Kapitel 13
Die Aussicht, möglicherweise eine Fundstelle für wertvolle Topase aufgetan zu haben, sorgte zumindest bei Braxton für Aufregung, während Wes es ziemlich unbeteiligt hinnahm. Was er hingegen mit scharfem Blick spürbar verfolgte, waren die Spannungen zwischen Nox und Jamie. Es war wahnsinnig schwierig, die Finger voneinander zu lassen und seit Jamie sich ihm spontan und ja, unüberlegt, an den Hals geworfen hatte, war alles nur noch schlimmer geworden.
Egal wohin sie gingen, was sie taten, worüber sie gerade sprachen, sobald sie einander nah kamen, sprühten die Funken. Ihre Blicke, mit denen sie sich stumm maßen, wurden stetig verzweifelter. Da half es wirklich nicht, dass das Wetter sich massiv verschlechtert hatte und ein Sturm den nächsten jagte.
Nox versuchte sich auf Wes zu fokussieren, damit er sinnvollere Dinge tun konnte, als Jamie anzuschmachten. Jamie wiederum provozierte ihn neuerdings, trat ihm bewusst in den Weg, sagte harmlose Dinge auf zweideutige Weise. Mehr als einmal wurde es heftig genug, dass Braxton völlig entnervt aus dem Haus stürmte und in Wolfsgestalt stundenlang in Schneegestöber und peitschenden Winden umherrannte, mit der Begründung „draußen ist es halt lustiger als hier drinnen“.
Womit er zweifellos recht hatte. Sie zermürbten einander gegenseitig, schadeten damit ihren Gefährten und halfen Wes kein bisschen weiter, der eben nicht die Möglichkeit hatte, vor ihnen wegzulaufen. Leider gab es keine zügige Lösung für ihre Problematik, denn Jamie würde noch eine ganze Weile lang schwanger sein.
Manchmal war Nox darum froh, wenn auch Jamie sich zurückzog und für einige Stunden lang die Luft nicht kochte und er kaum noch wusste, wie er sich beherrschen sollte. Und dann
war wieder er derjenige, der auf ihn zuging und ihn regelrecht in die Ecke drängte, weil er sich nach ihm sehnte, ihn küssen, umarmen, streicheln wollte. Warum plötzlich eruptierte, was den halben Winter über friedlich vor sich hingeschlummert hatte, ließ sich nicht sagen. Eben schien alles bestens unter Kontrolle und jetzt … Jetzt war es, als ob sie nur noch auf den großen Knall warteten, der sich auf keinen Fall verhindern ließ.
„Das wird auf keinen Fall noch für mehrere Monate gutgehen“, murmelte Wes, als Nox ihm das verletzte Handgelenk knetete, massierte und durchbewegte. Sie blickten gemeinsam durch das weit geöffnete Fenster hinaus, wo Jamie damit beschäftigt war, sämtliche Messer und sonstigen Metallklingen zu schleifen.
„Nein“, entgegnete Nox müde. „Nein, das wird nicht mehr lange so weiterlaufen können. Wir müssen trotzdem noch mindestens fünf Wochen durchhalten, bevor die Schneeschmelze soweit fortgeschritten ist, dass wir sicher und möglichst gefahrlos reisen können. Er wird ja auch mit jedem Monat unbeweglicher werden. Zwillinge sind doppelte Mühe.“ Die meisten Omegas mussten schon ab etwa dem sechsten Monat Bettruhe einhalten und jeglichen Stress vermeiden, um die Kinder nicht frühzeitig zu verlieren. Die inneren Beckenringe verbreiterten sich, die äußeren hingegen nur minimal. Dadurch hatten die Kinder weniger Platz als in einem durchschnittlichen weiblichen Becken. Häufig genug kamen die Kleinen bereits im siebten Monat zur Welt und schafften es ohne die ausgeklügelte neonatale Medizin der Nicht-Wandler eigentlich nur deshalb, fast alle unbeschadet durchzukommen, weil Wandler robuster waren.
„Wir werden nicht wahnsinnig weit mit ihm wandern können“, sagte Wes. „Und je früher wir aufbrechen, desto besser ist es für uns alle. Unterwegs zu sein lenkt euch beide ab und ihr müsst Wichtigeres tun, als euch zu umkreisen, bis der Vulkan endgültig vor Ausbruch steht.“
„Wenn wir zu früh losziehen, ist Jamie vielleicht noch halbwegs belastbar, du hingegen noch nicht“, entgegnete Nox. „Deine Heilung können wir nicht mit Willenskraft allein erzwingen oder beschleunigen. Du brauchst mehr Zeit, mein Freund.“
„Ich weiß. Geduld wäre auch schön“, knurrte Wes. „Du gibst den Startschuss, Nox. Warte nicht zu lange. Ich muss halt sehen, wie gut ich als Wolf auf zweieinhalb Beinen humpeln kann.“ Das verwachsene Handgelenk beeinträchtigte ihn in Wolfsgestalt. Er kam besser vorwärts als in Menschengestalt und trotzdem war Laufen für ihn noch extrem mühsam.
