FÜNF
Das Verhältnis zwischen Kirk und Spock war wesentlich herzlicher als das zwischen Shatner und Nimoy, aber die beiden hatten auch die besseren Autoren. Während der ganzen ersten Staffel blieben Leonard und ich respektvoll, höflich und professionell, aber ich erinnere mich nicht, dass wir je über unser Privatleben gesprochen hätten. Es war merkwürdig: Wir hatten unglaublich viel gemeinsam, aber noch keinen Anlass gehabt, dies herauszufinden. Es lag nicht nur an mir. Plötzlich war Leonard wirklich ein Star. Sein Name stand auf der Garderobentür, und nach siebzehn Jahren unter dem Motto Wie-heißt-noch-mal-dieser-finster-aussehende-Kerl? genoss er den Erfolg sichtlich.
Gewöhnlich machten wir unser eigenes Ding und begegneten uns nur am Set. Aber was auch immer ich empfand, eines frühen Morgens spitzte es sich zu. Spocks Ohren waren eine beliebte Geschichte geworden, und unser Maskenbildner Freddy Phillips, der das zweite Paar Ohren auf eigene Kosten hatte anfertigen lassen, erhielt viel wohlverdiente Aufmerksamkeit. Als der TV Guide eine Fotoreportage darüber machen wollte, stimmte Leonard zu. Aber niemand erzählte mir davon.
Es dauerte ganze drei Stunden, Leonards Make-up aufzutragen, bei mir fünfzehn Minuten. Er war also immer schon lange vor meiner Ankunft in der Maske. Eines Morgens kam ich zur Arbeit, und als ich mich auf meinen Stuhl setzte, meinen Text noch einmal durchging, meine üblichen genialen Kommentare von mir gab und mich auf den Tag vorbereitete, bemerkte ich einen Fotografen, der Aufnahmen machte. Ich hatte keine Ahnung, wer das war oder woher er die Erlaubnis hatte, ins Allerheiligste der Schauspieler vorzudringen. Ich glaube, ich hatte das Recht, Standbilder freizugeben. Ich war nicht sonderlich begeistert davon, dass möglicherweise unbemerkt aufgenommene Fotos veröffentlicht wurden. Also fragte ich ihn, wer er war und was er dort tat. In meiner Erinnerung fragte ich ihn das auf höfliche Weise. Es mag aber eine andere Sicht der Geschichte geben. Als ich erfuhr, was Sache war, rief ich die Produzenten an, um mich zu beschweren. Kurz darauf kam jemand herunter und forderte den Fotografen zum Gehen auf. Die Situation war geklärt.
Oder auch nicht, denn es war eine wichtige Chance für Leonard. Nachdem er siebzehn Jahre lang weitgehend unbekannt geblieben war, wollte eines der beliebtesten amerikanischen Magazine eine Geschichte über ihn bringen. Leonard beschloss, dass er sich nicht weiter schminken lassen würde, bis der Fotograf zurückkäme. Als das nicht geschah, stand er auf und stellte mich in meinem Wohnwagen zur Rede.
»Hast du den Fotografen rausgeschmissen?«, fragte er.
Rausschmeißen war eine ziemlich unverblümte Formulierung, aber sie traf zu. »Ja, habe ich«, gab ich zu. »Ich wollte ihn nicht da haben.«
Jahre später erinnerte Leonard sich sehr deutlich an dieses Gespräch. Er sagte zu mir: »Roddenberry hatte seine Zustimmung gegeben. Der Studioboss hatte seine Zustimmung gegeben. Die Marketingabteilung hatte ihre Zustimmung gegeben.«
Worauf ich seiner Erinnerung nach geantwortet habe: »Tja, aber ich habe meine Zustimmung nicht gegeben.« Harte Worte – ich war wohl sehr viel eifersüchtiger, als ich zugab. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass Schauspieler generell sehr vehement werden können, wenn sie glauben, ihre Karriere verteidigen zu müssen. Das ist keine Entschuldigung, aber so war es nun mal. Und hätte ich mich Jahre später daran erinnert, dies wirklich so gesagt zu haben, hätte ich es bestimmt bedauert.
