17
Bula sagte: »Dazu kannste mich nicht zwingen. Dazu biste nicht hart genug.«
Die Frau zuckte mit den Schultern, als wäre es für sie bedeutungslos, was er sich einreden wollte. »Das hat Mânios Dumitrescu zuerst auch gesagt. Aber ich habe ihn vom Gegenteil überzeugt. Nicht viel später hat er an seinem Handgelenk gesägt, als wäre tiefster Winter und er beim Feuerholzsägen.«
»Mich stimmste nicht um, Hexe.«
»Du glaubst nicht, dass ich dir wirklich zwischen die Beine schießen werde?«
Bula gab ein herablassendes Pffff!
von sich und schüttelte den Kopf. Mittlerweile sprach er undeutlich, hickste und gelegentlich fuhr er vor Schmerz zusammen, aber sein Blick zuckte immer wieder zur Tür der Werkstatt. Er plante die Frau umzureißen, ihr die Pistole wegzunehmen und dann auf einem Bein zur Tür zu hüpfen, wobei er unterwegs die Lehnen der Stühle und Sofas als Stützen benutzen wollte. Am anderen Ende des Sofas, auf dem er saß, lehnte ein Mahagonitischbein. Wenn er es sich schnappen und ihr kräftig gegen den Schädel schlagen könnte, würde sie vermutlich eine Gehirnerschütterung davontragen. Vielleicht würde er sie sogar töten. In der Schule hatte er einem Klassenkameraden mal ein Stück von einem Ziegelstein gegen den Kopf geschlagen und dann das Gehirn herausquellen sehen. Er erinnerte sich sogar an den Namen des Jungen, Abayomi. Der Junge hatte überlebt, aber danach war er nicht mehr derselbe gewesen. Von da an hatte er sich ununterbrochen tröpfchenweise in die Hose gemacht.
»Also … Wirst du es tun? Wenn dein Bein zu sehr schmerzt, kannst du sitzen bleiben. Ich kann die Säge zu dir schieben, damit du sie erreichen kannst.«
»Denkste wirklich, ich wär so beschissen blöde, mir meine eigene Hand abzusägen?«
»Wie ich gesagt habe, Bula, die Entscheidung liegt bei dir. Aber deiner Strafe entkommst du nicht.«
Bula dachte: Ich atme fünfmal tief ein und dann schnapp ich mir das Tischbein. Pack das dünne Ende, schwing es herum und klatsch ihr das dicke Ende gegen die Birne – whakkk! Sie ist mir jetzt viel näher, ich sollte sie an der Wange erwischen können, oder an der Augenbraue. Vielleicht kann ich ihr auch ’n Auge rausdreschen.
Drei, vier,
anhalten, dann fünf.
Bula rollte sich zur Seite und packte das Tischbein. Er hob es, aber das dickere Ende blieb dabei an der Armlehne eines in der Nähe stehenden Sessels hängen. Er bekam es frei, aber mittlerweile war die Frau einen Schritt zurückgewichen, und als er nach ihr schlug, verfehlte er sie. Sein verletztes Bein gab nach und er stürzte schwer auf den Boden.
Heftig atmend, das Tischbein noch immer fest in der Hand, lag er auf der Seite. Die Frau ragte über ihm auf und befahl: »Lass es los.«
»Ich schwör dir, ich bring dich um«, keuchte Bula, obwohl er den Boden anstarrte. »Ich schwör bei Gott, ich prügel dir die verdammte Scheiße aus der Birne.«
»Ich habe gesagt, lass es los«, wiederholte sie.
Die Schmerzen in seinem zerstörten Knie ließen Bula ächzen, während er versuchte, sich mithilfe des Tischbeins aufzurichten. Ohne zu zögern, platzierte die Frau ihren Stiefelabsatz auf seinem Handgelenk. Mit einem hörbaren Knirschen seiner Sehnen öffnete er die Finger, sodass sie das Tischbein mit dem anderen Fuß wegtreten und aus seiner Reichweite befördern konnte. Mit der freien Hand packte er ihren Knöchel, schüttelte und schlug ihn dann sogar, aber er war vom Schock zu geschwächt, um ihren Fuß von seinem Handgelenk zu bewegen.
