ELF
Leonard und ich waren durch Zufall zusammengeworfen worden, aber zu dem Zeitpunkt, als wir die Star- Trek-Filme drehten, war aus unserer kollegialen Beziehung eine enge Freundschaft geworden. Eine Weile hieß es, wir beide – und zu einem geringeren Grad der Rest der Besetzung – gegen das Studio. Danach waren wir einfach nur zwei Männer ungefähr gleichen Alters mit demselben Hintergrund, die gern Zeit miteinander verbrachten. Aber daraus wurde etwas viel Tiefergehendes, als ich mich in eine schöne junge Frau namens Nerine Kidd verliebte.
Nerine war Alkoholikerin. Und wie ich wusste, verstand niemand besser als Leonard, was das bedeutete.
Was Leonard und ich außer unserer Karriere gemeinsam hatten, waren unsere gescheiterten Ehen. In dem Punkt übertraf ich ihn allerdings: Ich hatte häufiger geheiratet als er. Er und Sandi waren zweiunddreißig Jahre verheiratet, als er etwa zur Zeit der Dreharbeiten zu Star Trek IV zu dem Schluss kam, dass ihre Ehe am Ende war. Es gibt immer Gründe dafür, dass eine Ehe nicht mehr funktioniert – die Menschen verändern sich, die Welt verändert sich. Von außen lässt sich meist schlecht sagen, was passiert ist. »Ich weiß nicht, warum ich diese Ehe so lange geführt habe«, sagte er mir einmal. »Wahrscheinlich weil es so üblich war. Damals machte man das eben so. Aber es nahm kein schönes Ende.« Später ergänzte er: »Es hatte etwas damit zu tun, Raum für mich zu beanspruchen … Ich hätte nicht Pflichten erfüllen sollen, leere Verträge, bloß um keinen Wirbel zu machen.«
Aber er begegnete einer wunderbaren neuen Frau, Susan Bay, verliebte sich in sie und heiratete sie an Neujahr 1989. Sie war zu einem günstigen Zeitpunkt aufgetaucht. Über die Jahre lernte ich sie ziemlich gut kennen. Susan war schön und tüchtig. Sie organisierte alles – die Ehe, eine Party, die Karriere. Sie war eine hervorragende Köchin, eine liebenswürdige Gastgeberin und eine großartige Partnerin für Leonard. Vielleicht am wichtigsten: Sie brachte uns zum Lachen. Die beiden waren geistig in jeder Hinsicht auf einer Ebene, teilten dieselben Leidenschaften. Susan brachte Leonard die Liebe, Treue und Unterstützung entgegen, von der jeder Mann träumt.
Es fällt Männern manchmal schwer, enge Freundschaften aufrechtzuerhalten, wenn Frauen in ihr Leben treten. Es gibt Frauen, die die Freunde ihrer Männer als Konkurrenz betrachten und sie verdrängen, aber in diesem Fall war das nicht so. Susan und ich wurden Freunde, und ich war ganz vernarrt in sie. Wir lebten nicht weit voneinander entfernt, und meine zweite Frau Marcy und ich gingen oft zum Abendessen zu den beiden. Manchmal bestellten wir etwas, manchmal kochten sie, aber wir saßen auf jeden Fall zusammen in der Küche und aßen. Das waren immer sehr schöne Abende.
Meine eigene Ehe mit Marcy hielt siebzehn Jahre, war aber eigentlich schon früher vorbei. »Das Leben führte uns auseinander«, sagte sie einem Reporter. »Es war an der Zeit, getrennte Wege zu gehen.« Danach luden Leonard und Su- san mich weiter in ihr Haus ein und freuten sich anfangs mit mir, als ich ihnen von der tollen Frau erzählte, die ich kennengelernt hatte – von Nerine. Wie viele Alkoholiker – so auch Leonard – war sie perfekt geübt darin, ihre Abhängigkeit zu verbergen. Manchmal merkte ich, dass sie zu viel trank, und machte mir Sorgen. Aber sie hatte immer eine Ausrede, und ich war nur allzu bereit, diese zu akzeptieren. Ich wusste so gut wie nichts über Alkoholismus. In verschiedenen Serien und Filmen hatte ich Betrunkene gespielt, doch keine Vorstellung von der Bedeutung einer Alkoholabhängigkeit. Absolut keine.
