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CODY

Ich warf wieder einen Blick auf mein Handy. Seit dem letzten Mal, als ich darauf schaute, waren erst zwei Minuten vergangen. Mit einem Anruf oder einer SMS von Levi konnte ich noch nicht rechnen – sie waren ja erst ein paar Stunden weg – und vermutlich würde ich erst von Ray erfahren, ob ihre Mission ein Erfolg war oder nicht, bevor ich etwas von Levi hörte.

Die Zwillinge lagen zufrieden auf Rays und Papas Wohnzimmerteppich und starrten auf die Kuscheltiere des Mobiles. Noch waren sie zu klein, um sie zu erreichen, aber sie liebten es, die bunten Farben zu betrachten. Ich hatte bereits versucht, mich mit einem Buch abzulenken, aber nachdem ich die gleiche Seite zum siebten Mal gelesen hatte, gab ich es einfach auf.

„Mach dir nicht zu viele Gedanken, mein Sohn“, sagte Ray. Mit seinem Tablet saß er auf der Couch, las und überflog etwas. „Die Jungs sind Profis. Insbesondere Levi. Er ist schon über ein Jahrzehnt in diesem Geschäft. Er wird zu dir nach Hause kommen.“

„Das tun sie immer“, stellte Papa P fest, trat hinter seinen Mann, legte ihm die Arme um die Schulter und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, wobei er mir einen verständnisvollen Blick zuwarf.

„Ihr kennt diese Leute nicht so gut wie ich“, erklärte ich leise. Die Zwillinge sollten meine Unruhe nicht mitbekommen. „Sie kämpfen dreckig. Fairness ist für sie ein Fremdwort.“

Das Gesicht von Ray verdunkelte sich und er legte sein Tablet zur Seite. „Glaub mir, ich weiß mehr, als du glaubst.“ Er erhob sich und verließ abrupt den Raum.

Ich sah Papa P an, dessen Augen traurig seinem Mann folgten. „Tut mir so leid, ich wollte ihn nicht kränken.“

„Oh, mein Lieber. Das hast du nicht.“ Papa P ging um die Couch herum, setzte sich neben mich und nahm meine Hand. „Solche Fälle … wecken einfach dunkle Erinnerungen. Es ist für Ray erstaunlicherweise schwerer als für mich.“

Nun war ich völlig verwirrt. „Was meinst du?“

Papa Ps Blick senkte zu Boden. „Wahrscheinlich hätte ich dir schon früher meine Geschichte erzählen sollen, aber … na ja. Du hast ja gesehen, wie Ray bei der kleinsten Erwähnung reagiert hat.“

Er verstummte und ich zügelte meine Neugierde. Wenn er sie mir erzählen wollte, würde er es tun.

„Ray und ich begegneten uns, als wir gerade an der Schwelle zum Erwachsensein standen. Eigentlich hätte es eine typische Alpha- und Omega-Geschichte werden sollen: Liebe, Sex und ein gemeinsames Happy End. Aber so kam es nicht.“ Papa P hielt inne, um meine Reaktion abzuwarten, und fuhr dann fort. „Ich steckte in derselben Situation wie du, Cody. Allerdings wurde ich an die Männer verkauft, bei denen ich wohnte. Es war mein Stiefvater, der mir das angetan hat. Ray und ich haben uns nur kurz auf einem Volksfest gesehen. Einige von uns waren am ‚Arbeiten‘ und wurden zurück zum Parkplatz eskortiert. Ich konnte kein Wort sagen, aber wir nahmen den Geruch des anderen wahr und unsere Blicke trafen sich. Er versuchte, mich anzusprechen, aber meine Bewacher stießen ihn weg. Als er sich zu verwandeln versuchte, um mich zu verteidigen, schlugen sie ihn zusammen, bis er sich nicht mehr bewegen konnte. Er wollte mich beschützen, obwohl wir nicht mehr als einen Geruch und einen Blick ausgetauscht hatten.“

„Das klingt ja furchtbar“, keuchte ich.

