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LEVI

Als ich an der Tür stand und meinen Gefährten weinen sah, eilte ich sofort zu ihm und machte mich bereit, den Drachen zu töten, der ihn zum Weinen gebracht hatte. Papa P warnte mich mit einem kurzen Blick und einem schnellen Kopfschütteln, dass ich mich zu beruhigen hätte.

Anstelle etwas zu sagen, nahm ich Cody einfach in den Arm, sobald sich alle von ihm gelöst hatten. Der Boss deutete mit dem Kopf in Richtung des Tisches, woraufhin ich Cody in das angrenzende Esszimmer trug. Ich setzte mich auf einen Stuhl am hinteren Ende des Tisches und nahm Cody vorsichtig auf meinen Schoß.

Cody krallte sich in mein Hemd, schmiegte sich an meine Brust und atmete tief ein, während sein Körper sich entspannte. Es war, als würde er sich selbst mit meinem Duft zur Ruhe bringen. Meinem Wolf und mir gefiel das definitiv. Papa P stellte die Schale mit Äpfeln vor mir ab und zeigte von ihnen auf Cody, bevor er sein klingelndes Handy aus der Hosentasche zog und leise aus dem Zimmer schlich.

„Papa P hat für dich ein paar frische Äpfel dagelassen, Cody. Du musst etwas essen, für mich?“, fragte ich leise. Cody nickte und drehte seine Brust etwas zur Seite, um nach einem der Äpfel zu greifen. Er knabberte vorsichtig an den ohnehin schon kleinen Stückchen, während ich ihm fasziniert dabei zusah. Noah und Bossman unterhielten sich, während Preston sich entschuldigte, um Amys Windel zu wechseln.

„Entschuldigt mich bitte, ich werde mal kurz in die Küche schauen, ob Justin nicht etwas Milch für unseren Jungen hier hat“, erklärte Cindy mit ruhiger Stimme, als sie in die Küche ging.

Auf dem Weg dorthin ging Papa P an Cindy vorbei. „Selbstverständlich habe ich Milch. Die Gläser stehen im Schrank rechts neben der Spüle“, meinte er beiläufig, als er uns seine Aufmerksamkeit wieder zuwandte. „Das war die Notunterkunft. Sie haben für Cody bereits ein Zimmer eingerichtet. Sie haben ein paar Dinge umgeräumt, damit er einen Platz hat. Ich habe ihm einen Termin beim Therapeuten organisiert und sobald er ein paar Sitzungen hinter sich hat und sich der Welt wieder gewachsen fühlt, können wir ihm auch einen Job besorgen.“

Mit einem Winseln ließ Cody seinen Apfel fallen und vergrub sein Gesicht wieder an meiner Brust. Unwillkürlich knurrte ich und bleckte die Zähne, während ich mit fester Stimme sprach. „Ich habe es dem Boss bereits erklärt – Cody wird nirgendwo hingehen, außer zu mir nach Hause.“

Papa P sah verwirrt drein, während Bossman selbst mir einen scharfen Blick zuwarf. „Sag deinem Wolf, dass er sich zusammenreißen soll. Das ist immer noch mein Gefährte, mit dem du redest“, erinnerte er mich vorsichtig. Anschließend drehte er sich wieder zu seinem Gefährten und erklärte. „Levi hat Codys Geruch aufgenommen, weshalb er sich künftig um ihn kümmern wird. Ich danke dir trotzdem, mein Schatz. Ich weiß es zu schätzen, wie viel Arbeit du in die Unterbringung von Cody gesteckt hast. Wir werden sie allerdings nicht mehr brauchen.“

Cody richtete sich so schnell auf, dass er mit dem Kopf gegen die Unterseite meines Kinns schlug. Durch diese unerwartete Bewegung biss ich mir auf die Zunge und Cody starrte mich verwirrt an. „Geruch? Was soll das heißen, dass du meinen Geruch aufgenommen hast?“

Ich schüttelte den Kopf und strich Cody mit meinem Zeigefinger eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Iss weiter deine Äpfel, Cody. Zum Reden haben wir später noch genug Zeit. Du und das Baby müsst etwas essen. Also iss schon.“

Cody riss seine Augen noch weiter auf und die Vene an seinem Hals pulsierte, sodass ich sehen konnte, wie sich sein Puls beschleunigte. „Woher weißt du von dem Baby?“, erkundigte er sich beinahe flüsternd.

„Jeder Shifter in diesem Raum weiß von dem Baby“, erwiderte ich schnaubend und war überrascht, dass er diesen Punkt nicht bemerkt hatte.

