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»Okay, zweihundert Grad müsste doch reichen, oder?«, fragt Mara und wirft einen prüfenden Blick

»Wie aufregend! Meine erste selbst gemachte Pizza«, jubelt Alicia begeistert.

»Selbst gemacht würde ich jetzt nicht sagen«, werfe ich ein und deute auf die Verpackung auf der Anrichte. Alicia verdreht die Augen und wirft mir einen gespielt grimmigen Blick zu.

»Dann eben selbst aufgebacken«, murrt sie und wendet sich wieder dem Ofen zu.

»Jetzt müssen wir bloß hoffen, dass wir die nicht vergessen«, sagt Mara und erntet damit einen finsteren Blick von Alicia.

»Sag das nicht! Sonst passiert das auch wirklich!«

Wenn ich eines in den letzten beiden Tagen gelernt habe, dann, dass Schauspieler sehr abergläubisch sind. Zumindest Alicia. Sie ist die einzige Schauspielerin, die ich kenne, und wirklich sehr abergläubisch. Vermutlich verlässt sie an einem dreizehnten Freitag nicht einmal das Bett.

»Also, wie war euer erster Tag, Mädels?« Alicia lässt sich neben mich auf einen der wackeligen Küchenstühle sinken. »Du zuerst, Picasso!«

Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, und auch Mara stimmt mit ein.

Sie erzählt uns von ein paar Leuten, die sie heute kennengelernt hat. Offenbar liegen sie auch so im Clinch mit ihren Eltern, weil sie lieber Kunst

»Sie nennen sich Die verlorenen Jungs«, sagt Mara lachend und schüttelt den Kopf.

Ich schnaube belustigt auf. »Wie bei Peter Pan

Sie nickt, und ihr Lächeln wird noch breiter. »Aber es sind ein paar mehr Mädchen dabei als bloß Wendy Darling.«

»Gott, ihr seid solche Streber!« Nun ist es Alicia, die den Kopf schüttelt, aber schließlich auch lachen muss.

»Jetzt bist du dran«, sagt Mara und deutet mit einem farbfleckigen Finger auf Alicia, und natürlich lässt die es sich nicht nehmen, alles bis ins kleinste Detail zu erzählen, wobei sich die Details vor allem auf das Aussehen ihrer Kommilitonen und Dozenten beschränken.

»Professor Beerbaum ist auch echt heiß, vor allem wenn man bedenkt, wie alt er schon ist.« Ihre Augen richten sich träumerisch in die Ferne. »Und wie war’s bei dir, Leni?«

Ich zucke zusammen, weil mich sonst nur Helena so nennt. Es dauert einen Moment, bis mir einfällt, dass Alicia bei meinem Skype-Anruf mit meiner Schwester dabei gewesen ist.

»Ganz okay, denke ich.« Ich weiß nicht so recht,

»Ach, komm schon. Irgendetwas Aufregendes muss doch passiert sein, Belle. Sag’s uns!« Alicia pikst mich in die Seite. Wieder und wieder ganz genau so, wie es Helena tun würde, um mich zum Reden zu bringen.

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und lasse den Tag Revue passieren. Es gibt da tatsächlich etwas. Eine Begegnung, die mich selbst jetzt in Gegenwart von Alicia und Mara nicht mehr loslässt.

»Okay, da ist so ein Typ, der …« Sofort trällert Alicia eines dieser Ooohs, die ich schon von Helli kenne. Ich rolle mit den Augen und schüttle den Kopf. »Nicht so ein Typ, Alicia. Er starrt mich die ganze Zeit so finster an.«

»Aber nicht der von gestern Abend, oder?« Maras Blick trifft mich. Ihre hellen Augen leuchten auf, als sie sich an den gestrigen Abend erinnert.

»Doch, leider. Anscheinend studiert er auch Kreatives Schreiben. Zumindest saß er heute vor dem Gebäude herum.« Ich erschaudere bei der Erinnerung daran. »Er hat mich angeschaut, als würde er mich

»Wie krass! Weißt du, wie er heißt?«, fragt Alicia.

Ich schüttle nur den Kopf und frage mich noch immer, wieso er mich, gerade mich, ständig so anstarren muss. Oder macht er das bei allen so? Sollte ich mal beobachten …

»Das ist noch nicht alles«, sage ich schließlich und erzähle ihnen von meiner ersten Begegnung mit ihm, der im Wald. Noch immer sehe ich den Baumstamm, der sich so verzweifelt ans Leben klammert vor mir, spüre seine Rinde unter meinen Fingern.

»Du bist allein in den Wald gegangen?« Mara starrt mich an, als hätte ich gerade etwas Unmögliches gesagt. Ich zucke bloß mit den Schultern.

»Okay, Belle. Ich gebe mein Bestes, um mehr über das Biest herauszufinden.« Alicia legt sich wie zum Schwur eine Hand aufs Herz. »Eigentlich schade, dass er so ist. Er war doch ziemlich heiß, aber wer weiß, wer weiß …«

Mara und ich stöhnen gleichzeitig genervt auf, während Alicia wieder träumerisch vor sich hin starrt. Einen Moment sagt keine von uns etwas, jede hängt ihren eigenen Gedanken nach, die jäh von einem schrillen Piepen unterbrochen werden. Mein Herz macht vor Schreck einen Satz.

»Oh, Shit! Die Pizza!«, schreit Alicia und stürmt

Beurteile einen Menschen nicht nach seinem Aussehen, mahne ich mich, auch wenn ich im Moment eigentlich Besseres zu tun habe. Alicia davon abzuhalten, die Backbleche mit den bloßen Händen anzufassen, zum Beispiel.

»Dachte ich mir doch, dass das der Rauchmelder ist«, sagt der Bad Boy und schlägt die Ofentür zu, bevor Alicia irgendwas Dummes machen kann.

»Was soll’s denn sonst sein? Ein Backofen, der rückwärts ausparkt?«

Eines muss man Alicia lassen. Selbst in solchen Momenten behält sie ihre Schlagfertigkeit. Ich schiebe mich an den beiden vorbei und ziehe mir die Backhandschuhe über. Schnell schalte ich den Ofen aus und weise Mara mit einem Kopfnicken an, die Fenster aufzumachen, damit sich der Rauch schneller verziehen kann. Als ich die Bleche aus dem Ofen hole, kann ich die Hitze deutlich spüren, wie das Feuer gestern Abend. Ich huste und puste vor mich hin, um den Qualm zu vertreiben, und lege die Bleche auf den Untersetzern ab. Bei der dritten Pizza verbrenne ich mir fast die Finger, aber ich schaffe es gerade

»Och, Mann! Ich hatte mich schon so gefreut«, mault Alicia, als sie das Ausmaß des Schadens erkennt. Mein Magen teilt ihre Enttäuschung.

»Ach, das sind doch nur Röstaromen«, sagt Bad Boy und klopft ihr aufmunternd auf die Schulter, ehe er sich wieder verzieht.

»Was für ein Arschloch«, sagt Alicia.