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Jeder Schritt, den ich mich Kilian nähere, macht mich wütender und vor allem eines: stärker. Das Tor kreischt in den Angeln und fällt schließlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen hinter mir zu. Für eine

Als ich ihn erreiche, öffnet Kilian den Mund, um etwas zu sagen, doch bedeute ich ihm mit einer einzigen Handbewegung, dass ich jetzt dran bin.

»Bevor du irgendetwas sagst, will ich, dass du mich ausreden lässt«, sage ich mit scharfer Stimme, was Kilian erstaunt die Augen aufreißen lässt. Damit hat er offenbar nicht gerechnet. Hat er gedacht, dass ich schön brav zu ihm zurückkomme und kampflos aufgebe?

Nicht mit mir, Waldschrat!

»Dieses ständige Hin und Her mit dir kotzt mich richtig an. Ich habe keine Ahnung, wo ich bei dir stehe. So geht das nicht weiter! Ich will wissen, woran ich bei dir bin. Also entscheid dich endlich mal und denk vielleicht auch mal an andere. Zum Beispiel daran, wie sich dieser ganze Scheiß auf meine ach so kostbare Seele auswirken könnte!«, sage ich, so laut ich kann. Es muss einfach raus. Alles, jetzt sofort, ohne Rücksicht auf Verluste.

»Ich habe keinen Bock, länger zu warten. Du hast ja keine Ahnung, wie sich das anfühlt, erst so mies von dir behandelt zu werden, dann ist alles wieder gut,

Ich will gerade zu einer weiteren Runde ansetzen, doch Kilian ignoriert meinen Protest, schlingt seine Arme um mich und bringt mich mit einem Kuss zum Schweigen.

»Ich habe mich schon entschieden«, sagt er so leise gegen meine Lippen, dass ich ihn über das Heulen des Herbstwinds um uns herum kaum verstehe. Und im nächsten Moment küsst er mich wieder. Seine Lippen sind auf meinen, warm und weich, seine Hände um meine Schultern, in meinem Haar. Ich bin so überrumpelt und überrascht, dass er sich doch für mich entschieden hat, für uns, dass ich einen Augenblick brauche, bis ich den Kuss schließlich erwidere. All meine Vorsätze sind dahin. Einzig seine Nähe zählt.

»Oh, das ist so was von egoistisch von mir«, murmelt Kilian gegen meine Lippen, ehe er mich erneut küsst.

Ist mir egal, ob es egoistisch ist oder nicht, Hauptsache er hört nicht damit auf.

»Nur damit das klar ist …«, stoße ich hervor und hole keuchend Atem. »Damit ist noch nicht alles aus der Welt.«

»Schade, ich dachte, ich könnte dich besinnungslos küssen«, entgegnet er mit dem schiefen Grinsen, das sofort einen ganzen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch freisetzt.

Ich versuche, ihn von mir zu stoßen, aber mein

Die Wut auf ihn rauscht weiter durch meine Adern und lässt mich nicht vergessen, dass wir noch eine Rechnung offen haben. Aber bei Kilian fühle ich mich so sicher und geborgen, dass alles leicht ist, wenn ich bei ihm bin. Ich vergesse, wo wir sind, vergesse fast zu atmen, und als ich die Augen aufschlage, erstarre ich vor Schreck. Wir sind längst nicht mehr allein auf dem Friedhof. Es dauert eine Sekunde, bis ich das Gesicht, das einige Meter von uns entfernt aufgetaucht ist, erkenne. Es ist Manuel, und er starrt uns mit ausdruckslosem Blick an.