Eines Abends waren Nerine und ich bei einem Abendessen mit Leonard und Susan, bei dem sie »etwas launisch« war, wie Leonard es beschrieb, als er mich am nächsten Tag anrief. Das war nett ausgedrückt. Sie trank zwar zunehmend häufiger zu viel, aber ich verschloss die Augen völlig davor. Ich liebte sie. Wenn sie ein Problem hatte, würde ich es lösen. Wahre Liebe ist stärker als ein paar Drinks. Oder?
»Bill«, fuhr Leonard fort, »du weißt, dass sie Alkoholikerin ist.«
»Ja«, sagte ich, aber das stimmte nicht, jedenfalls nicht so, wie er es meinte. »Aber ich liebe sie.«
Unverblümt sagte er: »Dann steht dir eine harte Zeit bevor.«
Leonard nahm unsere Freundschaft so wichtig, dass er da war, wenn ich ihn brauchte, ohne mich zu belehren. Häufig ist es ja der Überbringer der schlechten Nachricht, der dafür haftbar gemacht wird. Ich kam mit Nerines Alkoholismus zurecht. Obwohl er sich verschlimmerte, redete ich mir ein, dass sie – wir – einen Weg finden würden, die Realität zu ändern. Leonard hatte es geschafft, und er sagte offen, wie sehr ihm die Anonymen Alkoholiker geholfen hatten. Er unterstützte uns, so gut er konnte, ohne sich einzumischen. Er setzte sich mit ihr zusammen und redete darüber, nur die beiden, zwei Alkoholiker, die über ihre Sucht sprachen. Er nahm sie mit zu den Meetings der Anonymen Alkoholiker und begleitete sie somit auf einem Weg, der ihr schwerfiel. Schließlich entschied ich gegen jede Vernunft, das Mittel, um Nerine zu heilen, sei die Heirat. Eine Ehe würde ihr die Sicherheit geben, die sie brauchte, würde ihr beweisen, dass sie geliebt wurde und den Alkohol als Stütze nicht nötig hatte.
Ja, das glaubte ich wirklich.
Leonard stand mir weiterhin bei. Auch wenn wir über die Jahre enge Freunde geworden waren, brachte uns diese schwierige Situation noch einmal näher zusammen. Wir beherrschten beide den Drahtseilakt zwischen unserem Privatleben und unserer Karriere und wussten, wie stark eins das andere beeinflussen konnte. Abgesehen von meinen Kindern war Leonard einer der wenigen, dem ich die Wahrheit anvertrauen konnte. Und er respektierte das in jeder Hinsicht. Auch wir beide sprachen miteinander, wobei er mir die Beziehung zu Nerine nie auszureden versuchte. Aber zumindest machte er mich darauf aufmerksam, worauf ich mich mit dieser Heirat einließ. Ich war ihm dankbar für die Mühe, die er auf sich nahm, nachdem er mein Vorhaben für einen schweren Fehler hielt. Ich gab jedoch nicht viel auf seine Worte. Stattdessen bat ich ihn, mein Trauzeuge zu sein. Obwohl er sicher nicht damit rechnete, dass diese Ehe funktionieren würde, willigte er ein. Nerine und ich legten einen Termin fest und planten den Beginn unseres gemeinsamen Lebens.
Kurz vor dem vereinbarten Tag wurde sie festgenommen, weil sie betrunken gefahren war – mit meiner Tochter im Auto. Wir sagten die Hochzeit ab, dann verschoben wir sie bloß, dann legten wir einen Termin sechs Monate später fest. Und wieder wurde Nerine einige Wochen vor dem Tag wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen. Als ich ihr sagte, ich könne sie nicht heiraten, solange sie trinke, antwortete sie: »Tu mir das nicht an, Bill!«
Tu mir das nicht an, Bill! Und ich nahm diese Schuld auf mich. Jahrelang fragte ich mich nach dem Grund. Darauf gibt es natürlich keine zutreffende Antwort. Wir stolperten beide durchs Leben, so gut wir eben konnten. Ich war süchtig nach ihr wie Leonard und ich früher nach den Zigaretten – und Leonard und sie nach Alkohol. Aber er war mein Freund, und als ich Nerine schließlich in Pasadena heiratete, stand er im Smoking an meiner Seite – wie immer tadellos gekleidet – als mein Trauzeuge.
Als die Ehe scheiterte, wie Leonard es zweifellos vorhergesehen hatte, war er für mich da. Nerines Konsum eskalierte. Ich versuchte alles, Entzugsklinik, Drohung, mich scheiden zu lassen, noch mehr Liebe … Aber das Monster hatte sie im Griff und ließ sie nicht los. Eines Abends kam ich nach Hause und fand ihren leblosen Körper in unserem Pool.
