Einige Stunden später sind meine Tränen versiegt, aber da sind immer noch diese Leere und der Schmerz, die sich in meine Seele brennen. Ich weiß nicht, wo ich bin. In irgendeinem Arbeitszimmer vielleicht. Dunkle Möbel, Holz überall um mich herum. Vor mir sitzt Gabriel am Schreibtisch, neben mir Elvira. Hinter uns stehen Clara und Felix, die von irgendwoher aufgetaucht sind. Keine Ahnung, ob wir bei den Winters zu Hause sind oder irgendwo anders. Ich habe keinerlei Erinnerung daran, wie ich hierhergekommen bin. Das Einzige, was sich wieder und wieder in meinem Kopf wiederholt, sind die letzten Sekunden, kurz bevor das Leben aus Sophie gewichen ist.
»Wir kümmern uns um alles, versprochen.« Gabriel streckt seine Hand über den Tisch und drückt meine, versucht, mich dazu zu bringen, ihn anzuschauen. Ich starre trotzdem weiter auf meine linke Hand, die auf meinem Schoß liegt. »Hatte sie Wünsche, was ihre Beerdigung angeht?«
Ich reiße mich vom Anblick meiner perfekt lackierten Finger los, um endlich seinen Blick zu erwidern.
»Ist das nicht egal?« Meine Stimme klingt genauso leer, wie ich mich fühle. Schwach und ausgelaugt, als stünde auch ich an der Schwelle des Todes.
»Das ist ein wichtiges Ritual, Liebes«, sagt Elvira neben mir, doch brauche ich nicht einmal etwas zu sagen, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie scheint zu spüren, dass ihre Worte nicht helfen. Nichts hilft.
»Das ist nur ihre fleischliche Hülle, vollkommen nutzlos ohne ihre Seele.«
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Elvira zusammenzuckt und vor mir zurückweicht. Ohne sie anzusehen, weiß ich, dass sie mich alle anstarren. Nein, nicht mich, nicht mein Gesicht, sondern meine Seele.
»Sie ist fort«, sage ich, und in meiner Stimme schwingt etwas Endgültiges mit. Ich erhebe mich von meinem Stuhl, kann nicht mehr sitzen, kann nicht mehr stehen. Ich halte es hier nicht mehr aus. Ich schaue mich um und begreife endlich, wo wir sind. Im Verwaltungsgebäude des Friedhofs, in der Nähe des Leichenschauhauses. Bestimmt haben sie Sophie hierhergebracht, nachdem sie ihren Tod festgestellt haben. Ich vermeide es, die Tür anzusehen, die ganz sicher dorthin führt, wo man sie für die Beerdigung vorbereiten wird.
Wo ihr Körper liegt. Sophie selbst ist schon seit Stunden fort und mit ihr all die Freude, all das Licht in meinem Leben. Jetzt ist nur noch Dunkelheit in mir. Dunkelheit und ein einziger Gedanke: Ich kann das hier nicht.
Ich muss von hier weg, und zwar so schnell wie möglich!