Auf der Rückreise in die USA landete MacNeils Flugzeug in Peru zu einem Zwischenstopp. Zwei Soldaten brachten ihn in einem offenen Jeep in die US-Militärbasis Iquitos, wo er General Shwartz und Anthony Jenkins als Repräsentanten der Army und des Verteidigungsministeriums Bericht erstatten sollte.
Die beiden empfingen ihn im Büro von Shwartz.
»Die Ereignisse in der Antarktis sind von übergeordnetem nationalem Interesse«, eröffnete Jenkins das Gespräch nach der Begrüßung. »Dennoch unterliegen sie strengster Geheimhaltung. Aus diesem Grund haben Sie vor der Expedition eine bindende Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet. Ich muss Sie noch einmal darauf hinweisen, diese peinlich genau einzuhalten. Ich kann Ihnen versichern, uns wird garantiert zu Ohren kommen, sollten Sie Informationen an die Öffentlichkeit weiterleiten. Das ist Ihnen hoffentlich klar?«
MacNeil bejahte.
»Nun zum eigentlichen Anlass unseres Gesprächs, dem Scheitern Ihrer Mission«, sagte Shwartz. »Major Walker hat uns seine Unterlagen per Telex übermittelt, aber es ist zwingend notwendig, dass Sie uns den Unfall, der zu Colonel Meyers Tod führte und den Angriff der Kommunisten persönlich aus erster Hand schildern. Lassen Sie besonders bei Zweitem kein Detail aus, selbst wenn es Ihnen unwichtig erscheint. Wir werden das Gespräch für unsere Akten auf Band aufzeichnen.« Er drückte die Aufnahmetaste des Kassettenrekorders auf seinem Schreibtisch und stellte das an einem dreibeinigen Ständer angebrachte Mikrofon direkt vor MacNeils Nase auf. »Sie können jetzt anfangen.«
»Als sich am Horizont die schwarzen Berggipfel rund um Whitney Peak abzeichneten, wurde der Boden zusehends unwegsamer. Statt mit glattem Schnee war der Untergrund mit harschem Eis bedeckt. Ich habe den Hunden extra Sicherheitssocken angezogen, um die Gefahr für Verletzungen an den Pfoten durch den schorfigen, zerklüfteten Untergrund zu minimieren.
Immer häufiger ragten schwarze, scharfkantige Felsspitzen aus dem Boden auf.
›Das Eis ist an solchen Stellen relativ dünn‹, warnte uns Olsen, der mit vergleichbaren Geländeverhältnissen bestens vertraut war. ›Unter den Schneeverwehungen gibt es scharfkantige Klippen und tiefe Klüfte.‹ Er hatte kaum ausgesprochen, da brach der Schlitten, auf dem er saß, nach links aus. Schumann versuchte verzweifelt, gegenzulenken. Die Malamuten bremsten ab und schwenkten nach rechts, als witterten sie die drohende Gefahr. Der Schlitten rutschte ein gutes Stück geradeaus weiter, wobei es aussah, als fahre er nur noch auf einer Kufe. Plötzlich sackte eine Schneewehe in sich zusammen, die einen Abgrund verborgen hatte.
Der Schlitten neigte sich mehr und mehr zur Seite. Obwohl Olsen, Schumann und Doktor Blair ihr Gewicht zum Ausgleich verlagerten, nahm das Desaster seinen Lauf. Der Schlitten sauste an den Hunden vorbei und die beiden Männer wurden auf sicherem Boden abgeworfen. Doktor Blair hatte weniger Glück.
Colonel Myers wollte ihr geistesgegenwärtig zu Hilfe eilen und rannte blitzschnell auf der Suche nach ihr zur Unglücksstelle.
Der Riss, der das schwarze Gestein spaltete, war gut drei Meter breit. Die Wände waren spiegelglatt. Amanda Blair lag, ohne sich zu regen, auf einem Vorsprung in vier Metern Tiefe – offenbar besinnungslos. Der Colonel wollte sie herausholen und seilte sich nach unten ab. Nachdem er ihren Puls überprüft hatte, um festzustellen, ob sie noch lebte, schüttelte er betroffen den Kopf. In der Absicht, ihre Leiche zu bergen, hob er sie sich kurzerhand auf die Schulter. Dabei rutschte er aus und kippte über den Felsvorsprung in den Abgrund. Es dauerte einige Sekunden, bis er mit einem dumpfen Klatschen aufschlug. Die Situation wirkte gespenstisch, da der Colonel während des Fallens keinen Laut von sich gab.
