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Am Freitag – dem Großen Tag – kommt Sierra mit grell geschminktem Gesicht zur Schule. Immer wieder sagt sie, dass sie es einfach nicht glauben kann, dass endlich Freitag ist. Dass sie es einfach nicht glauben kann, was für ein Glückspilz sie ist und wie toll es war, eine verwandte Seele im Mysterychat kennenzulernen. Nach Schulschluss rennt sie zur Toilette, um dort ihre Taylor-Wolfe-Shorts und ihr neues blaues Top anzuziehen.

»Wie sehe ich aus?«, fragt sie mich, obwohl sie die Antwort kennt.

Ich tippe mit meinen Zeigefinger auf ihren Arm und gebe ein Zischen von mir. Kichernd beugt sie sich zum Spiegel vor, um ihr Make-up aufzufrischen.

Riley kommt herein und will mich abholen. Wir lehnen an der Wand und plaudern, während Sierra weiterhin ihr Gesicht bekleistert. Riley ist immer noch sauer. Sie ist sicher, dass Sierra mich in Schwierigkeiten bringen wird.

»Wenn es später als sechs wird, muss ich Mum anrufen«, teile ich Sierra mit. »Du wirst wahrscheinlich nicht vor sieben zurück sein, stimmt’s?«

»Keine Ahnung … Aber ich werd dich auf jeden Fall spätestens um sechs anrufen.«

»Das hab ich schon mal gehört«, murmelt Riley.

»Wie?« Sierra fährt herum, in der einen Hand ihre Haarbürste, die andere in die Hüfte gestemmt. »Riley, du hast mir die ganze Woche finstere Blicke zugeworfen. Was ist denn los?«

»Nichts.« Riley macht einen Rückzieher.

Sierra sieht sie wütend an, dann dreht sie sich zum Spiegel zurück.

»Ich warte draußen auf dich«, sagt Riley zu mir.

Als Sierra fertig ist, gehen wir nach draußen, wo Riley wartet. Callum und Joel sind ebenfalls da. Dann schlendern wir gemeinsam über das Schulgelände. Sierra erregt immer und überall Aufmerksamkeit. Ein Typ, der im gleichen Schuljahr ist wie wir, starrt ihr so gebannt hinterher, dass er mit jemandem zusammenstößt und ins Stolpern gerät. Sierra tut so, als hätte sie nichts bemerkt, doch das Lächeln, das um ihre Lippen spielt, straft sie Lügen.

Am Schultor umarme ich sie.

»Viel Glück«, sage ich. »Ich hoffe, er ist wirklich so toll.«

»Das hoffe ich auch!« Sie setzt sich in Bewegung, dreht sich aber noch einmal zurück. »Ich hab dich lieb!«, sagt sie und umarmt mich von Neuem. Dann rennt sie in Richtung Bahnhof davon. Ich blicke ihr hinterher. Nach wie vor hasse ich mich dafür, dass ich sie hasse.

»Du bist wesentlich netter als ich, Taylor Gray«, sagt Riley kopfschüttelnd.

Wenn sie wüsste, wie ich innerlich vor Eifersucht koche.

Als wir zu Hause bei Riley ankommen, hat sich ihre Laune gebessert. Joel und Callum ziehen sich sofort aus und stürzen sich in den Pool. Ich gehe ins Haus, um zu Rileys Mum Hallo zu sagen.

»Hi, Kirsty«, sage ich, gerade als Poppy, Rileys kleine Schwester, in ihrer Ballettkleidung in die Küche kommt. Kirsty schnappt sich ihre Schlüssel, die auf dem Küchentresen liegen.

»Hi, Taylor«, erwidert Kirsty. »Tut mir leid, dass ich so überstürzt aufbrechen muss, aber wir sind ziemlich spät dran. Der Ballettunterricht hat nämlich schon wieder angefangen.« Poppy grinst breit, als die beiden in Richtung Garage verschwinden.

Riley schenkt vier Gläser mit Eiswasser voll und schneidet eine Limone in Scheiben. In jedes Glas tut sie eine Scheibe, den Rest in einen Krug. Das alles nehmen wir mit nach draußen.

