Am Montagmorgen war Finola besonders früh im Studio. Sie hatte eine Besprechung für die kommenden Shows und brauchte Zeit, zurück in ihren Alltag zu finden. In ihrer Urlaubswoche hatte der Sender Wiederholungen gezeigt; jetzt würden sie wieder live senden.
Während des Wochenendes hatte sie sich bereit gemacht, Normalität vorzutäuschen. Sie hatte sich künstlich gebräunt und war bei einer Kosmetikerin gewesen. Es gab kein Trostessen mehr, und am Samstag hatte sie sich mit Wasser und Gemüsesaft entgiftet. Am Sonntag war sie auf eine Proteindiät umgestiegen, bei der sie bleiben würde, bis sie wieder beinahe furchterregend dünn war. Vorher wäre sie mit ihrem Aussehen nicht zufrieden. Es war schlimm genug, dass sie ein Dutzend Jahre älter war als Treasure – sie wollte nicht auch noch die altbackene Ehefrau sein.
Sie parkte auf ihrem üblichen Platz, begrüßte den Wachmann und machte sich auf den Weg ins Studio. Sie trug ihre Lieblingsjeans, ein lässiges T-Shirt und eine Sonnenbrille; ihr Haar hatte sie nach hinten gebunden. So war sie immer gekleidet, wenn sie ihren Tag begann. In ihrer großen Garderobe waren lauter »Fernsehsachen« – jede Menge Kleider und Einzelteile, die sie unterschiedlich kombinierte, je nach Staffel. Ihr Vertrag sah ein großzügiges Kleidungsbudget vor, wofür Finola dankbar war. Außerhalb des Studios zog sie nie ihre Fernsehkleidung an, und wenn eine Staffel vorbei war und neue Kleidung gekauft wurde, durfte sich ihre Assistentin ein Outfit für sich aussuchen. Der Rest der kaum getragenen Sachen wurde an Dress for Success und an ein örtliches Obdachlosenheim für Frauen gespendet.
»Willkommen, Finola«, rief jemand von der Crew. »Du siehst klasse aus. Hawaii bekommt dir.«
Sie winkte lächelnd, ging jedoch weiter, denn sie wollte mit niemandem über ihre Reise reden. Heute war Arbeit angesagt, sonst nichts. Sie war gewillt zu lügen, aber sie wollte sich nicht durch einen Wust erfundener Lügen schwitzen. Nicht, da die Wahrheit irgendwann sowieso ans Licht kam.
In ihrer Garderobe wartete Rochelle schon auf sie. Rochelle sah unfassbar jung und elegant aus und bügelte das Kleid, das sie für heute ausgesucht hatte.
»Guten Morgen«, begrüßte ihre Assistentin sie. »Wie war dein Urlaub?«
»Es war viel los. Wie war dein Besuch zu Hause?«
Rochelle war nach North Carolina geflogen, um ihre Familie zu besuchen. Wie Finola war auch sie eine von drei Schwestern. Ihr Vater war Pfarrer, ihre Mutter Buchhalterin. Rochelle war die erste Tochter in drei Generationen, die nicht auf die Howard University, sondern auf die UCLA gegangen war. Ihre konservativen Eltern waren unglücklich darüber, dass Rochelle in Los Angeles geblieben war, anstatt nach Hause zurückzukehren, sich einen guten Job zu suchen und zu heiraten.
Finola hatte die beiden einmal kurz kennengelernt, nachdem sie Rochelle eingestellt hatte. Sie hatte sich nach Kräften bemüht, deren Bedenken zu entkräften, was die Sicherheit ihrer Tochter in der amoralischen Wildnis der Unterhaltungsindustrie betraf.