Wir alle waren geschockt. Ich kann mich gut erinnern, dass ich ganz wacklige Beine hatte. Einen solchen Sturz konnte kein Mensch überleben. Als wir wieder bei Sinnen waren, beschlossen wir, die Expedition trotz dieser Katastrophe fortzusetzen, da wir den Einschlagort fast erreicht hatten. Das waren wir den Toten schuldig und zudem war uns die Wichtigkeit der Mission für unsere Nation schmerzlich bewusst.
An unserem Ziel gruben wir die Trümmer eines Meteoriten aus, die der Professor ausgiebigen Tests unterzog. An ihnen war nichts Verdächtiges festzustellen. Ähnliches Gestein, das aus Eisen, Silikat und Nickel besteht, ist der Wissenschaft von früheren Meteoritenfunden seit Langem bekannt. Der Einschlag konnte eindeutig als Naturereignis klassifiziert werden. Olsen wählte einige kleinere Gesteinsbrocken für ausführlichere Laboruntersuchungen aus, die er auf dem Schlitten verstaute, der später in die Gewalt der Russen gelangte.
Auf dem Rückweg – wir hatten gerade wieder ebenes Gelände erreicht – hörten wir aus dem Süden das nahende Brummen von Verbrennungsmotoren.«
Shwartz hob die Hand und gebot MacNeil, den Bericht zu unterbrechen. »Ab hier benötigen wir Einzelheiten. Beschreiben Sie die Fahrzeuge so genau wie möglich. Auch Beobachtungen bezüglich der Soldaten sind wichtig. Alle körperlichen Merkmale, die Ihnen aufgefallen sind, helfen uns weiter.«
»Okay. Also, die Russen kamen mit zwei Kettenfahrzeugen an. Die Motoren klangen wie bei Panzern.«
Charkowtschanki, konstatierte der General gedanklich. Die haben einen T-54-Kampfpanzermotor. Im Vergleich dazu sind unsere Bombardier-Schneemobile Kinderspielzeuge. Und unser Antarctic Snowcruiser Testmodell hat vor einigen Jahren im Einsatz leider versagt und rottet in Little America bis zum jüngsten Gericht vor sich hin. Wir hätten bei seiner Konstruktion vielleicht doch besser auf Ketten als auf Räder setzen sollen …
»Die waren fast zehn Meter lang. Zuerst sind sie uns nachgefahren. Die Dinger waren verdammt schnell – schätzungsweise dreißig Stundenkilometer. Deshalb konnten die Hunde ihnen nicht davonlaufen. Zumindest nicht dauerhaft. Als die Tiere Erschöpfungssymptome zeigten und langsamer wurden, entschied Schumann, Olsen und ich sollten allein weiter fliehen. Er dagegen wollte zusammen mit Jones versuchen, die Angreifer irgendwie zu stoppen. Er hoffte, die Fahrzeuge mit Handgranaten auszuschalten.«
MacNeil stockte und setzte absichtlich ein betroffenes Gesicht auf. »Die Army hat noch echte Helden.«
Shwartz nickte zustimmend.
»Nachdem er den Schlitten angehalten hatte, löste Schuhmacher die Hunde aus dem Gespann. Ich glaube, es war ihm eine Herzensangelegenheit, die Tiere zu retten. Ich rief die Hunde zu mir, unterdessen bereiteten sich die beiden Privates auf den Angriff vor. Sie nutzten den Schlitten als behelfsmäßige Deckung und verschanzten sich dahinter, so gut es ging.
Gerade als wir losfuhren, stieg ein Rotarmist durch eine Luke auf das Dach eines der Kettenfahrzeuge. Er ist der Einzige, an dem ich Einzelheiten erkannt habe. Der Mann hatte eine Glatze und einen auffälligen Schnurrbart.«
Das könnte Sorokin gewesen sein, dann war sicher auch Lukassow mit von der Partie. Die zwei treten meistens im Duett auf, dachte Jenkins, zündete sich eine Zigarette an und fertigte eine handschriftliche Aktennotiz an.
»Er zielte mit einem Gewehr auf uns. Vermutlich eine Scharfschützenwaffe. Als ich den Schuss hörte, erwischte die Kugel bereits den Professor am Hinterkopf. Er purzelte vom Schlitten. Der Treffer hat ihm ein riesiges Loch in den Schädel gerissen. An seinem sofortigen Tod konnte kein Zweifel bestehen, deshalb hielt ich nicht an, um ihm zu helfen.
