Das Haus in Encino verkaufte sich schnell. Finola und Nigel verlangten keinen Mondpreis, und die Immobilie war in einem ausgezeichneten Zustand. Bei den Käufern handelte es sich um eine junge Familie – sie war Autorin beim Fernsehen, er kümmerte sich um Haushalt und Kind. Sie kauften einen Großteil der Möbel, und was sie nicht wollten, nahm Nigel.
Finola verließ das Büro, in dem alle Verträge unterzeichnet worden waren, und fuhr zum Haus, um sich ein letztes Mal dort umzuschauen. Nachdem sie auf ihrem Platz in der Garage geparkt hatte, ging sie hinein.
Es fühlte sich bizarr an, die vertrauten Sofas und die Esszimmermöbel zu sehen und zu wissen, dass sie nicht mehr ihr gehören würden. Alle persönlichen Gegenstände waren verschwunden. Nigel und sie hatten die Kunst untereinander aufgeteilt. Finola hatte ihre Bilder und einige Andenken verpackt und sie in einer kleinen Lagereinheit in Burbank untergebracht.
Sie hatte ihre Kleidung sortiert und sie auf einen Grundstock reduziert. Wenn sie sich in New York eingerichtet hatte, würde sie sich eine neue Garderobe zulegen. Die restliche Kleidung, Schuhe und Accessoires hatte sie einer Notunterkunft für Frauen gespendet.
Sie betrat ihr ehemaliges Arbeitszimmer und blickte sich um. Der Schreibtisch war noch da, alles andere war weg. Sie betrachtete die leeren Wände, die Aussicht auf den Pool und die kleinen Risse vom letzten Erdbeben.
Sie legte eine Hand an die Wand, als könnte sie die Risse fühlen oder sie irgendwie flicken. Kleine waren okay, aber wenn sie größer wurden, sich ausdehnten, gab es Probleme. Das ist bei Nigel und mir passiert, dachte sie traurig. Kleine Risse hatten zu viel Schlimmerem geführt. Sie war so mit ihrem Leben beschäftigt gewesen, dass sie nichts bemerkt hatte, und nun war alles fort – das Haus, die Ehe, alles, worüber sie sich definierte.
Der Job in New York war fest. Sie hatte sich ein kleines Apartment zu einem absurden Preis gemietet, aber es verfügte über eine riesige Ankleide und einen kombinierten Waschtrockner. Beides war in Manhattan eine Rarität. Sie hatte ausgehandelt, einige von ihren Leuten in L. A. mit nach New York zu nehmen, und Rochelle von ihrer »Late Night« weggelockt. Die Aufnahmeleitung bei einer landesweiten Sendung war eine große Sache, und Finola wusste, dass sie ein gutes Team waren.
Sie ging nach oben ins Schlafzimmer. Das Bett war fort, aber die Kommode und die Nachttische standen noch da. Finola schloss die Augen und erinnerte sich, wie es mit Nigel gewesen war. Wie sie in diesem Zimmer gelacht, geredet und Liebe gemacht hatten. Sie dachte daran, dass sie angenommen hatte, zum jetzigen Zeitpunkt schon im fünften oder sechsten Monat schwanger zu sein. Sie hatte erwartet, dass sich ihr Leben veränderte, was es auch tat, nur nicht so, wie sie gehofft hatte. Sie hatte ihren Mann und ihre Ehe verloren. Vielleicht waren beide nie für immer gewesen, und sie hatte es bloß nicht gewusst.
Sie gab den Tränen nach und weinte um das, was gewesen war. Wie anders nun alles war. Sie freute sich auf die Chance in New York und war traurig, weit weg von ihrer Familie zu wohnen. Natürlich würden sie in Kontakt bleiben, zumal sie bei allem, was sie durchgemacht hatte, ihren Schwestern näher denn je war. Was Mary Jo betraf – nun, sie wollte nicht mehr in einen Bungalow am Strand ziehen. Stattdessen lebte sie auf Parkers Anwesen in Beverly Hills ihren Traum. Sie waren wahnsinnig verliebt, und das Haus in Burbank war praktisch verlassen. Ali und Zennie hatten vor, es in den nächsten paar Wochen zum Verkauf anzubieten.
Leben ist stete Veränderung, dachte Finola wehmütig. Ob wir wollen oder nicht, Dinge geschehen. Sie wischte sich die Tränen ab. Sie war gezwungen gewesen, als Mensch zu wachsen. Der Prozess war zum Kotzen gewesen, doch sie hoffte, dass sie nun besser war als vorher. Weniger egoistisch, aufmerksamer gegenüber den Leuten, die sie liebte. Vielleicht machten diese Lektionen sie zu einer besseren Journalistin, und selbst wenn nicht, wollte sie weiterhin daran arbeiten, ein besserer Mensch zu sein.
Sie ging nach unten in die Garage und fuhr nach Burbank. Ihren Wagen würde sie der Mädchengruppe spenden, die sie bis auf gelegentliche Besuche schnöde vernachlässigt hatte. Ihnen den Wagen zu geben, war das Mindeste, was sie tun konnte. Die Nacht würde sie bei Ali und Daniel schlafen, und morgen früh brächten die beiden sie zum Flughafen, von wo aus sie in ihr neues Leben in New York aufbrach.