Rochelle seufzte. »Ich habe dort mit keinem mehr etwas gemein. Meine Schwestern sind beide schwanger – mal wieder. Meine Mutter hat mir täglich Vorträge über mein Verhältnis zu Gott gehalten, und mein Vater guckt die ganze Zeit enttäuscht.«
»Das klingt furchtbar.«
»Eigentlich war es wie immer. Eltern können so sein. Ich weiß, dass sie mich lieben und mich nur nicht verstehen. Aber ich tue, was ich tun muss.« Sie grinste. »Wenn ich meinen ersten Emmy gewinne, werden sie sich für mich freuen.«
Finola lachte. »Vergiss ja nicht, mich in deiner Dankesrede zu erwähnen.«
»Du wirst gleich als Erste genannt.«
»Ich nehme dich beim Wort.« Finola genoss den Moment Normalität noch ein paar Sekunden, dann schloss sie die Tür. »Wir müssen reden.«
Rochelle schaltete sofort das Bügeleisen aus. »Erzähl.«
Finola wies zum Sofa und nahm sich einen Stuhl. Und los geht’s, dachte sie traurig. Das Erzählen begann. Es würde Lügen und Verschleierungsversuche geben, zumindest so lange, wie sie konnte. In dieser Branche würde sie deswegen nicht kritisiert, sollte die Wahrheit ans Licht kommen. Jeder, mit dem sie zusammenarbeitete, würde es verstehen. Die weiter oben in der Nahrungskette wären nicht amüsiert, aber sie konnte ihnen unmöglich sagen, was geschehen war. Letztendlich würde ihr die Geschichte um die Ohren fliegen, und wenn es so weit war, würde sie damit umgehen können.
Bei Rochelle war es etwas anderes. Finola brauchte jemanden auf ihrer Seite, der auf sie aufpasste und notfalls einschritt.
»Ich war nicht auf Hawaii«, sagte sie so ruhig, wie sie konnte. »Nigel hat eine Affäre und ist ausgezogen.«
Rochelle riss die Augen weit auf. »Nein. Nein! Aber … er war doch erst am Freitag hier. Ich habe ihn gesehen. Ihr wolltet in den Urlaub fahren.« Sie senkte die Stimme. »Du wolltest schwanger werden.«
Finola ignoriere die Demütigung, die sie durchfuhr. »Planänderung«, murmelte sie. »Bei allem. Und was seinen Besuch angeht, da hat er es mir gesagt.«
»Ich glaub es nicht. Deshalb warst du so anders.« Sie wollte aufstehen, sank aber gleich zurück auf die Couch. »Heißt das, dein Mann ist hier keine dreißig Minuten vor deiner Live-Sendung aufgeschlagen, um dir seine Affäre zu gestehen?«
Finola nickte. Ihrer Assistentin war die Empörung deutlich anzuhören, das tat gut.
»Das ist noch nicht alles«, sagte sie. Den Rest musste sie schnell hinter sich bringen. »Und es wird noch schlimmer.«
Sie berichtete, dass die fragliche andere die derzeit beliebteste Country-Popsängerin war, und wie Treasure sie unmittelbar vor dem Interview damit konfrontiert hatte.
Rochelle presste eine Hand an ihre Brust. »Das tut mir so leid, Finola. Ich fasse nicht, wie sagenhaft du bist. Du warst so professionell! Ich hätte der Schlampe ein paar geknallt und sie hinterher angezündet. Du musstest sie interviewen! Und die ganze Zeit hast du gewusst, was Nigel dir angetan hat.« Nun stand Rochelle doch auf und nahm sie in die Arme. »Es tut mir leid. Ich hasse sie. Mein Vater würde sagen, man darf Menschen nicht hassen, aber ich hasse sie wirklich!«
Die Umarmung und Rochelles Unterstützung taten gut. Finola lehnte sich an sie. »Danke. Es war eine harte Woche.«
Rochelle setzte sich wieder. »Wie kann ich dir helfen?«
»Indem du weitermachst wie bisher. Bitte halte mir hier den Rücken frei und sag mir Bescheid, wenn du Gerüchte hörst. Ich möchte so lange wie möglich den Deckel draufhalten.«
Rochelle verzog das Gesicht. »Denn wenn es rauskommt, wird es schlimm. Hast du mit einem Anwalt gesprochen?«
Finola verstand die Frage nicht. Warum sollte sie …
»Meinst du wegen einer Scheidung? So weit sind wir noch nicht.« Scheidung? Nein. Nigel würde zu ihr zurückkommen. Es würde ihm leidtun, er würde sie um Verzeihung bitten und es nie wieder tun. Sie waren verheiratet. Sie hatten ein gemeinsames Leben. Ein gutes Leben, das ihnen beiden wichtig war … zumindest gewesen war.