Wenn sich etwas Tragisches ereignet, suchen die Menschen instinktiv Unterstützung bei ihrer Familie und ihren Freunden. Und ich bekam sie. Von meinen Kindern und von den Menschen in meinem Umkreis, besonders aber von Leonard. Er nahm mich in die Arme wie ein Bruder, und wir weinten gemeinsam. Er war immer da, freundlich, liebevoll, ansprechbar. Er versuchte mir bei der Beantwortung der quälenden Fragen zu helfen: Was hätte ich anders machen können? Hätte ich dieses Ende abwenden können? Wie hätte ich sie retten können?
Leonard antwortete, dass es keine einfache Antwort darauf gebe. Sosehr ich es auch gewollt hätte, ich sei machtlos gewesen. Es gibt nur einen einzigen Menschen, der zu einem Süchtigen vordringen kann, und das ist der Süchtige selbst, das sagte er mir immer wieder. Bevor der Betroffene nicht den Wunsch verspürt, dass er sein Leben in den Griff bekommen will – wie Leonard –, können andere kaum etwas für ihn tun.
In solchen Zeiten werden keine Freundschaften geschlossen, sondern die vorhandenen auf den Prüfstand gestellt. Mehr als je zuvor baute ich auf Leonard. Wir hatten schon so viele tolle Erlebnisse zusammen gehabt, und nun durchlebten wir gemeinsam eine echte Tragödie.
Leider war es für ihn nicht das einzige Mal. Er hatte mit einer ähnlichen Sache in seiner eigenen Familie zu kämpfen, die jedoch glücklicherweise einen besseren Ausgang nahm. Wie sein Sohn Adam in seinen fesselnden Erinnerungen, My Incredibly Wonderful Miserable Life, schreibt, war er dreißig Jahre lang abhängig von Alkohol und Marihuana. Seine Sucht war so stark, dass sie seine Ehe zerstörte und darüber hinaus auch für viele Jahre die Beziehung zu seinem Vater. Man kann nicht über Leonard schreiben, ohne dies zu erwähnen.
Ich habe keine Vorstellung davon, was es bedeutet, Kind eines Schauspielers zu sein, erst recht das eines berühmten Stars. Die Schauspielerei ist sowohl von emotionaler als auch beruflicher Unsicherheit geprägt. Man befindet sich auf der nie enden wollenden Suche nach Engagements, und wenn man endlich eine Rolle hat, fürchtet man, sie nicht gut genug zu spielen. Das zehrt am Familienleben. Eine Frage, die selbst nach einem Riesenerfolg nicht verschwindet, lautet: Wie bezahle ich nächsten Monat meine Miete? Daraus wird dann höchstens: Wie bezahle ich nächstes Jahr meine Miete? Diese Unsicherheit kann sich auf viele Arten ausdrücken, aber in jedem Fall hat sie Einfluss auf die Familie. Adam erzählte einmal Folgendes: Als Leonard mit persönlichen Auftritten auf Jahrmärkten anfing, lange bevor die Conventions professionell organisiert wurden, kam er mit Briefumschlägen voller Geldscheine nach Hause. »Er liebte das«, erklärte mir Adam. »Dicke, fette Briefumschläge mit Bargeld. Das bezeichnete er immer als ›Einnahmestrom‹. Er machte ein großes Trara um diese Einnahmenströme. Sie bedeuteten ihm viel. Vor Star Trek hatte er ja verzweifelt versucht, erfolgreich zu sein und irgendwie über die Runden zu kommen.«
Auch ich habe diese Unsicherheit mein Leben lang verspürt. Der Erfolg löst sie nicht einfach in Luft auf. Sie prägt das Denken am Anfang der Laufbahn, und daran ändert sich nicht mehr viel. Der zweite Faktor, der das Familienleben beeinflusst, ist schlicht die Zeit, die man mit Arbeiten verbringen muss. Die Tage am Set sind lang, und dann kommt man nach Hause und muss für den nächsten Tag Text lernen. Da bleibt nicht viel Freizeit übrig, die man mit der Familie verbringen könnte. Man ist froh, Arbeit zu haben, und entschlossen, eine so überragende Darbietung zu geben, dass man auf jeden Fall bald wieder engagiert wird.
