NEUN

Angesichts der großen Anerkennung, die Leonard für die Originalserie erhielt, angesichts aller emotionalen Konflikte, die er im Zusammenhang mit der Entwicklung seines spitzohrigen Alter Ego durchstehen musste, das so viel Raum in seiner Welt einnahm, fasste er es einmal ganz schlicht mit den Worten zusammen: »Er hat mir ein Leben gegeben.«

Die dritte Staffel war schwierig, weil die Qualität nachgelassen hatte und wir das natürlich wussten. Wir waren alle froh, als es vorbei war. Am meisten hatte sich Leonards Leben durch Star Trek verändert. Danach hatte er mehrere Optionen, und eine, die er wählte, war typisch für ihn: Er wurde Mitbesitzer von Leonard Nimoy’s Pet Pad, einer Tierhandlung in Canoga Park im San Fernando Valley, wo es eine große Auswahl an exotischen Tieren zu kaufen gab, darunter Affen, Schlangen, Krokodile sowie ungewöhnliche Hunde und Katzen. »Ich mag den Menschentyp, der in Tierhandlungen einkauft«, sagte er zu einem Reporter und fügte hinzu, dass er zu Beginn seiner Laufbahn einmal in einem solchen Geschäft gearbeitet habe. Und dann gestand er, er habe in den Laden investiert als »eine Art Therapie, um mich zu beschäftigen«.

Das war wirklich typisch Leonard. Wie bei Spock war auch sein Geist ständig auf der Suche nach der nächsten Herausforderung. Die meisten Menschen antworten auf die Frage, was es Neues gibt, auf irgendwie vorhersehbare Weise. Vielleicht ist es größer oder besser, aber meistens ist es eine Fortführung dessen, was sie schon seit einer Weile tun. Nicht so bei Leonard. Als ich ihm diese Frage stellte, ahnte ich vorher nie, was er gerade ausprobierte. Neben der Sache mit der Tierhandlung waren Sandi und er auch in ein neues Haus gezogen, und er hatte ihr für die Keramik, die sie herstellte, einen elektrischen Brennofen gekauft. Aber er interessierte sich mittlerweile auch dafür und entwarf Glasuren für ihre fertigen Werke.

Leonard und ich hatten einige Eigenschaften gemeinsam, und eine davon war unsere Neugier. Keiner von uns hörte je auf, nach dem Wie oder Warum zu fragen oder Neues zu lernen. Wenn uns etwas faszinierte, tauchten wir tief ein in die Materie, bis wir sie uns zu eigen gemacht hatten. Ich machte zum Beispiel einen privaten Pilotenschein und schwärmte vom Fliegen. Es dauerte nicht lange, da wurde auch Leonard Pilot, allerdings ein viel besserer als ich. Er wurde richtig gut darin und besaß sogar eine eigene Maschine, eine einmotorige Piper Arrow. Er flog seinen Sohn Adam häufig zum College in Santa Barbara oder holte ihn dort ab, und er widmete sich der Fliegerei genauso intensiv wie allen anderen Bereichen seines Lebens. »Er war ein sehr kompetenter Pilot«, sagte Adam. »Wie bei allem anderen auch war er ein wenig besessen davon. Beim Fliegen war er absolut fokussiert. Es hatte nichts Lässiges. Er war immer souverän und entspannt dabei, aber man durfte ihn nicht ansprechen. Er richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf das, was er tat.«

Dieser obsessive Teil seiner Persönlichkeit zeigt sich ziemlich deutlich in der Erzählung von seinem ersten Alleinflug. Er drehte damals in London einen Fernsehfilm und erinnerte sich: »Ich dachte intensiv darüber nach, was ich gerade tat, und merkte erst nach einer Weile, dass außer mir niemand im Flugzeug saß. Erst als ich den Vormwindflug beendete und mich zur Basis wandte, blickte ich mich um und sagte: ›Mein Gott, ich bin ja allein!‹« Typisch, absolut typisch.

Gelegentlich flog ich mit ihm. Eine Zeit lang besaß er ein Haus am Lake Tahoe, und wir flogen immer dorthin. Die Landung in der Gegend ist nicht einfach, weil der See von hohen Bergen umgeben ist. Statt einen normalen Landeanflug zu machen, muss man das Tal hinunterkreisen und kann dann landen. Das erfordert eine gewisse Geschicklichkeit. Bei einem dieser Flüge gerieten wir in einen Sturm, und das Flugzeug wurde von einem Blitz getroffen. Es leuchtete hell und donnerte laut. Wir waren nicht in Gefahr, Flugzeuge sind so gebaut, dass sie das aushalten. Aber es war trotzdem nervenaufreibend. Wir sagten beide kein Wort, sahen uns nur an und dachten daran, was hätte geschehen können. Captain Kirk und Mr. Spock sind in einem großen Raumschiff durchs Universum geflogen, haben zahllose Begegnungen mit den schlimmsten Existenzformen überlebt, nur um mit einem kleinen einmotorigen Flugzeug abzustürzen.