»Meinst du, ich sollte?«
Rochelle hob die Hände. »Das kann ich dir nicht sagen. Du musst tun, was für dich richtig ist.«
»Was würdest du machen?«
»Nach dem, was er dir zugemutet hat? Falls es ihm nicht leidtut und er dich nicht in dem Augenblick um Vergebung angefleht hat, in dem er erwischt wurde, gehört er in den Graben getreten. Er muss dich respektieren, und davon ist momentan nichts zu merken.« Sie schlug einen sanfteren Ton an. »Sicher weißt du, was du tust, Finola. Hör nicht auf mich.«
»Es kommt alles so plötzlich und ist so verwirrend. Ich hätte nie gedacht, dass er mir das antut. Ich dachte, dass wir glücklich sind.«
In dem Punkt hatte sie sich gewaltig geirrt, das machte sie traurig. Was hatte sie sonst noch nicht gewusst? Was hatte er ihr sonst noch verheimlicht?
Sie schloss die Augen und wünschte, es würde alles verschwinden, doch als sie wieder hinsah, war die Welt genauso wie vorher.
Ihr Handy trillerte. Rochelle reichte es ihr, ohne aufs Display zu sehen. Finola las die Benachrichtigung, zuckte zusammen und reichte den Apparat ihrer Assistentin.
»Ich lasse mich benachrichtigen, wenn Treasure twittert«, erklärte sie. »Damit ich weiß, was kommt. Bisher war da noch nichts über Nigel.«
Rochelle las den Tweet laut vor: »Es ist traurig, wenn Leute alt werden und sie niemand lieben will.«
»Nicht sehr subtil«, murmelte Finola.
»Denkst du, sie meint dich? Kann sie nicht. Du bist nicht alt.«
»Verglichen mit ihr bin ich steinalt.«
»Bist du nicht, und du wirst geliebt. Sie ist einfach nur eine fiese Kuh. Wir werden sie ignorieren. Na komm, die Leute stehen seit zwei Stunden Schlange, um deine Show zu sehen. Es wird Zeit, dass du dich bereit machst, sie vom Hocker zu reißen.«
Finola ersparte sich den Hinweis, dass sie eigentlich nicht in der Verfassung war, irgendjemanden vom Hocker zu reißen. Zum einen würde Rochelle es nicht hören wollen, und zum anderen spielte es überhaupt keine Rolle, wie sie sich fühlte. Sie hatte eine Verantwortung der Show und vielleicht auch sich selbst gegenüber. Wenn sie nicht stark sein konnte, konnte sie es zumindest vortäuschen. Fürs Erste würde das reichen.
Ali kehrte zwei Minuten zu früh aus ihrer Mittagspause zurück. Sie ging ins Lager und gab ihr Bestes, äußerlich stark und zuversichtlich zu erscheinen. Tatsächlich hatte sie eben das hässlichste Apartment aller Zeiten besichtigt. Es hatte nicht nur Aussicht auf die Müllcontainer, sondern war auch noch klein, dunkel und sehr renovierungsbedürftig. Doch das Übelste war der merkwürdige, modrige Gestank – wie eine Mischung aus Schimmel und Feuchtigkeit.
Inzwischen hatte sie sich vier Wohnungen angesehen und sie alle gehasst. Notfalls müsste sie ihr Mietbudget um hundert Dollar im Monat erhöhen. Angesichts der Kosten für die abgesagte Hochzeit und den Umzug wusste sie jedoch nicht, wie sie das bewerkstelligen sollte. Ja, sie könnte eine höhere Miete und Geld für alle anderen Kosten wie Essen und so weiter aufbringen, aber dann bliebe nichts mehr zum Sparen übrig. Und sie hatte stets eine Notfallreserve. Die hatte nun die Hochzeit verschlungen, und jetzt sah ihre finanzielle Lage ziemlich düster aus. Wenn es so weiterging, müsste sie sich entscheiden, ob sie bei ihrer Mutter oder in ihrem Auto wohnen wollte.
Ray und Kevin warteten an ihrem Schreibtisch auf sie. Ray wirkte so grimmig und bärenhaft wie immer, wohingegen Kevin regelrecht verängstigt aussah. Sie wollte schon fragen, was los war, da bemerkte sie, dass Ray die Karte in der Hand hielt, die sie ihm in seinen Spind gesteckt hatte.
