Wie Familien funktionieren, ist eine merkwürdige Sache. Manchmal kommen die Geschichten der einen der anderen unter die Augen. In diesem Falle zu Ohren. Unwissentlich. Meine Mutter wusste, dass mein Bruder, der in derselben Stadt wohnte wie ich, keine Garage mehr für sein Motorrad hatte. Eine Woche lang. Wegen seiner Vermieterin, die, wie ich später erfuhr, die Box für ihre Zwecke brauchte, nämlich um sie neu zu streichen. Und zwar genau ab Freitag, dem 18. Juni, also exakt dem Tag, an dem wir unsere Schlüssel bekamen. Und vor allem dem Tag, an dem mein Bruder eigentlich hätte in Urlaub fahren sollen. Ich frage mich, warum ich meiner Mutter erzählt habe, dass wir die Schlüssel hatten, dass wir jetzt schon die Schlüssel hatten, dass wir endlich die Schlüssel hatten. War das wirklich so dringend?
Ich frage mich, warum ich meiner Mutter erzählt habe, dass es in diesem Haus eine Garage gab. Eine Garage, die wir zu einem Wohnzimmer umbauen wollten. Und einen Hof, in dem wir Platz finden würden, um eine Garage zu bauen.
Was bringt eine Tochter dazu, ihrer Mutter etwas auf der Stelle mitzuteilen? Umso mehr, als wir üblicherweise selten telefonierten, vielleicht einmal alle zwei Wochen, und dass das Mobiltelefon noch nicht erfunden war (ich weiß, es gab zwar bereits welche, aber wir hatten uns noch keins gekauft; der einzige Mensch in meiner näheren Umgebung, der schon eins hatte, war Clarisse, die in einer Beziehung zu einem verheirateten Mann lebte, und den riesigen Apparat ganz selbstverständlich aus ihrer Handtasche zog und dann, wenn sie bei uns war, hin und herging, um eine Stelle zu finden, an der sie Empfang hatte), weswegen wir keine SMS schicken konnten, womit wir heutzutage jeden Ort kommunizieren, an dem wir uns gerade befinden, und jede Stimmungslage.
Es hätte auch passieren können, dass ich meine Mutter anrufe, um ihr zu sagen, wir hätten die Schlüssel, und auf den Anrufbeantworter treffe, auf dem ich selbstverständlich keine Nachricht hinterlassen hätte. Was dann alles, was danach passiert ist, vermieden hätte. Meine Mutter anrufen, also meine Eltern anrufen, das ist ein Lapsus, der Bände spricht. Aber da mein Vater schwerhörig war, und vermutlich auch noch aus anderen Gründen, hatte er die Gewohnheit angenommen, das Telefon nicht abzuheben. Meine Eltern waren selten außer Haus, vor allem abends nicht, sie gingen nicht aus. Das Risiko, auf den Anrufbeantworter zu treffen, war also nicht groß. Gleich null besser gesagt. Was zugleich beruhigend und erschreckend ist. Umgekehrt hatte meine Mutter immer große Schwierigkeiten, mich zu erreichen, weswegen sie dann auch immer fragte: Wo strawanzt du wieder herum? Mit diesem Verb, das in ihrer Familie in der Auvergne benutzt wird und voller Andeutungen steckt, in diesem Falle bezogen auf meine Art, nicht stillsitzen zu können.
Offenbar kann es nichts Interessanteres zu erzählen gegeben haben, damit die Tochter ihrer Mutter diese Geschichte mit den frühzeitig überreichten Schlüsseln mitteilt, also zu dem Zeitpunkt eine gute Nachricht. Mama, ich hab die Schlüssel! vertraut die Tochter ihr ganz aufgeregt an. So wie sie hätte sagen können: Mama, guck, wie schön ich Pipi ins Töpfchen gemacht habe. Mama, ich hab die Schlüssel, ich kann auch ein Haus kaufen. Ich habe alles, was man mir beigebracht hat, ganz richtig umgesetzt, nur weil ich die Sex Pistols höre, heißt das nicht, dass ich nicht alles genauso machen könnte wie meine Eltern.
Wie alt muss man werden, um von der Meinung seiner Mutter unabhängig zu sein?
War es, um die Vorzugsbehandlung zu unterstreichen, die der Notar uns angedeihen ließ, indem er uns behandelte wie Freunde? Wollte ich mich gegenüber meiner Mutter aufwerten, indem ich beiläufig erwähnte, der Notar sei ein Freund? Ohne das damals im Geiste so zu formulieren – dafür war es noch zu früh – hatte ich das begonnen, was man den Aufstieg in eine höhere soziale Klasse nennt, ohne mir die Neurose zu ersparen, die immer mit so etwas einhergeht, und natürlich auch ohne sie den anderen zu ersparen. Der Notar war der Freund eines Freundes, wie ich im letzten Kapitel schon sagte, wir kannten ihn erst seit kurzem. Und im Gespräch funktioniert es nun einmal so, dass die Freunde von Freunden, ja auch vage Bekannte, zu Freunden werden, der Einfachheit halber. So ist es eben. Man benutzt gerne Kürzel. Man kann sein Leben nicht damit verbringen, immer und ewig ins Detail zu gehen.
So weit so gut, aber was bringt dann die Mutter dazu, diese Information im Gedächtnis zu behalten und auf der Stelle an ihren Sohn weiterzugeben? Brigitte hat die Schlüssel zu einem Haus mit Garage. David hat gerade keine. Ich leite weiter, ich organisiere das, ich knüpfe die Verbindung zwischen meinem Sohn und meiner Tochter, ich mache mich nützlich, ist doch wunderbar. Vielen Dank, Mama. Es ist normal, ich hätte das Gleiche gemacht, das ist der familiäre Diensteifer, der einen zum Schuldner des andern macht. Kommunizierende Röhren. Das ist die Definition einer Familie. Mutter sein, das bedeutet, Gleichgewicht schaffen, darauf achten, dass Brigitte nicht mehr Kartoffelbrei abbekommt als David. Das heißt, dafür zu sorgen, dass Brigitte, die Ältere, David ihre Sachen borgt. Du borgst deine Legosteine, du lässt sie von deinem Netzwerk profitieren, du borgst deine Garage. Und alle sind glücklich. Und dankbar. Das ist Solidarität, keine Übergriffigkeit. Es gibt keine Grenzen und kein Eigentum. Man gibt für die Gruppe, oder manchmal für den Clan.
Die Botschaft war also angekommen.