Kapitel 5

Paolo

Che gelida manina …

Luca hatte die Schallplatte von Puccinis La Bohème aufgelegt, dann trat er auf den Balkon direkt hinter Paolo und umfasste ihn zärtlich mit seinen Armen.

»Siehst du ihn?«, flüsterte Paolo. »Er ist vollkommen.« Er blickte hinauf in den nächtlichen Himmel, an dem der Mond langsam über dem Pantheon aufstieg. »Er ist so schön, man will ihn immer nur ansehen.«

»Mein kleiner Romantiker«, lachte Luca leise an seinem Ohr. »Komm«, flüsterte er, »lass uns hineingehen.«

Nur langsam löste sich Paolo vom Anblick des nächtlichen Roms und dem Mond und folgte seinem Freund ins Wohnzimmer. Puccini, das war leidenschaftliche Musik, das Signal von Luca, dass er sich jetzt eine Nacht mit Paolo wünschte. Die Musik sollte seinen jungen Freund zärtlich stimmen, bereit werden lassen für die Liebe.

»Ich kann heute nicht bleiben.« Paolo versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, obwohl er bereits bei der Musik und beim Anblick seines Freundes in dem seidenen Morgenmantel nachgiebig wurde.

»Warum?« Luca trat direkt vor ihn, strich ihm zart die Locken aus der Stirn und näherte ihm sein Gesicht, doch Paolo blieb standhaft und machte einen Schritt zurück.

»Ich muss noch arbeiten. Ich will morgen früh Simonetta ein paar Entwürfe von mir vorlegen. Es ist der letzte Termin, wir schließen in den nächsten Tagen die Planung für die Kollektion ab.«

Luca wandte sich brüsk weg, ging zur Musiktruhe und stellte den Plattenspieler ab. Stille breitete sich aus.

»Simonetta, ständig nur Simonetta. Von morgens bis abends. Paolo, du bist fünfundzwanzig, du solltest dein eigenes Modehaus haben so wie Yves Saint Laurent.«

»Yves, Yves, immer nur Yves.« Paolos Stimme wurde lauter. Er hasste es, wenn Luca von seinem ehemaligen Bekannten sprach. Yves Saint Laurent und er waren gleichzeitig auf die Modeschule der Chambre de la Haute Couture in Paris gegangen, Yves hatte aber die Ausbildung abgebrochen und war im Alter von einundzwanzig Jahren Art Director bei Christian Dior geworden. Sie waren nur gute Freunde gewesen, Kommilitonen, doch als Yves in eine Nervenklinik eingeliefert wurde und Paolo nach Rom zu Simonetta de Rosa ging, war der Kontakt abgerissen.

»Yves hat eine furchtbare Zeit durchgemacht, als er in den Algerienkrieg eingezogen und dann in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Ich gönne es ihm, ich gönne es ihm von ganzem Herzen.« Paolo wurde hitzig.

»Ach wirklich? Kein Neid?«

»Neid auf was? Dass Yves eine furchtbare Zeit in der Nervenklinik durchmachen musste, dass man ihm den Vertrag bei Dior einfach so gekündigt hat, weil er in der Klinik war?«

Luca wusste, dass Yves Saint Laurent die Achillesferse bei Paolo war. Natürlich beneidete er seinen ehemaligen Mitstudenten darum, mit fünfundzwanzig bereits sein eigenes Modehaus eröffnen zu können. Und das unter internationalem Medieninteresse.

»Er hatte Glück im Unglück«, fügte er schwach hinzu. Der Freund von Yves holte den jungen Modeschöpfer aus der Klinik und verklagte das Haus Dior wegen Vertragsbruch auf eine hohe Summe. Mit diesem Geld konnten Yves Saint Laurent und er das eigene Modehaus in Paris eröffnen.

»Ohne Geld geht eben nichts.« Paolos Stimme klang mutlos, als er sich aufs Sofa fallen ließ.

Luca setzte sich neben ihn und griff nach seiner Hand, die Paolo ihm überließ.

