Traurig sah ich mich in der Nachbarschaft um, als wir unseren Wagen etwa einen halben Block von der Adresse unseres Ziels entfernt abstellten. Ganz leise stiegen wir aus, wobei wir die Türen vorsichtig schlossen, um kein Geräusch zu erzeugen, das andere von unserer Ankunft in Kenntnis setzen würde.
Es war zwei Uhr morgens und keine Menschenseele in der Nähe – obwohl das um zwei Uhr nachmittags wohl auch nicht der Fall gewesen wäre. An der Hälfte der Häuser in dem Block waren Bretter mit Schildern zur Zwangsversteigerung angebracht, während einige andere schlichtweg verwaist waren.
Auch die Häuser rechts und links des Ziels passten zu diesem Bild. Eines war völlig verwahrlost, die Fenster waren eingeschlagen und Graffitis zierten die Hauswand und das Garagentor. Das andere Haus trug das Schild „Zwangsvollstreckung“ .
Auf jeden Fall würden wir absolute Diskretion genießen, da die Rückseite des Hauses an ein unbebautes Feld grenzte. Die gegenüberliegenden Häuser standen ebenfalls alle leer. Mir taten die Menschen, die tatsächlich in dieser Siedlung lebten, fast leid, da die Gegend wie die Kulisse eines postapokalyptischen Kinofilms aussah. Eigentlich rechnete ich fast damit, dass jeden Moment ein paar Statisten aus The Walking Dead auftauchen würden.
„Es war kein Scherz, als Jonah erwähnte, dass dieses Viertel in den letzten Jahren heruntergekommen ist. Manche dieser Häuser sehen so aus, als wären sie früher mal hübsch gewesen – als ob das hier keine ärmliche Gegend wäre, weißt du? Ob das wohl an der Immobilienkrise von vor einigen Jahren liegt, wegen der ganzen Hypothekenscheiße?“, fragte Ezra, als er sich auf der Straße umsah.
Zeke schnaubte. „Ich bezweifle es. Der Wert einer Immobilie sinkt, sobald ein paar Arschlöcher einziehen. Ein Ring von Sex-Händlern direkt nebenan? Tja, da leidet die ganze Wohngegend, verstehst du?“
Mit einem Finger strich Noah über seinen Hals, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann flüsterte er leise, als wir uns alle um das Haus herum verteilten, um die vereinbarten Positionen einzunehmen.
„Levi, bleib auf der gegenüberliegenden Straßenseite und halte dich in Schussbereitschaft. Boomer, du gehst auf sechs Uhr, während die Zwillinge den Hintereingang übernehmen. Alle bereit?“
Ezras Stimme erklang über das Funkgerät. „Sorry, Boss, aber das musst du wiederholen. Als du den Hintereingang erwähnt hast, bin ich vom Thema abgekommen.“
„Ignorier meinen Zwilling. Wir sind in Position, Bossboy“, meinte Zeke leise.
Vorsichtig öffnete Boomer die Fliegengittertür der Veranda, während sich Noah in Stellung brachte, um die Tür aufzubrechen. „Okay, Jungs. Auf drei – eins, zwei, DREI!“ Bei drei trat Noah die Tür ein, woraufhin ich ein weiteres Aufbrechen einer Tür hörte, als die Zwillinge ihren Weg von hinten herein antraten.
„Was zum Teufel soll der Scheiß? Ihr könnt hier nicht einfach reinplatzen und –“ Die unbekannte Stimme brach abrupt ab.
„Außer, dass wir genau das gerade getan haben“, meinte Boomer leise.
„Zeke, Ezra – ihr zwei kümmert euch um die Menschen hier, während Boomer und ich weiter nach unten gehen.“
„Aww, ihr bekommt den ganzen Spaß“, quengelte Ezra scherzhaft. Ich vernahm ein paar Schläge und Schritte, die auf dem Teppichboden polterten, aber einige Minuten lang sprach niemand mehr ein Wort.
„Leck mich“, fluchte Noah. „Hier gibt es außer diesen beiden Drecksäcken menschlichen Abschaums keine Verdächtigen mehr. Sie sind die Einzigen, mit denen wir uns hier befassen müssen. Sie haben einen Omega bewacht, den Boomer und ich gerade hier gefunden haben.“
„Braucht ihr Jungs mich da drin?“, fragte ich leise.
