»Scab«, sagte Carey, nachdem er sich den Jungen auf dem Weg zum Frühstück geschnappt hatte. »Warum hast du gestern Nacht die Tür zum Priesterversteck offen gelassen?«
»Aber das war ich nicht!«, sagte Denis, dem die Frage vor lauter Überraschung ein – wie er danach gedanklich für sich konstatierte – deprimierend kindliches Kieksen entlockte.
»Ganz ehrlich?«, fragte Hugh, der es sich auf der Fensterbank bequem gemacht hatte und in die schneebedeckte Landschaft hinausschaute. Er sehnte sich nach gebratenem Speck und Eiern und sog gierig den Duft des Kaffees ein, den Mrs. Ditch soeben hereintrug.
»Selbstverständlich war ich das nicht, Hugh! Ich würde doch mein Geheimnis nicht an Mrs. Ditch verraten, oder an irgendjemanden sonst, der morgens hier hereinkommen könnte!«
»Das ist ja sehr merkwürdig«, sagte Carey. »Ich weiß genau, dass die Tür geschlossen war, als ich so gegen halb elf ins Bett gegangen bin.«
»Da können wir nicht sicher sein. Es ist doch möglich, dass sie einen Spaltbreit offen stand, meinst du nicht?«, fragte Hugh. »Andererseits – ich bin vor dir nach oben gegangen, und mir ist nichts aufgefallen.«
»Nun, jetzt steht sie jedenfalls nicht mehr offen«, sagte Carey. »Ich habe sie so fest wie möglich zugedrückt, als wir gestern Nacht zum zweiten Mal ins Bett gegangen sind. Außerdem habe ich zusätzlich noch einen Stuhl davorgeschoben.«
Er zog den schweren Stuhl zur Seite und öffnete abrupt die Tür. »Du lieber Gott!«, sagte er. »Was ist denn das?«
Linda Ditch stürzte halb ohnmächtig in den Raum. Die beiden jungen Männer und Denis eilten ihr zu Hilfe.
»Tretet ein bisschen zurück, ihr zwei. Lasst ihr Platz zum Atmen«, sagte Hugh und kniete sich neben sie. Im selben Moment setzte Linda sich auf.
»Nicht meiner Mutter erzählen!«, sagte sie.
»Aber wie sind Sie denn dort hineingekommen?«, fragte Hugh. »Hier, trinken Sie erst mal was!« Er bedeutete Carey, ihr eine Tasse Kaffee zu bringen. Linda machte eine abwehrende Handbewegung und rappelte sich mit kalkweißem Gesicht auf. Sie steckte offenbar noch in ihrer Festtagskleidung, die aus einem geschmacklosen, bodenlangen Kleid aus billiger blauer Spitze bestand, das zudem auch noch tief ausgeschnitten war. Darüber trug sie einen Mantel, und an den Füßen silberne Schuhe, deren Absätze leichte Abnutzungsspuren aufwiesen. Sie hatte sich eine Lockenfrisur zugelegt, die ihr nicht besonders gut stand und mittlerweile vollkommen derangiert war. Alles in allem machte sie einen recht mitgenommenen Eindruck, aber es sah nicht so aus, als wäre sie draußen im Schnee gewesen.
»Lassen Sie mich. Ich will nicht darüber reden. Ich wurde im Stich gelassen«, sagte sie.
»Seien Sie still, Linda!«, sagte Carey und nickte fast unmerklich zu Denis hinüber.
»O das! Das meine ich doch gar nicht! Wo denken Sie hin? Können Sie denn nicht sehen, dass das, auf das Sie da anspielen, schon vor Wochen passiert ist? Nein, ich meine, ich wurde einfach sitzen gelassen. Also bin ich wieder zurückgekommen und habe in diesem Versteck da geschlafen.«
»Nun seien Sie doch vernünftig, Linda«, sagte Carey. »Es hat keinen Sinn, ein Geheimnis daraus zu machen. Wo sind Sie gewesen? Und wie sind Sie dort hineingekommen?«
Hugh ging zu der Tür in der Vertäfelung hinüber, schloss sie und stellte sich mit dem Rücken davor.
»Ich sollte wohl besser verschwinden«, sagte Denis hilfsbereit und versuchte dabei, so erwachsen wie möglich zu klingen. Dann ging er in den Schnee hinaus, der im Sonnenschein funkelte.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Linda. »Ich werde mir in Littlemore eine Anstellung suchen. Im Irrenhaus«, fügte sie trotzig hinzu.
»Es wird Ihnen dort nicht gefallen«, sagte Carey. »Wollen Sie uns wirklich nicht erzählen, was passiert ist?«
»Nein. Also lassen Sie mich gehen. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten, kümmern Sie sich um Ihre!«
»Aber das sind seine Angelegenheiten, Sie dummes Ding!«, sagte Mrs. Bradley, die plötzlich vor Linda auftauchte wie der Teufel, der Doktor Faustus heimsucht. »Es ist sein Haus, und er hat sehr wohl das Recht, Ihnen Fragen zu stellen, wenn er Sie in einem Teil des Gebäudes vorfindet, in dem Sie nichts zu suchen haben. Gehen Sie nach oben und ziehen Sie sich ein anderes Kleid und andere Schuhe an. Und dann schicken Sie Ihre Mutter zu mir.«
Bei diesen Worten stürzte Linda auf die Knie.