»Es gibt andere Möglichkeiten, und das weißt du auch.« Luca knöpfte geschickt Paolos Hemd auf und ließ seine Hand daruntergleiten. Langsam und zart strich er über Paolos glatte Brust, berührte die Brustwarzen, glitt nach unten. Paolo richtete sich auf, doch er konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.

»Lass das bitte, ich muss gehen. Und ich weiß auch nicht, was du meinst.«

»Du weißt es sehr gut …« Lucas Stimme war ganz nahe an Paolos Ohr.

Natürlich wusste Paolo es. In einem Augenblick der Zärtlichkeit hatte er seinem Freund erzählt, dass Teile der Kollektion außer Haus bestickt oder auch angefertigt wurden. Beide wussten, dass man schnelles Geld verdienen konnte, wenn man Entwürfe an andere Häuser oder Firmen verkaufte. Gutes Geld, mit dem man ein Modehaus eröffnen konnte so wie Yves. Aber es war gefährlich. Diebstahl, Betrug und Vertragsbruch, wenn es herauskam. Und man würde sich fragen, woher Paolo das Geld habe, um ein eigenes Haus zu eröffnen.

Abrupt erhob er sich. »Luca, nein. Nicht nur, weil die Sache kriminell ist, sondern weil ich Simonetta liebe und sie nicht hintergehen will.«

»Ach, du liebst sie?« Luca erhob sich ebenfalls, seine Frage klang spöttisch und verletzend.

»Ich werde gehen«, erklärte Paolo, ohne auf die provokante Frage zu antworten. »Und ich komme erst wieder, wenn du dieses Thema nie mehr ansprichst.« Hastig knöpfte er sein Hemd zu.

Luca lachte ein wenig und begleitete seinen Freund zur Wohnungstür. Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedeten sie sich merklich kühl. Doch Luca wusste, Paolo war schwach, hochsensibel und beeinflussbar. Das letzte Wort war hier noch nicht gesprochen.

*

Am nächsten Morgen saß Paolo bereits am Tisch im Atelier und wartete auf Simonetta. Carla machte sich am Kollektionsständer zu schaffen, streng nach der Vorgabe, dass nie jemand allein mit der Kollektion, den Schnitten oder den Skizzen sein durfte.

»Wieso bist du schon hier?«, wandte sie sich an Paolo, dessen Nervosität ihr auffiel.

»Ich wollte Simonetta ein paar Skizzen von mir zeigen.«

Carla griff ungefragt nach den Zeichnungen und sah sie noch durch, als Simonetta das Atelier betrat.

»Unser Kleiner will dir seine Entwürfe zeigen.«

Paolos hübsches Gesicht überzog eine tiefe Röte. Er hasste es, wenn Carla ihn so nannte. Doch Simonetta lächelte ihm zu, setzte sich neben ihn und griff nach seinen Zeichnungen.

»Wir haben gleich eine Besprechung«, erinnerte Carla die Designerin.

»Ich weiß, ich weiß, gib mir zehn Minuten.«

Carla verließ den Raum und ging hinüber in Simonettas Arbeitszimmer, in dem die Besprechung stattfinden sollte.

Simonetta mochte den hübschen, höflichen Paolo, dessen Mutter eine Schneiderei in Modena besaß. Sie liebte Mode und abonnierte viele Modemagazine, die sie schon mit ihrem einzigen Sohn Paolo betrachtet hatte, als er erst sechs Jahre alt war. Sie war es gewesen, durch die Paolo seine Liebe zur Mode entdeckt hatte.

»Wissen Sie, Paolo, eigentlich ist die Planung für die Kollektion bereits abgeschlossen. Und wie Sie wissen, übersteigen die Kosten weit das Budget, das wir zur Verfügung haben; die Ausgaben gehen ins Astronomische.«

Schon zog Paolo enttäuscht die Skizzen zurück. Er hatte es geahnt, sie wollte keinen Entwurf von ihm übernehmen. Alles war nur eine Ausrede, um ihn nicht zu kränken.