Bevor Noah antwortete, hörte ich das Geräusch von rasselnden Ketten und klirrendem Metall.
„Levi, du musst Ausschau halten. Sei wachsam, wir bringen einen Omega raus. Wir haben ihn in einem Hinterzimmer an ein Bett gekettet gefunden, aber vom Schulleiter fehlt jede Spur. Jonah, kannst du mich hören?“, fragte Noah.
„Genau hier, Bossboy“, antwortete dieser.
„Es gibt eine Geldbörse mit dem Schulausweis des Jungen, die wir hier im Schlafzimmer gefunden haben. Sein Name ist Peter Monroe und er besucht die gleiche Highschool wie Cody. Könntest du das für uns überprüfen?“
„Schon dabei, Bossboy. Kommt heil da raus. Soll ich wegen der Menschen die Behörden anrufen?“
„Nein, ich glaube, dass es ein Problem mit dem Heißwasserboiler geben wird. Ich habe gerade hellseherische Fähigkeiten“, sagte Noah. „Ezra, Levi – schafft den menschlichen Abschaum in die Garage. Dort war doch auf dem Plan, den Jonah uns gezeigt hat, der Heißwasserboiler?“
„Positiv“, bestätigte Jonah.
„Großartig“, meinte Noah. „Ihr fesselt die zwei an den Boiler. Am liebsten würde ich die Ketten verwenden, mit denen sie Peter hier gefesselt haben, aber ein brennbares Seil aus Naturfasern wäre wohl die bessere Wahl.“
„Betrachte es als erledigt, Bossboy“, sagte Zeke. „Und ich schätze, dass wir durch das Garagentor abhauen sollen und das Tor offen lassen sollten?“
„Aber natürlich, wie sonst soll Levi sein Ziel sehen können?“, fragte Noah, während er und Boomer wieder durch die Vordertür hinauskamen. Boomer trug einen kleinen Jungen über seiner Schulter, wie ein Feuerwehrmann. Wenige Sekunden später fuhr das Garagentor hoch und ich erblickte zwei Männer, die an den Heißwasserboiler gefesselt waren.
Auf dem Weg zurück zum Auto zickte Boomer die ganze Zeit herum. „Das ist doch Bullshit, Noah. Warum darf Levi den ganzen Spaß haben? Für Explosionen bin ich doch zuständig.“
Entweder war der Omega unter Drogen oder unter Schock, weil er sich nicht bewegte oder sprach, während sie alle wieder ins Auto stiegen. Ich begab mich auf die Ladefläche und zückte Big Mama – meine Barrett-Scharfschützenflinte, Kaliber 50. Neidisch beobachtete Boomer, wie ich das spezielle Geschoss, das rund fünfeinhalb Zentimeter lang war, in das Magazin schob.
„Wo ist Baby?“, fragte Zeke. „Betrügst du sie mit einer anderen Knarre heute Abend?“
Ich grinste. „Baby ist für alltägliche Action, aber heute Abend kommt Big Mama zum Spielen raus. Okay, Zeke, wirf den Motor an, ich werde gleich fertig sein.“
Die Jungs wurden still, als ich mich auf die Veranda des verlassenen Hauses begab, vor dem wir geparkt hatten. Ich stellte Big Mama auf dem Geländer ab, befestigte ihren Schalldämpfer und visierte mein Ziel an. Von hier aus hatte ich einen perfekten Winkel für den Heißwasserboiler.
Nur Sekunden später war es vollbracht. Mein Schuss traf sein Ziel, bevor die daran gefesselten Männer es überhaupt kommen sahen. Als wir uns auf den Weg zurück aus dem Viertel machten und in der Nacht verschwanden, stand das Haus lichterloh in Flammen.
* * *
„Versprich uns bitte, dass du uns Bescheid sagst, wenn wir dir in Zukunft irgendwie helfen können. Wir schulden euch alles. Die Menschen hätten ihn nie gefunden. Seit fünf Tagen wurde Peter vermisst und von ihm fehlte jede Spur. Sicher, dass ich nicht helfen kann, denjenigen zu finden, der ihn entführt hat? Mein Wolf ist ziemlich stark.“
Der Vater des Jungen redete mit belegter Stimme und Tränen auf dem Gesicht zu uns. Während die Mutter mit Noah und Boomer im Haus verschwunden war, standen die Zwillinge und ich da und erklärten dem Vater alles.