»Sie erzählen es doch nicht meiner Mutter! Erzählen Sie es nicht meiner Mutter!«, schluchzte sie.
»Kein Wort«, sagte Mrs. Bradley. »Außer, dass man Sie aus Versehen eingeschlossen hat. Haben Sie dieses Kleid gestern Abend hier in diesem Haus getragen, für die Weihnachtsfeier Ihrer Familie?«
»Ja, habe ich. Und Walt hat es sogar zerrissen.«
»Dann ist es ja gut. Und jetzt seien Sie ein vernünftiges Mädchen. Ich werde Sie nur dann in Schutz nehmen, wenn Sie mir die Wahrheit sagen. Und täuschen Sie sich da mal nicht: Ich erkenne die Wahrheit, wenn ich sie höre! Letzte Nacht sind anscheinend mehrere seltsame Dinge geschehen.«
Sie sah Linda mit einem anzüglichen Grinsen ins Gesicht. Linda zuckte zurück, dann aber fing sie an zu kichern. Offenbar hatte sie ihr feuriges Temperament noch nicht verloren.
»So ist’s schon besser«, sagte Mrs. Bradley.
»Und, wird sie es dir erzählen?«, fragte Carey, nachdem Linda gegangen war.
»O ja, zumindest einen Teil der Wahrheit«, sagte Mrs. Bradley. »Sie ist ein ziemlich loser Vogel, dieses Mädchen.« Sie schüttelte über Lindas Verfehlungen den Kopf. »Natürlich ist sie jemanden auf Roman Ending besuchen gegangen.«
»Du denkst also, sie hat den Krach verursacht, der letzte Nacht die Schweine aufgescheucht hat? Als sie nach Roman Ending rübergelaufen ist?«
»Das weiß ich nicht, aber ich bezweifle es. Wann hat es angefangen zu schneien?«
»Kurz bevor ich das Haus verlassen habe, um nach den Schweinen zu sehen. Als ich draußen war, schneite es schon ziemlich heftig.«
»Dann ist Linda zu einem früheren Zeitpunkt aus dem Haus gegangen und auch früher wieder zurückgekehrt, es sei denn, sie hätte sich irgendwo untergestellt und auch ihr Kleid und ihre Schuhe gewechselt.«
»Durch das Priesterversteck, meinst du? Donnerwetter …« Er trat vor die Vertäfelung und öffnete erneut die Tür. In diesem Moment kam Mrs. Ditch in den Raum und brachte Eier mit Speck. Voller Neugier starrte sie die Öffnung in der Wand an. Mrs. Bradley winkte mit einer ihrer mageren Klauen.
»Linda wurde aus Versehen da drin eingesperrt. Wir haben sie gerade herausgelassen«, sagte sie. »Sie ist nach oben gegangen, um sich umzuziehen. Sie hatte immer noch ihr Festtagskleid an. Ich würde sie an Ihrer Stelle jetzt nicht mit irgendwelchen Fragen behelligen. Sie hat einen ziemlichen Schock erlitten, würde ich sagen.«
»Wir haben aber doch genau gesehen, dass sie kurz vor zehn ins Bett gegangen ist.«
»Das kann sie unmöglich getan haben. Was bedeutet, dass dieses Versteck noch einen anderen Eingang hat«, sagte Carey plötzlich.
»Wenn sie auf dem üblichen Weg nach Roman Ending gegangen wäre, hätte sie draußen durch den Schnee stapfen müssen. Und dann wären Spuren davon auf ihren Schuhen zurückgeblieben. Hören Sie auf meinen Rat. Fragen Sie nicht weiter nach. Erwähnen Sie es allenfalls als Scherz, so wie Sie es getan hätten, wenn statt Linda der junge Walt dort eingesperrt worden wäre. Drangsalieren Sie das Mädchen nicht, Mrs. Ditch«, sagte Carey, der das ritterliche Bedürfnis empfand, Linda in Schutz zu nehmen. Er war nämlich der Ansicht, dass Linda von ihrer Mutter nicht gerade gerecht behandelt wurde.
Der Indizienbeweis der Schuhe überzeugte Mrs. Ditch. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, nahm sie sie unter die Lupe und kam zu dem Schluss, dass diese unmöglich im Freien getragen worden sein konnten. Also meinte sie nur sarkastisch: »Unsere Linda hat es eben darauf angelegt, sich einsperren zu lassen, auf die ein oder andere Weise.« Und dabei ließ sie es für den Augenblick bewenden.
