Die restliche Freizeit, die mir diese Woche zur Verfügung steht, verbringe ich damit, an dem Text zu feilen, ihn umzuschreiben und mehrmals dabei auszurasten, weil ich einfach nicht weiß, was ich damit tun soll. Einmal geht sogar eine Teetasse zu Bruch, was meine Mitbewohnerinnen auf den Plan ruft. Am Freitagabend schleift mich Alicia zusammen mit Mara in die Küche, weil sich die beiden allmählich Sorgen um mich machen. Sorgen, die berechtigt sind, weil ich nur noch in meinem Zimmer sitze und auf meine Tastatur einhacke, als wäre ich auf sie und nicht auf den griesgrämigen Waldschrat wütend. Und im Prinzip stimmt das auch: Ich bin auf den Laptop wütend, weil er mir nicht dabei hilft, diesen Text zu verbessern. Nein, er macht ihn schlimmer. Jedes Mal wenn ich eine Taste drücke, habe ich das Gefühl, das Falsche zu tun. Jedes verdammte Mal!

»Wieso muss er so schwierig sein? Kann er sich nicht wie all die anderen Kerle benehmen?«, maule ich, als mir Alicia eine Schüssel Suppe vor die Nase stellt.

»Was sich liebt, das neckt sich«, sagt sie, einer ihrer Lieblingssätze in letzter Zeit, und kichert zusammen mit Mara, was ich am liebsten damit quittiert hätte,

»Iss deine Suppe, Kindchen. Sonst fällst du uns noch vom Fleisch«, sagt Alicia mit der Stimme einer alten Vettel, als würde sie für eines ihrer Theaterstücke üben. Mara kicherte wieder und erhält dafür einen weiteren finsteren Blick. Vielleicht sollte ich sie doch mit Suppe …

»Du kommst heute Abend wahrscheinlich nicht mit, oder? Es ist ja schon ein Wunder, dass wir dich überhaupt aus deinem Zimmer bekommen haben«, sagt Alicia, und erst jetzt stelle ich fest, dass die beiden bereits in ziemlich aufreizenden Klamotten stecken, die ganz sicher Alicia ausgewählt hat. Mara zupft immer wieder unsicher an dem Paillettenkleid herum, das ihr sitzend kaum bis über die Oberschenkel reicht. Sie fühlt sich offensichtlich nicht wohl darin, aber was tut man nicht alles, um des Hausfriedens willen? Wahrscheinlich hat Alicia so lange auf sie eingeredet, bis Mara nachgegeben hat.

Ich schüttle bloß den Kopf und beginne, meine Suppe zu löffeln. Beeile mich, auch wenn ich mir dabei die Zunge verbrenne. Je mehr Zeit ich hier mit ihnen verbringe, umso weniger bleibt mir, um an meinem Text zu arbeiten. Es ist wie eine Sucht geworden, mich jede freie Sekunde darauf zu konzentrieren,

»Na dann, Jane Austen, viel Spaß dabei«, sagt Alicia lachend und klopft mir auf die Schulter. Sie hält Mara ihre Hand hin, zieht sie von ihrem Stuhl und verlässt die Küche mit ausladenden Schritten und einer Hand in die Hüfte gestemmt. Mara wirft mir einen letzten missmutigen Blick zu, scheint mir ohne Worte sagen zu wollen, dass ich sie begleiten und unterstützen soll, aber ich bin alles andere als in Partystimmung. Meine Laune ist seit Tagen im Keller, und das bekommen nicht nur die beiden zu spüren. Auch meine Professoren haben gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt, haben mich teilweise sogar darauf angesprochen, aber eine Antwort haben sie nicht bekommen. Was soll ich ihnen auch schon sagen? Dass ihr Vorzeigestudent das größte Arschloch auf der ganzen Welt ist? Das wollen sie sicherlich nicht hören.

Während Alicia Mara also zur nächsten großen Party auf dem Campus schleift, setze ich mich wieder an die Arbeit. Ich öffne ein separates Dokument, versuche, mich an wirklich jede Begegnung mit Kilian zu erinnern, sei sie auch noch so flüchtig gewesen. Dabei wird immer deutlicher, dass irgendetwas nicht mit ihm stimmt. Nicht nur dieses komische Gefühl, das mich immer dann befällt, wenn ich in seiner Nähe bin. Dieses Kribbeln, als würden sich alle meine

 

In den letzten Tagen habe ich so viel Zeit an meinem Laptop verbracht, dass ich teilweise sogar vergessen habe zu schlafen. Irgendwann fordert diese Lebensweise ihren Tribut, am Sonntag ist es dann so weit. Ich kann meine Augen nicht mehr offen halten. Auch wenn Alicia die Musik in unserem Wohnzimmer viel zu laut aufgedreht hat, sinkt mein Kopf auf die Tastatur. Die ersten Male schrecke ich gleich wieder hoch, versuche, dagegen anzukämpfen, bis ich irgendwann keine Kraft mehr habe. Als ich das nächste Mal aufwache, ist es hell um mich herum. Entfernt höre ich Stimmen, sie müssen von draußen kommen. Im ersten Moment bin ich noch benommen. Da ist nichts außer Nebel in meinem Kopf, Nebel und Schmerzen. Stöhnend fahre ich mir mit der Hand über meinen Nacken. Die Position war wirklich nicht die beste für ein kleines Nickerchen.

Langsam richte ich mich auf, wische das letzte bisschen Müdigkeit weg und werfe dann einen Blick auf mein Handy. Es dauert eine ganze Weile, bis ich

»Das kann doch jetzt nicht wahr sein!«, murmele ich, schalte das Display kurz aus und wieder ein, doch die Zeit bleibt gleich. Halb zwölf, Montag. Schon im nächsten Moment bin ich aufgesprungen, wobei ich gerade noch so meinen Stuhl festhalten kann, damit er nicht umkippt.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluche ich, während ich mich panisch in meinem Zimmer umsehe.

Eigentlich habe ich noch einmal alles an meinem Text umschreiben wollen, all diese seltsamen Momente mit Kilian einbauen und ein wenig meiner eigenen Verwirrung aus dem Text ziehen wollen. Aber dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr. Mir bleibt nichts anderes übrig, als irgendetwas anzuziehen und zur Akademie zu gehen. Erst als ich durch das Eingangsportal des Eichendorff-Hauses trete, fällt mir auf, dass ich mein Oberteil schon mindestens zweimal letzte Woche angehabt habe, es dementsprechend riecht und ich eine Dusche gebraucht hätte. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Gleich wird Kilian den Text über sich hören. Und ich werde wahrscheinlich vor Scham sterben.