Die anderen russischen Soldaten sind durch eine Schleuse am Heck gestürmt und attackierten unsere Leute. Inzwischen war die Entfernung zum Kampfgeschehen zu groß, um Details ausmachen zu können. Ich habe Schüsse gehört und zwei Granatexplosionen. Was aus Jones und Schuhmann wurde, kann ich nicht bezeugen. Vielleicht wurden sie getötet, oder sie wurden gefangen genommen. In jedem Fall haben sie die Russen so lange aufgehalten, bis ich genug Vorsprung hatte, um ihnen zu entkommen. Schätze, die Russen haben es gar nicht erst versucht, mich einzuholen, so weit weg war ich. Ich bin den beiden unendlich dankbar für ihren Opfermut. Ohne sie würde ich heute als tiefgefrorene Leiche in der Antarktis liegen.«
Jenkins und Shwartz stellten MacNeil eine ganze Reihe von Anschlussfragen, brauchbare Information entlockten sie ihm dabei keine mehr und er verstrickte sich in seiner Erzählung auch nicht in Widersprüche.
Nachdem er aus der Besprechung entlassen war, brachte seine Eskorte MacNeil zurück zum Flughafen und zwei Tage danach war er – sehr zu seiner Erleichterung – endlich wieder im heimischen Alaska.
***
Gut einen Monat später saß MacNeil in einem Schaukelstuhl auf seiner Veranda und beobachtete entspannt die Hunde beim Herumtollen und Faulenzen. Das Rudel zerbrach sich mit Sicherheit nicht den Verstand über die abenteuerliche Reise in die Antarktis und es würde niemals in Versuchung kommen, Schlüsse für sein weiteres Hundeleben aus den Ereignissen zu ziehen.
MacNeils Position dagegen war weniger einfach und er fragte sich, was er in jener Zeit gelernt hatte?
Seine wichtigste Erkenntnis war, dass das Unbehagen, das er zuvor in der Gegenwart anderer Menschen empfunden hatte, anscheinend verschwunden war. Trotz ihrer Verschiedenheit könnte er sich eine Freundschaft mit einem Mann wie Professor Olsen vorstellen. Und was Amanda betraf … er hatte zwar keine ernsthaften Gefühle für sie entwickelt, aber ihre weiblichen Reize hatten durchaus Wirkung bei ihm entfaltet. Wer weiß, was daraus geworden wäre, wenn sich ihre Lebenslinien unter anderen Bedingungen gekreuzt hätten? Doch Amanda war für ihn verloren, genau wie die Welt unter dem ewigen Eis der Antarktis.
Zusehends war im Laufe der letzten Wochen in ihm die Erkenntnis gereift, dass er den Verlust seiner Frau und seiner Tochter inzwischen verarbeitet hatte. Ihr Tod resultierte aus einer Gedankenlosigkeit seinerseits. Es war ein Unfall gewesen, den er sich selbst verzeihen musste und konnte.
Doch wie sollte es nun mit seinem Leben weitergehen?
Ständig nur allein mit den Hunden in der Wildnis zu sein, erschien ihm nicht mehr wünschenswert. Im Stich konnte er die treuen Vierbeiner aber auch nicht lassen. Als er sich durch den zotteligen, rotblonden Bart strich, kam ihm eine Idee.
MacNeil ächzte, stand auf und ging ins Bad. Dort rasierte er sich das Gesicht und stutzte sein Haupthaar auf ungefähr die Hälfte der ursprünglichen Länge. Als er in den Spiegel sah, dachte er: Nicht schlecht, nicht schlecht … so kann ich mich – außer bei der Teilnahme an Hunderennen – wieder in die Öffentlichkeit wagen. Zumindest, wenn ich vorher einem richtigen Friseur einen Besuch abstatte.
Befreit von trüben Gedanken, die in den letzten beiden Jahren so häufig seine Begleiter gewesen waren, und voller Zuversicht kehrte er auf die Veranda zurück und überblickte das Grundstück. An dessen Rand parkte der alte Pick-up-Truck, der ihm immer treue Dienste geleistet hatte. Und in Zukunft würde er ihn regelmäßig und zuverlässig in die umliegenden Kleinstädte bringen, wo er neue Leute kennenlernen konnte. Dieses Vorhaben musste ja nicht dazu führen, dass er sein Leben hier draußen gänzlich an den Nagel hängen musste.
– E N D E –
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