Als ich schließlich den Blick hebe, umfängt mich zunächst eisige Stille. Noch immer starren mich alle an, als wäre ich verrückt. Dieser Text beinhaltet genau das, was mir in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen ist. Und es gäbe noch so viel mehr zu sagen, aber ich habe mich nicht getraut, es aufzuschreiben, aus Angst, Professor Johannsen und meine Kommilitonen könnten mich dafür verurteilen.

Mein Blick wandert weiter, bis er an Kilian hängenbleibt, der wieder finster dreinschaut und die Arme vor der Brust verschränkt hat. Als sich unsere Blicke kreuzen, durchzuckt mich ein Gefühl der Angst. Ich weiß nicht, warum ich meinen Text wirklich laut vorgelesen habe. Warum bin ich so dumm gewesen, die Wahrheit vorzulesen? Hätte ich nicht versuchen können, mich davor zu drücken? Warum habe ich ausgerechnet das aufgeschrieben, was tief in mir vor sich geht? Hätte ich nicht einfach etwas erfinden können?

Mit diesem Text habe ich mich verwundbar gemacht, vielleicht zu viel über mich preisgegeben.

Es dauert eine Weile, bis unser Professor seine Stimme findet. Er mustert mich von oben bis unten, ehe er zu sprechen beginnt: »Der Text ist an manchen Stellen zu negativ. Das habe ich nicht von Ihnen erwartet,

Ich schlucke und nicke. Im Vergleich zu manch anderen bin ich noch recht glimpflich davongekommen, aber irgendetwas scheine ich in Professor Johannsen ausgelöst zu haben. Er schweigt eine ganze Weile, als würde er noch über meinen Text nachdenken. Keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht ist.

Ich schließe die Augen und versuche, die Tränen, die mir in die Augen steigen, davon zu überzeugen, nicht jetzt meine Wangen hinabzurinnen. Ich hasse es, wenn man meine Texte kritisiert, auch wenn dieser es garantiert verdient hat. Und ich hasse es, dass unser Professor vorgeschlagen hat, dass ich noch mehr Zeit mit Kilian verbringen soll. Als ob das irgendetwas nutzen würde!

Apropos Kilian: Der sitzt kerzengerade auf seinem Stuhl und lächelt vor sich hin, als würde er sich freuen, dass Professor Johannsen meinen Text vor versammelter Mannschaft zerreißt.

»Genug davon. Wir sollten weitermachen«, murmelt der Professor und sieht sich im Raum um. Sofort beschleunigt sich mein Herzschlag wieder. Wahrscheinlich ruft er Kilian nicht als Nächstes auf! Am liebsten würde ich jetzt einfach verschwinden, um

Aber ich bin nicht wie sie, wer auch immer sie sind. Ich bin ein Mensch, ganz normal, und habe keine Ahnung, was ich tun soll, sollte Kilians Text tatsächlich so ausfallen, wie ich ihn mir vorstelle: noch fieser als seine Fragen, noch fieser als das Grinsen, das er plötzlich zur Schau trägt.

Ich will hier weg, aber ich kann es nicht.