Kapitel 12

 

Verborgen zwischen dem Blattwerk eines dichten Farns observierten Myers und Jones aus sicherer Entfernung den Vorbeimarsch der Russen am Teich neben dem Sumpfgebiet. Ihre Gesichter hatten die Amerikaner dick mit grüner und schwarzer Tarnfarbe eingeschmiert.

»Das ist das Gute an den Russen«, flüsterte Myers, »die agieren so auffällig, dass man wenigstens immer weiß, wo sie gerade sind.«

Jones kicherte. »Uns kann das nur recht sein. So haben wir …«

Das brachiale Splittern von Holz ließ den Private in seiner Ausführung stocken.

Ein Baum knickte um und krachte auf den Uferstreifen. Der Dschungel dahinter entpuppte sich als Versteck für einen riesigen Beutegreifer.

»Was zur Hölle?«, stieß Jones mit heiserer Stimme aus.

Als der Saurier einen der Sowjets verschlang, meinte Myers zynisch: »Einer weniger heißt weniger Arbeit für uns.«

Dann brach bei den Russen die Hölle los. In einem Inferno aus Schreien und Schüssen verloren sie jede Ordnung und flohen teils ungeordnet in den Urwald.

»Das ist unsere Chance«, erkannte der Colonel. »Jones, Sie halten sich in Teichnähe und verwickeln den Feind zur Ablenkung in kurze Feuergefechte. Ich schlage einen Bogen und kümmere mich um die Versprengten.«

»Ähm … wir sind nur zu zweit und die sind mehr als zwanzig Mann. Wie sollen wir eine solche Übermacht ausschalten?«

»Nur keine falsche Bescheidenheit, das schaffen wir locker. Beschäftigen Sie den Haupttrupp und ich erledige den Rest. Bis es dunkel wird, haben wir die Russen ordentlich dezimiert. Dann igeln wir uns irgendwo ein und morgen früh gehen wir zu Doktor Blair und Olsen zurück.« Breit grinsend klopfte Myers seinem Untergebenen zur Aufmunterung auf die Schulter und verschwand grußlos im Unterholz.

Es heißt ja immer, der alte Fuchs sei irre, sinnierte dieser. Jetzt habe ich endlich kapiert, wie er sich diesen Ruf eingehandelt hat. Seine Augen haben geglänzt wie bei einem Kind kurz vor der Weihnachtsbescherung.

 

***

 

Myers freute sich diebisch auf das anstehende Gefecht. Hier konnte er sein, was er mit jeder Faser seines Körpers war – ein echter Krieger. Nur hier konnte er die Demütigung vergessen, die es für ihn bedeutet hatte, im Garten und im Haushalt zu schuften, während seine Frau im Schnellrestaurant idiotische Gäste bedienen musste. Für häusliche Tätigkeiten war er einfach nicht geboren worden – ganz im Gegensatz zu dem, was nun kommen würde.

Er fühlte, wie er eins mit dem Dschungel wurde und lautlos mit den Silhouetten von Bäumen und Sträuchern verschmolz. Mit dem Daumen prüfte er die Schärfe seines Bowiemessers. Perfekt, freute er sich in Gedanken, wie hätte es auch anders sein sollen?

 

***

 

Die Aussicht, allein einen überlegenen Gegner zu attackieren, erzeugte bei Jones Bauchschmerzen, aber Befehl ist Befehl, das hatte er vom ersten Tag seiner Grundausbildung an verinnerlicht. Also fügte er sich der Anordnung.

Während der Saurier im Kugelhagel in den Dschungel floh, pirschte Jones dichter an den Feind heran, bis er eine gut gedeckte Stellung hinter einem Felsbrocken bezog. Die Entfernung und das Schussfeld waren perfekt, um die Russen aufs Korn zu nehmen. Mit zwei kurz nacheinander abgefeuerten Schüssen holte er zwei Mann, die sich auf der gleichen Seite des umgestürzten Baums wie er selbst befanden, von den Beinen.