»Übrigens«, sagte Carey, als Mrs. Ditch gegangen war. »Ich habe von Tombley gehört, der es wiederum von Fay gehört hat, dass mit Fossders Testament alles vollkommen in Ordnung war.«
»Was meinst du damit?«
»Nun, es gab irgendwann mal das komische Gerücht, er wolle Jenny und womöglich auch Mrs. Fossder enterben oder so etwas in der Richtung. Aber da war wohl nichts dran, jedenfalls stehen alle noch drin.«
»O, tatsächlich? So ist es natürlich viel besser.« Sie nickte, als wollte sie allen betroffenen Personen zu ihrem Erbe gratulieren, und nahm ihren Platz am Esstisch ein, unmittelbar vor einer Schüssel mit gebratenem Speck und der offenbar unvermeidlichen Blutwurst. Nach dem Frühstück gelang ihr das sehr beachtliche, wenn auch vollkommen nutzlose Kunststück, mit sechs Schneebällen sechs leere Flaschen von der Mauer des Küchengartens zu werfen. Nachdem sie auf diese Weise dem winterlichen Niederschlag Tribut gezollt hatte, war sie der Ansicht, sich das Recht verdient zu haben, ins Wohnzimmer zurückzukehren und das Glas Bovril zu trinken, das Linda auf einem kleinen silbernen Tablett hereinbrachte.
»Sag mal«, fragte Denis, der ihr ins Haus gefolgt war, »hast du jemals dein Glück an einer dieser Wurfbuden auf der Kirmes versucht, Tante Bradley? Ich glaube, da würdest du ziemlich abräumen!«
»Man hat mir allein in der Umgebung von London auf nicht weniger als drei Jahrmärkten zu verstehen gegeben, dass ich mich von den Wurfbuden fernhalten soll«, antwortete seine Großtante mit geziemender Bescheidenheit. Denis stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»In mancher Hinsicht hast du tatsächlich große Ähnlichkeit mit einer Hexe«, bemerkte er.
»Das ist sehr unhöflich, Master Denis«, sagte Linda Ditch. »Trinken Sie Ihren Bovril aus und reden Sie nicht solchen Unsinn!«
Denis war über diese Bemerkung so empört, dass er sie keiner Antwort würdigte. Er trank seinen Bovril, nahm sich ein paar Kekse von der Anrichte und zog los, um Hugh und Carey zu finden, die Ditch und dem jungen Walt gerade dabei halfen, die Wege freizuschaufeln.
»Also gut, Ma’am«, sagte Linda forsch.
»Also gut, Linda«, sagte Mrs. Bradley.
»Nun, Ma’am, ich will nicht leugnen, dass ich ausgegangen bin, um meinen Bo zu treffen.«
»Ihren was?«, fragte Mrs. Bradley. »Ach so, ja, natürlich, Sie meinen Ihren Beau. Fahren Sie fort.«
»Das ist nämlich Priest, drüben in Roman Ending.«
»Kommen Sie schon. Seien Sie nicht albern«, sagte Mrs. Bradley. »Ein Mann mit so einem Gesicht! Wie um alles in der Welt würden da die Kinder aussehen!«
Linda starrte sie an, dann aber musste sie plötzlich lachen.
»Sie sind mir ja eine!«, sagte sie. »Also gut, ich habe mich mit Tombley getroffen – Jerry, nenne ich ihn –, weil wir uns über das hier unterhalten müssen.«
Sie machte eine unmissverständliche Geste.
»Ah ja, das uneheliche Kind«, sagte Mrs. Bradley, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Linda blickte sie kühl an.
»So schlimm ist es nicht. Er wird mich heiraten, warten Sie’s nur ab!«, entgegnete sie leidenschaftlich.
»Das kann er nicht, wenn er gehängt wird«, entgegnete Mrs. Bradley seelenruhig. »Wo war er Heiligabend?«
Das Mädchen zog ein mürrisches Gesicht, wirkte jedoch gleichzeitig verängstigt.
»Ich weiß nicht, wovon Sie da reden.«
»O Linda!«, sagte Mrs. Bradley.
»Ich weiß es wirklich nicht! Können Sie nicht einfach glauben, was ich Ihnen sage?«
»Nein, das kann ich nicht. Jedenfalls nicht besonders viel davon. Warum haben Sie Roman Ending so überstürzt verlassen?«
»Wegen Jim Priest. Er hat einen Streit gehört und ist abgehauen.«
Mrs. Bradley begann, eine bestimmte Melodie zu summen. Zunächst runzelte Linda die Stirn, dann war ihr mürrischer Gesichtsausdruck plötzlich wie weggeblasen, und sie fing an zu lachen.
»Ja, der ist ein richtig treuer Billy, das kann man wohl sagen. Er bringt mich zum Lachen. Und ist andauernd eifersüchtig. Drückt sich immer in der Nähe herum, auch wenn man nichts mehr mit ihm zu tun haben will!« Sie begann nun ebenfalls zu summen. »Ah, und ich wünschte, die Fische würden nie über die Berge fliegen«, sagte sie dann geheimnisvollerweise.
»Wie war das?«, fragte Mrs. Bradley.