Leonard wurde außerdem präsenter für die Anliegen, die er unterstützte. Es waren die Sechzigerjahre, eine turbulente Epoche der amerikanischen Geschichte. Als Kanadier, der in den USA lebte und arbeitete, hatte ich meiner Ansicht nach nicht das Recht, mich in die amerikanische Politik einzumischen. Aber Sandi war Aktivistin, und Leonard zog mit und kämpfte an ihrer Seite für ihre gemeinsamen Überzeugungen. Die Ermordung Martin Luther Kings im Mai 1968 erschütterte sie, und Leonard organisierte Lebensmittelspenden für dessen Poor People’s Campaign und nahm mit Stars wie Jack Lemmon und Barbra Streisand an einer Benefizveranstaltung im Hollywood Bowl teil, die achtzehntausend Besucher anzog und bei der 142 000 Dollar zusammenkamen. Er moderierte außerdem zahlreiche Spendenmarathons für eine Vielzahl von Wohltätigkeitsorganisationen, darunter United Cerebral Palsy, March of Dimes und Variety Clubs. Sandi und Leonard setzten sich für die Antikriegskampagnen von Eugene McCarthy im Jahr 1968 und von George McGovern vier Jahre später ein. Im Rahmen der McGovern-Kampagne besuchte Leonard fünfunddreißig Staaten. In Alaska wurde er von einem Reporter gefragt, ob er es für angemessen halte, wenn ein TV-Star seine Bekanntheit nutze, um Wähler zu beeinflussen. Wieder kann ich seine Antwort hören, als sei es die einzig denkbare: »Nun, ich halte es für nicht weniger angemessen, als wenn Ronald Reagan, der ein paar Filme gedreht hat, sich als Gouverneur von Kalifornien zur Wahl stellt.«

Leonard warb überall für McGovern, wo Menschen ihm zuhörten, von großen Kundgebungen in Stadien bis zum Gespräch mit engagierten jungen Leuten im Studentenwohnheim. Wie immer war seine Botschaft eine des Mitgefühls. Er unterstützte Senator McGovern, sagte er vor dreihundertfünfzig Zuhörern in Toledo, Ohio, weil der versprochen habe, den Krieg in Vietnam zu beenden, und weil die Millionen Dollar, die dadurch gespart würden, »für den Bau von Wohnraum, Krankenhäusern und zur Finanzierung von Naturschutzprogrammen dienen könnten«.

Leonards leidenschaftliche Unterstützung nutzte absolut gar nichts. Nixon siegte in neunundvierzig der fünfzig Staaten in einer Erdrutschwahl. Um sich für Leonards Unterstützung zu bedanken, las McGovern einige seiner Gedichte für die Annalen des Kongresses.

Bei einer Kundgebung, die von der American Civil Liberties Union gesponsert wurde, stellte man ihm Dr. Benjamin Spock vor, den legendären Autor von Säuglings- und Kinderpflege, der wegen seines Einsatzes für die Anti-Vietnamkriegsbewegung mehrmals mit der Anschuldigung inhaftiert worden war, er behindere die Arbeit der Einberufungsbehörde. Das war die einzige Begegnung der beiden weltberühmten Spocks. Sie wurden zwar nie verwechselt, aber gelegentlich wurde der Mr. Spock aus Star Trek als Dr. Spock betitelt. Als die beiden Männer aufeinandertrafen, sagte Leonard: »Guten Tag, ich heiße Leonard Nimoy, ich spiele einen Mr. Spock im Fernsehen.«

Dr. Spock sah ihn an, lächelte und antwortete: »Ich weiß. Hat man Sie schon angeklagt?«

Leonards Engagement für Belange, an die er glaubte, ließ nie nach. Wir kannten beide den großen Publicitywert, den ein gemeinsamer Auftritt von Kirk und Spock hatte. Also nutzten wir dieses Mittel bewusst, um jene Organisationen zu unterstützen, die uns am Herzen lagen. Brauchte ich ihn auf einer meiner Wohltätigkeitsveranstaltungen, rief ich ihn an und umgekehrt. Soweit ich weiß, hat keiner von uns je eine solche Bitte abgeschlagen, es sei denn, es gab Terminschwierigkeiten. Da wir aber beide wussten, dass wir nicht anders konnten, begrenzten wir die gegenseitigen Anfragen ohnehin.