Er legte sie auf ihren Schreibtisch. »Das mit Glen tut mir leid«, sagte er. »Es tut uns allen leid.« Er holte tief Luft und schien sich für etwas zu wappnen. »Möchtest du für das Wochenende Coco Chanel ausleihen?«
Schlagartig verpuffte ihre miese Stimmung ob seines süßen Angebots. Nichts und niemanden liebte Ray mehr als seinen lächerlich kleinen Hund und dass er ihr Coco Chanel anbot, war ein Akt purer Freundlichkeit.
Sie merkte, dass ihr die Tränen kamen, allerdings nicht vor Schmerz oder Frust, sondern vor Rührung, weil sie Unterstützung an einem Ort erlebte, an dem sie niemals mit ihr gerechnet hätte.
Sie lächelte Ray an. »Das ist das Fantastischste, was mir je jemand angeboten hat. Vielen, vielen Dank. Ich wünschte, ich könnte sie nehmen, doch mit der Stornierung der Hochzeit und allem hätte ich Angst, dass ich mich nicht angemessen um sie kümmern könnte.«
Ray entspannte sich sichtlich. »Das verstehe ich. Sie ist schon eine kleine Diva, also eine Menge Arbeit, aber falls du mal ein bisschen Zeit mit ihr verbringen willst, darfst du es gern.«
»Ich danke dir.«
Ray sah erbost zu Kevin und ging. Der Junge schüttelte den Kopf.
»Oh Mann, der muss dich echt mögen. Ich hätte nicht gedacht, dass er seinen Hund irgendwem anvertrauen würde. Das mit der Hochzeit tut mir leid. Ich habe Glen nicht gekannt, aber nach allem, was die anderen sagen, war er kein so toller Typ. Sie finden alle, dass du zu gut für ihn warst.«
Ihr gefiel nicht, dass in der Firma über sie getratscht wurde, so natürlich es auch sein mochte.
»Danke. Es ist eine Menge zu erledigen.«
»Ray sagt, dass es keinen richtig überrascht hat. Ich weiß nicht, ob es hilft oder nicht, aber ich habe gedacht, dass du es vielleicht wissen willst.«
Sie sagte sich, dass Kevin noch sehr jung und nicht absichtlich gemein war. Und sie nahm sich vor, wenn sie am Abend allein zu Hause war, Brownies zu backen und alle aufzuessen.
»Okay«, murmelte sie. »Ich muss wieder an die Arbeit und du auch.«
Kevin nickte und verschwand. Ali sank auf ihren Stuhl und sagte sich, dass es irgendwann vorbeigehen würde. In einigen Wochen würde sie sich kaum noch erinnern, je verlobt gewesen zu sein. Glen wer?
Ihr Handy bimmelte. Sie holte es aus ihrer Jeanstasche und sah aufs Display. Die Nummer erkannte sie nicht und fragte sich, ob es einer ihrer Anbieter für die Hochzeit war.
»Hallo?«
»Ali? Hi, hier ist Selena. Ich wollte nur fragen, ob das mit heute Abend noch steht.«
Ali hatte keinen Schimmer, was gemeint war. »Heute Abend?«
»Da hole ich den Tisch und die Stühle ab, schon vergessen? Ich freue mich schon so. Unsere Gutschrift ist eingegangen, und am Wochenende konnte ich endlich mit meinen Töchtern in unser Apartment einziehen.«
Selena klang sehr emotional.
»Ich weiß, dass es albern ist, aber wir sind so lange von einer Notunterkunft zur nächsten gezogen. Eine eigene Wohnung ist für uns wie ein Wunder. Ihr Tisch und die Stühle sollen in unsere Küche. Da können meine Mädchen ihre Hausaufgaben machen, wie in einer richtigen Familie.«
Ali wusste, dass online haufenweise Esszimmergarnituren umsonst oder fast umsonst angeboten wurden. Würde sie sagen, dass ihre nicht mehr zu haben war, könnte Selena in ungefähr fünf Minuten eine andere finden. Das sagte ihr ihr Verstand, doch ihr Herz schmolz dahin.
»Ich bin um fünf zu Hause«, erklärte sie. »Passt Ihnen das?«
»Ja. Mein Chef leiht mir seinen Truck für ein paar Stunden. Sie hatten ja gesagt, dass der Tisch nicht schwer ist, da können er und ich alles alleine transportieren. Bis dann!«
Ali versuchte, sich nicht blöd vorzukommen. Sie tat etwas Gutes für jemanden, der in größerer Not war als sie. Es war ja nicht so, als hätte sie ein Apartment für ihre Möbel. Also, was spielte es für eine Rolle?