»Wie war was?«, sagte Linda, diesmal in ehrlicher Unschuld.
»Das mit den Fischen und den Bergen, mein Kind. Ich glaube nicht, dass ich weiß, woher dieses Zitat stammt.«
»O, das ist aus diesem Lied, das die Morris-Tänzer immer singen. Mein Vater kennt es. Und Walt auch.« Ihre Stimme war melodiöser als die ihrer Mutter, dafür hatte sie kein so gutes Gefühl für den Rhythmus.
»O mein Billy, mein treuer Billy,
Wann werde ich meinen Billy wiedersehen?
Wenn die Fische über die Berge fliegen,
Dann wirst du deinen Billy wiedersehen!«
»Danke, mein Kind. Das ist sehr interessant«, sagte Mrs. Bradley und prägte sich diese Variante des Liedes, das sie vor nicht allzu langer Zeit Lindas Mutter hatte singen hören, in ihr Gedächtnis ein, um sie später in ihr Notizbuch übertragen zu können. »Erzählen Sie weiter, was sich während Ihres nächtlichen Abenteuers zugetragen hat. Meine Neffen werden bald zurückkommen.«
»Nun, Jerry Tombley und ich, wir haben vereinbart, dass wir uns in der alten Scheune hinter der Gartenmauer treffen. Vom Keller dieses Hauses hier gibt es nämlich einen unterirdischen Gang dort hinüber. In der Gegend wissen das alle.
Die kleine Kammer da hinter der Holzwand haben Walt und ich gefunden, als wir als Kinder hier gespielt haben. Und wir haben entdeckt, dass es von dort aus einen Gang zum Keller gibt. Also habe ich mir gedacht, ich tue so, als würde ich früh ins Bett gehen. Dann wollte ich das Polster unter die Decke legen, damit es so aussieht, als würde ich im Bett liegen, und dann wollte ich hier durch diese Kammer in den Keller gehen, denn es hätte ja sein können, dass mein Vater die normale Kellertreppe hinuntergehen würde, um Bier zu holen. Am Ende des Gangs wäre ich dann in einer hinteren Ecke des Kellers rausgekommen.
Die anderen haben die ganze Zeit Tiddlywinks gespielt und Radio gehört, und dann haben sie auch noch das Grammophon laufen lassen und wollten, dass ich dazu tanze. Irgendwann war ich so müde, dass ich wirklich nur noch ins Bett wollte. Da musste ich gar nicht erst so tun als ob. Also bin ich nach dem Essen – das war so gegen halb elf – nach oben gegangen und dann auf einem anderen Weg, den mein Bruder und ich ebenfalls entdeckt hatten, wieder hinuntergeschlichen. Der liegt woanders, ich sage Ihnen aber nicht, wo. Sie können ja selbst versuchen, ihn zu finden. Das Versteck hier haben Sie ja auch gefunden.
Doch als ich dann unten im Keller war, sah ich, dass mein Vater und Walt die ganze Kohle und den Koks umgeschichtet hatten. Dadurch war der Gang total versperrt. Ich hätte schreien können, sage ich Ihnen. Stattdessen habe ich mich auf eins der Fässer gesetzt und geheult wie ein kleines Kind. Ich habe es nicht gewagt, die Kohle und den Koks wegzuschieben, nicht nur, weil ich mein bestes Kleid anhatte, sondern auch, weil ich Angst hatte, dass mein Vater es hören könnte. Und nachdem ich mich dann ausgeheult hatte, dachte ich, dass ich besser wieder ins Bett gehen und nicht mehr daran denken sollte, dass Jerry Tombley im Holzschuppen auf mich wartet.«
»Aber das ist noch nicht alles. Sie können nicht zurück ins Bett gegangen sein«, sagte Mrs. Bradley. »Wir haben Sie schließlich in dieser Kammer hier gefunden. Warum konnten Sie nicht auf demselben Weg zurückgehen?«
»Das kommt davon, wenn man in einem alten Haus lauter blöde Verbesserungen einbaut«, war alles, was Linda darauf antwortete, und Mrs. Bradley erkannte, dass das Mädchen alles gesagt hatte, was sie zu diesem Zeitpunkt bereit war preiszugeben.
Nachdem Linda zurück zu ihrer Mutter in die Küche gegangen war, machte Mrs. Bradley sich auf die Suche nach Denis.
»Geh hinunter in den Keller, mein Junge«, sagte sie, »und erzähle mir anschließend, wo genau sich die Kohle und der Koks befinden.«
»O, das weiß ich auch so«, sagte Denis. »Zwei Tage vor deiner Ankunft bin ich mit Ditch in den Keller gegangen. Das Zeug liegt in einer Ecke und versperrt dadurch einen hübschen kleinen Gang, der zu der alten Scheune dort drüben führt.«
Mrs. Bradley war verwirrt. Es hatte so geklungen, als sei Linda davon überzeugt gewesen, dass die Kohle erst vor Kurzem dorthin geschafft worden war. Ansonsten wäre sie doch sicher vorher in den Keller gegangen, um sicherzugehen, dass der Weg frei war, dachte Mrs. Bradley. Aber vielleicht hatte sie auch einfach nur auf ihr Glück vertraut. Menschen ihres Naturells vertrauten immer auf ihr Glück, nur, um dann bei nahezu jeder Gelegenheit festzustellen, dass das Glück sie im Stich gelassen hatte. Sie seufzte.