Doch da legte Simonetta ihre Hand auf seine Finger und umschloss sie. »Halt, nicht so hastig. Ich habe sie mir noch gar nicht angesehen.«

Konzentriert blätterte Simonetta Paolos Skizzen durch. Er hatte ein Kleid entworfen, dazu ein weit geschnittenes Jäckchen. Simonetta sah sich die Zeichnung lange an, legte das Blatt zur Seite, griff nach dem nächsten Entwurf für ein Kostüm.

»Welches Material stellen Sie sich dafür vor? Ist dieser karierte Wollstoff bei uns im Lager? Ich kann mich nicht erinnern, ihn geordert zu haben.«

»Doch, aber er gefiel Ihnen nicht«, gestand er. Er konnte kaum sprechen, so trocken fühlte sich sein Mund an.

Simonetta lachte. »Aber Ihnen schon?«

»Ich fand ihn sofort sehr interessant.«

Simonetta blätterte schweigend weiter, während Paolo spürte, wie ihm Schweißperlen über den Rücken liefen.

Es war der Moment, auf den er so lange gewartet, den er so lange herbeigesehnt hatte: Simonetta sah sich seine Entwürfe an. Bis jetzt hatte er nie den Mut dazu gefunden, doch in den vergangenen Tagen wusste er, der Zeitpunkt war da. Er musste es tun. Wann sonst? Wie lange noch warten? Er konnte die Sticheleien von Luca nicht länger ertragen. Er wollte ihm sagen, er habe Erfolg, sei nicht nur der Ideengeber für die große Simonetta de Rosa.

Das Schweigen, während Simonetta konzentriert die Zeichnungen durchsah, die kleinen Stoffmuster, die Paolo an die Skizzen geheftet hatte, in die Hand nahm, prüfte, wurde für Paolo zur Zerreißprobe.

»Diese Bluse«, Simonetta hob die Skizze, »die haben Sie sich aus Seidenorganza gedacht?«

»Ja, ja. Wir haben eine Rolle davon im Lager.« Paolos Stimme versagte fast.

»Sie ist schön, außergewöhnlich.« Jetzt sah Simonetta von den Skizzen hoch.

»Wir nehmen sie. Carla?«, rief sie so laut, dass die Direktrice sofort in der Tür erschien.

Simonetta erhob sich und übergab ihr die Skizze. »Diese Bluse werde ich nehmen. Paolo möchte sie aus Seidenorganza gefertigt haben. Wir werden sie zusammen mit dem Taftrock Marina zeigen. Der Rock ist glockig geschnitten, vorne kurz und hinten lang, du weißt ja, er ist gerade in Arbeit. Dann verschieben wir die erste Anprobe und machen sie zusammen mit Paolos Bluse.«

Carla hatte einen Blick auf die Skizze geworfen. »Diese weiten Ärmel … der Schnitt ist kompliziert«, erklärte sie. Noch mehr Arbeit? Fand Simonetta denn nie ein Ende?

»Du schaffst das schon«, erklärte Simonetta ungerührt. »Ich kann mir vorstellen, dass sie großartig wird.« Damit wandte sie sich an ihren jungen Assistenten. »Paolo, erinnern Sie sich an Givenchys berühmte Bluse? Sie ist ein Klassiker. Ich finde Ihren Entwurf fast noch besser.«

Sie nickte ihm zu, und er verstand sofort, dass er ihr zur Besprechung folgen sollte. Er wusste, dass sich die anderen bereits im Besprechungszimmer versammelt hatten. Doch er folgte ihr nicht, sondern blieb noch sitzen, nachdem Simonetta bereits das Zimmer verlassen hatte. Er genoss diesen Augenblick, diesen einen wunderbaren Moment, in dem Simonetta seinen Entwurf besser fand als Givenchys großartige Bluse, von der Fotos um die ganze Welt gingen. Zumindest in der Modewelt und ihren Hochglanzmagazinen.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Endlich hatte er es geschafft.