Das Problem war, dass sie das Gefühl hatte, bei ihren Handlungen ginge es eher darum, sich selbst fertigzumachen, als selbstlos zu sein. Sie war in einer emotionalen Todesspirale gefangen und wusste nicht, wie sie die aufhalten konnte. Vielleicht sollte sie ein paar Tage damit verbringen, sehr viel Theater um Coco Chanel zu machen.
Wieder klingelte ihr Telefon.
»Ali Schmitt?«
»Ja.«
»Hier ist Veronica vom Brautmodenladen. Ihr Kleid ist vom Änderungsschneider zurück, und Sie können es jederzeit abholen.«
Klar war es das. Ali legte ihren Kopf auf die Schreibtischplatte. »Super. Ich komme es in ein paar Tagen holen.«
Und dann müsste sie sich überlegen, was sie mit dem Ding anstellte. Eventuell würde eine rituelle Verbrennung helfen, ihr spirituelles Ich zu reinigen. Dafür bräuchte sie selbstverständlich Salbei und möglicherweise eine Erlaubnis.
Sie richtete sich auf. Brownies, versprach sie sich. Später gäbe es Brownies. Und Wein. Danach konnte sie überlegen, was in aller Welt sie mit dem Rest ihres Lebens anfing.
Finola kam fünf Minuten zu früh zu ihrer Dinner-Verabredung mit Zennie. Als sie das bistroartige Restaurant betrat, versuchte sie sich zu erinnern, wann sie sich zuletzt ohne Ali mit ihrer Schwester getroffen hatte. Sie glaubte nicht, dass es tatsächlich schon mal vorgekommen war. Normalerweise trafen sie sich entweder zu dritt oder nur Ali und sie.
Ihre Schwester saß bereits an einem Tisch, und Finola bahnte sich ihren Weg zu ihr.
»Danke für den Vorschlag«, sagte sie, als sie sich setzte. »Ich bin froh, dass du mich unterstützt. Es ist alles so schrecklich in letzter Zeit. Ich warte ständig darauf, dass alles rauskommt.«
Genauer wurde sie nicht – man konnte nie wissen, wer in der Nähe saß. Sie nahm die Karte auf. »Was kannst du hier empfehlen? Ich will auf jeden Fall einen Cocktail. Was ist mit dir?«
»Ich trinke heute keinen Alkohol, aber lass dich davon nicht abhalten. Was das Essen betrifft, ist hier alles gut.«
Da war etwas an Zennies Tonfall. Finola betrachtete das kurze Haar und das faltenfreie Gesicht ihrer Schwester. Zennie hatte nie großen Wert auf Make-up oder Styling gelegt. Sie kleidete sich praktisch, und für sie bestand Spaß haben in einem Fünf-Meilen-Lauf oder einer Surf-Session um sechs Uhr morgens. Sie dagegen war überhaupt keine Sportlerin, obwohl sie reichlich trainierte – hauptsächlich, um kameraschlank zu sein.
Als die Bedienung kam, bestellte sie Wodka mit Soda, um bei ihrem kohlenhydratreduzierten Programm zu bleiben, und überflog die zahlreichen Gerichte. Es gab gegrillten Thunfisch, den sie nehmen würde, dazu einen Salat und Brokkoli als Beilage. Sie hatte gleich einen zweiten Drink in ihren Kalorienplan für heute eingerechnet, also sollte alles gut sein. Bisher hatte sie einiges an Wassergewicht verloren und ihr Krafttraining erhöht. In einer Woche würden ihre Sachen lose sitzen, und in zweien wäre die Gewichtsabnahme zu sehen. Sie freute sich schon auf die Komplimente.
Zennie bestellte einen Kräuter-Eistee mit Extrazitrone. Als die Bedienung gegangen war, beugte Finola sich zu ihr. »Ist alles in Ordnung? Du wirkst … anders.«
»Was meinst du?«
»Ich bin mir nicht sicher. Erzähl du es mir. Ist bei der Arbeit alles okay?«
»Ja.«
»Gut.« Finola seufzte. »Ich bin immerzu erschöpft. Ich weiß, dass es der Stress ist, aber trotzdem. Und ich warte dauernd darauf, von, äh, du weißt schon wem zu hören.« Wieder blickte sie sich um, doch keiner der anderen Gäste schien an ihnen interessiert. »Bisher sind die Shows gut gelaufen. Wir haben nette Studiogäste gehabt, und es gab keine Überraschungen.« Sie wollte sagen, dass sich das Haus leer anfühlte, ermahnte sich jedoch abermals, dass jemand zuhören könnte. Verdammt! Sie hätte vorschlagen sollen, dass sie sich etwas holten und bei ihr aßen.