Papa P nickte. „Jetzt kommt es mir so vor, als wäre das alles jemand anderem passiert. Deswegen habe ich sichergestellt, dass du sofort zur Therapie gehst – es bewirkt Wunder für die Seele.“

„Was ist dann passiert? Hatte Ray Freunde, die dich aus der Gewalt deiner Entführer befreit haben?“

Papa P schüttelte den Kopf. „Ich habe geweint, die Leute standen schockiert herum oder taten so, als hätten sie nichts mitbekommen, was passiert war. Sie zogen mich weg. Ich begriff, dass ich ihn vermutlich nie wieder sehen würde, wenn ich jetzt verschwinden würde. Alles, woran ich denken konnte, war, dass er wissen musste, wer ich war, auch wenn das unsere letzte Begegnung war. Ich brüllte meinen Namen, bis sie mich bewusstlos schlugen.“

„Verdammte Sch– Sauerei.“ Ich warf einen Blick auf die Zwillinge. Sie waren zwar noch zu jung, um Schimpfwörter richtig zu verstehen oder nachzusprechen, aber es würde wohl noch eine Weile dauern, bis ich mich in ihrer Gegenwart beherrschen würde. „Wie hat er dich gefunden?“

Papa P schüttelte den Kopf. „Ich weiß es eigentlich nicht genau. Die Begegnung mit ihm hat meine Hitze hervorgerufen und es gibt kaum etwas Schmerzvolleres, als die Hitze zu ertragen, ohne sich mit seinem Alpha zu vereinen. Ich fühlte mich in den drei Jahren, bis er mich aufspürte und befreite, nur wie eine halbe Person. Aber als er mich endlich gefunden hatte … nun. Ich vermute, du verstehst diese Erleichterung. Er spricht nicht über das, was er getan hat, um mich ausfindig zu machen. Aber ich weiß, dass alle Beteiligten an meiner Gefangenschaft, selbst mein Stiefvater, bereits tot waren, als er mich nach Hause brachte. Unsere Alphas sind skrupellos, wenn es um den Schutz ihrer Liebsten geht. Ich bedauere das nicht im Geringsten. Ohne sie ist die Welt eine bessere.“

Ich nickte. Genau in dieser Gemütslage befand sich Levi. Jeder, der mich verletzt oder anderen dabei geholfen hatte, mich zu verletzen, musste sich vor ihm verantworten.

Angesichts der Tatsache, dass ich erleichtert war, dass diese Männer tot waren, fühlte ich mich ein wenig beschämt. Aber Papa P hatte recht. Ohne sie wäre die Welt ein besserer Ort. Doch etwas in Papa Ps Geschichte weckte meine Aufmerksamkeit. Ich öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und wurde rot.

„Ach bitte, Cody. Ich habe dir gerade meine schwärzeste und traurigste Geschichte erzählt. Wenn du eine Frage hast, kannst du sie mir stellen.“

„Du sagtest, dass du sofort diese Hitze gespürt hast, nachdem du Ray getroffen hast. Bei Levi und mir war das anders. Liegt es daran, dass ich … kaputt bin?“

Papa P lachte und zog mich in eine Umarmung. „Oh, Cody, selbstverständlich nicht! Das liegt daran, dass du schwanger warst. Aber das kommt noch, sobald sich die Hormone in deinem Körper ausgeglichen haben. Und wenn es so weit ist, überlässt du die süßen Babys einfach Grandpa P und Grandpa Ray. Glaub mir, du wirst keine Unterbrechungen wollen.“

Ich wurde rot, hatte aber noch eine Frage. „Also … ist das der Grund, warum du Omegas wie mir hilfst? Weil du einer von uns warst?“

Papa P lehnte sich zurück und stupste mich auf die Nase. „So begann die Geschichte von Team A.L.P.H.A. “ Es klingelte an der Tür und Papa P sprang hoch. „Schluss mit den ernsten Gesprächen – Cindy und Preston sind da. Wir lassen sie auf die Babys aufpassen und ich bringe dir bei, wie man einen anständigen Kürbispie backt.“

Gerade noch rechtzeitig kam Cindy herein, um das Ende seines Satzes zu hören. „Justin! Seit Monaten bin ich hinter deinem Geheimrezept her und jetzt gibst du es einfach so an Cody weiter?“

Papa P prustete. „Wenn ich dir mein Geheimrezept verrate, wirst du es benutzen, um die Jungs für dich zu gewinnen.“

Cindy lächelte und warf ihr Haar über ihre Schulter. „Was soll das heißen, sie für mich gewinnen? Die wissen bereits, dass ich die Beste bin.“

Papa P zog mich mit sich aus dem Zimmer in Richtung Küche und rief über seine Schulter: „In deinen Träumen vielleicht, Cindy!“