Ein besseres Leben, schwor sie sich. Das musste es werden.
Zennie hatte beschlossen, sich in dieser Schwangerschaft als Gefäß zu betrachten. Was auch geschah, ihrem Gefäß-Ich ginge es gut. Am Ende würde sie wieder zu dem Gefäß, das sie vorher gewesen war, und bis dahin musste sie eben widerliches gesundes Essen zu sich nehmen, Dinge aufgeben, die sie liebte. Aus ihrer Mitte würde ein Basketball wachsen. Alles zu, nun ja, einem edleren Zweck.
Die Tatsache, dass ihre Hormone sich wie versprochen beruhigt hatten, half sehr. Ihre Brüste taten weniger weh, und sie begann, sich viel normaler zu fühlen. Vielleicht wird das zweite Drittel besser als das erste, dachte sie, als sie Dr. McQueens Wartezimmer betrat.
Heute war ihre Routine-Untersuchung. Bernie und Hayes wollten hinzukommen, um zum ersten Mal den Herzschlag des Babys zu hören und den Ultraschall zu sehen. Es war noch zu früh, um das Geschlecht zu erkennen, aber zumindest würden sie wissen, dass alles gut war.
Zennie sagte der Sprechstundenhilfe Bescheid, dass sie da war, und blickte wieder auf ihr Handy. Die einzige Wolke am Horizont, wenn man so wollte, war, dass sie den ganzen Morgen nichts von Bernie gehört hatte. Gestern Abend hatten sie sich geschrieben, und Bernie war wahnsinnig aufgeregt gewesen, doch heute Morgen herrschte auf einmal vollkommene Stille.
Sie schrieb ihr, dass sie bereits in der Praxis war und auf ihren Termin wartete. Keine Antwort. Die Schwester rief sie hinein. Zennie erklärte ihr die Situation und fragte, ob sie noch ein wenig warten könnten.
»Sicher«, sagte die Frau. »Aber wenn Sie Ihren Termin aufgeben, müssen wir Sie später einschieben, und das wird ein bisschen dauern.«
Es war Freitag und Zennie hatte frei. »Ich kann warten, und ich möchte die beiden wirklich dabeihaben.«
Zwanzig qualvolle Minuten vergingen. Zennie schrieb abermals an Bernie und versuchte, Hayes zu erreichen. Nichts. Allmählich wurde sie panisch. Was wäre, wenn es einen Unfall oder ein Feuer gegeben hatte? Was, wenn sie sich das mit dem Baby anders überlegt hatten und nicht wussten, wie sie es ihr sagen sollten?
Sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben, doch kaum hatte die Panik eingesetzt, ließ sie sich nicht mehr abstellen. Sie fühlte, wie sie zu hyperventilieren begann. Wie konnte das passieren?
Sie ging hinaus auf den Flur, damit sie auf und ab wandern konnte, ohne andere Patientinnen zu stören. Cassie und DeeDee waren nicht zu erreichen, weil beide Dienst hatten und keine Privatgespräche annehmen durften. Schließlich schrieb sie Clark.
Ich habe meine Ultraschalluntersuchung. Es ist die erste und ziemlich wichtig, aber Bernie ist nicht hier. Sie antwortet auch nicht auf meine Textnachrichten, und ich kann Hayes nicht erreichen.
Es dauerte nur Sekunden, bis die kleinen Punkte auf dem Display erschienen.
Willst du trotzdem den Termin halten?
Ja. Auch wenn sie nicht kommen, muss ich wissen, dass mit dem Baby alles okay ist.
Dann bin ich in einer halben Stunde da. Sollten sie inzwischen auftauchen, sag mir Bescheid, und ich fahre zurück zur Arbeit. Falls nicht, bin ich bei dir. Äh, da ist nichts Gruseliges zu sehen, oder?
Trotz allem musste sie schmunzeln.
Nichts Gruseliges, versprochen. Nur ein Herzschlag und ein Ultraschall.
Cool. Bin bald da.
Sie lief wieder auf und ab und versuchte, sich nicht das Schlimmste auszumalen, obwohl sie an diesem Punkt nicht mehr sicher war, was schlimmer wäre – dass Bernie und Hayes einen Autounfall hatten oder dass sie das Baby nicht mehr wollten.
Als sie bereits glaubte, sie müsse allein zur Untersuchung hineingehen, öffnete sich die Fahrstuhltür und Clark kam heraus. Zennie lief ihm mit ausgestreckten Armen entgegen.
»Sie sind immer noch nicht da. Ich weiß nicht, was los ist, aber es muss schlimm sein. Was mache ich dann? Meine beste Freundin ist tot, und ich bin schwanger. Ich weiß, dass es schrecklich klingt, doch ich will kein Baby. Ich kann das nicht. Das kann ich nicht. Ich weiß, dass mich alle für stark halten, aber das bin ich nicht.«
Clark hielt sie in den Armen, bis sie fertig war. Dann legte er die Hände auf ihre Schultern und sah sie an.