„Hören Sie, Sir. Ich kann das gar nicht oft genug wiederholen. Wir wissen, wer ihn entführt hat, und Sie können unbesorgt sein, denn er wird nie wieder jemanden entführen. Wir gehören zu einem Eliteteam, das ausschließlich für die Rettung von Omegas in Not gegründet wurde. Ihre Familie und Sie müssen Ihren eigenen Angelegenheiten nachgehen, aber behalten Sie Peter für ein paar Tage zu Hause. Sagen Sie nichts davon, dass er gefunden wurde, bis Sie ein Mitglied unseres Teams anruft und Ihnen mitteilt, dass alles in Ordnung ist.“
Endlich kamen Noah und Boomer zu uns. „Meine Männer haben Recht, Sir. Sie bleiben hier bei Peter und passen auf ihn auf. Wir bleiben in Kontakt. Aber wenn Sie von dem Verschwinden eines bekannten Mitglieds Ihrer Gemeinde hören, das Ihnen etwas näher geht als die üblichen Nachrichten, wissen Sie, wer der Schuldige an Peters Verschwinden ist.“
Wir brauchten weitere zehn Minuten, um den dankbaren Eltern zu entfliehen und das auch nur, nachdem Noah ihm vorgeschlagen hatte, nach seinem Sohn zu sehen, während wir uns um seinen Entführer kümmerten.
„Okay, Jonah. Erzähl mir was“, sagte Noah in den Lautsprecher, als wir auf den Highway fuhren. „Wohin geht die Reise?“
„Die Adresse ist schon auf eurem GPS gespeichert, wenn ihr euch die Mühe machen wollt, sie anzusehen“, meinte Jonah. „Aber ihr fahrt Richtung Catskills, falls ihr einen Ortsnamen in eurem Gedächtnis braucht.“
„Die verdammten Catskills?“, fragte Boomer überrascht. „Wir werden erst in ein paar Stunden dort ankommen. Dann ist schon Mittagspause.“
„Ja, das ist der Grund, warum ihr erst morgen Abend losfahrt. Entschuldigt, dass ich euch das Thanksgiving-Wochenende verderbe, aber deswegen ist dieser Kerl in dieser abgelegenen Gegend unterwegs. Über das lange Wochenende ist die Schule geschlossen und der Direktor ist in sein Ferienhaus gefahren.“
„Da mache ich mir keine Sorgen“, sagte Noah zuversichtlich. „Papa und Cindy werden nie erlauben, dass es ein Thanksgiving-Essen gibt, wenn wir nicht dabei sind.“
„Als ob ich das nicht wüsste“, murrte Jonah. „Mir gefällt es gar nicht, dass ich noch ein paar Tage auf meinen Kürbispie warten muss.“
* * *
In der darauffolgenden Nacht krochen wir durch die Baumgrenze zur Hütte. Wir waren eine halbe Meile dahinter abgesetzt worden, damit wir unbemerkt vordringen konnten. Als wir unsere Positionen um die schicke Hütte einnahmen, stand der Mond hoch über den Baumwipfeln.
„Auf ein Neues, Team. Wer von euch durch Glas springt, sollte daran denken, die Augen zuzumachen, damit diesmal keine Glassplitter reinkommen“ , warnte Noah scherzhaft, während er mit uns in Gedanken kommunizierte.
„Scheiße“ , meinte Ezra. „Da springt man einmal durch ein Glasfenster und vergisst, die Augen zu schließen, und schon kann man sich das ein Leben lang anhören.“
„So ist es, Ezra. Nur ein totaler Vollidiot springt mit offenen Augen durch ein Fenster.“
„Schnauze, Zeke. Immerhin bin ich nicht auf einem heißen Ofen gelandet, als ich durch ein Fenster gesprungen bin. Und wer war das noch mal? Helft mir auf die Sprünge, ich habe es vergessen. Wer auch immer das war, hätte sich doch vorher umschauen müssen, oder?“
„Also gut“ , gluckste Noah. „Schluss mit der Zeke & Ezra-Show… Auf drei, aber vergesst nicht, dass der Typ Levi gehört.“
Alle waren einverstanden, auch wenn Ezra und Zeke vorgaben, sich darüber zu beschweren. Noah zählte runter und auf drei sprangen fünf große Alphawölfe durch die Türen und Fenster auf jeder Seite der Hütte.
