waffe hoch über seinen Kopf gehoben.
»Kommt«, sagte Sumpf-Schreiter. Die drei Anura schossen aus dem Wasser und zogen zugleich Speere aus den Köchern auf ihren Rücken. Sie rieben die Spitzen dieser Speere an ihren Bäuchen, wodurch sie sie mit klebrigem Gift bedeckten.
Gorthane war beim Zyklopen angekommen und sprang seinem ersten Schlag aus dem Weg. Er schmetterte seinen Hammer gegen die Knie seines Feindes und der Zyklop taumelte zurück, doch ging er nicht zu Boden. Er war schneller als Sumpf-Schreiter angenommen hatte, und als er rückwärts torkelte, schlug er mit seiner Stangenwaffe um sich. Der Schlag war unbeholfen, aber sehr hart und traf Gorthanes Hammer, was ihm die Waffe aus den Händen riss und sie wirbelnd in den Schlamm schleuderte.
Panik erfüllte Sumpf-Schreiter. Gorthane würde sterben, wenn sie ihm nicht zur Hilfe eilten. Die Anura warfen ihre Speere.
***
Die Speere der Croaks schlugen gegen den breiten Rücken des Zyklopen und prallten davon ab. Seine Rüstung war zu dick. Gorthane rollte seine Augen, trat einen Schritt zurück und sah sich unterdessen nach seinem Hammer um. Wozu haben mich diese verdammten Frösche da überredet? dachte er. Hinter ihm war der Lärm des Kampfes ohrenbetäubend laut, während seine Veteranen gegen die Skorne kämpften.
Der Zyklop hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und zog seine Hellebarde durch die Luft. Falls ihn diese Klinge traf, würde sie ihn einfach entzwei teilen. Er wich zurück und strauchelte über eine tiefe Stelle im Schlamm. Sein rechtes Bein sank ein bis zum Knie und er steckte fest, war unbewaffnet und stand einem anstürmenden Zyklopen gegenüber.
»Ich schätze, es gibt schlimmere Wege zu sterben«, murmelte er.
Der Zyklop stürmte auf ihn zu, dann hielt er inne und gab ein mächtiges Grunzen von sich. Ein Speer hatte sich dort in sein rechtes Knie gebohrt, wo es nur schwach gepanzert war. Es wandte sich um, hob seine Waffe und fing sich einen weiteren Speer oberhalb seiner Brustplatte ein.
Gorthane zog seinen Fuß mit einem Ruck aus dem Schlamm und erblickte seinen Hammer einige Schritte weit entfernt. Er rannte darauf zu, riss ihn an sich und als er sich umdrehte, sah er, dass der Zyklop in die Knie gegangen war. Das Gift der Croak zeigte seine Wirkung. Gorthane eilte hinter das verwundete Skorne-Warbeast und riss seinen Hammer in einem heftigen Bogen herum, bündelte seine gesamte, beachtliche Stärke in diesem Schlag. Er rammte den riesigen Hammer gegen den Schädel des Zyklopen und vernahm ein dumpfes Knacken. Der Kopf der Kreatur baumelte unnatürlich nach links und dann kippte sie vorwärts in den Schlamm.
Hinter Gorthane kam der Kampf zu einem Ende und er sah, wie ein Dutzend Skorne in den Sumpf flüchteten und dabei zwanzig zerfleischte Leichen zurückließen. Auch Trollsipplinge waren gestorben, aber nicht viele.
»Wir töten«, ertönte eine volle, gurgelnde Stimme hinter Gorthane. Gorthane wandte sich um und lächelte Sumpf-Schreiter verhalten an.
»In der Tat«, sagte er. Mehr als das, sie hatten sein Leben gerettet. Er wusste nicht, wie er ihnen gegenüber seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen konnte. Und dann fiel ihm auf, dass er das sehr wohl wusste.
Er hielt Sumpf-Schreiter seinen Hammer hin, den Griff quer über beide breite Handfl ächen gelegt. Der Croak wippte begeistert mit dem Kopf, streckte seine Hände aus und nahm die Waffe seines Verbündeten entgegen.