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LEVI

Schwer seufzend sprach ich in mein Telefon. „Ich bin jetzt seit über einem Monat beurlaubt, Sir. Cody ist vor fast fünf Wochen in mein Leben getreten. Würde es ihm nicht helfen, sich schneller an das normale Leben zu gewöhnen, wenn wir tatsächlich ein normales Leben führen würden? Wie soll er sich an meine Arbeit gewöhnen, wenn ich immer in seiner Nähe bin? Abgesehen davon wird das Team mich inzwischen brauchen. Es muss doch sicher eine Mission bevorstehen, bei der ihr mich braucht?“

Bossmans strenger Tonfall war eindeutig und ließ keinen Raum für Diskussionen. „Hör mir zu, mein Sohn. Ich weiß, dass es einem Soldaten schwerfällt, sich Urlaub zu nehmen, aber gerade jetzt bist du auf einer Mission, die größer ist als alles, was dir je im Leben widerfahren wird. Sich um deinen Omega zu kümmern, ist mindestens genauso bedeutend wie der Dienst an sich, wenn nicht sogar noch wichtiger. Kümmere dich um Cody und ich werde dir Bescheid geben, wenn es Zeit für dich ist, wieder den Dienst anzutreten. Habt ihr Jungs nicht heute einen Termin beim Arzt? Ich meine mich zu erinnern, dass Justin etwas diesbezüglich erzählt hat.“

„Ja, heute findet die große Ultraschalluntersuchung statt“, sagte ich stolz. „Wir werden das Baby endlich sehen können. Preston meinte, dass wir sogar ein Bild bekommen werden. Ehrlich gesagt, freuen wir uns beide schon sehr darauf. Ich hole ihn gerade aus Dr. Cliffords Praxis ab und danach gehts zum Arzt.“

„Schaut auf jeden Fall bei Papa P vorbei und zeigt ihm auf dem Heimweg alles. Er wird sich bestimmt freuen, das Foto zu sehen.“

„Wird gemacht, Bossman. So, ich muss los. Cody kommt gerade raus.“

„Schon gut, mein Sohn. Wir unterhalten uns später“, beendete der Bossman das Telefonat. Noch bevor ich aussteigen und ihm die Tür öffnen konnte, erreichte Cody das Auto. Erwartungsvoll lächelte ich ihn an, als er auf seinen Sitz kletterte.

„Wie war der Termin heute?“

Cody zuckte mit den Schultern. „Sie bringt mich immer noch dazu, über meine Grenzen zu gehen. Über manche Themen spreche ich lieber als über andere. Ich mag es, über meine Eltern zu erzählen und sie in Erinnerung zu behalten. Allerdings rede ich nicht gerne über meine Kidnapper. Sie will, dass ich mich mehr an die Zeit, in der ich entführt wurde, erinnere. Aber irgendwie ist da nur eine große schwarze Leere – und ich habe eigentlich nichts dagegen, dass das so ist. Wenn ich mich nicht erinnere, liegt das vielleicht daran, dass mein Gehirn genau weiß, dass es zu weh tun würde, weißt du?“

Ich ergriff seine Hand und legte sie auf meinen Oberschenkel, während ich losfuhr. „Ich bin sicher, dass es dir wieder einfällt, sobald du dafür bereit bist, oder auch nicht. Ich hasse es, dich leiden zu sehen. Deshalb bin ich wohl nicht der beste Ratgeber, wenn es um die Frage geht, ob du diese Erinnerungen wiederfinden solltest oder nicht.“

Cody drückte seine Finger in meine. „Heute kam noch etwas anderes in der Therapie zur Sprache … Es betrifft, ähm, dich. Nach dem Gespräch mit Dr. Clifford dachte ich, dass du möglicherweise … mein Gefährte bist?“

Meine Brust platzte beinahe vor Stolz, aber ich begnügte mich mit einem kleinen Lächeln. „Und wie kommst du zu dieser Annahme?“