»Hat Linda gelogen? Das tut sie immer, sagt Walt«, meinte Denis.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Mrs. Bradley. »Denis, was genau meint man damit, wenn man sagt, dass in einem alten Haus Verbesserungen eingebaut wurden?«
»Ist das ein Rätsel?«
»Wenn du so willst.«
»Kennst du die Antwort?«
»Nun«, sagte Mrs. Bradley zurückhaltend. »Ich denke, ich würde sie erkennen, wenn ich sie höre.«
»Na ja, ich glaube, das bedeutet, dass man ein paar Badezimmer einbaut. Du weißt schon …«
Aber seine Großtante wartete den Rest des Satzes nicht ab.
»Komm mit mir, schnell«, sagte sie. »Du wolltest doch noch einen anderen Eingang zu dem Priesterversteck finden, Denis, nicht wahr? Nun, mein liebes Kind, ich denke, du hast einen gefunden.«
Sie gingen zusammen die Treppe hoch und betraten das größere der beiden Badezimmer. Darin stand eine große Zinkwanne so nah an der Wand hinter der Tür, dass sie sie fast berührte, und unter dem Fenster befand sich einer jener abscheulichen Waschtische mit einem herausnehmbaren Becken, aus dem man das seifige Wasser in ein darunterstehendes Gefäß schütten musste. Ansonsten war der Raum mit einem Korbstuhl, einer Badematte, einem Handtuchhalter und einem kleinen, lackierten Badezimmerschrank möbliert. Letzteren hatte man offenbar nur deshalb gekauft, weil er genau in eine der Ecken passte.
»Wo mag es sein?«, fragte Mrs. Bradley. Sie durchsuchten mit äußerster Sorgfalt jeden einzelnen Zentimeter des Raumes. Denis legte sich flach auf den Bauch, mit einer Taschenlampe in der Hand, um alle Dielenbretter und Ecken unter die Lupe zu nehmen. Schließlich stand er auf und seufzte.
»Versuchen wir es im anderen Badezimmer«, sagte er. Das zweite Bad war Mrs. Bradleys Ansicht nach ohnehin die wahrscheinlichere Variante, da die Mitglieder der Familie Ditch dieses benutzen durften, wenn ihnen nach Baden zumute war. Der Raum war von einem der Schlafzimmer durch eine hölzerne Wand abgetrennt worden, die nicht ganz bis zur Decke reichte. Das, was vom Schlafzimmer übrig geblieben war, diente als Kammer zur Unterbringung von allerlei Gerümpel.
»Wir sollten auch dort drüben suchen, falls wir im Bad nichts finden«, sagte Mrs. Bradley, während sie an der Kammertür vorübergingen. Doch ihre Suche blieb nicht ohne Ergebnis. Der Boden war mit grün-weiß-kariertem Linoleum ausgelegt, und in der Nähe der Wand entdeckte Denis eine leichte Vertiefung im Belag. Er hob ein Stück des Linoleums an, und darunter kam eine Falltür zum Vorschein. Die Scharniere sahen relativ neu aus, hatten jedoch aufgrund der von Wasser und Dampf erzeugten Feuchtigkeit bereits zu rosten begonnen. Denis öffnete die Falltür und starrte in einen schwarzen, scheinbar bodenlosen Schacht hinunter.
»Er ist genauso breit wie eine der alten Wände. Interessant«, sagte Mrs. Bradley. Sie leuchteten mit ihren Taschenlampen nach unten, aber der Schacht schien lotrecht in die Tiefe zu fallen, ohne jemals den Grund zu erreichen – soweit sie das erkennen konnten.
»Schließe die Tür für einen Moment wieder, mein Kind«, sagte Mrs. Bradley. »Und dann schau aus dem Fenster und sag mir genau, wo wir uns befinden.«
Das Badezimmerfenster war nicht sehr viel größer als eine Schießscharte. Dieser Teil des Hauses war offenbar älter als der Rest. Denis stellte sich auf die Zehenspitzen und sah nach draußen.
»Ich schaue Richtung Norden, glaube ich. Die Kirche liegt zu meiner Linken, aber in einem schrägen Winkel. Das hier muss also die Nordwestecke des Hauses sein.«
»Das ergibt Sinn«, sagte Mrs. Bradley. »Wahrscheinlich verläuft der Schacht parallel zur Hauswand und reicht bis zum Boden hinunter. Von dort geht es dann unterirdisch weiter, würde ich sagen. Das nützt uns nichts, Denis. Lass uns nebenan weitersuchen.«
Aber in der Kammer mit dem Gerümpel fanden sie nichts, weshalb sie ins Wohnzimmer zurückkehrten, um sich am Kaminfeuer aufzuwärmen.