Verflucht! Ihre ganze Situation war gerade einfach nur zum Heulen.
Statt sich in Tränen und Selbstmitleid zu ergehen, konzentrierte sich Nox lieber weiter auf Wes. Er massierte ihm die Hand, den gesamten Arm, die Schulter. Egal was er tat, er fügte ihm dabei große Schmerzen zu. Und dennoch war das besser als die Alternative – als völlige Empfindungslosigkeit, Lähmung oder Tod.
Es krachte über ihren Köpfen. Einen Moment später rieselte Baumrinde und Gras zu ihnen herunter. Schon wieder! Sie hatten alle paar Tage Löcher im Dach. Das war so unendlich lästig! Dieses Haus war leider kein brillanter Wurf gewesen und sie hatten es vorher gewusst.
„Mach allein weiter. Ich suche Braxton.“ Das notfallmäßige Flicken ging schneller, wenn man es zu zweit vornahm. Nox suchte sein Werkzeug zusammen, ging hinaus und pfiff laut und anhaltend auf vier Fingern. Es dauerte keine halbe Minute, dann kam Braxton angewetzt, wandelte sich, sah ihn erwartungsvoll an. Als er Hammer und Nägel in Nox‘ Händen bemerkte, verdrehte er die Augen.
„Schon wieder? Mittlerweile sollten wir jeden Quadratzentimeter doch mindestens dreimal notgeflickt haben, oder?“
„Offenkundig ist eine vierte Lage unumgänglich. Aber es sind ja nur noch wenige Wochen.“
Sie hatten es nicht gemeinschaftlich durchgesprochen und trotzdem war es vollkommen klar, dass sie weiterziehen mussten. Braxton nickte mit zusammengepressten Kiefern.
In diesem Moment erklang ein merkwürdiger Laut hinter ihnen. Es war Jamie, der nach wie vor Klingen geschliffen hatte. Die Axt, die er gehalten hatte, fiel unbeobachtet zu Boden, er presste beide Arme gegen den Bauch, krümmte sich keuchend. Schmerzwellen gingen von ihm aus, nicht unmäßig stark, dafür umso erschreckender. Wehen! Jamie war noch weit von jedem sicheren Geburtszeitpunkt entfernt, noch nicht einmal dem fünftem Monat nah. Wenn die Kleinen jetzt kämen, hätten sie keine Chance!
Mit einem Schritt war Nox bei ihm, hob ihn auf seine Arme, stürmte ins Haus, trug ihn zu seinem Bett hinüber, wo er ihn so behutsam ablegte, als könne er sonst eine Bombe triggern.
„Was ist passiert?“, rief Wes erschrocken.
„Eine Wehe“, antwortete Braxton grimmig. „Kein Wunder bei dem immensen Stress.“
Immenser Stress? Wieso das? Klar, die Anspannung zwischen ihm und Jamie waren belastend, genau wie die Situation mit Wes und die Aussicht, in wenigen Wochen ins Ungewisse hinausziehen zu müssen, aber …
„Ja, exakt das, was dir gerade alles durch den Kopf geht, ist immenser Stress. Für jeden von uns“, knurrte Wes, der herangehumpelt kam. Nox war damit beschäftigt, Jamies Füße hochzulagern und ihn mit mehreren Decken einhüllen. Es gab erbärmlich wenig, was sie tun konnten, um ihm wirklich zu helfen. „Eine Omega-Schwangerschaft ist schon unter normalen Umständen schwierig. Wenn man von einem großen Rudel umgeben ist, keine anstrengenden Arbeiten übernehmen muss, das Überleben aller nicht davon abhängt, dass man
selbst funktioniert und Verantwortung übernimmt, dann hat man bessere Chancen. Jamie muss hier ein schweres Paket mittragen. Jetzt kommt noch meine Verletzung dazu, die Angst, was bei der Schneeschmelze geschieht – und die unerfüllte Verliebtheit. Es ist ein Wunder, dass es solange gut gegangen ist!“
„Ich bin übrigens bei Bewusstsein, kann euch hören und jedes Wort verstehen“, murmelte Jamie. Eine neue Wehe rollte über ihn hinweg, ließ seinen Bauch krampfen. Nox hörte, wie die zarten Herzschläge der ungeborenen Mädchen rapide in die Höhe schnellten.