„Ähm … Na ja, wir klären gerade, wie wohl ich mich in deiner Nähe fühle. Nach meinen Erlebnissen sollte man meinen, dass ich mich mit einem Mann, vor allem mit einem Alpha deiner Größe, nicht so wohl fühle. Das Thema kam auf, als wir uns über meine Eltern unterhielten und darüber, was Heimat für mich bedeutet, nun wo sie weg sind. Doch jedes Mal, wenn ich über mein Zuhause nachdenken wollte, kam ich auf dich zurück. Du riechst nach Heimat für mich, du fühlst dich wie Heimat an, verstehst du? Wenn ich an zu Hause denke, denke ich an dich. Die Therapeutin meinte, dass du mein Gefährte bist, also … will ich es wissen. Hatte sie recht?“

Vor Überraschung stockte mir der Atem. Ich wusste wirklich nicht, wie ich darauf antworten sollte. Warum konnte Cody diese wichtige Erkenntnis über uns nicht schon längst haben? Man sollte meinen, dass er das als Shifter weiß. Aber vielleicht lag es an der Tatsache, dass er noch so jung war, als er entführt wurde, dass er noch nicht wusste, wie er seine Wolfssinne einsetzen sollte?

Cody unterbrach meine Gedanken, als er einen Moment später seine Frage mit seiner dominanten Stimme wiederholte, die meinen Schwanz immer zum Zucken brachte.

„Levi, antworte mir. Bist du mein Gefährte? Sag mir die Wahrheit.“

Meine Lippen öffneten sich bereits und ich gehorchte sofort. „Ja. Wir sind Gefährten. Ich hatte dich von dem Moment an gewittert, als wir einander begegnet sind. Es war aber nicht der richtige Zeitpunkt, es dir zu sagen, verstehst du? Das musstest du ohnehin selbst herausfinden.“

Cody riss seine Hand weg und verschränkte die Arme vor der Brust, während er mich anstarrte. An einer roten Ampel bremste ich ab und kam zum Stehen, bevor ich einen Blick in seine Richtung wagte. Cody schüttelte den Kopf und zeigte auf den bereits rollenden Verkehr vor uns, um mir zu signalisieren, dass ich weiterfahren sollte. Dann begann er wieder zu sprechen.

„Levi, du beschützt mich nicht, indem du mir Sachen vorenthältst. Auf diese Weise signalisierst du mir nur, dass ich weiterhin ein Opfer bin, verstehst du das nicht? Ich bin erwachsen und ich will, dass du mich auch so behandelst. Verschweige mir zukünftig keine Infos mehr. Ich kann damit umgehen. Ich verspreche dir, dass ich kein schwacher Welpe bin, dem du nichts sagen kannst.“

„Ja, Sir. Und mit Verlaub, das Allerletzte, wie ich dich nennen würde, wäre schwach, Sir.“ Als mir klar wurde, was ich gesagt habe, überschlugen sich meine Gedanken. Nannte ich diesen Jungen gerade ernsthaft Sir? Ich sah aus dem Augenwinkel zu Cody hinüber, der mir einen anerkennenden Blick zuwarf.

„Braver Junge. Zwing mich nicht, das noch einmal zu wiederholen, okay?“

Ich hatte einen Ständer in der Hose und konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wieso seine kleine Demonstration von Dominanz mich so verdammt scharfgemacht hatte. Cody schnupperte heftig an der Luft und keuchte dann überrascht auf.

„Bist du gerade ernsthaft erregt?“

Unbehaglich rutschte ich auf meinem Sitz hin und her.

„Ich will es dich sagen hören. Sprich es laut aus, Levi. Bist du jetzt gerade erregt?“ Seine seidige Stimme, mit der er jedes Wort klar und deutlich aussprach, törnte mich von Sekunde zu Sekunde mehr an.

„Ja.“

Codys Atmung ging stoßweise neben mir und ich konnte seine eigene Erregung riechen.

„Ja, was?“, verlangte Cody mit rauer Stimme.

„Ja, Sir“, antwortete ich.

„Braver Junge“, raunte er, während ich auf den Parkplatz der Arztpraxis fuhr und eine Lücke entdeckte. Als ich ausstieg und die Tür öffnete, rückte ich mich vorsichtig zurecht. Das Letzte, was ich beim Betreten einer Arztpraxis tun wollte, war, meinen harten Schwanz zu präsentieren.