Hinzu kommt der Druck, der auf einem lastet, wenn man berühmt ist. Es kann großartig sein: Man erhält alle möglichen erfreulichen Vorteile und einzigartigen Gelegenheiten. Aber es gibt auch die dunkle Seite des Ruhms – worüber die Stars vielleicht allzu oft klagen, denn auch das gehört schließlich zum Geschäft. Steht man in der Öffentlichkeit, glaubt diese, man gehöre ihr. In Leonards Fall wollten die Fans häufig nicht ihn treffen, sondern Mr. Spock. Manche Trekkies hatten die Vorstellung, wir alle hätten ein herrliches Abenteuer miteinander erlebt und wollten nichts anderes, als darüber zu sprechen – manchmal über jede einzelne Episode. Oder sie wollten zeigen, wie gut sie den Vulkanischen Gruß beherrschten. Das führte dazu, dass Leonard immerzu von seiner Familie weggezogen wurde. Er konnte nicht einmal in Ruhe mit ihr im Restaurant sitzen. Das Ergebnis war, dass Adam und sein Vater einander nicht so nahestanden, wie sie es sich gewünscht hätten, meint Adam. Leonards Alkoholismus tat sein Übriges. Kinder von Berühmtheiten haben zudem mitunter große Schwierigkeiten, eine eigene Identität aufzubauen. Sie wachsen damit auf, der Sohn oder die Tochter von Soundso zu sein. Sie gewöhnen sich daran, dass Fans versuchen, über sie an ihre Mutter oder ihren Vater heranzukommen, oder dass sie über diese reden wollen. Sie wissen, dass sich alle fragen, wie viel Einfluss die Eltern auf den Erfolg ihrer Kinder hatten – auf welchem Gebiet auch immer. Statt zum Beispiel als Adam Nimoy wahrgenommen und beurteilt zu werden, entkam er nie der Tatsache, dass er Leonard Nimoys Sohn ist. Ich denke, Adam formulierte es treffend, als er folgende Situation beschrieb: »Die Menge wuchs an, bis Kinder und ihre Eltern ihn umschwärmten und ich weggeschubst wurde … Und da stand ich dann, im Schatten, und betrachtete alles von außen, aus dem Dunkel.« Für einen jungen Menschen ist es schwer, mit den widerstreitenden Gefühlen umzugehen, die ein solches Erlebnis hervorruft.
Ich hatte so viel Glück mit meinen drei Mädchen. Aus welchem Grund auch immer – ganz sicher hatte ihre Mutter daran einen Anteil – akzeptierten sie mein Leben und ließen nicht zu, dass es bei ihnen Schaden anrichtete. Bei Leonard war es anders, vielleicht weil Adam ein Mann war, ich weiß es nicht, auf jeden Fall war es anders. Adam erklärte, er und Leonard hätten über viele Jahre Schwierigkeiten mit der Kommunikation gehabt. Die beiden entstammten nicht nur unterschiedlichen Generationen, sondern hatten geradezu entgegengesetzte Kindheiten erlebt. Als Einwandererkind entwickelte Leonard bestimmte Werte. Adam erinnert sich, dass die Familie zu kämpfen hatte, als er jünger war, aber mit Spock änderte sich das. In seiner Jugend, sagt er, »war Geld einfach kein Thema für mich. Wir hatten immer genug. Ich glaube, das ärgerte meinen Vater, aber wir wuchsen eben in sehr unterschiedlichen Lebensverhältnissen auf. Er in einem Mietshaus in Boston, ich im sonnigen Kalifornien.«
Mit siebzehn begann Adam Pot zu rauchen und hörte die nächsten dreißig Jahre nicht mehr damit auf. Als Jugendlicher bezahlte er mit dem Geld, das er den berühmten Briefumschlägen entnahm, die sein Vater in einem Schuhschrank aufbewahrte. Irgendwann begann er auch zu trinken. Das Ergebnis war unvermeidlich. Seine Karriere und seine Ehe litten, und er strauchelte. Er wechselte den Beruf, vom Anwalt des Showbusiness zum erfolgreichen Fernsehregisseur. Leonard verschaffte ihm seine erste echte Chance in diesem Beruf. Als die beliebte Sechzigerjahre-Serie The Outer Limits in den Neunzigern wieder aufgenommen werden sollte, riet er Adam, sich mit den Produzenten zu treffen und ihnen mitzuteilen, er sei bereit, in einer Folge aufzutreten, die er 1962 gedreht hatte, wenn Adam Regie führen würde. Die Episode wurde etwas, und das ermöglichte es Adam, einen Agenten zu finden, der ihm regelmäßig Aufträge fürs Fernsehen vermittelte. Solche positiven Momente kamen vor, erinnerte Adam sich, aber sie waren die Ausnahme.