Star Trek sorgte für seinen Ruhm, aber die erste handfeste Gage verdiente Leonard mit Kobra, übernehmen Sie. Die Handlung der Serie ist hinlänglich bekannt: Um die Welt oder eine sehr wichtige Person zu retten oder einen Staatsstreich zu verhindern, muss sich das Agententeam ein unglaublich schlaues Ablenkungsmanöver ausdenken, damit jemand etwas tut, was er eigentlich nicht tun will – meistens ohne es selbst zu wissen. Paris gibt vor, an Gedächtnisschwund zu leiden, um das gestohlene Isotop zurückzuholen, das Atomwaffen für jedes Land der Welt erschwinglich machen würde. Paris spielt einen Mystiker, der seinen großen Einfluss auf eine Herzogin ausnutzen will, um auf den Thron zu gelangen. Paris verkörpert einen amerikanischen Gangster, um die Mittelmeerrepräsentanz eines Verbrechersyndikats zu unterwandern, eine Liste von dessen Opiumhändlern zu bekommen und den sterbenskranken lokalen Boss daran zu hindern, sein Reich fortbestehen zu lassen.

Leonard bekam dafür 7500 Dollar pro Woche, was 1969 eine ordentliche Gage war. Zusätzlich verdiente er erstmals etwas durch Tantiemen. Mit einer Hitserie wie Kobra, übernehmen Sie, die lange immer wieder gesendet wurde, war es, als würde man Geld bei einer Bank anlegen. Kobra, übernehmen Sie war bereits erfolgreich, als er dazustieß, und blieb es auch, nachdem er zwei Jahre später wieder aufhörte. Ich vermute, dass er diesen Job aus verschiedenen Gründen machte. Wie wir alle hatte er bekanntlich Angst, auf seine Rolle bei Star Trek festgelegt zu werden und deshalb keine anderen Engagements mehr zu bekommen. Genauso wichtig war ihm vermutlich, dass es hier bereits eine starke Besetzung gab, die nicht von ihm abhängig war. Und nicht zuletzt sprach ihn sicher an, dass er in der Rolle des Exmagiers Paris ganz unterschiedliche Charaktere spielen konnte.

In seiner ersten Folge musste er als Che-Guevara-ähnlicher Typ Baskenmütze und Bart aufsetzen und eine dicke Zigarre rauchen. Das war etwas ganz anderes als die drei Jahre im Weltraum … Spock hat meines Wissens nie Bart getragen oder Zigarre geraucht, hätte die Zigarre aber sicher »faszinierend« gefunden. Anfangs hatte Leonard Spaß an der Serie, denn nach langer Zeit konnte er mal wieder etwas freier agieren. Aber die Freude hielt nicht lange an. Nach zwei Jahren war er fast nur noch wegen der Gage dort. Im Gegensatz zu Spock, dessen Lebensgeschichte sich im Lauf der Serie nach und nach entfaltet, war Paris einfach da. Er hatte keinen Hintergrund. Es war gleichgültig, woher er kam, welche Probleme er im Leben gehabt hatte oder wie er damit umgegangen war. Für einen Charakterdarsteller wie Leonard, der seinen Beruf liebte, war das so, als müsse er einen Pappkarton spielen. Die Rolle bot keinen Raum für Entwicklung, sie besaß kein Innenleben, keinen emotionalen Kern, aus dem sich alles andere ergab. Er brauchte nichts weiter zu tun, als zur Arbeit zu erscheinen, in die Verkleidung der Woche zu schlüpfen und die bösen Buben davon zu überzeugen, dass er derjenige war, der er zu sein schien. Es waren immer wieder dieselben oberflächlichen Figuren: Einmal verkörperte er den lateinamerikanischen Diktator, dann den Greis, dann war er blind, dann ein Japaner, dann der alte, blinde, japanische Diktator. Es war nicht mehr als »ab in die Maske und dann den Text runterrattern«.

