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Warum Tadao Baba, der japanische Ingenieur, der die Geschicke der Firma Honda revolutioniert hat, ein Attentat auf mein Leben begeht

Wie hätte ich mir vorstellen sollen, dass es gerade Japan sein würde, ein Land, in das ich nie einen Fuß gesetzt habe und das fast zehntausend Kilometer von meinem Lebensmittelpunkt entfernt liegt, das über meine weitere Existenz entscheiden oder besser gesagt sie zerstören würde, und zwar mittels eines Herstellers, der zu den prestigeträchtigsten der Welt gehört, und durch die Person des Ingenieurs, der verantwortlich zeichnete für die Konstruktion der legendären Honda 900 CBR Fireblade (Feuerklinge): Tadao Baba.

Es ist ein Land, das zahlreiche meiner französischen Freunde verehren. Manche von ihnen leben sogar im japanischen Stil und sitzen nur an niedrigen Tischen, benutzen lieber Stäbchen als Messer und Gabel, und lassen sich manchmal auf die Lehren des Shintoismus ein oder auf japanische Ehefrauen, die zugegebenermaßen eine verwirrende Raffinesse besitzen.

Es ist ein Land, dessen Literatur ich teilweise gelesen habe, dessen jüngere Geschichte ich kenne, und daher kann ich auch verstehen, warum Philippe Forest in Sarinagara (was auf Japanisch »jedoch« bedeutet) ein mächtiges Widerspiel in Szene setzt zwischen der intimen Trauer, über die er schreibt, und der kollektiven Trauer einer Nation, von der ein Teil durch die Atombombe ausgelöscht wurde.

Es ist ein Land, das einem Respekt abverlangt, dessen Ehrenkodex eine Lektion für die ganze Welt ist, allerdings auch etwas, wovor man sich gruseln kann, ein Land, dessen technologische Revolution uns sprachlos gemacht hat. Die Musikbegeisterten und die Motorradfahrer können ein Lied davon singen, jene, die Honda, Yamaha, Kawasaki, Suzuki, Sony, Casio und Hitachi gekauft haben und diese Marken bewundern, die ihnen Klang, Geschwindigkeit, Präzision und den großen Nervenkitzel geschenkt haben. Jedermann weiß, wie sehr der Synthesizer Yamaha DX7 die Popmusik der achtziger Jahre revolutioniert hat. All around the world. Claude war natürlich keine Ausnahme von der Regel gewesen, als er sich sein erstes Keyboard kaufte. Sequential Circuit, die ich auf den ersten Seiten dieses Buches erwähnt habe, war eine US-amerikanische Firma, die dann von Yamaha aufgekauft wurde.

Tadao Baba, den japanischen Ingenieur, der die Entwicklung dieses beeindruckenden Motorrads leitete, hätte ich gerne einmal kennengelernt. Ich habe mit allen Mitteln versucht, an ein Bild seines Gesichts zu kommen, und habe ein Porträt entdeckt, das ihn lächelnd und charmant zeigt, eine Zigarette der Hand und mit etwas gelblichen Zähnen. Gut konservierter Sechziger. Ich habe sogar T-Shirts mit seinem Konterfei entdeckt, gutaussehend, salz-und pfefferfarbene Tolle (Foto von Roland Brown), mit einer Unterschrift in Großbuchstaben: BABA, 50 % Baumwolle, 50 % Polyestermischung. Sonderangebot zu 14,91 Euro auf der Website Pixel Shopping. Beim Durchgehen dieser Seite habe ich das gleiche Foto von Tadao Baba, Honda Fireblade Designer , auch noch auf einer ganzen Reihe von Merchandising-Produkten gefunden, Kaffeepötte, Badetücher, Tote Bags, Spiralblocks, Duschvorhänge, Bettbezüge, Yogamatten, iPhone-Hüllen und Ansichtskarten. Woraus ich entnehme, dass Baba ein Star ist. Ich bin sprachlos. Duschvorhänge mit seinem Gesicht drauf, alles was recht ist.