Als Cody und ich ins Gebäude gingen, sah ich auf seinen Kopf hinunter. Er war so klein, dass sein Scheitel kaum auf Höhe meiner Brustmuskeln war und er war ganze fünfzehn Jahre jünger als ich – wie kam es also, dass die Tatsache, dass er mich rumkommandierte und mich seinen braven Jungen nannte, meinen Schwanz lebendig werden ließ? Und warum kannte ich einen so wichtigen Teil meiner selbst nicht, wenn es mir so sehr gefiel?

Ich dachte an mein Versprechen an Papa P, Cody nicht vorzeitig zu drängen, bevor er bereit war, und verdrängte die Gedanken vorerst. Doch eines Tages, wenn er bereit war? Oh ja. Das würden wir auf jeden Fall noch genauer ergründen.

* * *

Mein Blick fiel auf Dr. Anderson, deren freundliches, rundes Gesicht gelassen und souverän wirkte. Andererseits witterte ich einen Bären an ihr und Bärenshifter waren für ihre ruhige Stärke bekannt. Dennoch hätte sie von der Nachricht, die sie uns gerade verkündet hatte, etwas aufgeregt sein müssen – immerhin war es eine Bombe, die gerade platzte.

„Könnten Sie das bitte noch einmal für uns wiederholen, Doc? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe“, sagte ich. Ich starrte auf den undeutlichen Bildschirm und mein Gehirn bemühte sich verzweifelt, den Sinn dessen, was meine Augen sahen, zu begreifen.

Dr. Anderson lächelte herzlich. Mit einem sauber manikürten Fingernagel tippte sie auf den Monitor des Ultraschallgeräts. „Gleich hier ist Baby A. Und direkt daneben sehen wir Baby B. Wie gesagt, ihr bekommt Zwillinge. Also bleibt mir nur noch eins zu sagen – herzlichen Glückwunsch!“

Staunend starrte Cody auf den Monitor. „Können Sie schon sagen, was es ist, Doc?“

„Ja, ich werde sie jetzt abmessen und dann sehen wir uns ihre Geschlechtsorgane an“, stimmte sie zu.

„Nein, danke. Ich habe nur gefragt, um sicherzugehen, dass Sie es nicht verraten“, erklärte Cody mit einem schüchternen Lächeln.

„Oh, Sie wollen sich also überraschen lassen? Ich dachte, es wäre genug Überraschung für einen Tag, herauszufinden, dass Sie zwei Babys da drinnen haben“, erwiderte die Ärztin lachend.

Cody errötete so niedlich. „Sie haben recht, es war eine ziemlich große Überraschung. Wissen Sie, in den letzten sechs Jahren hatte ich nicht viele gute Überraschungen. Eigentlich hatte ich sogar eine Menge schlechter Überraschungen. Jetzt ist es an der Zeit, dass ich ein paar gute Überraschungen erlebe, finden Sie nicht auch?“

Dr. Anderson schloss ihre Messungen ab und klopfte auf die Tastatur, bevor sie sich umdrehte und den Glibber von seinem Bauch abwischte. Sie war über Codys Vorgeschichte gut informiert, weil sie für seine Aufzeichnungen notwendig gewesen war. Als sie fertig war, sah sie zu Cody hoch, tätschelte seine Hand und blinzelte die Tränen weg, die ihr in die Augen stiegen.

„Cody, mein Lieber. Du hast ein Anrecht auf so viele glückliche Überraschungen, wie du nur kriegen kannst. Du hast es dir mehr als verdient.“ Sie streichelte nochmals seine Hand und zog dann ein Bild aus dem kleinen Drucker, der im unteren Fach des Ultraschallwagens stand. Als sie es Cody reichte, versuchte sie einen letzten Versuch.