Nach zwei Staffeln beschloss er aufzuhören. Als Grund gab er an, in eine »berufliche Menopause« gekommen zu sein. Zeit für eine Veränderung …

»Es war ein toller Job. Ich wurde super behandelt, sehr gut bezahlt, und der Drehplan war entspannt. Aber ich hatte fünf Jahre ununterbrochen Fernsehen gemacht. Ich dachte, das reicht erst mal. Ich habe genug Geld verdient, um eine Weile damit auszukommen. Ich werde einige Jahre lang Tantiemen reinbekommen und könnte eigentlich auch mal in anderen Bereichen arbeiten … Wenn ich irgendwo ein Stück auftreiben kann, sollte ich das machen, um wieder ein richtiger Schauspieler zu werden.«

Ruhm verändert Menschen. Das ist so – dagegen lässt sich nichts machen. Ich habe das so oft erlebt: Ich habe erlebt, wie Menschen ihren Ruhm nutzten, um an bessere Rollen zu kommen, ich habe aber auch gesehen, wie er Karrieren zerstörte. Wer immer dieses Los zieht, sieht die Folgen vermutlich nicht voraus. Der Ruhm an sich war nicht Leonards Sache, aber er genoss die damit einhergehenden Annehmlichkeiten. Manchmal überforderte ihn die ständige Aufmerksamkeit, und er fand es lästig, dass er nie mit seiner Familie oder mit Freunden im Restaurant sitzen konnte, ohne gestört zu werden. Meistens machte er aber gute Miene zum bösen Spiel, gab Autogramme und posierte für Fotos. Allerdings nahm er sich vor Stalkern in Acht, die herausfanden, wann sein Flugzeug landete, und ihm dann vom Flughafen aus überallhin folgten.

Was Leonard wahrscheinlich davon abhielt, den Ruhm voll und ganz zu akzeptieren, war die Tatsache, dass er sich als seriösen Schauspieler betrachtete und dies für ihn einen höheren Stellenwert besaß. Er hatte den Wunsch gehegt, als Schauspieler seinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber nie damit gerechnet, ein Star zu werden. Doch als er dann ein Star war, verringerte sich seine Leidenschaft für die Schauspielerei in keiner Weise. Er sprach gern darüber, dachte darüber nach, lehrte und übte sie aus. Er genoss es, diesen ungeformten Haufen geschriebener Worte zu nehmen und in ein Stück zu verwandeln, das große Gefühle hervorrief. Ich glaube, er war immer gespannt auf das Ergebnis des kreativen Prozesses. Diesen Prozess erklärte er einmal so: »Mein Job ist es, an der magischen Illusion mitzuwirken, die zu gleichen Teilen vom Stück, den Schauspielern und dem Publikum kreiert wird. Wenn alle diese Elemente auf die richtige Weise zusammenkommen, entsteht zwischen uns und in uns die Wahrheit, und das ist eine Erfahrung, die aus meiner Sicht mit keiner anderen vergleichbar ist.«

Nirgends fühlt sich ein Schauspieler lebendiger als auf der Bühne, wo ihn die unmittelbare Reaktion des Publikums erreicht. Kinofilme oder Fernsehserien zu drehen ist ein anderer Prozess, ein Zusammenstückeln, und das häufig in keiner nachvollziehbaren Reihenfolge. Manchmal ist es sogar sinnvoll, das dramatische Ende ganz am Anfang zu filmen. Aber Theater … ist anders.

Nachdem er bei Kobra, übernehmen Sie aufgehört hatte, wurde Leonard ein fahrender Schauspieler und tourte mit verschiedenen Produktionen durchs Land. Sein Name füllte jedes Mal die Theater, und er spielte so unterschiedliche Rollen wie den Tewje in Anatevka oder den umstrittenen Geschäftsmann Goldman in The Man in the Glass Booth. Tewje, der singende Milchmann, ist wohl kaum die Rolle, die man als Erstes mit Leonard assoziiert – aber er war eine Figur, die er unbedingt spielen wollte. Die Zuschauer hatten sich daran gewöhnt, große, verwegene, laute Männer wie Zero Mostel in der Rolle des Milchmanns zu sehen, dessen Familie gezwungen wird, das Dorf ihrer Ahnen zu verlassen. Doch der Part passte gut zu Leonard. Es fiel ihm leicht, seinen familiären Hintergrund mit Tewjes Geschichte in Zusammenhang zu bringen. Diese Geschichte war sein Erbe, und er nahm es an. Die Stärke seiner Darstellung war genau dies – dass er seine eigenen Erfahrungen mit denen von Tewje verknüpfen konnte. Was seiner Singstimme vielleicht an Vollkommenheit fehlte, machte er wett durch seine Hingabe und sein Verständnis der Figur. Bei meiner Einmannshow erzähle ich einen Witz über eine Plattenfirma, die sich Golden Throat, Goldkehle, nennt. Sie nahm jeden Schauspieler auf, der singen zu können glaubte, und versammelte diese Songs auf einem Album mit dem Titel Golden Throats: The Great Celebrity Sing-Off. Außer Leonard und mir sind darauf zu hören: Andy Griffin, Jim Nabors, Mae West und Jack Webb. Mae Wests Version von »Twist and Shout« ist ein Highlight, aber die einzigen beiden Goldkehlchen mit mehr als einem Stück waren Leonard und ich. Leonard sang »If I Had a Hammer« und »Proud Mary« und ich »Lucy in the Sky with Diamonds« und »Mister Tambourine Man«. Während Leonard tatsächlich ein paar Töne halten konnte, hielt ich nur den Gitarrenkoffer.