Honda hatte ihn beauftragt, die 900 CBR Fireblade für den Motorsport zu entwickeln. Die Idee war gewesen, eine Reihen-Vierzylinder-Maschine zu bauen, die der legendären Honda RVF 750 bei Langstreckenrennen nachfolgen und an den acht Stunden von Suzuka teilnehmen könnte, dem legendären Rennen in der Nähe von Kyoto. Ich musste nachschauen, was »Reihen-Vierzylinder« bedeutet, auch wenn ich schon davon ausging, dass es sich um in einer Reihe liegende Zylinder handeln müsse (doch, doch), was ich hiermit auch bestätigen kann. Bei der Gelegenheit kam mir wieder die Geschichte mit den verstopften Vergasern in den Sinn, der Titel des letzten Buches, das Claude las, und ich fand bestätigt, dass genau diese Honda 900 auch mit einem Vergaser bestückt war und nicht etwa eine elektronische Einspritzung hatte, wie das heutzutage bei quasi jedem Motor der Fall ist.

Tut mir leid, dass ich so in die Details gehe. Man hat Tadao Baba beauftragt, »ein Motorrad zu entwickeln, dessen Bremsfähigkeiten und Handling noch nie so dagewesen sind, eine Konstruktion, die in ihren Reaktionen ebenso intuitiv ist wie eine Rennmaschine, zugleich aber alle Anforderungen erfüllt, die an eine Großserie gestellt werden.« Ich übernehme absichtlich die Worte, wie sie in der Markengeschichte der Firma Honda benutzt und von den höchsten Stellen der Kommunikationsabteilung abgesegnet wurden, damit Sie sich selbst ein Bild von der Subtilität und Eleganz der Sprache machen können. Und das heißt, ein wenig trivialer ausgedrückt, eine Rennmaschine zu bauen, die aussieht wie ein Straßenmotorrad. Das nennt man Augenwischerei. Das nennt man geniales Marketing, so wie man es benutzen muss, wenn man im globalen Wettbewerb ganz oben bleiben will.

Es heißt, Tadao Baba sei kein x-beliebiger Ingenieur gewesen. 1962 achtzehnjährig bei Honda eingetreten (damals existierte die Marke erst zehn Jahre), ging er nicht den klassischen Berufsweg. Er lernte seinen Beruf von der Pike auf, was zweifellos die beste Schule ist, und hat zunächst die Zylinderköpfe und Kurbelwellen der kleinen Modelle CB 72 und CB 77 konstruiert. Bis er dann schließlich die innovativsten Techniken entwickelte. Es heißt, er habe seine Modelle selbst ausprobiert, sei ein »ungestümer Mann« gewesen und sei bei seinen Probefahrten auf den CBRs ab und zu gestürzt. Offenbar warfen die ihn ab wie ein Pferd seinen Reiter beim Rodeo. Er hatte sich wirklich eine Legende aufgebaut. Mir läuft es kalt den Rücken runter. Nur machte Tadao seine Probefahrten auf abgesperrten Pisten, die genau dazu dienten. Und nicht etwa, wie es am Dienstag, dem 22. Juni 1999 bei Claude der Fall war, auf einem sehr belebten Boulevard im Stadtzentrum.

Tadao Baba war auch ein Dichter. Auf eine so inspirierte wie subtile Weise. Luftig und rätselhaft, eben typisch japanisch. Er hatte auf die linke Innenseite der Verkleidung des Modells 900 CBR (und zwar exklusiv bei dem Jahrgang 1998, auf dem Claude fuhr) eingravieren lassen: For the people who want to know the meaning of light weight.

Was man übersetzen kann mit: »Für diejenigen, die wissen wollen, was Leichtigkeit bedeutet.«

Leichtigkeit in all ihren Bedeutungsformen.

So wie man sehr diskret Initialen auf die Innenseite eines Traurings eingravieren lässt.