Ich gelangte gerade noch rechtzeitig durch die Hintertür in den offenen Wohnbereich, um einen kleineren, schlammfarbenen Betawolf zu sehen, der wütend knurrend in den Raum stürmte und die Zähne vor den beiden großen grauen Wölfen fletschte, die in der Mitte des Raumes standen. Das war beinahe niedlich.
Hinter ihm kam Noah herein, der sich bereits in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt hatte. Mit der Kraft seiner Alpha-Stimme befahl Noah dem Betawolf, sich zu verwandeln. Augenblicklich verwandelte sich der Beta in eines der schlimmsten Monster, die ich je zu Gesicht bekommen hatte – einen absolut durchschnittlich aussehenden Mann.
Er war knapp einen Kopf kleiner als Noah und hatte schmächtige Gliedmaßen, an denen kein einziger Muskel erkennbar war. Es muss schwer gewesen sein, seinen dicken Bauch zu verbergen, wenn er sich als anständige Vertrauensperson der örtlichen Schule verkleidete. In meinem Magen kroch Ekel auf, je länger ich ihn ansah. Mit einem Knurren drängte ich mich näher an ihn heran.
Noah schüttelte den Kopf und hielt mir eine Hand entgegen, ohne seinen Blick von dem Mann zu lösen.
„Harold Jackson, wir sind hinter dein kleines dreckiges Geheimnis gekommen und sind hier, um dich zu holen. Wie kannst du deine Autorität so missbrauchen und die dir anvertrauten Kinder in solche Gefahr bringen? Du sollst sie beschützen, doch stattdessen machst du süße, junge Omegas zu Huren für deinen eigenen Profit?“
Ich gab mein Bestes, mich zurückzuhalten, aber das Wort „Hure“ brachte mich endgültig aus der Fassung. Mit gefletschten Zähnen und gesträubtem Fell stürzte ich auf den Mann zu. Ich war nur Zentimeter von seiner Kehle entfernt, als mich Boomer mit seinem Körper gegen die Wand stieß. Er hielt mich fest, derweil Noah weiter mit dem Wichser sprach.
„Danke, dass du dich dieser wilden Bestie angenommen hast“, bemerkte Direktor Jackson – nein, Harold – und schnaubte. „Und was die Omegas betrifft? Du weißt genauso gut wie ich, dass sich keiner einen feuchten Dreck um Shifter im Allgemeinen schert und Omegas gibt es wie Sand am Meer. Keiner gibt einen Furz auf die, also warum tust du es?“
Fast hätte ich es geschafft, mich aus Boomers Griff zu befreien, aber er hielt mich weiter fest. Zeke und Ezra stellten sich neben Harold, während sich Noah einen Moment lang mir zuwandte.
„Levi, ich werde es dir nicht noch einmal sagen. Reiß dich verdammt noch mal zusammen. Wenn ich Informationen brauche, wird dieser Wichser sie mir geben, aber dazu musst du dich beruhigen. Zwing mich nicht, dich von den Jungs nach draußen begleiten zu lassen, das ist nämlich das Letzte, was ich tun will.“
Ich winselte, stimmte aber dennoch zu. Befriedigt wandte sich Noah wieder an Harold. „Wie du gerade gehört hast, will ich Informationen – und zwar sofort.“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich kann dir keine Informationen geben. Mit dem Geld, das ich durch die Menschheit verdient habe, finanzierte ich meinen Lebensunterhalt und kaufte dieses Haus. Was hältst du von dieser Information? Ihr wisst, dass die Menschen scheiße sind. Sie zahlen Unsummen, um es mit einem Shifter zu treiben – selbst für einen schwächlichen, vollgedröhnten Omega. Die Gefahr macht es für sie aufregender, verstehst du?“
In seinen Augen glitzerte es vor Begeisterung, als er sprach und sich in seinem Mundwinkel eine Blase aus Spucke bildete. „Weißt du, was am lustigsten daran ist? Wenn einer dieser dämlichen Omegas intelligent genug wäre, sich zu verwandeln und zu verteidigen, würde mir das sicher noch mehr Kohle einbringen. So bescheuert sind die Menschen nun mal. Sie wollen unbedingt beweisen, dass sie einen Shifter bezwingen können, aber da habe ich meine Omegas bestens abgerichtet. Die wissen es besser, als sich mit meinen Männern anzulegen.“
„Und was ist mit denen, die es nicht besser wissen? Was soll mit denen sein?“, fragte Noah mit täuschend ruhiger Stimme.
