Kapitel 10

Überflug

Tag 6. Mittwoch

Nach dem Abendessen trafen wir uns erneut in der Scheune. Keiner von uns wollte unseren Eltern das Gefühl geben, das geheime Projekt wäre uns wichtiger als die Familienmahlzeiten. Außerdem hatte Natalie etwas dagegen, sich jeden Tag von Fast Food zu ernähren.

»Wir brauchen einen Namen für unser Team«, sagte Patrick.

Ich dachte nach. »Wie wäre es mit Space Force?«

Natalie schüttelte den Kopf. »Schon vergeben.«

»Space Farce.«

»Ich glaube zwar nicht, dass der Name schon weg ist, aber nein.«

»X-Force?«, schlug Patrick vor.

»Deadpool würde uns verklagen.«

Ich hob einen Finger. »SD Gundam Force.«

» UNCLE ? «, kam es von Nat.

» CONTROL ? «, steuerte Patrick bei.

»Die drei Stooges«, mischte Sheldon sich ein.

Patrick starrte böse den Kommunikator an. »Wir hätten ihn doch ausschalten sollen.«

Ich lächelte und nahm die Strahlenpistole in die Hand. »Hey, Sheldon. Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen: Kann man mit der hier nur Unkraut vernichten, oder geht da noch mehr?«

»Je nach Energielevel kann sie töten, betäuben oder den weltschlimmsten Ganzkörpermuskelkater verursachen. Ha. Muskelkater. Ein paar irdische Begriffe ergeben überhaupt keinen Sinn. Aber das macht sie nur noch drolliger.«

Ich sah den Schieberegler auf dem Gerät an. »Wegen der Sicherung gehe ich davon aus, dass Rot für töten steht, richtig?«

»Ja. Violett ist betäuben und Blau Muskelkater. Der gennische Name für diese Waffe bedeutet ungefähr so viel wie Disruptor . Das wisst ihr Trekkies bestimmt zu schätzen.«

Nat lachte und sah Patrick und mich an. »Ich bin die Liste allein weiter durchgegangen. Sie ist noch immer viel zu lang. Vor allem Vereine und Clubs scheinen wie Pilze aus dem Boden zu schießen.«

»Wir sollten mit der Halo aufsteigen und von Dunnville aus das gesamte County überfliegen«, sagte ich. »Vielleicht erhalten wir auf diesem Weg ein paar zusätzliche Hinweise oder kommen auf irgendwelche Ideen.«

»Großartiger Einfall«, erwiderte Patrick und sprang auf. »Dieses andere Zeug fühlt sich viel zu sehr nach Hausaufgaben an.«

»Öffne bitte eine Luftschleuse, Sheldon.« Ich verstaute die Geräte in meinem Rucksack. Nur den Kommunikator steckte ich in die Hosentasche.

Wir gingen zur herabsinkenden Treppe. Auf halbem Weg blieb ich abrupt stehen und murmelte: »Die Schiebetore.« Patrick und ich gingen zurück und stießen sie fluchend auf.

»Wir könnten wirklich einen Garagenöffner gebrauchen«, merkte Patrick an.

»Ja«, sagte ich, »damit würden wir sicher überhaupt keinen Verdacht erregen.«

»Na gut, dann nicht. Aber lass uns vor dem nächsten Mal wenigstens ordentlich die Schienen schmieren.«

»Du meinst jetzt gleich? Wir müssen sie nämlich wieder schließen, sobald Sheldon draußen ist, und dann bei unserer Rückkehr erneut aufschieben.«

Patrick blickte in die Scheune. »Kacke. Das bedeutet auch, dass wir das Schiff vor aller Augen besteigen und verlassen müssen.«

Ich schwieg einen Moment. »Ja, das ist nicht gut. Dann müssen wir wohl doch in den sauren Apfel beißen und einen Toröffner installieren.«

»Eurem Gespräch zu lauschen ist, als würde man meinen Großeltern beim Streiten zuhören«, drang Nats Stimme aus dem Kommunikator. »Warum heiratet ihr nicht?«

Patrick und ich grinsten uns an.

»Lass Sheldon hinter die Scheune fliegen, Nat. Dort sind wir wenigstens vom Haus aus nicht zu sehen. Es ist nicht ideal, aber besser als nichts.«

»Wir sind schon dort«, erwiderte Nat.