Einmal trat Leonard mit Anatevka im Wilbur Theatre in Boston auf, und seine Eltern sahen ihn zum ersten Mal auf der Bühne. Er lachte häufig darüber, dass sie Star Trek und erst recht Spock nicht verstanden, aber froh waren, dass er Arbeit hatte. Und freundlicherweise erinnerte er seinen Vater nicht daran, dass er nie Akkordeonunterricht genommen hatte. Seine Eltern wussten, dass etwas Besonderes im Gang war: Angeblich kamen junge Leute in den Friseursalon seines Vaters und wollten denselben Haarschnitt wie Spock. Seine Eltern verstanden, dass er ein nettes jüdisches Mädchen geheiratet hatte und seinen Lebensunterhalt als Schauspieler verdiente. Aber Tewje? Mit Tewje konnten sie etwas anfangen.

Es war eine merkwürdige Kombination, zuerst Anatevka und dann Robert Shaws The Man in the Glass Booth zu spielen. Letzteres war ein sehr umstrittenes, provokatives Drama um jüdische Schuld. Oy. Das nenne ich mal ein schwieriges Thema. Es basiert lose auf dem Eichmann-Prozess und erzählt die Geschichte eines KZ-Überlebenden, der ein erfolgreicher New Yorker Geschäftsmann wird und die Israelis irgendwie dazu bringt, ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Am Ende des Prozesses schließt er sich in den Glaskasten ein, der ihn im Gerichtssaal schützen soll, und hält einen langen Monolog über die Bedeutung Hitlers für die Deutschen. Da läuft es dem Zuschauer im Theater eiskalt über den Rücken. »Volk Israel«, beginnt er. »Volk Israel. Hätte er dich auserwählt … hätte er dich auserwählt … wärst auch du ihm gefolgt, wohin er dich führte.« Als das Stück mit Donald Pleasance in der Hauptrolle am Broadway lief, warf das Publikum am Ende jeder Vorstellung Gegenstände auf die Bühne.

Leonards erster Auftritt damit fand im Old Globe Theatre in San Diego statt, kurz nach seinem letzten Drehtag bei Kobra, übernehmen Sie. Seine Gage betrug dreihundert Dollar pro Woche und deckte nicht einmal seine Ausgaben. Aber er sagte: »Es lohnte sich trotzdem, denn in diesem Fall wusste ich, was ich tat und warum.« Das Theater war jedes Mal ausverkauft, und Leonard erhielt Abend für Abend stehende Ovationen. Doch es gab einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde in San Diego, die das Stück für antisemitisch hielten. Leonard organisierte ein Seminar in einer örtlichen Synagoge, um über das Stück zu diskutieren. Ich bin mir absolut sicher, dass er dabei im siebten Himmel schwebte. Es war genau die Reaktion auf Theater und Schauspiel, weswegen er die Welt der Bühne so liebte.

Während des Treffens erhob sich unter anderem die Beschwerde, dass die Gestaltung der Hauptfigur, die als Jude in der Immobilienbranche und durch unsaubere Finanzgeschäfte reich geworden ist, auf antisemitischen Stereotypen basiere. Leonard beschrieb den Gedankenaustausch als »lebhaft«. Ich kann mir nur vorstellen, was dort los war, aber ich bin mir sicher, dass er mittendrin war und ein Feuerwerk an Ideen, Fragen und Herausforderungen entzündete.

Es ist etwas ungewöhnlich, wenn im Theater die vierte Wand durchbrochen und über das Bühnengeschehen gesprochen wird. Leonard erlebte diesen Fall ein weiteres Mal, als er bei der landesweiten Tournee der Royal Shakespeare Company in Sherlock Holmes einen ebenfalls unsterblichen Charakter verkörperte. Aus körperlicher Sicht war er wie gemacht für diese Rolle, kantig und hager, vom Typ her dunkel, dazu die intensiven Augen und die tiefe Stimme. Jahre zuvor hatte Roddenberry auch einige Sherlock-Holmes-Projekte für ihn verfolgt, aber daraus wurde nie etwas. Die Nachmittagsvorstellung im Fisher Theatre in Detroit war gut besucht von Trekkies, die den Detektiv bei der Arbeit beobachten wollten. Alan Sues spielte Holmes’ Erzfeind, den bösen Moriarty. In der etwas hektischen letzten Szene zieht Holmes zu niemandes Überraschung eine geniale Schlussfolgerung und nimmt Moriarty fest. Als dieser von der Bühne geschleift wird, um in den Bau zu wandern, dreht er sich um und brüllt Holmes zu: »Wohin auch immer Sie gehen, ich werde da sein, und wenn ich falle, fallen Sie mit mir!«