Leonard ließ sich nicht abspeisen. »Du meinst, ich muss dich um Zustimmung bitten, wenn ich Fotos von mir machen lassen will?« Ich sehe das Fragezeichen am Ende dieses Satzes, aber vermutlich war er nicht als Frage gemeint. George Takei beschrieb Leonards Zustand als »kalten Zorn«. Er zog sich in seine Garderobe zurück, auf deren Tür sein Name stand.
Mehrere Manager kamen von dort herunter, wo die Manager sitzen, und sprachen mit Leonard. Dann marschierten sie weiter in meine Garderobe. In der Zwischenzeit ging der Rest der Besetzung, alle in Kostüm und fertig geschminkt, statt an die Arbeit in die Kantine, um zu frühstücken. Als sie zurückkamen, war das Set noch immer dunkel. Die Manager liefen hin und her und wollten einen Waffenstillstand aushandeln. Die Schauspieler vertrieben sich die Zeit mit Nichtstun, bis einer vorschlug, ein frühes Mittagessen einzunehmen. Also suchten sie ein zweites Mal die Kantine auf. Angesichts des straffen Produktionsplans, den wir wegen unseres knappen Budgets einhalten mussten, stellte dies alles eine teure Krise dar. Schließlich kam Roddenberry herunter und sorgte für Frieden – wie, weiß ich nicht mehr –, und wir kehrten alle an die Arbeit zurück.
Im Rückblick auf dieses spezielle Ereignis glaube ich, dass mir der Grund für Leonards Zorn erst Jahre später klar wurde. Dabei hätte ich es schon viel früher verstehen sollen. Der Schauspieler ist die am meisten geknechtete Person im Showbusiness. Die Produzenten engagieren und feuern Leute aus wer weiß welchen Gründen. Die Autoren legen den Schauspielern Worte in den Mund. Die Regisseure sagen ihnen, wohin sie sich bewegen sollen. Die Kritiker machen allein sie für das Endprodukt verantwortlich, obwohl es unter Umständen das Ergebnis der Arbeit mit einem schlecht geschriebenen Skript und einem unbegabten Regisseur ist. Man kann sich also vorstellen, was passiert, wenn ein Schauspieler ein wenig Macht bekommt. Manche Leute in diesem Beruf lassen ihren angestauten Frust an anderen Menschen aus. So war Leonard nicht. Aber wie wir alle hatte er siebzehn Jahre damit verbracht, sich von Job zu Job zu hangeln und sich zu fragen: Was kommt als Nächstes? Wie soll ich die Miete zahlen? Wie soll ich die Ausbildung meiner Kinder finanzieren? Was mache ich, wenn ich älter werde? Werde ich so altern, dass ich Charakterrollen bekomme? Und dann fand Leonard in Star Trek ein Zuhause. Er fand einen Ort, an dem er zeigen konnte, was er draufhatte. Endlich hatte er einen Job, der ihm Aufmerksamkeit einbrachte, einen Job, der unweigerlich zu Folgejobs führen würde. Und dann stellt sich ihm dieser Shatner aus purem Egoismus in den Weg.
Kein Wunder, dass Leonard aufgebracht war. Wäre mir das alles bewusst gewesen, hätte ich mich anders verhalten. Ich weiß nicht wie, aber ich wäre viel zugewandter gewesen, verständnisvoller, hätte ihn unterstützt. Aber wer macht sich mitten in einer unangenehmen Auseinandersetzung solche Gedanken?
Es half nichts, dass Leonard zwischen den Aufnahmen für sich blieb. Er machte nicht mit beim üblichen geselligen Zusammensein am Set. Üblicherweise schlüpft man als Schauspieler in seine Rolle, sobald die Kamera läuft. Wir tragen Kostüme und Make-up und nehmen die Stimme und die passende Haltung für die Szene an. Wenn die Szene abgedreht ist, sind wir wir selbst in Kostümen, was damals hieß, wir tranken eine Tasse Kaffee, rauchten eine Zigarette, plauderten ein wenig, was man so am Wochenende unternommen hatte, wie das Footballspiel des Sohns gelaufen war, und dann ging es zurück an die Arbeit. Am Ende des Tages kehren wir in unser Leben zurück.