»Du bist ein Trottel, Bula. Du bist grausam und dumm und du weißt nicht einmal, wie du für deine Taten büßen sollst. Du hast dich für einen großen, starken Mann gehalten, als du Nwaha missbraucht hast. Und die anderen Mädchen, die du wie Tiere behandelt hast. Ich weiß alles über dich. Aber sieh dich jetzt an. Du bist nicht einmal Manns genug, um deine Bestrafung zu wählen, obwohl du genau weißt, dass du sie verdienst.«
»Du bist so tot«, murmelte Bula sabbernd. »Ich versprech’s dir. Du bist so verdammt tot.«
Die Frau beugte sich vor, und mit dem Absatz noch immer auf seinem Handgelenk drückte sie die Mündung ihrer kleinen grauen Pistole auf seine Handfläche und drückte ab.
Er kreischte wie ein Mädchen. Das Fleisch wurde fächerförmig von seiner Hand gerissen und die Knochen seiner beiden mittleren Finger verwandelten sich in scharfkantige weiße Splitter. Die Frau hob den Stiefel von seinem Handgelenk und trat zurück. In ihren Augen war nicht die geringste Gefühlsregung zu entdecken. Sie sah zur Tür, als wollte sie sich vergewissern, dass keiner der Fußgänger in der Mutton Lane den Schuss gehört hatte. Dann lud sie nach und schob die Pistole in ihre Westentasche zurück.
»Sieht so aus, als hättest du deine Wahl getroffen. Die Hand wird man amputieren müssen. Also hast du in gewisser Weise Glück gehabt. Besser deine Hand verlieren als deinen Azzakari
.«
Sie schob ihm die Hände unter die schweißgetränkten Achseln seines gelben Hawaiihemdes und zerrte ihn hoch. Trotz seiner Masse war sie kräftig genug, und er versuchte nicht sich zu wehren. Nachdem sie seine linke Arschbacke wieder auf das blutgetränkte Sofa gehievt hatte, streckte er sogar sein rechtes Bein, damit sie es einfacher hatte, ihn in eine sitzende Haltung zu schieben.
Nun hatte er trotz seines Hawaiihemdes und der Cargoshorts mehr Ähnlichkeit mit einer riesigen Kröte als mit einem menschlichen Wesen. Seine Hautfarbe war mittlerweile grau, aber der Schweiß auf seinem Gesicht verlieh ihm eine fast silberne Farbe. Seine Augen quollen hervor, sein Mund hing schlaff nach unten und er sprach krächzend, sodass ihn die Frau kaum verstand. Immer wieder verdrehte er die Augen, sein Kopf sackte nach vorne, nur damit er ihn wieder hochriss, aber er verlor nicht das Bewusstsein. Der Schmerz in seinem Knie und seiner Hand war zu überwältigend.
Die Frau ging in die Ecke und zerrte die Tischkreissäge zum Sofa, bis sie direkt vor Bula stand, und dann zog sie seine Arme auf den Sägetisch. Über ein Verlängerungskabel verband sie die Säge mit einer Steckdose. Sie nahm die Plastikabdeckung vom Sägeblatt und ließ sie dann dreimal loskreischen. Bula saß die ganze Zeit benommen auf dem Sofa, starrte auf seine zerstörte rechte Hand und zuckte gelegentlich.
»So, Bula! Kannst du mich hören?«
Bula hob den Blick und nickte.
»Verstehst du, was du jetzt tun wirst? Du wirst deine Hand absägen.«
Bula nickte erneut.
»Ich werde dir die Säge einschalten und dann musst du nur noch deinen rechten Arm mit der linken Hand festhalten und das Handgelenk in das Sägeblatt schieben. Lass dir Zeit, sonst verfangen sich deine Knochen vielleicht in den Zähnen des Sägeblatts, dann könnte dein Arm springen und dich im Gesicht treffen.«
»Was auch kommt, diese Hand ist so oder so im Arsch, stimmt’s?«, fragte Bula träge und sachlich.