Da stand eine Frau ganz vorn auf und antwortete unter großem Gejohle: »O nein, das werden Sie nicht! Denn Sie sind ein Gauner, und Sie werden einen Fehler machen!«

Leonards Auftritt in Anatevka hatte zur Folge, dass man ihn für weitere Musical-Tourneen engagierte. Er spielte Fagin in Oliver, König Arthur in Camelot und sogar Professor Henry Higgins in My Fair Lady. Leonard und ich mussten beide anfangs immer eine Hürde überwinden, wenn wir live im Theater auftraten: Eine beträchtliche Anzahl von Zuschauern war gekommen, um Captain Kirk und Mr. Spock in Fleisch und Blut zu sehen. Demnach mussten sie ihre gesamten vorgefassten Meinungen beiseiteschieben, um uns in anderen Rollen zu akzeptieren. Am zufriedensten waren wir, wenn alle hinterher das Theater verließen und zugaben, zumindest für ein paar Minuten vergessen zu haben, dass dort oben Captain Kirk oder Mr. Spock standen. Das war jedes Mal ein großes Erfolgserlebnis für uns.

Einer, der davon überzeugt war, dass Leonard auch ohne die Ohren etwas draufhatte, war der große Filmregisseur Otto Preminger. Er hatte ihn als König Arthur gesehen und engagierte ihn für ein Broadwaystück mit dem Titel Full Circle, das er 1973 produzierte. Das war Leonards Debüt am Broadway, ein wahr gewordener Traum. Es basierte auf einem Film, dessen Koautor Erich Maria Remarque war, der Pazifist und Autor des weltbekannten Romans über den Ersten Weltkrieg, Im Westen nichts Neues. Der Film trug den Titel The Last Ten Days, und das ihm zugrunde liegende Theaterstück war von Peter Stone fürs amerikanische Theater adaptiert worden. Im Kern war es ein Antikriegsstück, also ideal für Leonard. Die weibliche Hauptrolle in dem Einakter übernahm die schwedische Schauspielerin Bibi Andersson. Leonard verkörperte einen entflohenen politischen Gefangenen, der, als Nazi getarnt, am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Russen gefangen genommen wird.

Mit dem berühmten, wichtigtuerischen Preminger zu arbeiten war keine sonderlich angenehme Erfahrung. Als Regisseur war Leonard den Schauspielern gegenüber sehr verständnisvoll – nicht so Preminger. Leonard sagte einmal, Premingers gesamte Regietechnik habe darin bestanden, den Schauspielern mit seinem starken deutschen Akzent zuzurufen: »Text! Sie müssen den Text lernen!«

Nach einer Probe ging Leonard eines Abends in eine Kneipe, um runterzukommen. Der Zauber von Spock befand sich auf dem Höhepunkt, und eine Frau begann ein Gespräch mit ihm, das bald damit endete, dass sie ihn in ihre Wohnung einlud. Doch er wollte nicht. Um ihre Gefühle nicht zu verletzen, sagte er ihr wahrheitsgemäß, er müsse zurück ins Hotel, Text lernen. In den nächsten Tagen liefen die Proben nicht gut, und Preminger schrie wieder herum. Leonard war immer vorbereitet und konnte seinen Text. Und er wehrte sich gegen Premingers Anschuldigung, indem er ihm die ganze Geschichte erzählte. Preminger dachte kurz nach und befand dann: »So, wie Sie Ihren Text können, hätten Sie sie lieber flachlegen sollen!«

Full Circle lief achtundzwanzigmal. Die Bandbreite der Stücke, in denen Leonard auftrat, deckte das ganze Spektrum des amerikanischen Theaters ab, von ernsten Dramen wie The Man in the Glass Booth und Full Circle über ausgelassene große Musicals bis hin zu leichten Komödien wie 6 Rms Riv Vu an der Seite von Sandy Dennis und sogar der herzzerreißenden Komödie Einer flog übers Kuckucksnest. Aber das Stück, das ihm am meisten bedeutete, war zweifellos das, welches er selbst verfasst hatte: Vincent, die Geschichte Vincent van Goghs, erzählt hauptsächlich anhand der Briefe, die dieser seinem geliebten Bruder Theo geschrieben hatte.

