24

 

 

 

 

Als die Tür zuschlug, schnaubte Yun kräftig durch die Nase. »Meine Güte. Mathelehrer - und kann nicht einmal eine einfache Aufgabe lösen.«

»Aber er hat doch irgendwie recht, oder?« Emily sah betrübt aus. »Ich meine, wir müssen irgendwann doch mal unseren Kram allein hinkriegen.« Sie sah sich in ihrer Reihe um. »Hat Frau Palan nicht auch so was Ähnliches gesagt?«

Yun verdrehte die Augen. »Ach, du schon wieder mit Frau Palan. Ich meine, sie ist klasse und so, aber …«

»Hast du gerade etwas gegen Frau Palan gesagt?«, warf Rebecka ein und drehte sich auf ihrem Stuhl so schnell um, dass sie beinahe den Tisch ihres Hintermannes abgeräumt hätte.

Olga schnalzte mit der Zunge und hinderte ihre Bücher mit einem hechtartigen Vorbeugen daran, die Biege zu machen.

»Wir sollten Stretmanni hinterhergehen.« Lukas tippte Daniel auf die Schulter. »Mal sehen, vielleicht finden wir ja vor Nasir was raus.«

»Du bist Palanist, hast du dich jetzt gegen deine eigene Klasse verschworen?« Rebecka sah aus, als wäre sie kurz davor, einen ihrer weltberühmten Schreianfälle zu bekommen.

»Rebecka, nicht jeder in dieser Klasse macht deinen Palanisten-Quatsch mit. Es gibt auch noch vernünftige Leute hier«, warf Antonia ein.

»Palanisten-Quatsch? Hast du gerade Palanisten-QUATSCH gesagt?« Rebeckas Stimme wurde immer höher.

»Ich glaube, besser wäre es«, murmelte Daniel zurück. »Hier fliegt bald die Bude in die Luft.«

Und während sich Marie, Rebecka und Antonia ankeiften, standen Lukas und Daniel auf und gingen zur Tür.

»STOPP. Wo geht ihr hin?« Rebecka hatte sich wieder nach vorne gedreht, und sie waren in ihren Klauen.

»Wir wollen aufs Klo. Das ist doch noch erlaubt, oder?«

»Zu zweit?«

»Ja, ihr Mädchen macht das doch ständig. Warum sollten wir Jungs das nicht auch dürfen? Hallo? Gleichberechtigung und so?«

Rebecka schüttelte den Kopf. »In fünf Minuten fängt Französisch an. Geht gefälligst in der Pause.«

»Geht«, beschwor Antonia sie. »Rebecka hat hier nichts zu sagen.«

»Was heißt das, ich habe hier nichts zu sagen?« Rebecka beugte sich über den Gang hinüber, dass sie bald Maries Tisch erreichte.

»Du bist keine Klassensprecherin, also hör auf, dich aufzuspielen!«

»Ich bin keine …«, stammelte Rebecka. Sie drehte sich nach vorne. »Sophia, sag Lukas und Daniel, dass sie ihre Geschäfte gefälligst in der Pause verrichten sollen.«

Antonia reckte kriegerisch ihr Kinn nach vorne. »Lisa, sag Rebecka, sie soll keinen auf Chefin machen.«

»Lisa ist nur zweite Klassensprecherin. Solange Sophia im Raum ist, hat sie gar nichts zu melden.«

»Genauso wenig wie du!«

»Komm«, murmelte Daniel zu Lukas. »Lass uns gehen. Solange sie sich zerfetzen, merkt keiner, dass wir …«

Er öffnete die Tür. Und sah direkt in die Augen von Frau Palan.

Als Rebecka Frau Palan bemerkte, brach sie mitten in ihrem Schwall Beschimpfungen gegen Antonia ab, setzte sich auf ihren Stuhl und piepste: »Hallo, Frau Palan, Sie sind ja schon da. Wie geht es Ihnen? Schönes Wetter heute.«

Frau Palan hatte die Augenbrauen hochgezogen. »Ich glaube, du und Antonia kommt nach der Stunde mal zu mir. Wir haben ein ernstes Wörtchen zu reden.«

 

»Ihr habt mich veräppelt.« Nasir kam am Dienstag, nachdem sie ihm den Auftrag gegeben hatten, zu ihnen, das Gesicht zu einer Schmollschnute verzogen. »Ihr habt mir gesagt, der Herr Stretmanni versteckt im Materialraum eine Maschine. Aber da ist nichts. Nur komisches Schulzeug.«

»Wahrscheinlich hast du es übersehen.« Lukas winkte ab.

