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Knapp zwei Stunden später stehen wir auf einer weitläufigen Wiese, die keine zehn Minuten von unserem Wohnheim entfernt liegt. Ich kann also jederzeit flüchten, wenn es mir hier zu voll wird, was sicher nicht lange dauern kann. Es sind schon einige Leute da, stehen in Grüppchen zusammen und trinken aus Pappbechern. Irgendjemand hat sich wirklich Mühe gegeben, diese Party zu organisieren. In der Mitte der Wiese hat man ein riesiges Lagerfeuer vorbereitet. Musik dröhnt aus mehreren Lautsprechern, während bereits die ersten Bierfässer angezapft werden. Also gut, meine erste Party. Und jetzt?

»Ladys, dieser Abend ist spielentscheidend. Heute

»Können wir nicht einfach wieder gehen? Wir haben doch jetzt alles gesehen«, jammert Mara, unsere blauhaarige Mitbewohnerin, die anscheinend genauso wenig Lust auf sinnloses Saufen und dämliche Anmachsprüche hat wie ich. Viel mehr als das weiß ich allerdings noch immer nicht über sie.

»Wohl kaum, Blue. Die meisten kommen erst ein bisschen später. Es ist ja noch nicht einmal richtig dunkel«, entgegnet Alicia, packt unsere Hände und zerrt uns auf eines der Bierfässer zu.

 

Eine Stunde später hat sich die Anzahl der Partygäste tatsächlich mehr als verdreifacht. Viele haben schon jetzt einen im Tee, johlen vor sich hin, als die Musik plötzlich ausgeht und einer von Alicias Eye Candys mit einer brennenden Fackel auf das Lagerfeuer zutritt. Er hebt die Hand, und die Menge wird still. So still, dass es fast schon unheimlich ist. Nebel wabert langsam zwischen den vielen Füßen der Studenten über die Wiese.

»Auf ein neues Semester voller Kreativität und vor allem eines: Spaß!«, schreit der Fackelträger in die Menge, die in lautes Jubeln ausbricht. Er dreht sich zum Lagerfeuer um und entzündet es endlich. Wird

»Okay, Ladys. Jetzt wird es Zeit, die Kerls mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Seid ihr dabei?« Alicia hat sich bei uns untergehakt und schaut nun zwischen mir und Mara hin und her. Ihre braunen Augen leuchten im Schein des Feuers. In ihrem Blick liegen Vorfreude und eine Wärme, die ich einfach nicht gewohnt bin. Kein Wunder, dass sie von so vielen angehimmelt wird. Sie ist wirklich wunderschön, und dessen ist sie sich mehr als bewusst.

»Ich weiß nicht … Es ist ganz schön voll hier …« Ich blicke mich um, sehe all diese Menschen und bin von der schieren Anzahl überwältigt. Es ist lange her, dass ich mich in einer solch gewaltigen Menschenmenge bewegt habe. Ich kenne niemanden hier, so dass mir nichts anderes übrigbleibt, als bei Alicia zu bleiben oder nach Hause zu gehen.

»Komm schon, Belle. Das wird lustig!«, entgegnet Alicia und stößt mich in die Seite. Wir umrunden das Lagerfeuer und entgehen dabei nicht den Blicken der männlichen Studentenschaft.

»Geschmack haben sie ja schon mal.« Alicia lacht, als uns jemand hinterherpfeift. Ich bewundere sie

»Es ist wirklich interessant, wie das Feuer alles in dieses unheimliche Licht taucht, findet ihr nicht?«, fragt Mara und starrt direkt in die Flammen. Mittlerweile haben sie die Spitze des Holzstapels erreicht. Es wird endlich warm. Ich lächle.

»Wie lebendige Wesen aus dunkler Kohle …«

»Eine wahre Künstlerin, was?« Alicia lacht so laut, dass sich die anderen zu uns umdrehen. Dabei spüre ich die Aufmerksamkeit der umstehenden Typen auf uns oder, besser gesagt, auf Alicia. Sie ziehen sie genauso mit ihren Blicken aus, wie sie es vorhin umgekehrt getan hat. Mir wird schlecht.

»Na los, wir sind noch lange nicht fertig hier.« Alicia zieht uns weiter durch eine Menge tanzender Studenten hindurch. Erst jetzt wird mir so richtig klar, dass ich all das hier noch nie erlebt habe. Weder die unangenehmen Blicke von Alicias Eye Candy noch den beißenden Geruch nach Feuer oder die Tanzenden um mich herum. Irgendwie stimmt mich der Gedanke traurig, aber viel habe ich nicht verpasst. Oder?

Während wir eine zweite Runde um das Lagerfeuer drehen, redet Alicia auf uns ein. Ihr Ziel des Abends ist es wohl, sich einen Überblick über unsere Kommilitonen zu verschaffen und den heißesten Typen an der Akademie zu küren. Ich schüttle bei dem Gedanken bloß den Kopf, aber wenn es das ist, was sie glücklich macht, will ich ihr nicht im Weg stehen.

»Willst du mich verarschen?« Es ist der Typ aus dem Wald. Das hat mir gerade noch gefehlt. Den ganzen Tag über habe ich gehofft, dass er nicht zu den Studenten an der Akademie gehört. Aber wieso sonst sollte er dann hier sein? Diese Stadt besteht praktisch nur aus Studenten.

»Oh, hallo, schöner Mann«, sagt Alicia, die mittlerweile ihren dritten Becher Bier geleert hat. »Ich glaube, wir haben einen Gewinner.«

Mir wird schon wieder schlecht, während die Erinnerungen an unsere erste Begegnung mein Sichtfeld fluten. Die vom Feuerschein erhellte Wiese wird zum Herbstwald hinter dem Wohnheim. Erschrocken stelle ich fest, dass er sich zu uns umgedreht hat. Wenn es überhaupt möglich ist, verfinstert sich sein Gesichtsausdruck noch mehr.

»Ich brauche jetzt dringend ein Bier«, stoße ich hervor und mache kehrt. Ich laufe nicht davon. Ich habe bloß keine Lust, weiter von ihm angestarrt zu werden, als wollte er mich mit seinem Blick töten. Der Klügere gibt nach, heißt es doch, oder?