Wir haben keinen Weg nach draußen gefunden, also wie ist Linda hier hereingekommen?, fragte Mrs. Bradley sich in Gedanken. Sie ging zu der Vertäfelung hinüber und öffnete die Tür. Das Priesterversteck – falls es sich bei dieser Kammer tatsächlich um ein solches Versteck gehandelt haben sollte – war so kahl und leer wie eh und je. Sie betrat den Raum.
»Schließ die Vertäfelung hinter mir, Denis. Ich möchte mal sehen, ob ich hier irgendwie herauskomme«, sagte sie. »Mach die Tür in zehn Minuten wieder auf.«
»Was für eine einmalige Gelegenheit, Scab«, sagte Carey, der genau in dem Moment den Raum betrat, als Denis die Vertäfelung schloss und seine Uhr zückte – ein Weihnachtsgeschenk von seinem Vater. »Wenn Tante Adela und du euer Versteckspiel beendet habt, würde ich gern mit ihr reden.«
Während Denis darauf wartete, dass die zehn Minuten verstrichen, erzählte er Carey von dem Schacht.
»O ja, den haben wir letzten Sommer gefunden. Das ist eine Art Stauraum aus dem vierzehnten Jahrhundert, glaube ich. Fall da bloß nicht runter. Ich denke nicht, dass wir dich da jemals wieder rausholen könnten, es sei denn, wir würden das ganze Haus abreißen. Und das würde ich nicht über mich bringen. Ich hoffe übrigens, es gibt genug Luft in diesem Priesterversteck. Linda war der Ohnmacht nahe, als sie heute Morgen da rausgepurzelt ist.«
»Linda? Ach so, darum geht es hier also!«
»Ja, darum geht es hier. Also behalte die Uhr gut im Auge, ich mache mir wirklich Sorgen wegen der Belüftung da drin.«
Als die zehn Minuten vorüber waren, öffnete Denis sofort die Tür, und Mrs. Bradley trat aus dem Versteck.
»Es gibt also genug Frischluft«, sagte Carey.
»Ich denke nicht, dass ich lange genug drin war, um das mit Sicherheit sagen zu können. Aber ich konnte auch keinen weiteren Ausgang entdecken«, antwortete Mrs. Bradley.
»Tatsächlich? Na, wie auch immer, komm mal bitte mit und schau dir Hereward an. Ich glaube, der arme Kerl fühlt sich heute Morgen nicht so gut. Es hat mir gar nicht gefallen, dass er nicht herausgekommen ist, um mich anzugrunzen, als ich letzte Nacht meine Runde gemacht habe. Wir hatten noch nie irgendwelche Krankheiten auf der Farm. Ich hoffe nicht, dass er ausgerechnet jetzt damit anfängt. Falls er nicht fressen will, muss ich wohl oder übel losziehen und den Tierarzt holen. Ich kann es mir nicht leisten, einen wertvollen Eber zu verlieren.«
»Wenn er ein menschliches Wesen wäre«, sagte Mrs. Bradley, nachdem sie zusammen mit Carey etwa zehn Minuten vor Herewards Koben gestanden und den matt und kraftlos vor sich hin schnüffelnden Eber betrachtet hatte, »würde ich sagen, er ist erkältet. Aber ist so etwas bei Schweinen überhaupt möglich?«
»Sie erkranken an Wundrose, Lungenwurmseuche, Rundwürmern und Schweinepest, also können sie sich wahrscheinlich auch eine Erkältung einfangen. Das ist wirklich ärgerlich. Obwohl, wie um alles in der Welt du das geschafft hast, du Depp,« fügte er an den Eber gewandt hinzu, »übersteigt mein Begriffsvermögen. Schau dir diesen Boden an«, sagte er zu Mrs. Bradley. »Das ist das Modernste, was es gibt. Alles, was dieser Idiot tun muss, ist, in seinem Unterstand zu bleiben, wenn es regnet oder schneit. Andererseits, bei diesen hochgezüchteten Tieren weiß man ja nie … Was machst du bloß für Sachen?«, fragte er den Eber. »Wenigstens geht es den Säuen gut. Zumindest ein Trost. Am liebsten würde ich den Burschen für ein, zwei Tage ins Haus holen. Oder ihn für eine Weile in den leeren Koben im großen Schweinestall stecken, aber wenn ich das tue, würden die Säue unbedingt zu ihm wollen. Den alten Tom können sie nicht ausstehen, aber nach Hereward sind sie ganz verrückt.«
Mrs. Bradley fand dieses kleine Streiflicht auf den unterschiedlichen Grad der sexuellen Anziehungskraft von Ebern äußerst faszinierend, aber genauso faszinierend fand sie das plötzliche Auftauchen von Simiths Gehilfen Priest, der den Pfad entlanggehastet kam, um mit Carey zu sprechen.