Aber so funktionierte es nicht für Leonard. Spock zu verkörpern verlangte eine derartige emotionale Anstrengung, dass er nicht mehr aus der Rolle herauskam, auch nachdem die Scheinwerfer ausgeschaltet waren. Während eine TV-Sendung produziert wird, gibt es sehr wenig freie Zeit. Man beendet eine Szene und geht zur nächsten über. Zwölf Stunden lang heißt es zack, zack. Zehn Seiten müssen an einem Tag geschafft werden, man steht vor der Kamera, geht wieder ab. Die nächste, los, los, super, die nächste. Entweder Leonard oder ich oder wir beide waren in fast jeder Szene zu sehen. Leonard hatte nicht die Zeit, sich in Spock zu verwandeln und wieder zurück in sich selbst, also verharrte er zwischen den Aufnahmen in der Rolle. Dies bedeutete, dass er auf Distanz zu uns Übrigen ging, die sich ein wenig entspannten. Wir saßen herum, ich unterhielt die Kollegen mit dem Witz über zwei streitende Schauspieler – »Du kannst nicht nichts machen. Das mache ich schon!« Alle lachten, weil sie genau wussten, was gemeint war, alle außer Leonard. Er saß da, starrte mich an, drehte und wendete den Witz im Kopf herum, analysierte den Humor, nahm die Sprache auseinander, verdaute den tieferen Sinn. »Ich fand es sehr schwierig, mich an- und auszuknipsen«, sagte er mir. »Wenn ich vom Set kam, mich auf einen Stuhl setzte und auf den nächsten Aufbau wartete, konnte ich Spock nicht ablegen.«
Das war nicht nur an Arbeitstagen der Fall, erklärte er. »Ich verbrachte mehr Stunden pro Woche in der Rolle als in meinem Ich, war häufiger Spock als Nimoy, zwölf Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Das ist ein Großteil der Zeit, die man bewusst erlebt.«
Das konnte ich nicht recht nachempfinden. Vielleicht lag es daran, dass sich unsere Arbeitsansätze so stark unterschieden. Auf jeden Fall war es für mich kein Problem, Kirk, T.J. Hooker, Denny Crane oder sonst irgendeinen der vielen Charaktere, die ich gespielt hatte, am Ende des Tages abzustreifen und wieder mein abenteuerliches Leben als Bill Shatner aufzunehmen.
Mit Leonard indessen geschah etwas Seltsames: Nach und nach übernahm er einige von Spocks Charakteristika. Er fand Gefallen an dessen klarer, deutlich artikulierter Sprechweise, seinen nachdenklichen Pausen, bevor er antwortete, und seiner akzeptierenden, nicht bewertenden sozialen Einstellung. »Ich fand das tröstlich«, sagte er, »und wie durch Osmose wurde es ein Teil von mir.« Jahrzehnte nach dem Ende der Serie erzählte er einem Journalisten: »Meine Persönlichkeit veränderte sich. Ich wurde rationaler. Logischer. Nachdenklicher. Weniger emotional … Das wurde mir besonders an den Wochenenden bewusst.«
Wahrscheinlich war es keine extreme Veränderung. Seit ich Leonard kenne, war er immer etwas zurückhaltend, sowohl in seinem Verhalten als auch mit seinen Gefühlen. Er war kein Mensch, der große, laute, unkontrollierte emotionale Ausbrüche hatte. Er war bedacht, ruhig und vielleicht sogar ein wenig verschlossen. Ich glaube nicht, dass Leonard Nimoy jemals von irgendwem als übermütig beschrieben wurde. Es gibt ein Foto, das auftauchte, als sein Sohn Adam einen Dokumentarfilm über ihn drehte. Es war ein Bild von Leonard mit einem engen Freund, dem Autor Don Siegel. Siegel flüstert Leonard etwas ins Ohr, Leonard wirft den Kopf zurück und lacht ausgelassen. »Ich habe meinen Vater selten so unbeschwert erlebt«, sagte Adam. »Es ist nicht einmal ein gutes Foto, aber es ist interessant, weil es diesen Moment festhält. Wir haben ihn nicht häufig so erlebt, in dieser ungetrübten, ungebremsten Freude. Er glich stark seinen Eltern, die sehr reserviert und kontrolliert waren. Sie waren nicht besonders gefühlsbetont, eher besonnen, und mein Vater war genauso.«