Die Entfremdung zwischen Adam und seinem Vater bestand über lange Zeit. Eine Weile redeten sie kaum miteinander. »Es gab bloß viele Konflikte, viel Distanz und viel gegenseitigen Groll.« Die Gespräche, die sie führten, endeten selten im Guten. Wie Adam erklärte: »Beim Streiten mit ihm hatte ich keine Chance. Hast du mal versucht, mit einer Ikone der Popkultur zu streiten? Hast du mal mit jemandem gestritten, der auf einer Convention unter Tausenden eine Riesenhysterie hervorruft, indem er einfach die Hand zum Vulkanischen Gruß hebt?«
Später schrieb er: »Manchmal nervte es mich unheimlich, wenn ich zu ihm durchdringen und ihm erklären wollte, dass ich nicht so war wie er.« Als Adams Ehe 2004 nach achtzehn Jahren endete, als er auszog und seine Kinder zurückließ, erzählte er seinem Vater nicht einmal davon. Man denke nur an die Angst und Scham, die Leonard empfand, als er seinen eigenen Eltern erzählen musste, dass die Ehe mit Adams Mutter gescheitert war. Die Zeiten ändern sich. Irgendwann im selben Jahr beschloss Adam jedoch, sein Leben in die Hand zu nehmen. Seine unterdrückte Wut hatte seine Karriere als Regisseur ruiniert. »Es war kein Spaß, mit mir am Set zu sein. Ich hatte Schwierigkeiten, meine Launen und meine innere Einstellung zu kontrollieren.« Er begann, zu Zwölf-Schritte-Meetings zu gehen.
Obwohl er dort unter anderem lernte, seinen Groll loszulassen, schaffte er es einfach nicht. Es war leichter, sich den Problemen nicht zu stellen. 2006 sprachen Leonard und Adam kaum noch miteinander. Adam rief seinen Vater am Vatertag und an dessen Geburtstag an, aber sie trafen sich nie.
Zu diesem Zeitpunkt war Leonard seit fast zehn Jahren trocken. Die (Nicht-)Beziehung zu seinem Sohn war schmerzhaft für ihn, wie sie es für jeden Vater wäre. Als ich viel später davon erfuhr, dachte ich darüber nach, wie sehr das an ihm genagt haben muss. Wir haben nie darüber gesprochen – gerade in diesem Punkt fiel Leonard zurück in seine Rolle als Spock, wie während des Drehs der Originalserie. Alles an Leonard war zurückhaltend, vom Kleidungsstil bis zu seiner ruhigen, kontrollierten Ausstrahlung. Aber ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Es war mehr ein Gefühl, ich kannte keine Einzelheiten, und ich wollte nicht aufdringlich sein.
Irgendwann unternahm Leonard jedoch einen Schritt, der in völligem Einklang mit seinem Charakter stand: Er sprach die Situation an. Er reichte seinem Sohn die Hand, indem er sich hinsetzte und ihm einen schmerzlichen sechsseitigen Brief schrieb. Adam sagte: »Der Brief listete seinen Verdruss der letzten zwanzig Jahre auf. Darin erklärte er seine Enttäuschung, seinen Ärger und seinen Zorn. Es ging gar nicht nur um mich, aber es gab einiges, woran er festhielt und wodurch er wütend auf mich war. Es war wirklich unangenehm, das schwarz auf weiß zu lesen. Er war nicht sehr einfühlsam. Um ehrlich zu sein, war manches davon jedoch berechtigt.«
Für Leonard muss es sehr schwer gewesen sein, diesen Brief zu schreiben. Zwar bezog er sich auf seinen Kummer mit Adam, aber er machte sich sicher auch Gedanken über das Verhältnis zu seinen eigenen Eltern. Und so etwas ist nie einfach, egal an welchem Punkt im Leben. Seine Eltern waren in Boston geblieben, während er sich ein Leben in Kalifornien aufbaute. Er sah sie nicht sehr oft. Und sie hatten nie so recht verstanden, weshalb er Schauspieler geworden war.
