»Manchmal wünsche ich mir, ich hätte eine Fernbedienung fürs Leben, dann könnte ich die Lautstärke runterdrehen«, höre ich Mara sagen, als wir uns auf einem Heuballen niederlassen, der auf der anderen Seite der Wiese liegt. Irgendwo jenseits der Flammen vermute ich den Typen aus dem Wald mit seinem finsteren Blick, aber wir sind weit genug weg, dass ich mich wieder entspanne.
»So eine Fernbedienung hätte ich auch gerne«, sage ich und lache bei dem bloßen Gedanken daran, wie affig alle hier aussehen würden, wenn plötzlich all der Lärm, all die Musik verschwinden würden.
Mara und ich schweigen lange Zeit, schauen dem Partytreiben zu und nippen ab und zu an unserem Bier. Es schmeckt mir nicht, aber ich habe sonst nichts zu tun. Mittlerweile muss es auf Mitternacht zugehen, aber ich bin alles andere als müde. Mal abgesehen von dem Lärm gefällt es mir hier. Um uns herum sitzen andere Studenten und unterhalten sich, lachen und machen Scherze wie ganz normale Menschen.
Es sind ganz normale Menschen, Lenora.
Ich sauge die kalte Nachtluft ein, schmecke den Rauch des Feuers darin und fühle das Leben um mich herum, fast so wie heute Morgen im Wald. Hinter uns
»Man kann ja nie wissen«, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Wir finden einen halbwegs freien Baumstamm, dessen Rinde sich fast genauso anfühlt wie die des sterbenden Baumes heute Morgen.
O nein!
Unsere Flucht vor den Betrunkenen hat uns wieder näher zum griesgrämigen Waldschrat gebracht. Diesmal scheint er mich allerdings nicht zu bemerken. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, grimmig in die Flammen zu starren, während um ihn herum die Party weitergeht. Er wirkt so völlig fehl am Platz, genau wie ich.
Seufzend schüttle ich den Kopf und taste meinen Stiefel ab. Wie Mara bin auch ich vorbereitet gekommen. Aus dem rechten Schuh ziehe ich ein dünnes Notizheft, aus dem anderen einen Kugelschreiber. Die ausgelassene Stimmung auf der Wiese lässt mich nicht mehr los. Ich muss diese Eindrücke einfach festhalten. Manchmal gibt es Momente in meinem Leben, da steht meine Inspiration in Flammen und rauscht wie Feuer durch meine Adern. Ich kann nicht mehr still sitzen, mich auf nichts anderes konzentrieren als auf die Worte in meinem Kopf und den Drang, sie endlich aufzuschreiben. Mein Therapeut, der mich zu Beginn noch ermutigt hat, mir alles von der Seele zu
Es fühlt sich gut an, als ich die ersten Sätze auf die blütenweiße Seite bringe. Das Lagerfeuer und die Sterne allein spenden mir Licht. Selbst auf die Entfernung spüre ich die Wärme des Feuers, die immer wieder vom frischen Herbstwind durchschnitten wird. Die perfekten Bedingungen für gute Ideen.
Mein Stift tanzt über die Seite, füllt sie mit Wörtern, die all das hier kaum beschreiben können. Ich bemühe mich wirklich sehr, die Situation einzufangen, damit ich etwas habe, wenn die Dunkelheit mich wieder zu übermannen droht.
Denk nicht mehr daran.
Ich schlucke diesen Gedanken runter und konzentriere mich auf meine Umgebung, auf die Tanzenden am Feuer, auf die Gespräche der anderen Partygäste und hin und wieder auch auf den Fremden. Er sitzt noch immer unverändert auf seinem Baumstamm. Irgendetwas an ihm kommt mir vertraut vor, aber ich kann nicht sagen was. Und da ist noch etwas: das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht mit ihm stimmt, als umgäbe ihn ein heller Schimmer aus Geheimnissen und Rätseln. Auch das schreibe ich auf, auch wenn ich weiß, dass künftige Leser ganz sicher mit den Augen rollen werden. Sie werden denken, dass ich verrückt
Mein Stift rutscht mir aus den Fingern und fällt auf den Boden.
»Mist!« Ich lasse mich von dem Heuballen gleiten und taste in der Dunkelheit danach. Ich war noch längst nicht fertig mit meinen Aufzeichnungen. Noch immer rauscht mir die Inspiration durch die Adern.
Das Gras zu meinen Füßen ist stachelig und eiskalt, aber irgendwann bekomme ich den Kugelschreiber tatsächlich zu fassen. Triumphierend erhebe ich mich, werfe einen Blick in Richtung des seltsamen Typen, nur um festzustellen, dass er verschwunden ist. Ich lasse den Blick schweifen, suche die Menge nach ihm ab.
Wieso?
Keine Ahnung. Irgendetwas an ihm fasziniert mich, auch wenn er die ganze Zeit so guckt, als wollte er mich im nächsten Moment erwürgen. Da wäre er nicht der Erste.