Die Sowjets verschanzten sich schnell hinter dem Baumstamm und erwiderten das Feuer fast punktgenau. Die Projektile pfiffen knapp an Jones vorbei, eines schlug im Felsen ein, sodass ihm Steinsplitter um die Ohren flogen. Wegen der überlegenen Feuerkraft der Russen musste er den Kopf hinter dem Felsen lassen und konnte nicht mehr genau zielen; dennoch schoss er in regelmäßigen Abständen blind in ihre Richtung. Seine Schüsse blieben in ihrer Deckung aus Holz stecken, aber er verhinderte damit ein direktes Vorrücken des Gegners auf seine Position.

Natürlich war ihm bewusst, dass die Sowjets mehrere Männer im Schutz der Vegetation abseits des Ufers losschicken würden, um ihn von der Seite oder von hinten zu attackieren und zu eliminieren. Aufgrund des Gefechtslärms würde er sie erst spät hören können – vielleicht zu spät.

Jones wartete eine Weile ab, dann zog er den Sicherungsstift einer Eierhandgranate und schleuderte sie auf Verdacht in das Dickicht.

Die Explosion wirbelte mit einem dumpfen Knall Erde, Äste und Laub auf. In ihrer unmittelbaren Nähe erschollen Flüche und das aufgeregte Geschrei mehrerer Männer. Jones nutzte das Chaos zum Rückzug und hechtete etwa zwanzig Meter von dem Felsen, hinter dem er sich befunden hatte, in eine Bodenmulde.

Die Russen drangen nun mit einem Sturmangriff auf seine frühere Stellung vor. Zu viert brachen sie aus dem Unterholz und belegten dabei den Felsbrocken aus Maschinenpistolen mit Dauerfeuer. Als sie diesen erreicht hatten und feststellten, dass der GI verschwunden war, schleuderte Jones eine zweite Handgranate. Diesmal erzielte er einen Wirkungstreffer. Nach der Detonation lagen seine Feinde am Boden. Drei von ihnen rührten sich nicht mehr, der Vierte wand sich – gespickt mit Schrapnellen – unter Schmerzen und jammerte leise.

 

***

 

Guter Mann, dachte Myers, als am Ufer Schüsse die Luft zerrissen. Ich wusste, dass ich auf Jones zählen kann.

»Dich brauche ich nicht«, wisperte er, versteckte seine M16 in einem Gebüsch und bedeckte sie mit grünen Zweigen, ehe er weiter in den Dschungel vordrang.

Vor ihm wippten Farne hin und her. Die Trittgeräusche des Verursachers stammten eindeutig von einem Menschen. Myers klatschte leise in die Hände. Die Bewegungen verebbten. Myers klatschte erneut. Nun steuerte der Russe auf ihn zu, in der Hoffnung, einen anderen versprengten Kameraden entdeckt zu haben, der sich ihm unauffällig zu erkennen geben wollte. Ein fataler Irrtum. Myers verharrte reglos bis der Sowjet ihn passiert hatte, sprang auf und stülpte ihm von hinten einen Draht über den Kopf, mit dem er ihn erwürgte.

Dann schlich der Colonel – nun ganz in seinem Element – weiter durch das Unterholz. Nach den Detonationen der Granaten und einem letzten Schuss lag Stille auf dem Urwald. Myers hörte ein leises Gespräch auf Russisch und schlich auf die Quelle zu. Unter einer Kiefer saßen zwei Sowjets, die anscheinend berieten, ob sie zum Haupttrupp zurückkehren sollten, jetzt, da das Feuergefecht beendet und keine Lebenszeichen des Sauriers mehr auszumachen waren. Unvorsichtigerweise wiegten sie sich in Sicherheit.

Das Blickfeld schrumpfte unter dem Adrenalin und Testosteron, das im Körper des Colonels aufwallte, zu einem schmalen Korridor, in dessen Zentrum er ungewöhnlich scharf sah. An den Rändern verschwamm die Umgebung. Dieses Phänomen der Fixierung auf den Kampf kennen Krieger seit alters her, sinnierte Myers. Und es hilft ihnen, den Sieg davonzutragen.

Er pirschte im Rücken der beiden Feinde an sie heran. Einer von ihnen nickte gerade zur Bestätigung dessen, was der andere gesagt hatte. Da schnellte Myers vor, packte den, der gerade genickt hatte, am Unterkiefer, bog dessen Kopf in den Nacken, riss ihn in einer einzigen, fließenden Bewegung von seiner sitzenden Position in den Stand und drehte ihn so, dass die Vorderseite seines Körpers zu dem zweiten Russen zeigte. Mit einem blitzartigen Schnitt durchtrennte er ihm die Halsschlagader.

