Kapitel 13

Erste Erkenntnisse

Tag 9. Samstag Morgen

Ich schreckte aus einem verwirrenden Traum auf, in dem ich gehetzt über eine große Wiese geflogen war. Ich rieb mir die Augen und versuchte, wach zu werden. Da die Thermoskanne schon seit Stunden leer war, konnte ich nicht auf einen Koffein-Kick hoffen.

Nat und Patrick hatten sich auf den Couchen ausgestreckt. Nat gab ein leises, schnarrendes Geräusch von sich, wie ein Streifenhörnchen. Es hörte sich süß an und war vollkommen neu für mich. Mir war nie klar gewesen, dass sie schnarchte. Und es war vermutlich etwas, das ich nicht ansprechen sollte. Niemals.

Ich setzte mich an meinen Laptop, fuhr ihn hoch und starrte den Ordner mit den Videos und Bildern an. Ich war nicht sicher, wonach genau ich suchte, nur, dass es wichtig war. Nun, vielleicht würde ich eine Eingebung haben, wenn ich sie mir noch einmal ansah.

Es dauerte weniger als fünf Minuten, bis etwas an der Peripherie von Dunnville meinen Blick anzog. Ich vergrößerte die hochauflösende Aufnahme. »Scheiße!«

Patrick drehte sich schnaubend auf die andere Seite.

Nat setzte sich auf. »Was ist los? Was hast du?«

»Ich habe etwas gefunden. Weißt du noch, wie Sheldon gesagt hat, dass er selbst im unsichtbaren Zustand Spuren auf einem Feld hinterlassen würde?«

»Ja.« Nat kam, setzte sich müde blinzelnd neben mich und schob ihren Stuhl dichter heran, um den Bildschirm besser sehen zu können.

Ich deutete auf das herangezoomte Bild. »Es ist schwer zu erkennen, weil sie einander mehrfach überlagern, aber das sind eindeutig Abdrücke von einer fliegenden Untertasse.«

Nat sah den Bildschirm mit zusammengekniffenen Augen an. »Hmm, ich sehe, was du meinst. Bist du sicher, dass du nicht unter Pareidolie leidest?«

»Was ist das? Eine Geschlechtskrankheit?«

Nat kicherte. »Nein, du Quatschkopf. Das ist die Neigung, Muster und Objekte zu sehen, wo keine sind. Eine Art Selbsttäuschung.«

»Du meinst, wenn man zum Beispiel in einer Scheibe Toast Jesus zu erkennen glaubt?«

»Ganz genau.«

»Okay, dann wollen wir mal die Gegenprobe machen. Hey, Sheldon?«

»Ich will dich nicht unnötig auf die Folter spannen, Jack. Ich sehe die Muster auch. Mit ein wenig Bildbearbeitung bekommt man das hier …« Eine viel größere Version des Bilds erschien auf einem Wandpaneel. Sheldon hatte die Farben verbessert. Das Ergebnis zeigte mindestens ein halbes Dutzend verschiedener Muster, darunter eine Reihe von dreibeinigen Vertiefungen, die sich in einem Kreis aus braunen Grashalmen befanden.

»Könnten die von gennischen Schiffen stammen?«

»Nein. Seit ungefähr einem Jahrzehnt sind keine Gen mehr auf der Erde gelandet. Derartige Spuren verschwinden nach ein oder zwei Monaten. Die hier stammen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von lorannischen Schiffen.«

Nat lehnte sich lächelnd zurück. »Wow. Endlich ein Fortschritt. Gut gesehen, Jack. Wo ist das?«

Ich verkleinerte den Bildausschnitt, bis ungefähr eine Viertelmeile südlich des Felds das Gewerbegebiet zu sehen war, in dem Nat arbeitete.

Nat starrte mit gebleckten Zähnen den Bildschirm an. »Na, das ist ja wirklich super.«

Patrick sah benommen von der Couch zu uns herüber. »Was ist los?«

Ich drehte mich zu ihm um und deutete auf den Laptop. »Wir haben etwas gefunden, in der Nähe von Nats Arbeitgeber.«

Patrick kam zu uns, den Mund zu einem gewaltigen Gähnen aufgerissen. Er beugte sich über uns und betrachtete den Bildschirm. »Die Umrisse auf diesem Feld sehen wie …«

Ich deutete auf die Abdrücke. »Das ist ein Landeplatz. Und er befindet sich ein kleines Stück nördlich vom Harris Institute.«

»Nun, um ganz genau zu sein«, erwiderte Nat, »ein kleines Stück nördlich vom Gewerbegebiet. Dort sind auch noch andere Firmen ansässig.«

»Aber das Harris Institute ist die größte«, sagte ich.