»Mr. Tombley schickt mich. Ich bin heute früh gekommen, um die Schweine zu füttern, und es sieht so aus, als wäre Mr. Simith letzte Nacht überhaupt nicht nach Hause gekommen, und Mr. Tombley hat herumtelefoniert, und er denkt, sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht, und jetzt hat er Angst, dass sie ihn nach Littlemore bringen, und will wissen, was er tun soll.«
»Er hat direkt mit dem Krankenhaus telefoniert, meinen Sie?«, fragte Carey.
»Ja. Aber anscheinend konnten die ihm nicht sagen, ob es wirklich Mr. Simith ist oder nicht. Sie haben über die Weihnachtstage ein oder zwei ältere Männer aufgenommen, sagen sie, und Mr. Tombley lässt fragen, falls das keine zu große Zumutung für Sie wäre, ob Sie nicht rüberkommen und nach den Schweinen schauen könnten, während er hinfährt und sich darum kümmert. Ich selbst heirate heute, sonst würde ich Sie damit nicht belästigen, verstehen Sie?«
»Sie heiraten?«, sagte Carey. »Ich gratuliere! Äh …«
»Linda Ditch«, sagte Priest und grinste peinlich berührt. »Und es ist auch höchste Zeit! Das arme törichte Ding!«, fügte er hinzu.
»Und was ist jetzt mit diesem Burschen hier?«, fragte Mrs. Bradley mit einem Blick auf Hereward.
Sie schnalzte dem Eber mitfühlend zu, doch er starrte sie nur elend aus seinen kleinen roten Äuglein an.
»Wenn es dir nichts ausmacht, hole ich ihn ins Haus. Er ist ein sehr reinliches Tier. Natürlich nicht ins Wohnzimmer. Er kann im Nebengebäude bleiben. Mrs. Ditch wird das nichts ausmachen. Sie ist an Schweine gewöhnt. Ich zünde ein Feuer an, stelle ein Schutzgitter in den Raum und lege noch ein paar alte Säcke auf den Boden, damit er es bequem hat. Hast du Angst vor ihm?«
»Nein«, sagte Mrs. Bradley resolut.
»Also gut. Dann kannst du ja das Gatter öffnen, und ich werde ihn herauslocken.«
Doch der Eber wich zurück und ließ Carey nicht in seine Nähe.
»Also ehrlich, du bist ja heute mächtig eigen«, sagte Carey und betrachtete den Eber erstaunt. »Wie du willst, dann mache ich es dir halt hier ein wenig bequemer.«
Beim Klang seiner Stimme wurde der Eber etwas fügsamer und ließ sich doch noch zum Haus führen. In der Sonne hatte der Schnee rasch zu schmelzen begonnen, und Hereward trottete mit platschenden Schritten durch den Matsch. Doch immer wenn sie an eine Stelle kamen, an der der Schnee noch nicht geschmolzen war, steckte das Tier vorsichtig die Füße hinein und quiekte laut.
»Da hat er wohl einen Komplex, Tante Adela«, sagte Carey mit einem Grinsen. »Würde es dir etwas ausmachen, über diese Schneefläche dort zu laufen, bis sie ein bisschen braun ist? Ich glaube, er hasst dieses viele Weiß. Aber mal eine ganz andere Frage: Was mag wohl mit dem alten Simith passiert sein? Ob er nicht mehr ganz richtig im Kopf ist? Was meinst du?«
»Das kann ich unmöglich sagen, ohne ihn selbst gesehen zu haben. Bisher jedenfalls hat er nicht diesen Eindruck auf mich gemacht«, antwortete Mrs. Bradley vorsichtig. »Wann gehst du rüber, um nach seinen Schweinen zu schauen?«
»O, das mache ich erst später. Priest hat sie heute Morgen bestimmt schon gefüttert. Da halten sie es noch eine Weile aus.«
»Schön. Magst du dann nach dem Mittagessen ein Stündchen mit mir im Auto durch die Gegend fahren, Kind?«
»Gern. Und wenn ich’s recht bedenke, können genauso gut auch Ditch und Walt nach Roman Ending hinübergehen.«
»Und du bist sicher, dass sie die Schweine dort nicht vergiften werden?«
»Wegen Linda, meinst du? O, Linda ist ein Tunichtgut, keine Frage, und das weiß ihre Familie nur zu gut. Aber Schweine sind hier heilig. Denen würden sie nie etwas antun. Außerdem würde ich wirklich gern ein wenig mit dir herumfahren. Worum geht es denn? Doch nicht etwa um eine Geisterjagd?«
»Doch, genau darum geht es. Gott segne dich, mein Kind, für deinen überlegenen Verstand.«
»Wem bin ich denn überlegen?«
»Hugh.«
»Ach ja?«
»Ja, ja, ja!«, sagte Mrs. Bradley und klang dabei beinahe gereizt – ein Gefühlszustand, den ihr Neffe noch nie an ihr erlebt hatte. »Wenn du Heiligabend nach Iffley gefahren wärst, dann wüsstest du jetzt so einiges über Mr. Fossders Tod. Hugh dagegen scheint überhaupt nichts zu wissen. Wenn das Mädchen nicht bereit wäre zu beschwören, dass er ein unumstößliches Alibi hat, könnte ich fast meinen, dass er selbst der Geist war!«
Sie lachte laut und meckernd. Hereward stieß bei diesem Geräusch ein verängstigtes Schnauben aus, und Carey musste ihm den Weg versperren, damit er nicht davonstürmte. Anschließend überredete er das Tier mit einschmeichelnden Worten, das Nebengebäude zu betreten, das ihm verdächtig vorzukommen schien.