Nach der Besprechung wollte er sofort seine Mutter anrufen. Er wusste, sein Erfolg würde sie genauso glücklich machen, wie er es in diesem Moment war. Da aber drängte sich das Gesicht von Luca in seine Gedanken. Mit seinem Freund konnte er diesen kleinen Triumph nicht teilen, er würde nur ein wenig spöttisch die Achseln zucken und fragen, wieso er sich denn freue: Er habe eine Bluse entworfen, die unter Simonettas Label jetzt großen Erfolg haben würde. Wann würde er endlich einsehen, dass ein eigenes Modehaus die einzige Möglichkeit sei, sich zu entfalten?

*

Am späten Abend rief Carla bei Simonetta zu Hause an. »Ich wollte dich den ganzen Tag sprechen, aber wir waren ja keine Minute allein.«

»Was ist los?«, fragte Simonetta. Sie war müde und hungrig.

Nach kurzem Zögern legte Carla los. »Wieso übernimmst du plötzlich einen Entwurf von Paolo?«

»Weil die Bluse sehr ausgefallen und Paolo sehr begabt ist.«

»Du weißt aber auch, dass es ab jetzt schwierig sein wird, denn er wird mehr fordern, und dann?«

»Wenn mir wieder ein Entwurf von ihm gefällt, nehme ich ihn wieder auf. Wo ist das Problem, Carla?« Simonettas Stimme konnte ihre Ungeduld nicht verbergen.

Carla bemühte sich, ruhig zu bleiben: »Es ist das erste Mal, dass du den Entwurf eines Assistenten mit in die Kollektion nimmst … wieso? Das hast du doch noch nie getan.«

»Und deshalb rufst du mich so spät noch an?«

»Ja, genau deshalb. Ich habe mit dem Schnitt nicht angefangen, damit du es dir noch überlegen kannst.«

»Carla, da gibt es nichts zu überlegen, mir gefällt die Bluse sehr gut … sag mal, isst du gerade? Du rufst mich während des Essens an?«

»Nein, es sind nur ein paar Törtchen, Obsttörtchen, mehr nicht«, erklärte Carla mit vollem Mund.

Simonetta wusste, das war ein Warnzeichen. Wenn für Carla der Stress während der Kollektionserstellung zu viel wurde, fing sie zu essen an und stopfte wahllos Süßigkeiten in sich hinein. »Jede Kollektion beschert mir fünf Kilo mehr auf den Rippen«, beklagte sie sich dann.

»Simonetta, ich weiß, Paolo ist sehr begabt«, erklärte Carla jetzt undeutlich mit vollem Mund. »Das ist unbestritten, aber er ist hochsensibel und dadurch unzuverlässig und beeinflussbar. Außerdem«, hier machte sie eine Pause, während sie den Rest des Törtchens hinunterschluckte, »nimmt er Drogen.«

»Woher willst du das wissen?« Simonettas Ungeduld stieg.

»Simonetta! Ich bin schon viel zu lange im Modegeschäft, um nicht meine Beziehungen zu haben.«

»Du meinst deine Spione.«

»Nenn es, wie du willst, jedenfalls ist er in den einschlägigen Bars mit seinem viel älteren Freund unterwegs. Du kennst Rom und diese Art Lokale nicht. Rom ist ein Sündenpfuhl.«

Simonetta unterdrückte ein Lachen. »Carla, komm auf den Punkt. Was willst du mir eigentlich sagen? Paolo ist liebenswert und fleißig, immer pünktlich und sehr begabt. Nur weil sein ehemaliger Freund Yves Drogen genommen hat, muss er es noch lange nicht tun.«

»Ich wollte es dir nur gesagt haben«, antwortete Carla spitz. »Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl.«

»Ja, Carla, ist gut. Entschuldige, aber das hast du sehr oft. Ich nehme es zur Kenntnis.«

»Außerdem verletzt du damit Antonia. Sie ist seit zwei Jahren deine Assistentin, und du hast noch keinen einzigen Entwurf von ihr übernommen. Das gibt böses Blut. Du weißt, die Stimmung ist bereits jetzt sehr angespannt, um es milde auszudrücken.«

Simonetta lachte auf. »Du meinst, wir sind alle am Durchdrehen.«

»Ja, so ungefähr.« Auch wenn Simonetta die angespannte Stimmung auflockern wollte, hakte Carla nach.