„Du meinst diejenigen, die nicht clever genug sind, Anweisungen zu befolgen? Die kann man leicht mit einem Schuss Gute-Laune-Saft ruhig stellen. Sogar wenn sie davon abhängig werden, ist es immer noch günstiger, sie unter Drogen zu setzen, als einen neuen Schüler zu erziehen. Und wenn ein schlechter Samen dabei ist, kann man den Schaden leicht eingrenzen. Man schlitzt ihnen einfach die Kehle durch und wirft sie irgendwo zum Verrotten in ein Loch, klar? Warum die ganze Fragerei – Interesse daran, in das Geschäft einzusteigen? Geht es euch darum?“
Daraufhin knurrte Noah. „Harold Jackson, ich verurteile dich für deine Verbrechen gegen deine eigene Art zum Tode.“
Harold fing an, wie ein Irrer zu lachen. „Klar, schon gut. Bring mich ruhig um. Aber denkst du wirklich, dass du damit die ganze Sache zu Ende bringst, wenn du mich tötest? Ich bin nur ein kleines Rädchen in der Maschine. Lass mich gehen und du bekommst meinen Boss. Mehr habe ich nicht, als den Namen des Mannes, dem ich unterstehe. Und der wiederum hat nur den Namen seines Bosses und so weiter und so weiter. Aber zuerst rufst du deine Köter zurück. Wenn du willst, dass ich rede, müssen alle in Menschengestalt sein.“
Noah stimmte zu. „Levi, verwandle dich zurück. Wenn er mir den Namen gibt, den ich brauche, werde ich ihm nichts tun.“
Ich, sowie auch Boomer, verwandelten uns zurück. Als ich mich aufsetzen wollte, schüttelte Boomer nur den Kopf und lehnte sich mit dem Rücken gegen mich, um mich festzuhalten. Die Angst des Mannes schwappte in Wellen von ihm ab und verbreitete ihren üblen Gestank im Raum.
„Du hast mir einen Namen versprochen, Harold“, drängte Noah.
Beim Klang von Noahs fester Stimme zuckte Harold zusammen und drehte sich zu ihm um. „Melvin. Melvin Thompson. Er wohnt in Jersey, in Newark, glaube ich. Mehr weiß ich nicht. In meinem Handy steht eine Nummer, mit der ich ihm im Notfall eine Nachricht schicken kann – sonst haben wir keinen Kontakt.“
Noah nickte langsam. „Ich rieche die Wahrheit aus dir und nehme dich daher beim Wort.“
Harold nickte schnell. „Ich schwöre dir, dass ich die Wahrheit sage. Es gibt keinen Grund zu schwindeln, solange fünf Alphas einen Beta wie mich in die Zange nehmen. Also, sind wir jetzt fertig? Kann ich gehen? Oder besser gesagt – werdet ihr gehen?“
Noah schüttelte den Kopf. „Boomer, lass Levi los. Levi, du kannst dich wieder verwandeln.“ Er sah Harold an, während der Gestank von der Pfütze aus Pisse, die sich rasch vor den Füßen des Betas bildete, die Luft erfüllte.
Der Mistkerl bettelte zitternd vor Angst um sein Leben. „Du hast gesagt, dass du mir nichts tun würdest, wenn ich rede! Du hast es versprochen! Das kannst du nicht machen, wir sind Shifter – wir müssen zusammenhalten!“
Noah spöttelte. „Genau, Shifter müssen zusammenhalten – und nicht ihre Kinder an Menschen verhökern. Du bist widerwärtig und wie schon gesagt – ich verurteile dich zum Tode. Zeke, sieh zu, dass du das Handy von diesem Drecksack bekommst, bevor wir gehen.“
„Aber du hast es versprochen!“, winselte Harold.
