An diesem Abend fand die Party für alle Mitarbeiter statt. Luigi lieferte das Büfett und die Weine. Simonettas Leute liebten diese spontanen kleinen Einladungen im früheren Ballsaal im Erdgeschoss, wo auch die Modenschauen stattfanden. Alle mochten die Zusammenkünfte, um sich auf privater Basis zu treffen. Von den Schneiderinnen nutzten einige den freien Abend, um nach Hause zu gehen, jeder konnte kommen oder gehen, wie er wollte. Die einen kamen heute, andere das nächste Mal.
In ihrem Zimmer sah sich Simonetta noch Stoffe an, die sie für die Kollektion bestellt, dann aber doch nicht aufgenommen hatte. Sie legte eine Rolle auf den Schreibtisch und zog den Stoff ab. Wie hatte sie ihn einfach so wegstellen können? Sie ließ den schweren, glänzenden Duchesse über ihren Handrücken gleiten. Das Gewebe schimmerte in verschiedenen Rosétönen mit einem zarten Blumenmuster. Wieso hatte sie ihn aussortiert? Er war prädestiniert für ein Abendkleid, bestimmt für den ganz großen Auftritt. Mit einem schmalen Rock, der auf der Rückseite eine breite Schleppe hatte, die man an der Seite nach vorne ziehen konnte. Und sie würde das Modell Fiorentina nennen, dieser Name fiel ihr spontan ein.
Simonetta vergaß die Zeit, als sie den Stoff über die Schneiderpuppe zog, drapierte und steckte. Sie wusste, Carla würde nicht erfreut sein, denn der Schnitt war kompliziert, und die Zeit drängte. Sie ging ein paar Schritte zurück, kniff die Augen zusammen und sah in ihrer Fantasie das fertige Modell, sah Givenchys Starmannequin, Bettina, das auch sie engagiert hatte, in diesem Kleid langsam die Spanische Treppe hinunterschreiten. Allein der Stoff, der schwere Duchesse, würde im Scheinwerferlicht einen besonderen Glanz erhalten. Dieser Moment, als sie hier vor der Puppe stand, gehörte für Simonetta zu den Augenblicken des Glücks. Momente, in denen sie erkannte, dass es für sie Berufung war, Modeschöpferin zu sein.
Und dann war es plötzlich sieben Uhr, sodass sie hastig ihr Zimmer verließ und zum Aufzug ging.
Vertieft in Gedanken an Fiorentina fiel ihr nicht auf, wie still die ganze Etage war, dass sich kein Wachmann zeigte. Der Aufzug stand schon da, und sie stieg ein. Während sich die Glastür schloss, warf sie noch einen raschen Blick durch die Tür ins Atelier, dort hing Lucretia, ihr schönster Entwurf und der diesjährige Höhepunkt ihrer eigenen Modenschau. Jedes Mal, wenn sie das Kleid ansah, ergriff Simonetta tiefe Freude, sie spürte es selbst: Es war ihr Meisterstück. Sie hatte Carla gesagt, sie wolle es vielleicht mit nach Hause nehmen. Manchmal tat sie das mit einem ihrer Modelle. Sie hängte es dann in ihrem Schlafzimmer an den Schrank, nur um es sich anzusehen, wenn sie am Morgen aufwachte. Vielleicht würde sie später noch heraufkommen und es holen.