Das heißt nicht, dass Leonard keinen Humor besaß, aber anstatt Witze zu erzählen, machte er lieber scharfsinnige, humorvolle Bemerkungen. Technik faszinierte ihn, auch wenn er nicht viel Ahnung von hochmodernen Technologien hatte. Ganz bestimmt besaß er nicht dieselbe Expertise wie Spock, trotzdem zeigten Wissenschaftler ihm unheimlich gern ihre Arbeit. Einmal besuchte er zum Beispiel Caltech, und einige brillante junge Wissenschaftler erklärten ihm begeistert ihre Projekte. Ich vermute, Leonard hatte halbwegs eine Vorstellung davon, aber die Details blieben ihm sicher verborgen. Er erzählte gern: »Sie sahen mich an und fragten: ›Was halten Sie davon?‹«
Darauf nickte er stets nachdenklich und antwortete ruhig und sehr weise: »Sie sind auf dem richtigen Weg.«
Er mochte auch Streiche – egal, ob er sie jemandem spielte oder selbst hinters Licht geführt wurde. Schauspieler spielen gern Streiche, um sich die Langeweile zwischen den Aufnahmen zu vertreiben. Ich weiß noch, wie Dee Kelley einmal unser Opfer war. Alle liebten Dee Kelley. Er war ein warmherziger großer Mensch und ein guter Schauspieler. Eines Abends beim Dreh beging er jedoch einen Fehler und gestand mir, dass er vergesslich zu werden glaubte. Natürlich zeigte ich mich verständnisvoll und mitfühlend. Am nächsten Morgen beim Frühstück spannte ich Leonard ein. Als DeForest einen Bagel in den Toaster legte, flüsterte ich Leonard zu: »Lenk Dee ab!« Leonard begann Man of La Mancha zu singen, und Dee drehte sich zu ihm um. Ich holte den Bagel aus dem Toaster und verputzte ihn. Einen Augenblick später ging DeForest zum Toaster – und der war leer.
Hm. Er dachte eine Weile nach, schnitt einen zweiten Bagel auf und legte ihn in den Toaster. Diesmal sprach Leonard ihn an und fragte, ob ihm das Lied gefalle, und sang dann etwas aus Anatevka. Ich schaltete den Toaster aus und schob mir den Bagel in den Mund. Eine Minute später kam Dee zurück, ließ den Rost hochspringen – und atmete tief durch. Er starrte auf den Toaster und versuchte, die Fakten zu rekonstruieren. Natürlich wollte er niemandem etwas sagen, aber es sah so aus, als würde sich seine größte Angst bestätigen. Verstohlen sah er sich um und hoffte offenbar, dass niemandem seine Not auffiel. Dann blieb sein Blick an mir hängen, und er sah, wie ich an dem Bagel fast erstickte und mir ein Lachen verkniff. Kopfschüttelnd begriff er, dass er verschaukelt worden war.
Mein größter Streich aber traf Mr. Nimoy. Am Ende der ersten Staffel hatten wir uns zusammengerauft. Wir hatten uns verbündet – vor allem gegen die Produktionsfirma und das Network. Leonard und ich hatten unsere Meinungsverschiedenheiten beigelegt, und obwohl wir noch keine Freunde geworden waren, kamen wir gut miteinander aus. Die Zeit, etwas anzuzetteln, war also reif. Das Studio, in dem wir arbeiteten, lag ziemlich weit entfernt von der Kantine. Da wir nur eine halbe Stunde Mittagspause hatten, rannten alle sofort los, um so schnell wie möglich dort zu sein. Häufig bildete sich mittags eine lange Schlange, die sich nur langsam vorwärtsbewegte. Stand man am Ende, konnte es also gut sein, dass man an diesem Tag hungrig blieb.
In der Schule hatte ich der Leichtathletikmannschaft angehört und war ziemlich schnell, besonders für einen Schauspieler. Leonard war weniger sportlich, und obwohl er längere Beine hatte, lief er nicht annähernd so schnell wie ich. Vielleicht bremste ihn der Gegenwind aufgrund seiner Ohren. Jedenfalls führte das dazu, dass ich jeden Tag mein Mittagessen bekam, Leonard manchmal aber nicht. Doch da er bekanntlich sehr schlau war, überlegte er sich etwas. Eines Tages wurde das Pausenzeichen gegeben, ich schoss nach draußen und rannte los. Sekunden später raste Leonard auf einem Fahrrad an mir vorbei und ließ mich weit hinter sich. Als ich in der Kantine ankam, bekam er schon sein Essen – und warf mir einen triumphierenden Blick zu. Später sagte er, er habe »das einzig Logische getan«. Aber das war ein Sieg, den ich nicht auf sich beruhen lassen konnte.