»Hugh?«, fragte Carey, während er sich hinkniete, um das Feuer anzuzünden. »Warum um alles in der Welt sollte er das tun?«
»Nun, das weiß ich auch nicht«, antwortete Mrs. Bradley abwesend und sah zu, wie Hereward seine neue Unterkunft eingehend begutachtete. »Aber genauso wenig gibt es einen triftigen Grund, warum er es nicht gewesen sein sollte.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Carey.
»Auf Hughs einfühlsame, verständnisvolle Art. Und auf seine Blindheit, Taubheit und generelle Idiotie!«, antwortete Mrs. Bradley, die ihre gute Laune zurückgewonnen hatte.
»Aber war er denn tatsächlich blind, taub und dumm? Entschuldige mich für einen Moment. Das Feuer müsste zwar reichen, aber ich muss noch ein wenig Stroh und ein paar Säcke holen gehen. Macht es dir was aus, einen Moment mit ihm allein zu bleiben? Falls ja, dann komm doch schnell mit, dann kannst du mir tragen helfen, in Ordnung?«
Nachdem Mrs. Bradley einen kurzen Blick auf Hereward geworfen hatte, der nun stillstand, beide Vorderfüße fest aufgepflanzt und die Schnauze fast bis zum Boden gesenkt hatte, beschloss sie, Carey zu begleiten.
»Es ist merkwürdig, dass Mr. Fossder entschieden hat, die Verabredung einzuhalten, trotz der Nachricht, die Tombley ihm hat überbringen lassen«, sagte sie, während sie erneut den Hof überquerten.
»Vielleicht hat er ja nicht gehört, was Hugh gesagt hat. Oder es einfach nicht verstanden.«
»Er war nicht taub. Ich habe Jenny gefragt. Also warum ist er trotzdem nach Sandford gegangen, wenn Tombley nicht dort sein würde?«
»Aus irgendwelchen nur ihm bekannten Gründen, die nichts mit Tombley zu tun hatten. Und einer dieser Gründe wurde plötzlich böse und jagte und tötete ihn«, schlug Carey vor. »Warum lassen wir die Sache nicht auf sich beruhen? Wenn der Arzt den Totenschein ausgestellt hat, ohne weitere Fragen zu stellen, warum machst du dir dann Gedanken, meine Liebe? Es ist nicht wirklich unsere Angelegenheit, oder?«
»Ich wünschte, ich könnte das glauben.« Zu Careys Belustigung hatte es ganz den Anschein, als sei seine Tante ausnahmsweise einmal unschlüssig. »Aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Fossder ermordet wurde, und wenn das zutrifft, dann geht diese Angelegenheit jeden an, Kind. Zumindest will uns das Gesetz das nahelegen. Ich nehme an, Hugh hat ihm Tombleys Nachricht tatsächlich überbracht. Denn weißt du, falls er das nicht getan hat …«
»Falls er es vergessen hat, meinst du, und das jetzt nicht zugeben möchte, da der alte Bursche ja bei dem Versuch, die Verabredung einzuhalten, den Tod gefunden hat? Ja, da ist was dran. Unser Hugh hat durchaus eine Neigung zur Schwäche, wenn es darum geht, sich einem Problem zu stellen, auch wenn ich so etwas wohl nicht sagen sollte.«
»Weißt du was?«, meinte Mrs. Bradley und betrachtete ihn streng. »Ich finde, du verhältst dich vollkommen idiotisch, was Jenny angeht.«
Carey öffnete den Mund und starrte sie voller Erstaunen an.
»O ja!«, sagte Mrs. Bradley und wackelte mit dem Kopf. »Und du behauptest, Hugh sei schwach!«
»Verdammt noch mal«, protestierte ihr Neffe und strich sich mit seiner typischen Geste die Elfenlocke aus dem Gesicht. »Es sind nicht gerade nette Umgangsformen, wenn man versuchen wollte, die Zuneigung eines Mädchens zu erringen, das bereits mit einem anderen verlobt ist! Aber sag, würdest du gerne mal das Bild sehen, das ich für die Akademie gemalt habe? Es stellt Sabrina dar, wie sie in all ihrer eleganten, rosafarbenen Nacktheit mit dem Bauch nach oben in ihrem Koben liegt. Ich nenne es Porträt einer Dame von Welt, 1936. Die Akademie wird es natürlich nicht ausstellen, aber es ist trotzdem verdammt gut geworden!«