„Nein, ich habe versprochen, dass ich dir nichts tun werde. Von Codys Gefährten war keine Rede. Du erinnerst dich bestimmt an Cody Evans, nicht wahr? Der Omega, der vor ungefähr sechs Jahren aus deiner Schule verschwunden ist? Oh, sicherlich erinnerst du dich an ihn. Ich meine, da er und zwei deiner Opfer vor einigen Monaten aus einem gewissen Motel in der Bronx verschwunden sind, ist dir der Name Cody Evans sicher ein Begriff. Es ist nämlich so … der Wolf, den wir von dir zurückgehalten haben, ist sein Gefährte.“
Harold erbleichte, seine Augen wurden vor Entsetzen immer größer und er starrte mich an. Ich knurrte bedrohlich, ehe ich beschloss, einen Scheiß drauf zu geben und mich wieder in meine menschliche Gestalt zu verwandeln. Ich wühlte in meiner Taktikweste, die wir sowohl als Menschen als auch als Wölfe tragen konnten. Schweigend griff ich in die Seitentasche und zog einen Revolver heraus. Alle sahen zu, als ich diesem Bastard eine einzelne Kugel in den Kopf jagte. Als er zu Boden ging, packte ich die Waffe in meine Tasche, schloss den Reißverschluss und verwandelte mich zurück in einen Wolf.
Während wir den Berg hinuntergingen, machte Zeke mich ständig von der Seite an. „Alter, hast du noch nie etwas davon gehört, dass man mit seinem Essen spielt? Das war ja so enttäuschend, dass es schon langweilig war. Was für eine Enttäuschung, vor allem, nachdem Boomer deinen Arsch die gesamte Zeit über zurückhalten musste, als wir da drin waren. Ich habe mir ein bisschen Action mit Zähnen und Klauen erhofft, aber keine Kugel.“
Als ob ich die Erinnerung an das Böse in diesem Mann so leicht abschütteln könnte wie Wasser, schüttelte ich mein Fell. „Dieser Typ war keine weitere Minute meiner Zeit wert. Ich will einfach nur noch nach Hause zu meinem Gefährten, verstehst du?“
Zeke stieß mit seiner Schulter gegen meine, um mich in eine Schneebank zu drücken. „Nein, ich verstehe nichts davon. Aber eines Tages werde ich es wohl, wenn ich erfahre, wie es ist, einen Gefährten zu haben. Bis dahin erlebe ich es durch dich und den Bossboy.“
Ezra bellte amüsiert. „Scheiß drauf, erlebe du es ruhig als fünftes Rad am Wagen. Ich hingegen? Ich habe morgen Abend ein Date mit zwei Omegas. Eigentlich wollte ich dich einladen, aber wenn du kein Interesse hast, kann ich auch mit beiden was anfangen.“
„Fick dich, Ezra. Ich werde da sein und das weißt du. Aber diesmal zahle ich nicht die ganze Zeche. Wenn du deine Brieftasche vergisst, bekomme ich es doppelt zurück.“
Als ich den Zwillingen zuhörte, wie sie sich zankten, während wir uns auf den Weg zurück zu unserem Fahrzeug machten, fühlte ich mich seltsam gelassen. Der Typ, der meinen Gefährten verschleppt hatte, war nun aus dieser Welt geschafft. Klar, wir mussten immer noch mehr Leute ausfindig machen, aber immerhin hatten wir uns um ihn gekümmert.
„Oh, Mann. Da fällt mir gerade ein, dass ich vorhin etwas Chaos hätte anrichten sollen, um etwaige Fingerabdrücke zu beseitigen“ , beklagte sich Boomer.
Noahs Wolf grinste amüsiert. „Gibs zu, du bist nicht wegen der Fingerabdrücke besorgt. Du bist nur deprimiert, weil du die Gelegenheit versäumt hast, etwas in die Luft zu jagen.“
„Das auch“ , stimmte Boomer zu.
„Ihr Jungs seid verrückt. Ihr wisst, dass ich euch liebe, oder?“, sagte ich beiläufig.
„Aww, wir lieben dich auch, Betty“ , fügte Ezra hinzu. „Aber wenn du noch mehr solchen Scheiß sagst, wirst du dich bald zu den Höschen bekennen müssen, in denen wir dich erwischt haben.“
„Fick dich, Ezra.“
„Oh, Betty … Ich liebe dich auch.“