»Das kann man schlecht übersehen, das Teil«, warf Daniel ein. »Zeig mal her. Hast du Bilder gemacht?«

»Ja.« Nasir reichte ihnen sein Handy. »Aber das kommt dann nicht auf die Schulhomepage, oder?« Er sah sie unsicher an. »Anne sagt, dass ich keinen Unfug mit dem Handy anstellen soll. Ich habe das doch erst neu bekommen, weil ich jetzt auf der Realschule bin.«

»Natürlich kommt das nicht auf die Schulhomepage, das ist eine Geheimmission.« Lukas quetschte sich neben Daniel auf die Bank, um die Bilder besser sehen zu können. Daniel wischte mit einer hohen Geschwindigkeit durch die Bildergalerie, doch es war tatsächlich nichts vom Umwandler zu sehen. Nur Bilder von Regalen voller alter Physikbücher, Bunsenbrenner, Zugfedern und Magneten. Das Ungewöhnlichste war die Pickelhaube, die sie selbst bereits gesehen hatten.

»Hast du auch den Schrank fotografiert?«

»Klar.« Nasir scrollte an das Ende seiner Galerie. Der Schrank war leer. Keine Maschine.

Das konnte doch nicht sein …

»Mist, er muss sie weggebracht haben.«

»Ja, aber wohin?« Daniel kratzte sich am Kopf.

 

Am Mittwochmorgen stand wieder Mathe auf dem Stundenplan. Lukas fragte sich immer noch, was Straßenwalze wohl mit der Maschine angestellt hatte, als Herr Stretmanni zur Tür hereinkam. Und nachdem er einige Minuten ziemlich still am Pult gesessen und seine Brille geputzt hatte, holte er einen Stapel Blätter hervor.

Sophia, die direkt am Pult saß, keuchte und warf ihrer Zwillingsschwester Tanja einen verängstigten Blick zu. »Sie haben den Test korrigiert?«

Sofort ging das Gemurmel los.

»Oh mein Gott, ich hab so was von verkackt.«

»Was ist bei Aufgabe zwei rausgekommen, Herr Stretmanni?«

»Gab es viele Fünfer und Sechser?«

Stretmanni schüttelte den Kopf und begann die Notenverteilung an die Tafel zu schreiben. Es gab weder Einser noch Sechser, nur eine Fünf und drei Vierer, der Rest waren Dreier und Zweier.

Was noch mehr Verwunderung auslöste.

»Was?« Dirk sah sich in der Klasse um. »Da schreiben wir doch sogar bei Frau Palan schlechtere Tests.«

Herr Stretmanni drehte sich von der Tafel um, nahm den Stapel Tests und begann die Namen vorzulesen.

»Sophia Mischleg.«

Zitternd hob Sophia die Hand, und Herr Stretmanni reichte ihr das Blatt, ohne hinzusehen. Vorsichtig nahm sie es, als würde es beißen, legte es auf ihren Tisch. Dann dreht sie es mit spitzen Fingern um, starrte ungläubig drauf und fing plötzlich an zu kreischen. »Eine Zwei?! Das … ich … Herr Stretmanni … ich meine … oh mein Gott!«

Herr Stretmanni las weitere Namen vor. »Tanja Mischleg, Hendrick-Ignatius Oberforst. Ilona Becker, Lukas Müller.«

Lukas hob die Hand, als sein Name aufgerufen wurde. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Was, wenn Stretmanni wusste, dass sie hinter ihm her waren? Würde er ihm und Daniel deswegen eine schlechte Note geben? Allerdings gab es nur eine Fünf und nicht zwei …

Herr Stretmanni sah ihn genauso wie alle anderen nicht an, als er ihm das Blatt reichte, ganz so, als würde er Giftschlangen verteilen.

Lukas drehte das Blatt um, wo ihn eine ziemlich bauchige Fünf erwartete. Die Aufregung, die er bis gerade eben noch gespürt hatte, versiegte so schnell, als hätte jemand in seinem Bauch den Stöpsel gezogen.

Eine Fünf.

Wie sollte er das nur seinen Eltern erklären?

»Was?« Daniel, der gerade auch seine Note bekommen hatte, fiel fast vom Stuhl. Seine Hand segelte nach oben.

»Herr Stretmanni!«

Doch dieser verteilte weiter die Ergebnisse.

»Herr Stretmanni!«

Schließlich war er fertig mit der Herausgabe und ging wieder zur Tafel.