„Ruhig atmen“, kommandierte er, hielt Jamies Hand, streichelte ihm im langsamen Rhythmus über den Kopf, bis die Wehe verebbte. Angst strahlte von Jamie aus. Die Schmerzen konnte er ertragen. Wenn er die Kleinen jetzt zur Welt brachte, war es vorbei, das wusste er genau. Es gab nicht die geringste Chance, sie durchzubringen, sie wären nicht einmal fähig, selbstständig zu atmen.
„Okay. Situationsanalyse bringt uns nichts. Wir wissen, wo die Probleme liegen“, sagte Nox an Wes und Braxton gewandt. „Was können wir tun, um das hier zu stoppen?“
„Magnesium, Baldrian und Hopfen wären die Mittel, mit denen man es daheim versuchen würde, um für Entspannung zu sorgen, die Muskeln zu entkrampfen und damit die Wehen bestmöglich zu stoppen“, sagte Braxton. „Glaubt mir, ich weiß darüber mehr, als ich es gerne möchte. Meine Mom hat nach mir noch einige Babys verloren und auch wenn ich ja praktisch bei Wes aufgewachsen bin, ich weiß Bescheid. Leider haben wir nichts von diesen Mitteln zur Hand.“
„Hirse, Sonnenblumenkerne und Hafer enthalten viel Magnesium“, meinte Nox, doch er schüttelte selbst den Kopf, kaum, dass er es ausgesprochen hatte. Um Jamie mit ausreichend Magnesium zu versorgen, konnten sie ihn nicht mit
zwei Pfund Hafer füttern. Davon würde ihm höchstens schlecht werden.
Schon kam die nächste Wehe. Nox spürte, wie Jamies Bauch bretthart wurde. Hilflos starrte er seine Freunde an.
„Versucht es mit Kuschelsex“, sagte Braxton. „Würde ich unter anderen Umständen definitiv nicht empfehlen. Aber ein großer Stressfaktor ist diese untragbare Situation zwischen euch beiden.“
„Ich will ganz bestimmt keinen Kuschelsex!“, fauchte Jamie empört.
„Dann überlegt euch zusammen, was genau ihr wollt. Ich geh solange das Dach reparieren. Sorry, den Krach werdet ihr ausblenden müssen. Wes, du passt auf, falls ich vom Dach falle und die Turteltauben nichts mitbekommen.“
Er zog Wes mit sich und dann …
Dann waren sie allein. Seit Wochen und Monaten hatten sich unausgesprochene Dinge zwischen ihnen aufgestaut. So vieles, was dringend gesagt, besprochen, diskutiert werden müsste. Stattdessen umfing Nox zärtlich mit beiden Händen Jamies Gesicht und blickte ihn an.
„Wir Wolfwandler-Männer gehen nicht gut genug mit Frauen und Omegas um“, sagte er leise. „Diese elende Reduktion auf Gebärfähigkeit! Erhalt der Rasse, bringt möglichst viele Kinder auf die Welt, seid immerfort schwanger! Meine Mom sagte mal, wie leid ihr Braxtons Mutter tut, die gefühlt ihr gesamtes Leben in Schwangerschaft zugebracht hat. Und dass ein Frauenleben erst wieder an Würde gewinnt, wenn sie endlich die Wechseljahre erreicht hat und dieses unselige Treiben ein Ende findet. Damals war ich unglaublich schockiert, weil sie etwas so heiliges wie Schwangerschaft und Geburt, die Erschaffung neuen Lebens als unseliges Treiben beschimpft hat. Wenn ich sehe, was es dir abverlangt, der du keineswegs freiwillig in die
Sache reingeschlittert bist, dann verstehe ich besser, was sie wirklich meinte.“
„Ich will diese Kinder heil und gesund zur Welt bringen“, flüsterte Jamie. „Ich will es ertragen, was immer dazugehört. Wenn ich stillhalten muss, halte ich still. Wenn ich einen weiblichen Körper haben muss, dann bin ich eben weiblich. Wenn ich nur noch Bettruhe halten kann, dann auch das. Trotzdem sehne ich mich danach, es hinter mich zu bringen.“
„Du bist stark, Jamie. Und du bist wunderschön. Alles an dir ist wunderschön und richtig.“ Er zog ihm die Decken fort, mit langsamen, bedächtigen Bewegungen. Sollte echter Widerstand aufflammen, würde er ihn nicht bedrängen. Doch Jamie beobachtete ihn lediglich still, während zarte Erregung in ihm erwachte. Nox wusste nicht, ob er das Richtige tat. Ob Sex die Wehen nicht noch verschlimmern würden. Braxton hatte dennoch recht, der Druck, unter dem Jamie stand, seit viel zu langer Zeit, musste nachlassen.
Er zog ihn aus, ein Kleidungsstück nach dem anderen.