Dennoch war dieser Brief an Adam in verschiedener Hinsicht typisch für ihn. Leonard war kein Mensch, der Konfrontationen aus dem Weg ging. Er suchte sie nie, versuchte sie im Gegenteil abzuwenden, aber er behielt seinen Unmut nicht für sich. Wenn er etwas zu sagen hatte, selbst zu Menschen, die Einfluss auf seine Karriere nehmen konnten, sprach er es aus. Aber diesen Brief an seinen Sohn über ihre komplizierte Beziehung zu schreiben muss ihn größte Anstrengung gekostet haben. Adam reagierte, wie er seiner Aussage zufolge häufig auf diese Art von Herausforderung reagierte: gar nicht. Er folgte den Richtlinien der Anonymen Alkoholiker so, wie er sie verstand: »Tu nicht einfach irgendetwas, sondern setz dich hin und halt dich mit deinen Äußerungen zurück.«
Er widerstand dem Bedürfnis zu antworten, ließ seine Wut sieden, kochen und sich dann auflösen. Er wartete mehrere Monate und beschloss schließlich, dass er etwas für seine eigene Seelenruhe tun musste. Damals schrieb er an seinem Buch und wollte Klarheit. Beim neunten der zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker geht es um Wiedergutmachung. Er rief Leonard also an und willigte ein, den Brief genauestens durchzuarbeiten. Sie würden sich mit ihrer kaputten Beziehung auseinandersetzen. Es war vielleicht das erste Mal in ihrem Erwachsenenleben, dass sie beide nüchtern waren. Für einen Schauspieler, Autor oder Regisseur war dies eine bühnenreife Situation. Für einen Vater und einen Sohn war es ein emotionales Gipfeltreffen. Als sie den Brief durchgingen, schrieb Adam, entschuldigte er sich für alles, was er falsch gemacht hatte, für die vielen Male, die er seinen Vater verletzt hatte. Es machte ihm zu schaffen, dass Leonard sich seinerseits nicht entschuldigte. Als sie fertig waren, fragte Adam, ob er als Wiedergutmachung etwas für ihn tun könne. »Er musterte mich verwirrt«, erinnerte sich Adam, »und sagte, er habe alles, er sei glücklich mit seinem Leben, finanziell habe er keine Sorgen mehr seit seinen frühen Dreißigern, seine zweite Ehe habe ihm das Leben gerettet. Er wiederholte, er sei glücklich mit seinem Leben.«
Nach dieser Begegnung begann ein neues Verhältnis zwischen ihnen. Später gingen die beiden sogar gemeinsam zu Zwölf-Schritte-Versammlungen. Wie Adam sich erinnerte, brachte diese Erfahrung sie einander wieder sehr nahe. »Endlich öffnete er sich mir.« Und er nahm Leonards Bemühungen, ihn zu unterstützen, als Versuch der Wiedergutmachung wahr. Bei einem dieser AA-Meetings teilten sie sich ein gemeinsames Speaker-Meeting, das heißt, sie gingen zusammen zu einem Treffen, sprachen nacheinander zehn Minuten lang, bevor die übrigen Teilnehmer ebenfalls das Wort ergriffen. Leonard hatte beschlossen, seinen Fokus im Leben zu ändern und die Familie mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Seine Beziehung zu seinem Sohn entwickelte sich gut. So lange hatte er im Beruf die Hauptrolle und in der Familie eine Nebenrolle gespielt, und nun war die Zeit gekommen, das Verhältnis umzukehren.
Mir fiel das auf, zum Beispiel wenn wir uns unterhielten: Die Themen unserer Gespräche hatten sich geändert. Anstatt über unseren Frust mit dem Studio zu reden und das Geschäft, wie es heute läuft, sprachen wir über unsere Kinder und Enkel.
Ich glaube nicht, dass einer von uns die komplexen familiären Beziehungen komplett im Griff hatte. Die Verwicklungen von Liebe, Bedürfnissen und Sehnsüchten, Schuld und Freude, alles unter dem Druck, der in der Welt ringsum herrscht, machen es sehr schwer, die Beziehungen zu unseren Eltern und Kindern, unseren Ehemännern und Ehefrauen vollkommen zu durchschauen. Ich weiß, dass Leonard über das Verhältnis zu seinen Eltern nie glücklich war. Ich glaube, er bemühte sich sehr, sie zu verstehen. Vielleicht um sich über sich selbst klar zu werden. Im Jahr 1988 unternahm er eine sehr wichtige Reise. Die Vorstellung, seinen eigenen Wurzeln nachzugehen, sein jüdisches Erbe zu erforschen, hatte ihn immer gereizt. In den frühen Siebzigern, während er bei der Vampire-Episode von Night Gallery Regie führte, hatte Henry Kissinger das Set in Begleitung seines Sohns besucht, der unbedingt Spock treffen und eine Unterschrift von ihm haben wollte. Dabei war auch der Botschafter der Sowjetunion in den USA, der mächtige Anatoli Dobrynin. Im Gespräch erzählte Leonard dem Botschafter, seine Eltern seien aus Russland emigriert, woraufhin Dobrynin vorschlug, er solle doch einmal mit seinen Eltern Russland besuchen.