Entsetzt fuhr der andere Rotarmist in die Höhe und zielte mit der Kalaschnikow auf Myers, der den sterbenden Soldaten wie einen Schild vor sich hielt.

Mit aller Kraft schubste Myers seine röchelnde Geisel auf den verbliebenen Feind, der unter der Wucht des Aufpralls schwankte und vom Gewicht des Kameraden zu Boden gedrückt wurde. Der Colonel warf sich neben den beiden auf die Erde; und da er aus seiner Position den Hals des unverletzten Russen mit dem Bowie-Messer nicht erreichen konnte, stach er wie manisch in die Bauchhöhe auf dessen Flanke ein, bis er ihn eliminiert hatte.

 

***

 

Zwar hatte der verwundete Rotarmist bei der Granatexplosion seine Waffe verloren, zur Sicherheit schaltete ihn Jones aber mit einem einzigen Schuss endgültig aus. Dann stand er auf und verließ die Erdmulde, um sich auf die Suche nach einer neuen günstigen Position zu begeben, von der aus er den Feind bekämpfen konnte. Nachdem er einige Meter vorgerückt war, wäre er fast vor Schreck zusammengezuckt, als er einen Knall aus nächster Nähe hörte. Doch dazu kam es nicht mehr, denn er verspürte einen stechenden Schmerz an der Schläfe, ihm wurde schwarz vor Augen und er sackte zusammen.

Grimmig grinsend trat Sorokin aus dem Schatten des Baums, hinter dem er geduldig auf sein Opfer gelauert hatte, und schob seine Makarow ins Holster. Die vollständig aus Stahl gefräste Selbstladepistole war leicht und zuverlässig. Die Standardwaffe der Roten Armee hatte ein Magazin mit acht Patronen des Kalibers 9 x 18 Millimeter. Den leichten Rechtsdrall der daraus abgefeuerten Kugeln kalkulierten gute Schützen wie Sorokin mit ein, sodass sie dennoch mit hoher Genauigkeit ihr anvisiertes Ziel trafen.

Der Unteroffizier blickte auf die Leiche des Amerikaners zu seinen Füßen. Aus der Einschusswunde an deren Schläfe sickerte Blut und Gehirnmasse.

Das Ablenkungsmanöver mit dem Sturmangriff hat sich hoffentlich gelohnt, sagte sich der russische Unteroffizier zynisch. Der Preis für diesen Erfolg war verdammt hoch.

 

***

 

Auf der Suche nach weiteren Feinden stolperte Myers zufällig über den Ort, an den sich der Saurier, der über die Russen hergefallen war, zum Sterben davongestohlen hatte. Der Gigant blutete aus zahllosen Wunden, insbesondere am Schädel und am Nacken, an denen er rund drei Dutzend Treffer aus Pistolen, Maschinenpistolen und Sturmgewehren eingefangen hatte. Er atmete schwer und pfeifend. Außer der Schwanzspitze, die er gelegentlich kraftlos hin und her schob, lag er still. Seine Augenlider hatten sich zur Hälfte über die eingetrübten Pupillen gesenkt.

Der Kamerad ist fertig, konstatierte Myers, dem das Leiden des Tiers stärker an die Nieren ging als alles, was Menschen sich im Krieg gegenseitig zufügten. Vielleicht ist er der Letzte seiner Art und jetzt krepiert er hier und heute, wegen der verfluchten kommunistischen Pest. Aber ich werde sie aufhalten. Die werden mich noch richtig kennenlernen, dann wissen sie, was es heißt, sich mit einem Winston Myers anzulegen.

Wie aus heiterem Himmel riss der Saurier die Augen auf und stemmte sich unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven abrupt auf die Beine. Sein Blick klarte auf und er starrte Myers böse an.

Auch wenn das urzeitliche Geschöpf aussah, als würde es sofort wieder zusammenbrechen, durfte Myers es trotz seines Mitleids mit der Kreatur nicht riskieren, von ihr verletzt oder gar getötet zu werden. Er musste schlucken, entsicherte eine Granate und warf sie mit so perfektem Timing, dass sie genau auf Brusthöhe des Sauriers detonierte. Die Explosion riss einen der beiden Greifarme aus dem Leib des Theropoden. Das Körperteil flog knapp an Myers vorbei, der sich nach dem Abwurf zu Boden geworfen hatte.