»Ja. Nicht einmal im Krankenhaus könnte man sie noch retten. Sieh sie dir an. Es ist kaum noch etwas übrig, das man retten könnte.«
»Wenn ich sie absäg, wird der Schmerz dann aufhören? Bitte sag Ja.«
»Das wirst du wohl ausprobieren müssen.«
»Du bist ’ne verfluchte Hexe, weißte das? Du bist wie was aus ’nem beschissenen Albtraum.«
»Du kannst mich nennen, wie du willst.«
»Aber du ballerst mir nicht die Nüsse weg?«
»Versprochen.«
»Schwörste auf die Bibel?«
»Ich schwöre.«
»Wie bin ich nur in diese Scheiße geraten?«
»Du hast Nwaha misshandelt. Die Götter konnten dir nicht vergeben, was du ihr angetan hast. Ich auch nicht. Ich bin Rama Mala’ika
.«
»Du bist ’n Engel? Was für ’n Engel? Du bist kein beschissner Engel. Ich hab’s dir gesagt, du bist ’ne Mayya
. Du bist ’ne Hexe.«
»Ich habe dir nichts weiter zu sagen, Bula. Es ist Zeit für deine Bestrafung.«
Sie griff nach unten und schaltete die Tischkreissäge ein. Das dünne Winseln des Elektromotors übertönte Bulas nächste Worte. Vielleicht beschimpfte er sie, oder er betete. Als sich seine Lippen nicht mehr bewegten, saß er nur da und starrte das scharf glänzende Sägeblatt fast zehn Sekunden lang an. Seine Zunge bewegte sich in seinem Krötenmund hin und her, als würde er wieder nach den Resten seines Burgers fischen.
Dann legte er seinen rechten Unterarm sehr bedächtig auf die Metalloberfläche des Sägetischs. Den Ellbogen drückte er gegen die Führungsschiene. Mit der linken Hand packte er seinen Unterarm, so wie sie es ihm gesagt hatte, und schob ihn langsam auf das Sägeblatt zu. Seine zerstörte Hand war kaum als solche zu erkennen, stattdessen glich sie mehr einer überfahrenen Taube.
Die Frau entfernte sich drei oder vier Schritte, und zum ersten Mal, seit sie Bula in ihre Gewalt und in diese Werkstatt gebracht hatte, hob sie den Kopf, ihre Augen weiteten sich und sie öffnete die Lippen. Sie hielt den Atem an, aber das sah Bula nicht. Er konzentrierte sich darauf, sein Handgelenk auf das Blatt der Säge zuzubewegen, die ihr hohes, metallisches Lied mit 3000 Umdrehungen in der Minute sang.
Es klang genau so, wie wenn man Gemüse in eine Küchenmaschine warf. Bulas Hand fiel vom Tisch auf den Boden, während er selbst auf dem Sofa zur Seite kippte, mit dem Stumpf seines rechten Arms herumfuchtelte und dabei Blut verspritzte.
Die Frau ging hastig zur Säge und schaltete sie ab. Jetzt hörte sie nur noch die schlurfenden Schritte der Fußgänger draußen in der Mutton Lane, die gedämpften Klänge von Geigenmusik aus dem Mutton Lane Inn und Bulas selbstmitleidiges Wimmern.
»Sieh nur, wasde mir angetan hast!«, winselte er. »Sieh nur, wasde mir verdammt noch eins angetan hast!« Er war über und über mit Blut bespritzt, sogar im Gesicht. Er hob seinen rechten Arm wie einen Blut spritzenden Springbrunnen.
»Nein, Bula-Bulan Yaro«, widersprach sie, allerdings klang sie angespannter, als hätte es sie erregt, ihm dabei zuzusehen, wie er sich die Hand absägte. »Sieh, was du dir selbst angetan hast.«