Gern beschrieb Leonard die Reaktion seiner Eltern, als er ihnen davon berichtete. Sie waren entsetzt, hielten ihn für verrückt. Beide hatten ihr Leben riskiert, um sich aus dem Land zu schleichen, und hatten nicht das geringste Verlangen nach einer Rückkehr. »Sie glaubten, sofort festgenommen und ins Gefängnis geworfen zu werden«, sagte er. Außerdem gab es nichts mehr, das einen Besuch gelohnt hätte: Ihr Dorf in der Ukraine war im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt gewesen, und viele ihrer Bekannten waren umgebracht worden. Sie winkten ab. Vergiss es, wir bleiben hier.
Aber nach dem Dreh von Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart, in dem wir die Buckelwale für die Zukunft gerettet hatten, lud der WWF Leonard zu einer Feier nach Moskau ein, nachdem die Russen ein Walfangmoratorium verabschiedet hatten. Noch war Moskau die Hauptstadt der kommunistischen UdSSR, der Sowjetunion, unseres Feindes aus dem Kalten Krieg, doch die Beziehungen tauten auf. Leonard sagte seinen Besuch zu – unter der Bedingung, dass er in das ukrainische Dorf reisen konnte, aus dem seine Eltern stammten.
Seine Eltern hatten einen einzigen Brief von entfernten Verwandten aufbewahrt, die immer noch in jener Region lebten. Das war die Verbindung zu ihrer Kindheit. Das Internationale Rote Kreuz konnte außerdem Mitglieder der Nimoy-Familie ausfindig machen, die in der Stadt Chmelnyzkyj lebten, etwa zwei Stunden Fahrt von Isjaslaw entfernt, dem Dorf seiner Eltern. Buchstäblich wenige Stunden nachdem er die Dreharbeiten zu Noch drei Männer, noch ein Baby abgeschlossen hatte, saßen er und Susan in einem Flugzeug auf dem Weg zu seinem Ursprung. Sie verbrachten mehrere Tage in Moskau, wo Star Trek IV dreimal gezeigt wurde. In dieser Zeit herrschten gewaltige Spannungen zwischen unseren Ländern, und die Russen waren berüchtigt für ihre Behauptungen, sie hätten … nun, nahezu alles erfunden. Das war eine Frage des Stolzes. Leonard war also nicht sonderlich überrascht, als man ihm, nachdem der Film vor der Gewerkschaft russischer Regisseure gezeigt worden war, sagte: »Sehr schön, aber das ist nicht eure Geschichte. Sie wurde bereits 1970 von dem großen Regisseur Boris Thomaschewski in einem wunderbaren Film mit dem Titel Die Wale der roten Flut erzählt.« Leonard lächelte höflich und fragte sich vielleicht insgeheim, ob der nächste Russe behaupten würde, Kamerad Spock erschaffen zu haben.
Schließlich reisten sie mit dem Zug durch die Ukraine nach Chmelnyzkyj, wo sie spätabends ankamen. Der Bahnsteig war vollkommen verlassen. Sie standen da und warteten. Schließlich kam ein Tourguide und brachte sie in ihr Hotel. Früh am nächsten Morgen klopfte jemand nachdrücklich an die Tür. Ein Mann im Anzug stellte sich auf Jiddisch vor: »Ich heiße Boris Nimoy. Ich bin Ihr Cousin.« Er brachte sie nach Isjaslaw, in ein kleines Bauerndorf, durch das ein Fluss verlief. Pferdewagen holperten gemächlich über das Kopfsteinpflaster. Vor einem bescheidenen Haus wartete ein Dutzend Menschen, um sie zu begrüßen. Aber anstatt ihren amerikanischen Verwandten einen warmherzigen Empfang zu bereiten, verhielten sie sich höflich, aber distanziert. Wie Leonard später erfuhr, waren sie von den Behörden informiert worden, dass eine bedeutende Persönlichkeit aus den USA sie besuchen werde. Das ergab für sie keinen Sinn, warum in aller Welt sollte eine bedeutende Persönlichkeit aus den USA den langen Weg in die Sowjetunion auf sich nehmen, um die Nimoys aus Isjaslaw zu besuchen? Sie wussten aus langjähriger Erfahrung, dass jeglicher Kontakt mit der Regierung im Normalfall Probleme mit sich brachte.