Niemand hat je behauptet, Leonard habe sich für den einfachen Weg entschieden. Nach Star Trek besserte er eine Weile sein Einkommen auf, indem er vor Studenten über die Serie sprach. Die Studenten fuhren total auf ihn ab, und die Bezahlung war gut. Doch nach nur wenigen Jahren sagte er: »Ich hatte das Gefühl, mich zu wiederholen, und suchte, wie es in meiner Natur liegt, neue Herausforderungen.« Sein Plan war, ein Einpersonenstück zu entwickeln, mit dem er auf Tournee gehen konnte. Auf diese Weise wollte er sowohl seine Neugier befriedigen als auch weiter auf der Bühne stehen. Nachdem er zu einer Besetzung wie der Mannschaft der Enterprise gehört hatte, suchte er eine Rolle, die es ihm erlaubte, allein auf der Bühne zu stehen – wodurch er sich aber auch weiterhin gut finanzieren konnte.

Nachdem er an einem College im nördlichen Bundesstaat New York gesprochen hatte, wurde er von Mitgliedern der Fakultät zum Abendessen eingeladen. Während ihrer Unterhaltung am Abend fragte er nach vergangenen Vortragsrednern. Im selben Jahr etwas früher, erfuhr er, war ein Schauspieler in einem Einpersonenstück mit dem Titel Van Gogh aufgetreten, geschrieben von Philipp Stevens. Es war die Lebensgeschichte von Vincent van Gogh, dargestellt aus der Perspektive seines Bruders Theo, der ihn sehr geliebt und emotional wie finanziell unterstützt hatte.

Die Vermutung, weshalb sich Leonard für den Stoff interessierte, liegt nahe. Wie er im Rahmen der Werbung für das Stück einem Journalisten erzählte: »Vincent kämpfte zwanzig Jahre lang darum, sich selbst zu finden. Und dann fand er seine Kunst.« Im Grunde ist es die Geschichte unbändiger künstlerischer Leidenschaft. »Ich identifiziere mich sehr stark mit Vincent«, gestand Leonard vor einem anderen Auftritt. »Genau wie er glaube ich, dass ich etwas zu geben habe, und das will ich unbedingt tun.«

Leonard kaufte Stevens die Rechte an dem Stück ab und machte sich daran, es nach und nach zu überarbeiten. Während seiner Recherche stieß er auf einen Brief, den Theo seiner gebrechlichen Mutter nach Vincents Tod schrieb und in dem er dessen Beerdigung schilderte. Vincent und Theo hatten einander im Lauf von zehn Jahren über fünfhundert Briefe geschrieben, und diese Briefe erzählten ein ganzes Leben. Sie schilderten Vincents Kampf, etwas zu erschaffen, und seine kleinen Siege in allen Einzelheiten. Leonard erkannte die Möglichkeit, durch diese Briefe den künstlerischen Schaffensprozess so zu schildern, dass jeder Mensch mit einer eigenen Passion ihn verstehen und nachvollziehen konnte. »Wenn ein Dichter deine Seele berührt«, hieß es an einer Stelle, »gibt er dir das Gefühl einer vollkommenen Verbindung mit dem Rest des Universums. Ist es dann noch so wichtig, dass er einwandfreie Tischsitten hat?«

Die Struktur ist einfach. Das Stück spielt eine Woche nach Vincents Tod. Theo hat mehrere Freunde eingeladen, vor denen er seine eigene Sicht auf seinen offenbar missverstandenen Bruder darlegen will. Das tut er, indem er aus ihren Briefen vorliest. Gegen Ende des Stücks wird der Satz zitiert, der deutlich erklärt, mit welcher Intention Leonard das Stück geschrieben hat: »Vincent, liebe deine Hure, liebe die Natur, liebe das Leben, liebe diesen Mistkerl Gauguin, aber um Himmels willen, Vincent, lerne, dich selbst zu lieben!«

Nach mehreren Probeaufführungen in Sacramento 1978 spielte Leonard das Stück zum ersten Mal am Tyrone Guthrie Theater, einem renommierten Theater in Minneapolis. Die Kritiken für Vincent waren überragend, und Leonard trat damit Hunderte Male in Städten in ganz Amerika auf. Konzipiert hatte er das Stück so, dass er überall erhältliche Requisiten benutzen konnte, um den Transport zu vereinfachen. Es entwickelte sich jedoch ein fast tausend Kilo schweres Set, das Leonard zusammenpackte und in seiner Garage in Bel Air lagerte. Das Stück wurde zu Leonards schauspielerischem Ass im Ärmel. Egal, wie erfolgreich ein Schauspieler auch sein mag, irgendwann mitten in der Nacht, tief in den Windungen seines Gehirns, fragt er sich bang, ob nicht bald alles zusammenbrechen wird. Sehr wenige Schauspieler sind immun dagegen. Manche suchen sich also etwas, ein Einpersonenstück, mit dem sie jederzeit auf Tour gehen und ein paar Dollar verdienen können – wie zum Beispiel Hal Holbrook mit Mark Twain Tonight!, James Whitmore mit Will Rogers’ USA und Tony Lo Bianco als Fiorello LaGuardia in The Little Flower.