Meiner Meinung nach hatte er mit der Anwendung mechanischer Hilfsmittel die unausgesprochenen Spielregeln verletzt. Sein Fahrrad war leicht zu finden: Er hatte mit großen Buchstaben seinen Namen daraufgeschrieben. Mit mehreren Mitgliedern des Teams, die sich ebenfalls nicht gern übertrumpfen ließen, wickelten wir ein Seil um das Rad und zogen es unter die Decke. Zwei Elektriker richteten einen Scheinwerfer darauf. In der Mittagspause eilte Leonard nach draußen – aber sein Fahrrad war verschwunden. Als er sich beschwerte, schlug ich vor: »Komm doch noch mal rein und schau in den Himmel! Sieh dir die Sterne an!« Er blickte also nach oben und sah sein Fahrrad im Schnürboden der Bühne. Alle lachten. Fast alle.
Ich wollte sichergehen, dass einem geschätzten Mitglied der Besetzung etwas so Gemeines nicht noch einmal widerfuhr. Also brachte ich ein gutes Schloss und eine Kette mit und befestigte Leonards Fahrrad am Hydranten. Als er rauskam und das sah, fragte er: »Wer war das?« Ich richtete mich auf und zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht und habe es mich auch gerade gefragt.«
Am nächsten Tag kam er mit einem Bolzenschneider zur Arbeit. Man muss wissen, ich mag Tiere. Ich reite, und ich liebe Hunde, besonders Dobermänner. Tolle Tiere, wunderbare große Tiere. Manchmal brachte ich einen meiner Dobermänner mit ins Studio und ließ ihn während der Dreharbeiten in meiner Garderobe. Als ich später rauskam und sah, dass Leonards Fahrrad unbeaufsichtigt dastand, machte ich mir Sorgen, es könne geklaut werden. Um meinem Freund Leonard zu helfen, brachte ich es also in meine Garderobe – nur aus Sicherheitsgründen, versteht sich. Als die Mittagspause begann, ging Leonard raus und sah, dass sein Fahrrad verschwunden war. Wieder wollte er wissen, was damit geschehen war. Ich legte die Hand an die Brust, berichtete ihm mit ernster Miene von meiner Besorgnis und brachte ihn zu meiner Garderobe. »Tür ist offen«, habe ich vermutlich gesagt. Vielleicht hätte ich hinzufügen sollen, dass man einen Dobermann am besten an der Zunge packt, um ihn in der Luft zu stoppen. Dann ging ich zur Kantine.
Leonard behauptete später, er habe den Vulkanischen Nackengriff angewandt, der habe aber nicht funktioniert. »Diese Hunde sind bösartiger als du«, waren seine Worte, »und dazu gehört schon einiges.« Ich gab ihm sein Fahrrad zurück und war überzeugt, meinen Standpunkt klargemacht zu haben. Offenbar nicht. Am nächsten Tag fuhr Leonard mit seinem Auto, einem großen Buick, auf das Gelände, parkte unmittelbar vor dem Studio, legte sein Fahrrad auf den Rücksitz und schloss ab.
Ich schleppte das Auto nicht persönlich ab. Aber ich war der Meinung, es sei einen Versuch wert, also sorgte ich dafür, dass es getan wurde. Ich glaube, das war der Punkt, an dem Leonard sich endlich geschlagen gab und einwilligte, nur noch zu Fuß zur Kantine zu gehen.
Welche Eigenschaften auch immer das Publikum mit Spock verband – und vermutlich auch mit Leonard –, der Charakter kam an. Kinder trugen Spock-Ohren, und Leonard erhielt haufenweise Fanpost, weit mehr als jeder andere von uns. Bewegte er sich in der Öffentlichkeit, begrüßten ihn die Leute mit erhobener Hand oder wünschten ihm »Lebe lang und in Frieden«. Ironischerweise kamen viele Briefe von Frauen, die sich Pop-Psychologen zufolge von Spocks Fremdartigkeit angezogen fühlten. In einem anderen Grad erlebte ich dasselbe. Plötzlich sprach man mich mit »Captain« oder »Kirk« an. Das war eine neue Erfahrung für mich. Ich hatte beruflichen Erfolg gehabt, in einigen beliebten Filmen mitgespielt, die Leute erkannten mich, aber nie zuvor war ich mit meiner Figur identifiziert worden. Das war seltsam, und ich fühlte mich irgendwie unwohl damit. Ich weiß nicht genau, warum, aber so war es. Ich fragte mich: Was hat das alles zu bedeuten? Es war verrückt. Also ignorierte ich es häufig oder wehrte es ab.