Neugierig neigte Cody seinen Kopf zur Seite und musterte mich. „Und es macht dir nichts aus, dass ich zu dir komme, obwohl ich dieses Baby schon in mir trage?“ Seine Wangen färbten sich rot, als er seinen Gedanken mit beschämter Stimme und gesenktem Kopf beendete. „Ich meine, ich weiß nicht einmal, wer sein Vater ist – stört das einen Alpha wie dich nicht?“

Sanft umfasste ich sein Kinn und hob sein Gesicht so weit an, dass ich ihm in die Augen sehen konnte. „Ein Alpha wie ich? Einen Alpha wie mich wirst du nie finden. Und was den Vater des Babys angeht – was soll die Frage bedeuten, du weißt es nicht? Das ist komisch, denn ich weiß ganz genau, wer der Vater des Babys ist.“

Überrascht klappte sein Mund auf. „Wie kannst du das wissen? Kannst du das etwa auch riechen?“

Ich verkniff mir ein Lächeln, um meinen Gefährten nicht in Verlegenheit zu bringen. Deshalb schob ich die Schüssel mit den Äpfeln näher zu ihm und sprach mit fester Stimme. „Iss endlich, Cody. Wie ich schon sagte – wir reden später.“

Nachdem er endlich mit den Äpfeln und dem großen Glas Milch, das Cindy fürsorglich hingestellt hatte, fertig war, hob Cody seine Hände und sah Papa P mit einem schüchternen Grinsen an. „Wäre es möglich, euer Bad zu benutzen? Ich habe ganz klebrige Finger.“

Als Cody sprach, betrat Preston soeben wieder das Zimmer. Er legte das Baby in Noahs Hände und gab Cody ein Zeichen, noch bevor jemand antworten konnte. „Komm mit mir, ich zeige dir, wo es ist.“

In meiner Brust schwoll ein Gefühl von Stolz an, als sich Cody, ohne zu zögern, von meinem Schoß erhob und Preston folgte. Papa P sah ihm lächelnd hinterher, bevor er sich wieder mir zuwandte.

„Ein gutes Zeichen, dass er mit Preston geht, ohne dass du ihm einen Motivationsschub geben musst. Levi ist ein starker Omega. Aber hör mir bitte einen Moment zu. Ich möchte dir ein paar Dinge sagen.“

„Klar, Papa P“, antwortete ich ehrfürchtig. „Ich höre dir zu. Ich bin um deinen Rat immer froh.“

„Du bist sicherlich klug genug, um das auch alleine herauszufinden“, erklärte er sanft, „aber du musst mit Cody langsam an die Sache herangehen. Sei nicht der Erste, der ihn berührt, sondern lass ihn zu dir kommen, wenn er dazu bereit ist. Es kann sein, dass er dir als Gegenleistung für einfache Dinge wie Duschen, Essen oder ein Bett zum Schlafen sexuelle Gefälligkeiten anbieten will. Weise ihn vorsichtig zurück, wenn er das versucht. Es wird wohl eine Weile dauern, bis er lernt, wie ein normaler Umgang funktioniert. Glücklicherweise wird er während der Schwangerschaft nicht in Hitze kommen, sodass der Zeugungsdrang in euch, wie brünstige Wölfe übereinander herzufallen, die Dinge nicht verkompliziert.“

„Ich würde ihn niemals drängen“, antwortete ich hastig. Die Vorstellung ließ mich wohl ziemlich entsetzt aussehen, denn Papa P hielt sofort eine Hand hoch.

„Das weiß ich, Levi. Aber ich möchte auch sagen, dass du dich ihm nicht an den Hals werfen sollst – nicht mit ihm flirten und ihn nicht necken. Und mach auch keine Witze über Sex, das würde ihn im Moment nur verwirren. Wenn er so weit ist, sieht die Sache schon anders aus. Aber zurzeit ist der Junge noch nicht bereit für etwas so Erwachsenes wie eine Paarung.“

Als mir klar wurde, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich fortfahren sollte, fiel mir die Kinnlade herunter. „Über welchen Zeitraum reden wir hier? Woher soll ich wissen, wann er bereit ist? Das Letzte, was ich will, ist, ihn weiter zu traumatisieren, aber gleichzeitig will ich für ihn da sein.“

„Du erkennst, dass er bereit ist, wenn er zu dir als Mann kommt – und nicht als Opfer. Dann wirst du es wissen. Was alles andere anbelangt? Geh einfach auf Nummer sicher, sei behutsam und behandle ihn mit Respekt, wie du es sowieso tun würdest. Ich verstehe, dass du für Levi da sein willst. Ich will dir nur einen Rat geben, wie du das am besten anstellst. Aber auch hier gilt: Du wirst wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Diese Beziehung ist eine Sache zwischen euch beiden. Ich will dir nur einen Rat geben und mich nicht einmischen. Wenn er Dr. Clifford kennenlernt, wird das helfen.“

„Dr. Clifford?“, fragte ich neugierig. „Ist das ein Psychiater oder ein normaler Arzt?“

Papa P schüttelte den Kopf. „Ich hatte bisher nur Zeit, einen Termin bei einem Therapeuten zu vereinbaren. Bis Levi hier ankam und ich es gerochen hatte, wusste ich noch nichts von der Schwangerschaft. Sobald ich kann, werde ich einen Termin bei einem entsprechenden Arzt organisieren. In der Zwischenzeit musst du ihn nur lieben, für ihn sorgen und vor allem für ihn da sein.“

„Das kann ich“, sagte ich voller Überzeugung. „Und ich nehme das Angebot des Bosses an, jederzeit anzurufen, wenn ich mit euch reden will. Ich brauche wohl mehr Unterstützung, als mir klar war.“

Papa P und der Bossman streckten sich die Hände entgegen und verschränkten sie, während sie sich ein verstohlenes Lächeln schenkten. Der Boss sprach leise, ohne den Blick vom Gesicht seines Gefährten zu wenden. „Du hast ja keine Vorstellung, mein Sohn.“