Zennie sah sie an. »Finola, ich habe dich nicht hergebeten, um über dich zu reden. Ich wollte dir erzählen, was mit Ali ist. Eigentlich dachte ich, dass sie was sagen würde, doch es ist offensichtlich, dass sie es nicht wird. Sie denkt wohl, dass das, was du durchmachst, wichtiger ist, aber da irrt sie. Es ist eine große Sache.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Ja, weiß ich. Glen hat Schluss gemacht. Die Hochzeit ist geplatzt.«
Finola starrte sie an. Die Bedienung brachte ihre Drinks, und Finola nahm einen ordentlichen Schluck, während sie zu begreifen versuchte, was sie eben gehört hatte.
»Es ist vorbei? Nein, das kann nicht sein. Sie hat keinen Mucks gesagt.« Kein Wort. Als sie Ali zuletzt gesehen hatte, war ihre Schwester wie immer gewesen. Da musste ein Irrtum vorliegen. »Wann ist das passiert?«
»Am selben Tag, an dem Nigel …«
Finola funkelte sie an. »Nicht hier!«
»Meinetwegen. An demselben Freitag. Sie hatte mich angerufen, weil sie gedacht hat, dass du nach Hawaii fliegst und sie dir den Urlaub nicht verderben wollte. Als du bei Mom aufgekreuzt bist, mussten wir ihr schwören, nichts zu sagen, damit wir uns ganz um dich kümmern konnten.«
Es war deutlich herauszuhören, dass sie Ali für idiotisch hielt.
»Wie gesagt, ich habe gewartet, dass sie etwas sagt, und als mir klar geworden ist, dass sie es nicht tut, habe ich gedacht, dass du es erfahren willst. Oder nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Du sorgst dich anscheinend mehr, dass jemand deine Neuigkeiten belauschen könnte, als um deine Schwester, die wenige Wochen vor der Hochzeit abserviert worden ist.«
»Das ist nicht fair. Ich stehe unter Schock. Du hast es mir gerade eben erzählt, und ich muss es erst begreifen. Du hast schon ein paar Wochen gehabt, um es zu verarbeiten. Fall mich nicht gleich an.« Sie trank noch einen Schluck. »Hat er gesagt, warum? Sind wir sicher, dass es vorbei ist?«
»Scheint so. Ali hat die Hochzeit storniert.«
Die Hochzeit. »Es muss ihr das Herz gebrochen haben. Hast du mit ihr gesprochen? Natürlich hast du. Wie geht es ihr?«
»Sie kommt zurecht. Es wäre nett, wenn du mit ihr redest. Ihr beide wart euch immer so nahe. Es ist falsch, dass sie es ganz allein durchmacht, um deine Gefühle zu schonen.«
»Tja, so ist Ali.«
»Ja, und so bist du.«
Erneut sah Finola sie wütend an. »Wie meinst du das?«
Zennie zuckte mit den Schultern. »Dein Leben dreht sich ausschließlich um dich. Ich weiß, dass du es eben erst erfahren hast, was ihre Schuld ist, aber egal, was passiert, es geht immer um dich. Ali müsste mal dran sein, ein wenig Zuwendung und Trost zu bekommen. Sie hat Glen verloren, muss eine Hochzeit stornieren und hat ihr Apartment gekündigt, um zu ihm zu ziehen, was bedeutet, dass sie jetzt nicht mal mehr eine Wohnung hat. Vielleicht kann sie für einige Wochen bei dir unterkommen.«
Finola begriff nach wie vor nicht ganz, was vor sich ging. Erst Nigel, dann Glen. Ali, die ihre Hochzeit absagte und einen Platz zum Wohnen brauchte.
»Ich sollte zu ihr fahren.«
»Ja, solltest du.«
Wieder war da etwas in Zennies Ton. »Meinst du jetzt gleich?«
Ihre Schwester lächelte. »Du darfst erst noch austrinken.«