„Dein Körper ist ideal für deine Aufgabe gerüstet“, flüsterte er und streichelte über Jamies gewölbten Bauch. „Du wirst diese Schwangerschaftsstreifen als Narben zurückbehalten. Und das ist in Ordnung. Du führst einen Krieg, ziehst in die Schlacht. Nicht, um Königreiche zu erobern oder die Heimat mit deinem Blut zu verteidigen, sondern um neues Leben zu erschaffen. Die heilige Pflicht der Frauen, einem Mann anvertraut, weil es zu wenige Frauen gibt. Du bist wunderschön, Jamie.“ Er ließ die Hand tiefer gleiten. Jamies Penis war nicht vollständig verschwunden. Dort, wo Frauen die Klitoris hatten, war bei ihm ein etwa fingerlanger, dünner Auswuchs übriggeblieben. Nach der Rücktransformation würde sich daraus wieder ein echter, funktionaler Penis bilden.
Nox umschloss das Überbleibsel mit der Hand und rieb es sanft, wodurch es hart wurde und merklich anschwoll. Sofort wuchs
die Witterung nach Erregung, Jamie keuchte hart, starrte ihn aus großen Augen hilfesuchend an.
„Lass es zu. Genieß es“, flüsterte Nox, stimulierte ihn weiter, küsste ihn, ohne einen Moment von ihm abzulassen. Binnen weniger Sekunden bäumte Jamie sich auf, verlor sich in seinem Orgasmus. Kein Erguss kam aus dem prallen kleinen Schaft, dafür tropfte es vaginal und benässte Jamies Schenkel.
„Unglaublich schön“, flüsterte Nox begeistert und schälte sich aus seiner eigenen Kleidung. „Nein, hab keine Angst. Penetration kommt nicht infrage. Kuscheln hingegen schon.“ Nox stockte, denn nun war es Jamies Hand, die sich um seinen prallen Schaft schloss und ihn zu massieren begann.
„Auch du hast Bedürfnisse, die viel zu lange unterdrückt wurden“, flüsterte Jamie mit breitem Lächeln, während über ihren Köpfen Braxton zu hämmern begann. Es störte nicht, war kaum wahrzunehmen. Zu stark die Erregung, die sich viel zu schnell nicht mehr kontrollieren ließ. In heftigen Schüben kam Nox, ergoss sich über Jamies Bauch. Stöhnend blieb er danach für einige Momente liegen, bevor er sich hochraffte, einen Lappen holte und die Bescherung fortwusch. Es war bizarr, was sie hier taten und fühlte sich doch so gut und richtig an.
„Ach Jamie.“ Er schmiegte sich der Länge nach an, deckte sie beide zu. Er spürte, wie nach wie vor starke Kontraktionen durch Jamies Leib zogen, auch wenn sie etwas von ihrer Schmerzhaftigkeit verloren zu haben schienen. „Muss es kompliziert sein?“, fragte Nox müde. „Ich wusste eigentlich vom ersten Moment an, dass ich dich liebe. Da kämpfte ich gerade in einem halbgefrorenen See um mein Überleben und du warst gekommen, uns alle zu retten.“
„Das zählt nicht“, murmelte Jamie. „Solche Nahtod-Erfahrungen, adrenalinüberladene Dankbarkeit und all das, das zählt nicht wirklich.“
„Es ist seitdem mit jedem Tag stärker geworden. Ich liebe dich. Auch wenn du gerade aufquillst wie ein Hefekuchen im Ofen und deine Prioritäten bei anderen Dingen liegen müssen und du mit deinem Körper nicht klarkommst und wir Stress haben und unser Überleben durch nichts gesichert ist und du manchmal ganz schön grantig sein kannst: Ich liebe dich. Genau so, wie du bist.“
Tiefe Gefühle wallten in Jamie, seine Witterung verriet es überdeutlich.
„Ich war schon rettungslos verloren, als du sagtest, wie leid dir das mit dem Omega-Ritual tut, dass ihr keine Gewalt anwenden und auf mich aufpassen würdet. Da war mein Herz dann einfach weg und ich wusste, es gehört dir“, wisperte Jamie und strich zart über Nox‘ Gesicht. „Ich liebe dich. Das heißt trotzdem, dass es kompliziert ist, daran kann ich nichts ändern. Aber ich liebe dich.“
„Liebe ist nicht immer genug, um uns zu retten. Ich bete, dass sie in deinem Fall ausreichen wird. Es wäre schwer zu ertragen, wenn du unsere Kinder verlierst.“ Nox küsste und streichelte ihn und ließ ihn auch dann nicht los, als Jamie längst eingeschlafen war. Wie sehr er wünschte, dass Liebe alles wäre, was sie brauchten! Wie sehr er wünschte, es könnte einfach alles gut werden …