Als der Colonel den Blick hob, sah er den leblosen Kadaver des gewaltigen Jägers. In seiner Brust klaffte ein qualmendes Loch, das bis zu seinem Oberbauch reichte, aus dem zerfetzte Eingeweide hervorquollen.

Scheiße, jetzt habe ich den Russen verraten, wo ich bin, dachte Myers. Zeit für einen kleinen taktischen Rückzug.

 

***

 

Myers schlich zum Versteck seines Sturmgewehrs und holte es unter den Zweigen und Farnwedeln hervor. Die einsetzende Dämmerung tauchte die Ökosphäre in ein Zwielicht, deshalb beschloss der Colonel, die Nacht an seinem aktuellen Standort zu verbringen und am nächsten Tag nach Jones zu suchen. Allmählich machte der Colonel sich Sorgen um seinen Untergebenen, da dieser schon seit Stunden keinen Schuss mehr abgegeben hatte. Sobald er ihn aufgespürt hatte, würden sie zusammen zu den Zivilisten zurückkehren, um sicherzustellen, dass sie keinen Unfug trieben. Denn dazu war seiner Meinung nach jeder, der nicht zum Militär gehörte, zu jeder Zeit fähig. Außerdem musste er dringend neue Energie schöpfen, bevor es zu dem zweiten, finalen Aufeinandertreffen mit dem bereits deutlich geschwächten Feind kam. Um sich wachzuhalten, schluckte er zu jeder vollen Stunde zwei Coffeintabletten.

Er tat die ganze Nacht kein Auge zu, stets darauf bedacht, herumschleichende Kommunisten früh zu entdecken und abzuwehren. Nach einer Weile erklang das dezente Plätschern fallender Wassertropfen, das sich allmählich zu einem heftigen Regenguss steigerte, der erst kurz vor dem Morgengrauen verebbte.

Als es hell wurde, ging Myers zum Uferstreifen. Die Sowjets waren inzwischen abgezogen. Er folgte den Spuren der vier Männer, die gestern ins Unterholz vorgedrungen waren, passierte die Einschlagstelle von Jones erster Granate und fand schließlich seinen toten Untergebenen. Der Regen hatte die Tarnfarbe größtenteils aus dem Gesicht des Toten gewaschen. Seine starre Miene wirkte, als seien seine Züge aus Wachs modelliert. Der Colonel schloss die Lider der weit aufgerissenen Augen der Leiche sanft mit einer Wischbewegung seines Daumens.

Myers atmete tief durch und schickte ein kurzes Gebet für den Gefallenen zum Himmel. Dann räusperte er sich, zerbrach die Hundemarke am Hals der Leiche und dachte: Da du im Gefecht dein Leben lassen musstest, kann ich dich nicht in Ehren bestatten, wie deinen Kumpel Schumann. Ich verspreche dir, es nachzuholen, sobald ich mit den Kommunisten abgerechnet habe. Eine Beförderung posthum ist dir sicher. Darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.

 

***

 

Zurück am Hügel, in dem sich Blair und Olsen verbargen, pfiff Myers dreimal wie abgesprochen. Nach einer Pause ertönten vier Pfiffe zur Bestätigung, dass er gehört worden war. Mit zwei Pfiffen signalisierte er, dass er den Eingang der Höhle umgehend betreten würde.

Ich brauche dringend eine ordentliche Mütze Schlaf, sagte er sich erschöpft. Inzwischen mangelte es ihm an Konzentration. Falls er in diesem Zustand dem Gegner in die Hände geriet, wäre er verloren. Die durchwachte Nacht und das gestrige Gefecht steckten ihm schwer in den Knochen. Der Kampfeinsatz hatte von seinem Körper und Geist das Letzte abverlangt. Er musste gähnen.

In der Höhle regte sich seltsamerweise nichts und niemand. Nach zwei Schritten in die Dunkelheit fühlte er den kalten Stahl einer Pistolenmündung am Hinterkopf.

»Waffe fallen lassen und Hände hoch«, zischte jemand heißer in seinem Rücken.