Ein bescheidenes Mittagessen wurde serviert, dazu Wodka. Sie begannen eine Unterhaltung auf Jiddisch. Nach wenigen Minuten überreichte einer der Männer Leonard einen Brief. Sofort erkannte er die Handschrift seiner Mutter. Der Umschlag enthielt mehrere Kinderfotos, und Leonard identifizierte seine inzwischen erwachsenen Cousins. Diese Bilder waren mindestens zwanzig Jahre alt. Er beschrieb sie als »Schätze aus einer anderen Welt«. Die Gastgeber gaben ihre Zurückhaltung auf, und gemeinsam erstellten sie einen Familienstammbaum. Sie erzählten Leonard Geschichten über seine Verwandten: »Dein Großvater war so-und-so, und er lernte deine Großmutter auf die-und-die Weise kennen.« Sie sprachen über die dreieinhalb Jahre andauernde deutsche Besatzung, darüber, wer lebte, wer gestorben war und wer in der russischen Armee gedient hatte. Leonard hatte ein Aufnahmegerät mitgebracht und bat die Verwandten, Botschaften an seine Eltern daraufzusprechen. Dann brachten sie ihn zum Friedhof des Ortes und zeigten ihm das Grab seines Großvaters mütterlicherseits. Auf dem Grabstein befand sich ein Foto seines Großvaters, dieselbe Aufnahme, die Leonards Mutter stolz in ihrem Familienalbum aufbewahrte. Verbindungen wurden hergestellt. Bestimmt fragte sich Leonard, was gewesen wäre, wenn seine Eltern nicht nach Amerika geflohen wären. Dies hätte seine Heimat sein können. Gerade erst hatten wir einen Film über die Rückkehr in ein früheres Zeitalter gedreht, und nun unternahm er genau das: eine Zeitreise. Ich stelle mir vor, dass die Entfernung von diesen kopfsteingepflasterten Straßen zum Leben eines Hollywoodstars ungefähr dieselbe Strecke war wie jene, die Kirk und Spock zurücklegten, um die Wale zu retten.
Als Leonard mit Susan zurückkehrte, erfuhr er kurioserweise, dass sein Vater im Krankenhaus im Sterben lag. Als sie dort ankamen, stand er unter Morphiumeinfluss und war kaum noch bei Bewusstsein. Leonard spielte eine der aufgenommenen Botschaften für ihn ab, erfuhr aber nie, ob sein Vater sie zur Kenntnis nahm, bevor er starb. Einige Wochen darauf zeigte er die Fotos, die er auf der Reise gemacht hatte, seiner Mutter. Eines war ein idyllisches Bild von einem Pferd, das aus einem Fluss trinkt. Seine Mutter sah es sich an und sagte traurig: »Oh, früher war es so schön dort. Sieh es dir an! Jetzt ist es nicht einmal mehr sauber.«
Leonard war ziemlich fasziniert von der Tatsache, dass es dort in ihrer Erinnerung schöner war, als er es durch die bezaubernde Fotografie wahrnahm.
Alle Herausforderungen, denen wir im Leben begegneten, fanden vor dem Hintergrund von Star Trek statt. Die drei Jahre, die wir damit verbracht hatten, die Originalserie zu filmen, hatten sich aus den bereits erwähnten Gründen in unser ganzes Leben hinein verlängert. Wir hatten geglaubt, eine Fernsehserie zu drehen, stattdessen hatten wir eine Legende erschaffen. Und daraus gab es kein Entkommen. Ich erinnere mich an eine Geschichte, die Leonard einmal einem Journalisten erzählte. Er hatte an einer Ampel angehalten und sein Motorola StarTAC herausgeholt, um zu telefonieren. Beim Sprechen warf er einen Blick in das Auto neben sich und bemerkte, dass die Insassen auf ihn deuteten und lachten. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, warum: Sein Handy glich unseren Kommunikatoren fast eins zu eins. Da musste er selbst lachen.
Als ich das las, lachte ich auch – denn ich glaube, dass mir das ebenfalls passiert ist. Vielleicht auch nicht. Es hätte mich aber nicht überrascht, wenn Nichelle, George und die anderen Besatzungsmitglieder dasselbe erlebt hätten. Für uns war Star Trek nie zu Ende. In irgendeiner Form war es wirklich immer präsent.