Wenn ich es schon als verwirrend und zweischneidig empfand, wie musste es erst Leonard ergehen? Auch andere Schauspieler waren durch bestimmte Rollen berühmt geworden: Jim Arness war Marshal Matt Dillon aus Rauchende Colts. Robert Stack wurde bekannt als Eliot Ness in Die Unbestechlichen. Edd Byrnes war als Kookie in 77 Sunset Strip ein Teenageridol. Aber keiner dieser Charaktere erreichte die historische Beliebtheit von Spock. Fans dieser Serien fanden es grandios, Jim Arness, Robert Stack oder Edd Byrnes zu begegnen – unsere Fans wollten Mr. Spock treffen.
Am merkwürdigsten war aber vielleicht die Tatsache, dass Leonards Verhältnis zu Spock mit der Zeit zwiespältig wurde. Spock brachte Leonards Karriere in Schwung. In jedem der drei Jahre, in denen die Serie lief, war Leonard für den Emmy als bester Nebendarsteller nominiert. TV Guide nannte Spock einen der fünfzig bedeutendsten Charaktere der Fernsehgeschichte. Leonard wurde bekannt und gefragt durch die Originalserie. Aber eine neue Angst ersetzte die alte (»Nie wieder bekomme ich einen Job«) durch die Vorstellung, mit Spock gleichgesetzt zu werden und diesem Zustand nicht mehr zu entkommen. Für einen Mann, der sich stolz als Charakterdarsteller bezeichnet, ist die Vorstellung beängstigend, so eng mit einer Rolle verbunden zu sein, dass er keine andere mehr spielen kann. Seine erste Autobiografie, die 1975 veröffentlicht wurde, trug den Titel I Am Not Spock. Den Titel, erklärte Leonard, wählte er aufgrund einer Begegnung am Flughafen, bei der eine Frau ihn ihrer Tochter als Spock vorstellte – wobei das Kind offenbar nicht ganz überzeugt war. Der Titel beruhte aber auch auf dem Wunsch des Verlegers, einerseits von Spocks Popularität zu profitieren und andererseits eine kleine Kontroverse hervorzurufen. Es war jedoch kein Kommentar zu Leonards Gefühlen in Bezug auf Spock, wie Leonard immer betonte. Bekäme er die Gelegenheit, irgendeinen fiktionalen Charakter zu porträtieren, würde er ohne Zögern Spock wählen. Als er Jahre später seine zweite Autobiografie schrieb, nannte er sie I Am Spock – Ich bin Spock.
Der Kreis hatte sich geschlossen.
Obwohl Star Trek beim Zielpublikum sofort unglaublich beliebt war, erreichte es nicht die Zuschauerzahlen, die sich das Network vorgestellt hatte. Leonard war immer der Meinung, dass man die Serie dort nicht richtig verstand. Man erwartete Action mit Monstern, futuristischen Waffen und großen Weltraumschlachten, aber so etwas wollte Roddenberry keinesfalls produzieren. Also bekamen wir nie die volle Unterstützung des Networks, um die Serie bekannter zu machen. Die Sendezeit war immer ein Problem. Man schob uns herum und verhinderte so, dass wir uns ein Stammpublikum aufbauten. Jede Woche erschienen wir mit der leisen Angst bei der Arbeit, die Serie könnte abgesetzt worden sein. Die erste Staffel wurde donnerstagabends um halb acht ausgestrahlt, früh genug, um unsere Zielgruppe zu erreichen – ältere Schüler, Studenten, junge Berufstätige und junge Ehepaare. Die zweite Staffel wurde etwas später gesendet, und unsere Zuschauerzahlen gingen zurück. Im dritten Jahr sollten wir ursprünglich montagabends um halb acht gesendet werden, der perfekte Slot für uns. Doch das hätte bedeutet, die Live-Comedy-Sendung Laugh-In, die Top-Einschaltquoten hatte, eine halbe Stunde nach hinten zu verschieben. Als deren Produzent George Shatter protestierte, verlegte NBC Star Trek auf Freitagabend zehn Uhr. Das war der denkbar schlechteste Sendetermin für uns, denn unsere jungen Zuschauer saßen freitagabends nicht zu Hause vor dem Fernseher. Und die Leute, die zu Hause waren, befanden sich in einem völlig anderen Universum.
