»Au, verdammt!«
Rickard steckte sich den Finger in den Mund, um die Blutung zu stoppen. Dann sägte er weiter. Kurz darauf fiel der Gewehrlauf auf den Boden. Stacy sprang herbei, maunzte und schnupperte an dem Metallstück. Rickard verscheuchte sie mit dem Fuß und nahm die Schrotflinte aus der Schraubzwinge.
Er kannte sich mit Waffen nicht aus, interessierte sich nicht dafür. Nur wenige Male hatte er überhaupt ein Gewehr in der Hand gehabt, wenn er mit Jocke auf Wildschweinjagd gegangen war. Ein paar nächtliche Aktionen in seiner Jugend. Er machte sich nichts aus der Jagd, aber das hatte er Jocke damals in den Wäldern natürlich nicht gesagt.
Dieses Gewehr hatte er gestern aus Jockes Schrank genommen, eine doppelläufige Winchester.
Rickard mochte nicht darüber nachdenken, wie er Jocke erklären sollte, warum er den Lauf abgesägt hatte. Dieses Problem vertagte er lieber auf später. Die Mündung war ausgefranst, und Rickard schraubte die Waffe noch einmal fest, um sie mit der Rundfeile zu bearbeiten. Alle nötigen Informationen hatte er über das Internet gefunden. Das war der Vorteil bei abgesägten Schrotflinten: Sie ließen sich leichter verstecken.
Die Streuung des Schrots dagegen war noch größer, Präzision und Schussgeschwindigkeit litten ebenfalls. Aber er hatte ja auch nicht vor, aus großer Distanz zu schießen.
Jocke hatte einmal damit geprahlt, dass er an illegale Patronen gekommen wäre, amerikanische sogenannte Buckshots. Die waren anscheinend bei der amerikanischen Polizei sehr beliebt. Das passte für Rickards Zwecke, zur Sicherheit würde er aber auch noch ein paar Schachteln normale Munition einpacken.
Er nahm die Waffe und wog sie in der Hand. Jetzt ähnelte sie mehr einem altmodischen Revolver. Nicht besonders cool, aber das spielte keine Rolle. Er richtete sie auf Ethan über dem Sofa.
»That will be the day we surrender.«
Im Flurspiegel sah er sich im Profil. Er hielt in der Bewegung inne und legte das Gewehr wieder auf den Tisch.
Er hatte der Polizistin vertraut, hatte ihr wirklich geglaubt, dass sie sich um die Angelegenheit kümmern würde. Aber es hatte sich herausgestellt, dass sie genauso eine Niete war wie alle anderen und auf die Lügen seines Bruders hereinfiel. Rickard war tief enttäuscht, gleichzeitig wuchs seine Überzeugung, dass das, was er jetzt vorhatte, das einzig Richtige war.
Sein Kühlschrank war ungewöhnlich gut gefüllt, er strich sich ein Brot mit Kalles Kaviar und nahm fünf Bierdosen heraus, die er in einer Plastiktüte verstaute. Er hatte sich fest vorgenommen, auch heute nüchtern zu bleiben, aber man wusste ja nie, was man eventuell brauchen konnte. Rickard bückte sich und kraulte Stacy hinter den Ohren.
»Stimmt’s, altes Biest, ist immer gut, wenn man einen Vorrat dabeihat.«
Stacy strich ihm um die Beine. Rickard ging zum Wohnzimmertisch und nahm sich noch einmal den Brief an Debbie vor.
Gestern musste er ein Tuborg trinken, um ihn zu vollenden. Weder auf Handschrift noch auf Formulierungskunst war er sonderlich stolz, aber er hatte zumindest versucht, ehrlich zu sein. Die meiste Zeit hatte er für die Unterschrift gebraucht. »Rickard« war zu distanziert. Und so wurde es am Ende Papa. Ein Schauer durchlief ihn, als er es schrieb. Dreimal hatte er das Blatt zerknüllt und den Brief neu geschrieben, dann war er zufrieden gewesen. Er überlegte, wie Jeanette wohl reagieren würde. Wusste sie, wie die Dinge lagen? Dachte sie angesichts seines Lebenswandels, er sei gar nicht an einem Kontakt mit dem Mädchen interessiert?
Durchs Fenster sah er, dass es angefangen hatte zu schneien, kleine nasse Flocken, die über seine Prärie wirbelten. Am Morgen war die Kälte hereingebrochen. Der Winter schlug noch einmal zu, nachdem alle schon gedacht hatten, er wäre endgültig vorbei.
»Scheißwetter«, konstatierte er.
Aus alter Gewohnheit zog er sich die grüne Fleecejacke über, doch dann fiel ihm ein, dass er ja etwas brauchte, um die Waffe hineinzustecken, und er nahm seinen blauen Mantel mit der Kapuze vom Haken. Die Schrotflinte und die Patronen verstaute er in einer Innentasche. Es passte perfekt. In die andere Tasche steckte er den Brief an seine Debbie.
Dreimal klopfte er sich auf die Taschen, nahm seinen Cowboyhut und drehte sich in der Tür nach Stacy um.
»So long, my friend.«
Dann nahm er sein Handy und wählte die Nummer der Polizistin.