»Überleg es dir, wir haben schon Probleme genug. Ernesto bezweifelt, dass wir zum Termin fertig werden.«

Ernesto war der Leiter der Schneiderei und sprach jede Saison Warnungen aus, denn jedes Stück der Haute-Couture- Kollektion wurde handgefertigt. Auf präzise Termine für die Fertigstellung wollte er sich nie festlegen. »Und jetzt kommt noch Paolos komplizierte Bluse aus Organza dazu, das Material näht sich sehr schwer, das weißt du doch.«

Simonetta versuchte, Ruhe zu bewahren. »Ich habe eine einzige Bluse zusätzlich in die Kollektion genommen, das kann nicht das Problem sein. Und Antonia wurde von mir eingestellt, weil sie die Tochter eines großen Investors ist. Aus ihr ist eine sehr gute Assistentin geworden. Und ich denke nicht, dass sie den Ehrgeiz hat, in der Kollektion mit eigenen Entwürfen zu glänzen. Sie scheint mit ihrer Position doch zufrieden zu sein.«

Carla lachte laut in den Hörer. »Du bist naiv. Jeder, der bei dir als Assistent anfängt, will an der Kollektion mitarbeiten, als Sprungbrett für eine eigene Karriere.«

Simonetta bemühte sich, sachlich zu bleiben. »Vielleicht hast du ja recht, aber bei Antonia bin ich mir ganz sicher, sie ist mit ihrer Position zufrieden, es macht ihr Spaß.«

»Nun ja«, murmelte Carla, »ich wollte es nur gesagt haben.«

»Ist gut, Carla, buona notte und bis morgen.« Simonetta legte auf. Unruhig öffnete sie die Tür und trat hinaus auf ihre Dachterrasse. Hatte Carla sie nur angerufen, um ihr zu sagen, Paolo sei unzuverlässig, nehme Drogen?

Es hörte sich an wie eine Warnung. Aber wovor? Simonettas Nervosität stieg. Jede Kollektion barg das Risiko, zu einem Misserfolg zu werden. Schnell war man vergessen, und neue, junge Designer drängten nach, wurden umjubelt.

Würde es ihr eines Tages so gehen wie ihrer ehemaligen Freundin Elsa Schiaparelli? Simonetta hatte Elsa in New York kennengelernt, da auch sie Europa verlassen musste. Als Elsa nach dem Krieg nach Paris zurückkam, war ihr Stil nicht mehr gefragt, Coco Chanel triumphierte, und Elsa schien vergessen.

Sie und Elsa hatten sich aus den Augen verloren. Man hatte keine Zeit. Hastete durchs Leben auf der Suche nach neuen Ideen, voller Angst, die neuesten Strömungen nicht zu erkennen, und wenn man es nicht schaffte, gab es sofort andere, Neue, die gefeiert wurden. Versäumte man das wirkliche Leben, Liebe, Freundschaft, Dinge, die wichtig waren, wichtiger als Mode, neueste Impulse, die man setzen musste, um sich an der Spitze zu halten?

Woher kamen plötzlich diese Gedanken? Hingen sie mit dem gestrigen Abend zusammen, mit Edoardo Aligheri? Die Zeit auf seiner Terrasse, losgelöst von Terminen, Hektik und dem Ehrgeiz, mit jeder Kollektion aufs Neue zu zeigen, dass sie die Beste war?

Sie war vierundvierzig Jahre alt und sollte sich dagegen wehren, dass das wahre Leben an ihr vorbeilief. Sie sollte vielmehr ein Teil davon sein, nicht nur innerhalb der Modewelt existieren.

Gestern hatte sie über Chiara gesprochen. Fast war sie bereit, weiter zu gehen, über die gemeinsame Kindheit zu sprechen. Diese Bereitschaft hatte sie bei David nicht gespürt. David kannte nur ihre Erfolgsgeschichte. Aber hatte er sich jemals für ihre persönliche Vergangenheit interessiert?