Die Serie hatte einfach nie die Unterstützung des Networks. Wir arbeiteten mit einem extrem knappen Budget, was bedeutete, dass wir einen schwierigen Sechstagedrehplan einhalten mussten. Bei der dritten Staffel wurde das Budget sogar um 15 000 Dollar pro Folge gekürzt. Wenn wir es überschritten, durften wir uns in der nächsten Folge auf keinen anderen Planeten beamen, sondern mussten die gesamte Folge als »Bottle Episode« auf den existierenden Enterprise-Sets drehen. Um sicherzugehen, dass wir nicht überzogen, hörten wir jeden Tag um Punkt 18:18 Uhr auf. Selbst wenn wir mitten in einer Szene waren, brachen wir um 18:18 Uhr ab, damit die Crew alles aufräumen und um halb sieben fertig sein konnte. Die CBS-Serie Kobra, übernehmen Sie wurde nebenan gedreht und hatte einen Acht-, manchmal sogar Neuntageplan und dazu noch einen Tag, um in Inserts die schlauen kleinen Helfer zu filmen, mit denen man die wöchentliche Revolution in einem namenlosen osteuropäischen Land aufhielt. Die Zeit wurde gebraucht – es war eine visuell angelegte Serie –, während wir uns notgedrungen auf die sprachliche Interaktion konzentrierten. Star Trek beruhte auf dem Zusammenspiel der Darsteller, Kobra, übernehmen Sie mehr auf der Kameraführung. Es war erstaunlich, wie viel wir mit diesem geringen Budget hinbekamen. Unsere Spezialeffekte waren wirklich minimal. Die Türen, die sich wie von Zauberhand öffneten, wurden in Wirklichkeit manuell betätigt. Alle Soundeffekte, besonders das Zischen, mit dem die Türen aufgingen, und die gelegentlich vorkommenden Todesstrahlen wurden in der Postproduktion hinzugefügt. Ausgerechnet für eine Serie, die drei Jahrhunderte in der Zukunft spielt, griffen wir auf rudimentäre, billige Technik zurück.
Dass die Serie ankam, beruhte auf den Geschichten, die wir jede Woche erzählten – und natürlich auf den Beziehungen der Crewmitglieder. Star Trek war ein Tribut an die große Science-Fiction-Tradition, in der anhand von zukünftigen Gesellschaften etwas über die aktuelle Gesellschaft aufgedeckt wird, in der Themen behandelt werden, die aus verschiedenen Gründen in der Gegenwart tabu sind. Leonard war ein ernster Mann, er machte sich immer Gedanken über die Probleme der Menschheit. Ich glaube, in diesem Punkt waren wir uns ähnlich. Zwar hatten wir beide unseren Weg gefunden, sinnvolle Arbeit zu leisten – Leonard mit Stücken wie Deathwatch und jiddischem Theater, ich in großartigen Filmen wie Das Urteil von Nürnberg. Doch wir hatten auch viele Ballerfilme und Polizeigeschichten gedreht, die Zuckerwatte der Unterhaltungsindustrie. Wenn wir also unsere wöchentlichen Skripts bekamen, waren wir immer gespannt, welche kontroversen Themen unsere Autoren in dieser Woche angegangen waren und wie sie es geschafft hatten, damit durchzukommen. »Das ist es, was Star Trek aus meiner Sicht relevant gemacht hat«, erklärte Leonard dem Journalisten Paul Fischer 2009. »Wir haben uns über die Jahre mit einigen sehr interessanten Themen auseinandergesetzt: mit Rassenkonflikten, Wirtschaftsfragen, Umweltproblemen. Bei Star Trek konnten die Autoren sich mit Fragen beschäftigen, die sie anderswo ausklammern mussten.« In verschiedenen Folgen beschäftigten wir uns mit großen Themen wie Autoritarismus, Klassenkrieg, Imperialismus, den Rechten von Menschen und Außerirdischen und immer wieder mit dem Irrsinn des Krieges. Das Umstrittenste, was wir uns erlauben konnten, war vielleicht der erste Kuss zwischen einer Schwarzen und einem Weißen, der je im amerikanischen Fernsehen gezeigt wurde. Die entsprechende Folge wurde deshalb auf mehreren Sendern im Süden nicht gezeigt. Leonard und ich, DeForest Kelley, George Takei, Walter Koenig, Jimmy Dohan, Majel Barrett und Nichelle Nichols waren stolz auf unsere Arbeit. Und hin und wieder wurde uns bestätigt, dass sie wichtig war.