Wir lehnen uns in den Liegestühlen zurück, nippen an unseren Getränken und sehen zu, wie die Jungs im Wasser herumalbern. Als Joel mitbekommt, dass Riley es sich bequem gemacht hat, klettert er aus dem Pool und versucht, sie zu umarmen.

»Untersteh dich!«, kreischt sie. Er lacht und springt in den Pool zurück.

Callum schwimmt zum Rand des Pools und beäugt mich. Ich sehe ihn finster an.

»Schlag dir das ja aus dem Kopf!«, warne ich ihn, da Joel ihn offenbar auf einen Gedanken gebracht hat. Lachend wirft er sich rückwärts ins Wasser. Dabei bekomme ich in Gänze seinen muskulösen, sonnengebräunten Körper zu sehen. Ich starre ihm nach und stelle mir vor, wie kühl seine Haut sich jetzt anfühlen würde.

Obwohl ich mich nur zu gern von Callum ablenken lasse, kehren meine Gedanken nach einer Weile zu Sierra zurück.

»Müsst ihr beide, du und Sierra, nicht um sechs zu Hause sein?«, erkundigt sich Callum. Immer wenn Callum sie erwähnt, wird mir das Herz schwer. Haben sie sich nun geküsst oder nicht?

»Nein. Wenn es später wird, brauch ich bloß Mum anzurufen.«

»Na, dann solltest du schon mal dein Handy rausholen.«

Ich sehe nach, wie spät es ist.

»Ich warte, bis Sierra anruft. Ihr bleiben noch zwanzig Minuten. Sicher meldet sie sich gleich«, erwidere ich.

»Ja, klar. Genau so, wie sie sich damals bei mir gemeldet hat, als sie die Nacht mit Matt verbracht hat«, sagt Riley.

Mein Handy klingelt. Es ist Sierra. Ich strahle übers ganze Gesicht. Nachdem ich Riley die Zunge rausgestreckt habe, gehe ich an den Apparat.

»Hey, Si…«

Sierra fällt mir ins Wort, bevor ich weiterreden kann.

»O mein Gott! Du glaubst gar nicht, wie wunderbar alles ist! Er ist un-glaub-lich!« Ihre Stimme überschlägt sich, dann senkt sie sie theatralisch. »Er ist älter als achtzehn, aber ich habe ja auch geschwindelt, was das Alter betrifft, damit sind wir wohl quitt. Und ältere Typen sind sowieso viel heißer! O mein Gott, Tay, wir knutschen bereits rum!« Ich halte mein Handy vom Ohr weg, damit ich von ihrem Gekreisch nicht taub werde.

»Gibt also keinen Grund, dass du dich vorzeitig verabschiedest, wie?« Ich lache ein bisschen zu laut. Die Eifersucht ist wieder da. Mein Gesicht wird knallheiß. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich gehofft habe, dass er ein Arsch ist und die Sache schiefgeht.

»Nein, ganz im Gegenteil – ich will heute Nacht bei ihm bleiben.«

»Was?« Ich gerate in Panik.

»Hör mal, Taylor, du musst mich unbedingt decken. Das würde ich schließlich auch für dich tun.«

»Nein, Sierra. Das ist nicht drin. Mach das ein andermal.«

»Ich komme gleich morgen früh zurück. Das wird schon klappen.«

»Und was, wenn deine Mum meine Mum anruft? Dann bist du aufgeschmissen.«

»Wird sie nicht. Ich hab sie grad angerufen.«

»Ja, aber sie ruft Mum so gut wie jeden Tag an, um ein bisschen mit ihr zu plaudern!«

»Nicht heute Abend, da muss sie sich nämlich um die Wohltätigkeitsveranstaltung im Krankenhaus kümmern. Nun mach schon, es ist doch nur eine Nacht. Morgen komme ich dann zu dir. Ganz früh. Das verspreche ich.«

»Und was ist, wenn deine Mum herausfindet, dass du nicht bei mir übernachtet hast? Das wird sie, sobald sie mit Mum spricht.«

»Dann erzähl ich ihr, dass ich stattdessen bei Izzy übernachtet habe. Du sollst ja nicht für mich lügen, sondern einfach den Mund halten. Das klappt bestimmt. Ist doch nur eine Nacht, keine große Sache.« Sie macht eine Pause. »Oh, wir müssen los. Muss Schluss machen. Hab dich lieb.« Dann legt sie auf.

Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Riley starrt mich erwartungsvoll an.

»Lass mich raten«, sagte sie. »Es ist der heißeste Typ, den sie je getroffen hat, und sie bleibt heute Nacht bei ihm. Was für eine Überraschung!«

»Ich kann es einfach nicht fassen«, sage ich.

»Tja, alles wie gehabt. Sie ist so unglaublich selbstsüchtig. Ich hoffe, du lügst nicht für sie, Taylor. Soll sie doch erwischt werden!«

»Kennt sie diesen Typ denn überhaupt?«, fragt Callum. Die Jungs haben vom Pool aus zugehört.

»O ja, sie kennt ihn echt gut.« Riley lacht hämisch. »Letzte Woche hat sie ihn im Mysterychat kennengelernt, diese dumme Schlampe.«

»Ohoh«, sagt Joel.

»Du bist ganz schön hart«, meint Callum.

»Schließlich hat sie mich bei der Geschichte mit Matt hintergangen. Und ich habe für sie gelogen

»Na ja, aber es ist doch nichts passiert. Du hast keinen Ärger bekommen – und sie auch nicht.« Joel, die Stimme der Vernunft!

»Darum geht es gar nicht, Joel. Sie ist nicht zu der Zeit zurückgekommen, zu der sie zurückkommen wollte, und ich habe mir die ganze Zeit wahnsinnige Sorgen gemacht. Es war ihr völlig egal, ob ich Ärger bekomme. Genauso, wie es ihr egal ist, ob Taylor Ärger bekommt. Was soll Tay denn jetzt machen?« Rileys Wut nimmt von Sekunde zu Sekunde zu.

Ich schicke Mum eine SMS: Bestellen uns Pizza. Ruf dich an, wenn ich so weit bin.

Sie antwortet sofort.

Kein Problem. Viel Spaß. xx

Mir wird ganz flau im Magen. Ich bin kurz davor, in Tränen auszubrechen. Was soll ich jetzt bloß machen?

»O Gott. Woher soll ich denn wissen, ob Rachel mit Mum gesprochen hat?«, sage ich.

»Wen kümmert’s? Soll sie doch reinrasseln«, meint Riley.

Ich bleibe so lange wie möglich bei Riley. Als Callum sagt, er müsse nach Hause, texte ich Mum, damit sie mich abholt.

»Sollen wir dich mitnehmen, Callum?«

»Bist du sicher, dass das geht?«

Ich verdrehe die Augen. Er wohnt zwei Straßen von uns entfernt.

Als Mum vor Rileys Haus vorfährt, krampft sich mir der Magen zusammen. Nachdem ich Riley und Joel umarmt habe, nehme ich auf dem Beifahrersitz Platz. Mum fragt nicht, wo Sierra ist. Sie kann also nicht mit Rachel gesprochen haben. Ich atme erleichtert auf. Callum unterhält sich auf dem ganzen Nachhauseweg mit Mum, was eine gute Ablenkung ist. Wenn Sierra tatsächlich früh am Morgen aufkreuzt, kommt alles in Ordnung. Dann kann sie das Lügen übernehmen und Mum erzählen, sie habe bei Izzy übernachtet. Was sie ihrer Mum erzählt, wenn sie nach Hause kommt, ist ihre Sache. Ich brauche jedenfalls nichts zu sagen, und alles wird gut.

»Bin ich müde«, sage ich, als wir zu Hause ankommen. »Ich glaube, ich gehe gleich ins Bett.«

Ich küsse Mum, die mich fest umarmt.

»Nacht, Liebling«, sagt sie mit warmem Lächeln.

Als ich zu Bett gegangen bin, liege ich auf dem Rücken und starre in die Dunkelheit. Ob Jacob Sierra wohl erzählt hat, dass er auch mit mir stundenlang gechattet hat? Das hätte ich ihr gleich zu Anfang erzählen müssen. Wenn sie es jetzt erfährt, wird sie begreifen, warum ich die ganze Woche so komisch war. Ist das alles peinlich! Wahrscheinlich machen sie sich gerade über mich lustig. Möglicherweise aber auch nicht … Ich schüttle den Kopf und gebe mir alle Mühe, nicht daran zu denken, was sie vielleicht stattdessen machen.