Daniel schnalzte mit der Zunge. »Herr Stretmanni, warum hat Lukas eine Fünf? Ich habe eine Drei, und wir haben exakt dasselbe.«

Stretmanni sah ihn mit zugekniffenen Augen an. »Wieso? Willst du auch eine Fünf?«

Lukas versuchte Daniel unauffällig auf den Arm zu schlagen. »Lass es, du machst es nur noch schlimmer.«

Daniel setzte sich aufrecht hin und drückte seine Brust heraus. »Nein. Lukas und ich haben genau dasselbe. Dieselben Ergebnisse, derselbe Rechenweg, dieselben Zahlen. Aber Lukas hat eine Fünf, und ich habe eine Drei. Das kann doch nicht sein!«

Auf Herrn Stretmannis Mund erschien ein Lächeln. »Oh, da scheinen wohl zwei voneinander abgeschrieben zu haben. Dann glaube ich, wäre es wohl besser, wenn ich euch beiden eine Sechs gebe, oder was denkst du?« Das diabolische Grinsen, das er jetzt draufhatte, erinnerte schon ziemlich an das Krokodil, das er in Wirklichkeit war.

»Nein, Herr Stretmanni«, warf Lukas dazwischen. »Das passt schon, wie es jetzt ist.«

Herr Stretmanni sah zufrieden aus. »So, wenn jetzt keine weiteren Beschwerden kommen, würde ich die Tests gerne wieder einsammeln.«

Emily keuchte entsetzt auf. »Aber, Herr Stretmanni, wollen wir sie denn nicht wenigstens verbessern?«

»Können wir sie mit nach Hause nehmen?«, fragte Antonia.

Er hob die Augenbrauen. »Ernsthaft, ihr werdet mir immer lustiger. Warum wollt ihr den Test mit nach Hause nehmen? Wollt ihr euch das Ergebnis übers Bett hängen?«

»Aber meine Eltern …«

»Schluss!« Herr Stretmanni verdrehte die Augen. »Keine Widerrede. Ich sammle die verdammten Dinger wieder ein. Und wer noch einen Mucks macht, der schreibt mir einen zweiseitigen Aufsatz, warum man mir nicht widersprechen sollte.«

Als Herr Stretmanni wieder weg war, herrschte gemischte Stimmung im Klassenzimmer. Einerseits war die Freude groß wegen der guten Ergebnisse, andererseits sorgte das Verhalten des Lehrers wieder für Verwirrung.

»Ich finde, wir sollten das trotzdem Frau Palan sagen.« Emily sah sich in ihrer Reihe um.

Jasmin protestierte. »Spinnst du? Ich hatte noch nie eine Zwei in Mathe. Ich glaube nicht, dass ich die immer noch habe, wenn da jemand anderes korrigiert.«

»Aber … aber …« Emily wandte sich an Rebecka. »Was meinst du dazu?«

Rebecka sah ein wenig betrübt auf ihren Tisch. »Wir erzählen Frau Palan nichts. Und auch keinem anderen.«

Emilys Unterkiefer zitterte. »Was ist los, Rebecka? Was hast du rausbekommen?«

»Ist nicht wichtig.« Rasch schloss sie ihr Hausaufgabenheft, wo sie anscheinend gerade ihre Note aufgeschrieben hatte. »Wir sollten doch nicht wegen allem gleich zu Frau Palan rennen. Wenn wir unauffällig bleiben und alles tun, was Herr Stretmanni sagt, dann wird sich schon alles regeln.«

»Oh.« Marie zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Da ist aber jemandem gehörig der Kopf gewaschen worden.«

»Kopf hoch.« Daniel klopfte Lukas kräftig auf den Rücken. »In zwei Wochen geht es nach Strangecity. Wer weiß, vielleicht finden wir ja da den Umwandler und können Straßenwalze das Handwerk legen. Wenn der echte Stretmanni wieder da ist, geht es auch mit den Noten wieder bergauf. Eine Fünf ist noch kein Weltuntergang. Das hast du mit ’ner anständigen Drei oder Zwei schnell wieder ausgeglichen.«

»Er muss uns gehört haben, als wir nach dem Umwandler geschaut haben. Als wir für Schwester Lucrezia den Blu-Ray-Player geholt haben, weißt du noch? Herr Donau hat nur meinen Namen gesagt, deswegen konnte er sich den merken. Deswegen habe ich auch die Fünf und du die Drei.«

»Ich wollte ihn ja umstimmen, hast du ja gesehen. Wenn’s darum geht, hätte ich lieber eine Fünf als eine Drei.«

»Nein.« Lukas schüttelte den Kopf. »Mach dir deswegen keinen Kopf.« Er sah an die Tafel, wo ihn die Notenverteilung hämisch anzugrinsen schien. Genauso wie das Krokodilgrinsen von Herrn Stretmanni. »Wir sollten uns an Rebeckas Devise halten. Ruhig und unauffällig bleiben.« Er knackte mit den Fingern. »Aber in Strangecity, da geht’s Straßenwalze an den Kragen.«