Der französische Schauspieler Jean-Michel Richaud entdeckte Leonards Stück 2011 und wollte Theo spielen. Die beiden Schauspieler freundeten sich an, und wie Jean-Michel sich erinnert: »Immer wenn wir darüber sprachen, rutschte er auf dem Stuhl nach vorn. Er wurde ganz lebhaft, und seine Augen funkelten. Er erzählte mir, dass das Stück an ihm zerre. Viele Male wollte er es schon beiseitelegen, aber von Zeit zu Zeit hörte er die Kulissen in seiner Garage nach ihm rufen.«

Leonard fand einen schlauen Weg, um seine Nachforschungen über van Goghs Leben zu finanzieren. 1976 hatte der Produzent Alan Landsburg ihn als Autor und Sprecher für die Serie In Search Of … engagiert, in der mysteriöse Phänomene untersucht wurden. Landsburg hatte einige erfolgreiche Dokumentarfilme gedreht, darunter In Search of Ancient Astronauts und In Search of Ancient Mysteries, erzählt von Rod Serling. Nach Serlings Tod 1975 brauchte Landsburg einen Ersatz für ihn, und durch seine Beliebtheit bei Science-Fiction-Fans war Leonard wie geschaffen dafür. Beinahe hätte es jedoch nicht geklappt. Leonard hatte den Piloten für eine ähnliche Sendung mit dem Titel The Unexplained gemacht. Darin interviewte er einen jungen Mann, der behauptete, von Außerirdischen entführt worden zu sein – perfekt für Spock. Doch als die Sendung nicht eingekauft wurde, nahm Landsburg ihn sofort unter Vertrag.

Das war ein Job, wie Schauspieler ihn lieben. Nahezu die gesamte Arbeit wird von anderen erledigt, man selbst erscheint ein, zwei Tage, um die Voice-overs oder kurze Textpassagen aufzunehmen. Häufig kann man mehrere Sendungen an einem Tag drehen. Das verschafft einem ein gutes Honorar und zugleich genügend Zeit, um an den Projekten zu arbeiten, die einem wirklich am Herzen liegen. Es gab zum Beispiel eine Phase, in der Leonard in Equus am Broadway auftrat. Alle paar Wochen schickte Landsburg ein Filmteam nach New York, das an den Pausentagen des Stücks durch die Stadt raste, um passende Hintergründe für Leonards Intros und Schlussbemerkungen zu finden. Man filmte auf Friedhöfen und in alten Häusern … Die Einleitung für eine Sendung über den Glauben der amerikanischen Ureinwohner wurde im National Museum of the American Indian gedreht. Am nächsten Morgen ging Leonard dann ins Tonstudio, um die Erzählpassagen aufzunehmen.

Die interessante Sendung drehte sich um Themen, die Leonard wahrscheinlich spannend fand, wie den Yeti, Geister, Voodoo, das Turiner Grabtuch, Mumien, das Verschwinden des Bandleaders Glenn Miller oder das Leben vor der Geburt. Mit demselben Respekt wurden aber auch fragwürdigere Themen wie Killerbienen, Entführungen durch Aliens und der Horror von Amityville behandelt. Besonders fesselte Leonard alles, was unser Wissen nur ein klein wenig überstieg, wie übersinnliche Wahrnehmungen, Hypnose und ähnliche Phänomene. Während der Arbeit an Vincent konnte Leonard den Produzenten Landsburg davon überzeugen, ihn zur Recherche nach Europa zu schicken, um eine Folge für die Sendung zu schreiben: »In Search of Vincent van Gogh.«

Während seiner Nachforschungen besuchte Leonard die Orte in den Niederlanden und Frankreich, an denen van Gogh gelebt und gearbeitet hatte. Dabei grub er Krankenakten aus, die darauf hindeuten, dass der Maler keineswegs geisteskrank gewesen sei, sondern an Epilepsie gelitten habe.

Leonard war als Sprecher für In Search of … hervorragend geeignet. Schließlich kannte ich niemanden außer ihm, der sein ganzes Leben damit verbracht hatte, nach Wissen und kreativen Ausdrucksmöglichkeiten zu streben.