Wir gingen ebenfalls hinter die Scheune, wo wir von einer herabsinkenden Luftschleusentür empfangen wurden. Einen Moment später befanden wir uns auf der Brücke.

»Wir sollten alles aufnehmen.« Patrick zog sein Handy aus der Tasche. »Können wir sehen, was sich unter uns befindet, Sheldon?«

Auf einem Teil der Wand erschien das Weidegras. Patrick nickte zustimmend. »Und kannst du dir irgendein Suchmuster ausdenken, mit Dunnville in der Mitte, das alles abdeckt?«

»Ja, ich kenne eine geometrische Form für Fortgeschrittene, die sich Spirale nennt. Soll ich dir eine Skizze davon machen?«

Patrick verdrehte die Augen. »Sheldon hat wirklich eine große Klappe.«

Nat stieß ihm einen Ellbogen in die Rippen. »Den Kommentar hast du dir selbst zuzuschreiben.«

Patrick schnaubte und begann, mit seinem Handy zu filmen. »Okay, Sheldon, du kannst loslegen.«

»Wenn du fragen würdest«, erwiderte Sheldon, »würde ich dir wahrscheinlich sagen, dass ich alles aufzeichnen und dir schicken kann. Und das in viel besserer Qualität. Aber ich möchte dir nichts aufdrängen.«

Patrick ließ die Schultern hängen und starrte auf seine Schuhspitzen. »Wirklich ein bösartiges Genie.«

»Mach es bitte so«, sagte ich grinsend. »Lasst uns mit der Operation beginnen.«

Die Suche dauerte eine geschlagene Stunde, allerdings nicht, weil das Schiff zu langsam oder schwer zu manövrieren gewesen wäre. Das Problem war vielmehr, dass wir nicht zu schnell fliegen durften, wenn wir das County nicht bloß als eine einzige große Schliere, sondern in allen Einzelheiten auf Video bannen wollten.

Außerdem ließ ich Sheldon noch eine kurze Videosequenz aus größerer Höhe und zuletzt mehrere hochauflösende Fotos unmittelbar unter der Wolkendecke anfertigen.

»MOBIUS «, sagte Patrick auf einmal.

Ich drehte mich zu ihm um. »Was?«

»So sollte unser Team heißen.«

»Steht das für irgendetwas?«

»Mobilmachung gegen Organisierte Biologische Invasionen aus Unbekannten Systemen.«

Nat verzog das Gesicht. »Das klingt ziemlich holprig.«

»Ist aber ein cooler Name«, erwiderte Patrick. »An seiner Bedeutung können wir ja noch feilen.«

Nach einer Weile fiel uns nichts mehr ein, was wir aus der Luft sonst noch aufnehmen konnten.

»Lasst uns Schluss machen«, sagte ich. »Sheldon, bring uns in die Scheune zurück.«

Das Einparken der Halo in die Scheune gestaltete sich genauso mühsam wie zuvor das Ausparken. Anschließend holten Patrick und ich die Leiter und sprühten die Führungsschienen der Tore sorgfältig mit WD -40 ein.

Als alles aufgeräumt war und die Halo wieder unsichtbar in der Scheune stand, ließen wir uns in die Sessel sinken.

Nat saß vor ihrem Laptop. »Sheldon hat mir die Videos und Fotos per AirDrop geschickt. Sobald ich sie sortiert habe, schicke ich sie an euch beide weiter. Es wäre gut, wenn ihr sie durchseht, während ich weiter die Daten analysiere.«

Patrick grinste breit. »Das ist mal ein Plan, mit dem ich leben kann. Du machst die Hausaufgaben, während wir Videos anschauen.«

»Arsch.«

Nach ein paar Stunden konzentrierten Schweigens ließ ich mich stöhnend zurücksinken. »Ich habe rein gar nichts entdeckt. Und du, Patrick?«

»Nada. Viele Wohnhäuser, hier und da Gewerbe- oder Infrastrukturbauten, aber nichts, was verdächtig erscheint. Keine Raketensilos, Militäreinrichtungen oder Burgen und auch keine Rohstoffminen. Gar nichts.«