„Soll ich dir wirklich nicht wenigstens das Geschlecht aufschreiben und in einen verschlossenen Briefumschlag stecken? Heutzutage veranstalten manche Leute gerne Partys zur Bekanntgabe des Geschlechts. Alles, was du tun müsstest, wäre, den versiegelten Umschlag in deiner Bäckerei abzugeben.“

„Ich sag Ihnen was“, sagte Cody, als er kurz überlegt hatte. „Lassen Sie mich darüber nachdenken und bei meinem nächsten Besuch werde ich Ihnen Bescheid geben. Ich hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, eine Party zu veranstalten, bei der das Geschlecht offenbart wird. Es hört sich jedenfalls sehr lustig an. Aber ich werde darüber nachdenken müssen.“

Kichernd stand sie auf, schloss seine Akte und klemmte sie unter ihren Arm. „Denk darüber nach, so lange du willst, mein Lieber. Bei deinem nächsten Besuch werden die Informationen genauso aktuell sein wie heute. Schön, dass du die Geduld zum Warten aufbringen kannst. Ich könnte es jedenfalls nicht.“

„Danke, Dr. Anderson“, bedankte ich mich, als sie sich zum Gehen wandte. „Gibt es noch etwas, das wir wissen sollten, bevor Sie gehen? Jetzt, wo wir wissen, dass Cody Zwillinge erwartet?“

Die Hand immer noch auf dem Türknauf, blickte Dr. Anderson über ihre Schulter mit einem freundlichen Lächeln zu mir zurück. „Egal, wie viele Junge in seinem Bauch sind, die einzige Regel, die du befolgen musst, ist die grundlegendste – kümmere dich um deinen Omega. Sorge dafür, dass er ausreichend Ruhe findet, genügend isst, sich ausreichend bewegt, ohne sich zu überanstrengen, und wenn ihr zum Empfang geht, wird euch meine Arzthelferin ein Rezept für die pränatalen Vitamine geben, die ich ihm verschreiben möchte. Und jetzt geht endlich und genießt den Rest dieses wunderschönen Tages. Ich sehe euch dann bei eurem nächsten Besuch.“

„Nochmals vielen Dank, Dr. Anderson“, wiederholte Cody meine vorherigen Worte. „Wir sehen uns beim nächsten Besuch.“ Mit fast schon hungrig leuchtenden Augen nahm er das Bild in die Hand, das neben ihm auf dem Tisch lag und starrte es mit einem breiten Lächeln an.

Während sich Cody ankleidete, sprach ich das Thema Enthüllungsparty an. „Warum bist du unschlüssig? So eine Party würde bestimmt viel Spaß machen und du hast es dir weiß Gott verdient.“

Cody kletterte erneut auf den Tisch, sodass ich ihm helfen konnte, seine Schuhe anzuziehen. Seine Beine hingen seitlich herunter, während ich mich vor ihn kniete. „Ich meine, wen sollten wir denn einladen? Meine als auch deine Eltern sind nicht mehr da und außer deinen Freunden habe ich keine anderen. Das wäre doch komisch, oder?“

Als ich ihm die Schuhe zugebunden hatte, stand ich auf und trat zwischen seine Beine. Vorsichtig zog ich ihn in eine Umarmung, weil ich ihm nicht zu nahe treten wollte, aber ich musste ihn trösten – ob für ihn oder mich, konnte ich nicht genau sagen. Ich wusste nur, dass ich ihn umarmen musste.

„Mein Team besteht nicht bloß aus Freunden – sie sind meine Familie. Und sie werden auch deine Familie sein. Tatsächlich bin ich mir ziemlich sicher, dass sie schon jetzt so über dich denken. Papa P tut das jedenfalls und ich weiß, dass er sich darum reißen würde, eine Party für dich zu organisieren, wenn du eine möchtest.“

Er schmolz förmlich an mir dahin, legte seinen Kopf auf meine Schulter und klemmte seine Hände zwischen unsere Brust. „Wir könnten zu ihm gehen, ihm unser Ultraschallbild zeigen und den Vorschlag erwähnen. Wir werden ihn nicht fragen, aber falls er es anbietet, würde ich es wahrscheinlich nicht ausschlagen.“

Ich lächelte in mich hinein. Ich kannte Papa P so gut, dass ich die Torte für die bevorstehende Enthüllungsparty schon schmecken konnte. „Das klingt nach einer tollen Idee, Cody. Der Boss wollte ohnehin, dass wir vorbeikommen, daher ist das perfekt.“

Cody drückte meine Brust etwas von sich. „Warum sind wir dann noch hier? Komm, wir fahren zu Papa P und zeigen ihm das Bild.“