»Das beweist gar nichts«, warf Patrick ein. »Was, wenn eins der kleineren Geschäfte eine Fassade für die Loranna-Aktivitäten ist? Die meiste Zeit müssten sie nicht einmal zur Arbeit erscheinen, und niemand würde es bemerken.«

Nat nickte nachdenklich. »Patrick hat recht. Das muss zwar nichts heißen, aber Harris ist eine echte PR - und Marketingfirma. Wir haben allein in diesem Jahr sechs Kampagnen durchgeführt, zwei davon landesweit. Ich habe unsere Werbespots im Fernsehen gesehen.«

»Ich auch.« Patrick verzog das Gesicht. »Die waren kacke.«

»Du findest alle Werbespots kacke.«

»Na und?«

Ich ignorierte die beiden und betrachtete weiter den Bildschirm. »Hast du irgendwas Verdächtiges an deinen Arbeitgebern bemerkt, Nat?«

»Eigentlich nicht. Ich meine, ein paar von den Managern wirken irgendwie reptilienartig, aber das gilt doch für die meisten reichen Schnösel.«

Patrick schnaubte.

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und starrte den Laptop an. Das war der eindeutigste Hinweis, den wir bislang entdeckt hatten – na ja, genau genommen war es der einzige Hinweis –, und wir mussten ihm unbedingt nachgehen. Ich tippte nachdrücklich mit dem Finger auf das Bild. »Das sind Spuren von zwei bis vier Landungen, alle in den letzten ein oder zwei Monaten. Das macht zwei Landungen pro Monat. Und zwar nicht nur kurze Bodenberührungen, sondern längere Aufenthalte.«

»Mindestens fünf Sonnen- oder zwei Regentage«, sagte Sheldon. »Die Muster weisen übrigens auf zwei unterschiedlich große Landestreben hin. Es müssen also mindestens zwei Schiffe sein. Der Durchmesser und die Form der Streben entsprechen lorannischen Modellen. Zum Glück sind es keine Militärschiffe, sondern ziemlich günstige und veraltete zivile Typen, was mir allerdings merkwürdig vorkommt.«

»Hmm, okay, es herrscht also ein großes Kommen und Gehen«, sagte ich. »Aber ist es nicht ziemlich riskant, die Schiffe so nah an ihrer Basis abzustellen?«

»Wieso?«, entgegnete Nat. »Was sollten sie denn sonst tun? Eine Meile entfernt parken und den Rest der Strecke per Anhalter fahren? Das macht auf Dauer sicher keinen Spaß.«

»Vielleicht haben sie ja so angefangen«, sagte Patrick. »Und als nichts passierte, wurden sie immer fauler.«

Bei dieser Vorstellung musste ich unwillkürlich lachen. »Das hört sich nach einem sehr menschlichen Charakterzug an.«

»Die Menschheit hält kein Monopol auf Faulheit«, sagte Sheldon. »Obwohl ihr sie wirklich zu einer Kunstform erhoben zu haben scheint.«

Patrick sah auf. »Und schon wieder ein Seitenhieb.«

»Ihr seid nun mal dankbare Opfer«, erwiderte Sheldon.

»Wir brauchen eine Strategie«, erklärte Nat.

Ich nickte. »Wir haben den Tarnfeld-Detektor. Laufen die Leute vom Harris Institute während ihrer Mittagspause draußen rum?«

»Manche, aber wir haben eine Cafeteria im Gebäude. Und die Manager haben bei sich oben natürlich einen eigenen Speisebereich. Die Leute aus den kleineren Firmen und Geschäften gehen meistens zu einem der Fast-Food-Lokale oder Food-Trucks, die auf der Straße parken.«

»Das ist gut«, sagte ich. »Du könntest mit einem Detektor unter deiner Jacke spazieren gehen, ohne dass jemand Verdacht schöpft.«

Nat zögerte, dann nickte sie. »Du hast wahrscheinlich recht. Es ist kein besonders raffinierter Plan, aber mehr können wir im Moment nicht tun.«