»Es wird eine vollkommen logische Erklärung geben. Ich weiß nicht, welche, doch es gibt sie. Wir finden sie heraus und sehen dann weiter. Du bekommst das Baby nicht allein. Alle rechtlichen Probleme sind schriftlich geklärt.«
»Das kann man nicht wissen«, erwiderte sie panisch. »Vielleicht will ich eines Tages Kinder, aber ich bin mir nicht sicher, und wenn, dann definitiv nicht so. Nicht jetzt. Nicht von Hayes.«
»Zennie, beruhige dich. Atme. Alles wird gut.«
»Das kann man nicht wissen«, wiederholte sie.
»Doch, ich weiß es. Was auch geschieht, wir stehen das durch. Es war mir ernst mit dem, was ich gesagt habe. Wir sind Freunde, und du kannst auf mich zählen. Wie lange wartest du schon?«
»Fast eine Stunde.«
»Gehen wir rein und fangen an. Danach schaffen wir den Rest, okay?«
Sie nickte, bekam aber immer noch keine Luft. »Ich verstehe das nicht.«
»Weiß ich. Ist okay. Was auch passiert, du hast jede Menge Unterstützung. Falls es schlimm ist, werden DeeDee und Cassie bei dir sein, sowie ihr Dienst endet. Und du hast deine Schwestern und deine Mutter.«
»Danke«, sagte sie. »Tut mir leid, dass ich so hinüber bin.«
»Alles ist gut. Jetzt gehen wir rein und foltern mich mit was auch immer.«
Sie brachte ein Grinsen zustande und ging voraus in den Wartebereich.
Es dauerte fünfundvierzig Minuten, bis sie aufgerufen wurde. Clark wartete draußen, während sie sich das Nachthemd und einen Morgenmantel anzog, dann legte sie sich auf die Liege für den Ultraschall. Als die Technikerin Clark hereinließ, stürmte mit ihm Bernie ins Zimmer und an ihre Seite.
»Es tut mir leid«, rief ihre Freundin, deren rechte Gesichtshälfte angeschwollen war. »Es tut mir so leid. Ich bin heute Morgen mit scheußlichen Schmerzen aufgewacht und in die Notaufnahme gefahren. Die haben mich zum Zahnarzt geschickt, und der hat eine Wurzelbehandlung gemacht. Die dauerte ewig, und sie haben mich mit irgendwas betäubt. Ich habe vorher nicht geschrieben, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass es Stunden dauert.« Bernie nahm ihre Hand. »Und Hayes ist bei Gericht, deshalb konnte er dir nichts sagen, aber er ist unterwegs. Oh, Zennie, es tut mir so leid. Ich hoffe, wir haben dir keine Angst gemacht.«
Zennie war ungemein erleichtert. Sie drückte Bernies Hand. »Alles okay«, sagte sie. »Ich habe mir Sorgen gemacht, dass etwas passiert ist.« Sie sah über Bernies Schulter hinweg zu Clark, der sie mit einem »Siehst du?«-Lächeln bedachte. Sie erwiderte es.
Hayes kam herein.
»Alles okay?«, fragte er. »Entschuldigt, ich wurde bei Gericht aufgehalten. Bernie, du siehst furchtbar aus.«
»So fühle ich mich auch. Die haben mir irgendwelche Drogen gegeben. Ich musste ein Uber nehmen, das heißt, wir müssen nachher mein Auto abholen, aber das spielt keine Rolle.« Wieder drückte sie Zennies Hand. »Sehen wir unser Baby an.«
»Als Erstes horchen wir nach den Herztönen«, erklärte die Technikerin und nahm einen Gel-Behälter aus einem Wärmefach.
Zennie streckte Clark ihre freie Hand hin, damit er zu ihnen kam. Bernie blickte sie beide abwechselnd an, sagte aber nichts. Später würde Zennie ihr von ihrem Zusammenbruch erzählen und sie würden darüber lachen. Jetzt jedoch war sie dankbar für seine Unterstützung.
»Los geht’s«, sagte die Technikerin.
Eine ewig lange Zeit geschah nichts. Zennie wusste, dass es in diesem Stadium nicht leicht war, die Herztöne zu finden. Es hing ganz von der Lage des Babys im Körper ab und …
Das Geräusch winziger galoppierender Pferde erfüllte den Raum. Bernie schrie auf und umklammerte Hayes. Clark drückte Zennies Hand.
»Ich hole Dr. McQueen«, sagte die Technikerin lächelnd. »Sie wird die Schläge zählen wollen.«
Wie Zennie bekannt war, galten hundertzwanzig bis hundertsechzig Schläge pro Minute als normal. Die Herztöne waren stark und regelmäßig. Ja, da wuchs tatsächlich eine Person in ihr heran.
»Danke«, sagte Bernie mit zittrigem Lächeln. »Oh, Zennie, ich danke dir für alles.«
»Natürlich. Du bist meine Freundin.«
»Und du bist ein Wunder.«
»Hui, ich war noch nie ein Wunder«, gestand Zennie, die sich sagte, dass sie sich diesen Moment in Erinnerung rufen würde, wenn es schwierig wurde. Weil er all das lohnenswert machte.