Nach der ersten Staffel bekamen sowohl Leonard als auch Nichelle Nichols jene Angebote, auf die sie während ihrer ganzen Laufbahn hingearbeitet hatten. Nichelle war im Musiktheater groß geworden und träumte davon, am Broadway aufzutreten. Sie teilte Roddenberry mit, dass sie die Serie verlassen und nach New York ziehen wolle. Er bat sie, es sich noch ein paar Tage zu überlegen. Zufälligerweise ging sie am nächsten Abend zu einer Benefizveranstaltung der NAACP (National Association for the Advancement of Coloured People). Dort stellte einer der Gastgeber ihr einen Mann vor, der behauptete, er sei ihr größter Fan. Noch so ein Trekkie, dachte sie, einer aus der wachsenden Legion von Star-Trek-Fans. Sie drehte sich um und stand Dr. Martin Luther King Jr. gegenüber. »Ich bin Ihr größter Fan«, sagte er. »Ich bin dieser Trekkie.« Nichelle beteuerte ihr Bedauern, nicht mit ihm dort draußen zu demonstrieren. »Nein, nein, nein!«, sagte er. »Nein, Sie verstehen mich nicht. Wir brauchen Sie nicht auf der Straße. Sie leisten bereits Ihren Beitrag. Sie zeigen das, wofür wir kämpfen.«
Nichelle antwortete, wie unglaublich geschmeichelt sie sich fühle, und gestand dann, sie werde die Serie verlassen, sie habe schon bei Roddenberry gekündigt. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Tun Sie das nicht! Ist Ihnen nicht klar, was dieser Mann erreicht hat? Zum ersten Mal werden wir in der ganzen Welt gesehen, wie wir gesehen werden sollten. Das ist die einzige Serie, bei der meine Frau Coretta und ich unseren kleinen Kindern erlauben, länger aufzubleiben.«
Anscheinend erzählte Whoopi Goldberg Nichelle eine ähnliche Geschichte: Mit neun habe sie die Sendung eingeschaltet, und als sie Nichelle sah, rannte sie durch die Wohnung und schrie: »Kommt schnell! Kommt schnell! Da ist eine Schwarze im Fernsehen, und sie ist kein Dienstmädchen!«
Das war vielleicht keine ganz typische Reaktion, aber viele Rückmeldungen lauteten ähnlich. Roddenberry hatte sein Ziel erreicht – und keine Figur war in diesem Zusammenhang wichtiger als Leonards Mr. Spock. Es waren diese treuen Fans – und Gene Roddenberry –, die dafür sorgten, dass wir drei Staffeln lang gesendet wurden. Während wir die zweite Staffel drehten, hörten wir Gerüchte, NBC wolle die Serie absetzen. Daraufhin organisierte Roddenberry still und heimlich eine gewaltige Briefkampagne über die Fanklubs. »Wenn Tausende von Fans einfach nur herumsitzen und das Ende von Star Trek beklagen, bekommen sie genau das, was sie verdienen«, schrieb Bjo Trimble, ein Freund von Roddenberry: »Gomer Pyle!« Die Drohung wirkte. Entweder weil die Leute unsere Serie mochten oder weil sie Angst vor dem Humor von Gomer Pyle hatten – das Network erhielt über eine Million Briefe, in denen Fans darum baten, die Serie nicht abzusetzen. Das war wahrscheinlich der größte Beweis von Fantreue, den es je beim Fernsehen gegeben hatte, und die NBC respektierte dies und nahm Abstand vom geplanten Ende von Star Trek. Das markierte den Beginn der in der Fernsehgeschichte und vielleicht in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie ungewöhnlichsten Beziehung zwischen einer Sendung und ihrem Publikum.