Natalie blickte auf. »Was für Infrastrukturbauten?«

»Straßen, der Deich im Archer Lake, ein paar Entwässerungskanäle, die sie nach der großen Flut vor fünf Jahren ausgehoben haben.«

»Und was für Gewerbebauten?«

»Das Valley-Einkaufszentrum am anderen Ende der Stadt und das Tate-Gewerbegebiet. Wahrscheinlich die einzigen beiden Dinge, die seit dem Bürgerkrieg im County errichtet worden sind.«

»Das ist wahrscheinlich etwas übertrieben«, sagte Nat, »aber ich verstehe, was du meinst. Und es überrascht mich auch nicht wirklich. Keins von beidem ist sonderlich erfolgreich. Ich wüsste nicht, warum man noch mehr von ihrer Art bauen sollte.«

»Das Einkaufszentrum schlägt sich ein bisschen besser, seit sich Walmart dort eingemietet hat«, sagte ich.

Patrick nickte. »So einen solventen Mieter hätte ich auch gerne.«

»Und das Gewerbegebiet?« Ich nickte zum McArthur’s Knob, der höchsten Erhebung in der Gegend. Nats Arbeitgeber und der gesamte Komplex befanden sich von unserem Grundstück aus gesehen hinter diesem Hügel.

»Ich laufe in der Mittagspause nicht viel herum, aber es scheint hauptsächlich kleine Geschäfte zu beherbergen – Versandhandlungen, Spezialwerkstätten, ein oder zwei Dojos und solche Sachen. Wie das Einkaufszentrum brauchte auch das Gewerbezentrum einen großen Mieter wie das Harris Institute, um rentabel zu sein.«

»Und was ist mit deinem Arbeitgeber?«

»Was soll damit sein? Es ist eine Marketingfirma, Patrick. Sie machen sich darüber Gedanken, wie sie Leuten, die bereits Seife haben, noch mehr Seife verkaufen können.«

»Das ist sicher sehr erfüllend.«

Anstatt zu antworten, gab Nat laute Atemgeräusche von sich und streckte die Hand zu einem Klammergriff aus. Patrick tat bereitwillig, als würde er ersticken.

Ich sah dem Schauspiel einen Moment lang zu, dann fragte ich: »Bist du mit der Liste weitergekommen, Nat?«

Sie ließ die Hand sinken und schüttelte den Kopf. »Leider nein. Ich habe alle nicht infrage kommenden Firmen, Vereinigungen, Personengesellschaften, Clubs und Religionsgemeinschaften gestrichen. Seither ist nicht mehr viel übrig, und ehrlich gesagt sind die verbliebenen Kandidaten auch nicht gerade hochverdächtig.«

»Wonach suchen wir eigentlich?«, fragte Patrick.

»Na ja, wenn die Loranna die Umwelt zerstören wollen, müssten sie sich ein klassisches großes Mineralölunternehmen mit internationaler Vertriebsstruktur und ohne Skrupel anschaffen. Davon gibt es jede Menge, aber nicht in Taft County. Wenn sie gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unfrieden stiften wollten, könnten sie sich soziale Medien oder parteiische Nachrichtensender zulegen, die die Bevölkerung gezielt spalten. Die haben wir aber auch …«

»Nicht in Taft County«, beendete ich den Satz für sie. »Also gut. Mir fallen noch Unternehmen ein, die all die anderen Katastrophen befördern könnten, von denen Sheldon gesprochen hat, aber kein einziges von ihnen ist hier tätig. Damit stehen wir also wieder ganz am Anfang.«

»Sheldon«, sagte Natalie mit leicht erhobener Stimme, »hast du noch irgendeine Idee?«

»Nein, Natalie, tut mir leid. Ich weiß, in einem eurer Filme könnte ich mithilfe einer Ein-Megabit-Verbindung mehrere Terabytes an Informationen durchkämmen und euch gleich nach der nächsten Werbeunterbrechung die Lösung präsentieren. In Wirklichkeit bin ich aber für den Betrieb eines Raumschiffs und nicht für Wunder zuständig.«

Grimmig klappte ich meinen Laptop zu. »Also schön, für heute Abend lassen wir es gut sein. Und morgen versuchen wir, noch mal neu an die Sache ranzugehen.«