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Sie trank den Rest ihres Kaffees und dachte darüber nach, ob sie noch einen brauchte, als Detective Sergeant ó Nuallán an ihre Bürotür klopfte. Sie trug eine ausgebleichte Jeansjacke und einen Jeansrock, aber ihr blonder Bob glänzte makellos.
»Ah, Kyna. Ich hab Ihre Nachricht wegen dem Tätowierstudio bekommen. Ich musste nur erst die ganzen technischen Berichte vorbereiten, damit Superintendent Molloy sie sich ansehen kann. Haben Sie ihn schon kennengelernt?«
»Noch nicht. Er wird sich heute Nachmittag allen vorstellen. Für drei Uhr wurde extra ’ne Besprechung in der Kantine angesetzt. Aber – ja – ich kenn seinen Ruf.«
»Und?«
»Ich kenn seinen Ruf, mehr nicht. Man sagt, er ist ’n herausragender Beamter. Er ist einer der Gründe, warum man Limerick nicht mehr ›Messerstecherstadt‹ nennt.«
Detective ó Nuallán wirkte, als wollte sie noch etwas sagen, aber stattdessen schwieg sie. Katie hob den Blick, sah sie an. »War’s das?«
»Ja, Ma’am.«
»Sie wissen, wenn Sie mit mir zusammenarbeiten, können Sie frei von der Leber weg reden. Ich mach niemanden fertig, nur weil er eine eigene Meinung hat.«
»Ja, Ma’am.«
Katie war versucht, Detective Sergeant ó Nuallán zu sagen, was genau sie von Superintendent Molloy hielt. Aber sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, keine unnötigen Risiken einzugehen, besonders wenn es um Beförderungspolitik ging. Es war sehr gut möglich, dass Chief Superintendent O’Driscoll nie wieder in den Dienst zurückkehren würde und dass Superintendent Molloy dauerhaft übernahm. Ebenso dass Detective Sergeant ó Nuallán Karriere machen wollte. Es war besser, nichts zu sagen.
»Na schön, was ist jetzt mit Mawakiyas Tätowierung?«
»Nun, das ist sehr heikel. Um ehrlich zu sein, wollte ich schon aufgeben. Dann war ich in diesem Tätowierstudio in der French Church Street und einer der Tätowierer hat mir gesagt, dass er von einem Thailänder gehört hat, der in einem Massagesalon in der Grafton Street arbeitet. Er hat ’n paar seiner Arbeiten gesehen, und die hatten große Ähnlichkeit mit dem, was Mawakiya hatte. ’n Drache oder ’ne Schlange, die ihren Anfang an den Genitalien haben und sich dann um den Körper winden.«
Sie holte ihren Notizblock heraus und klappte ihn auf. »Der Massagesalon heißt Golden Fingers und gehört zu denen, für die auf Michael Gerretys Website Werbung gemacht wird. Dort arbeiten drei Thailänderinnen. Man bekommt dort richtige Massagen, aber für 60 Euro extra bekommt man das volle Programm.
In einem Hinterzimmer arbeitet dieser Thailänder und macht Tätowierungen und Piercings. Zuerst wollte er nicht mit mir reden, aber dann hab ich ihm gesagt, ich käm vom Immigration Bureau, da gab es für ihn kein Halten mehr. Er heißt Nok. Ich hab ihm die Fotos von Mawakiyas Tätowierung gezeigt und er hat zugegeben, dass er sie vor ungefähr 18 Monaten gemacht hat. Er kannte ihn nur unter dem Namen Kola.«
»Das passt. Die kleine Lolade hat gehört, wie man ihn Kola genannt hat. Lolade ist übrigens Isabelles richtiger Name.«
»Laut Nok haben drei seiner Freunde Kola mit in den Massagesalon gebracht. Sie sind alle Stammkunden – kommen zwei- oder dreimal jeden Monat vorbei, mindestens, und manchmal bringen sie noch Freunde mit. ’n paar haben sich Tätowierungen stechen lassen, aber meistens kommen sie wegen der Massagen. Der Vollprogramm- Massagen.«
»Weiß dieser Nok auch, wer Kolas Freunde sind?«
»Die drei, die ihn mitgebracht haben, auf alle Fälle. Er kennt sie gut. Einer davon heißt Mister Dessie, und er repräsentiert die Besitzer des Massagesalons. Er kommt jeden Tag vorbei, um die Einnahmen abzuholen. Die anderen beiden heißen Ronan und Billy. Das weiß Nok, weil sie von ihm tätowiert werden wollten, während ihre Freunde sich massieren ließen. Tatsächlich haben sich beide dasselbe Motiv stechen lassen, mitten zwischen den Schulterblättern. Raten Sie mal, was es war.«
»Keine Ahnung. Ein Drache? Ein Porträt von Bono?«
Detective Sergeant ó Nuallán reichte ihr ihren aufgeklappten Notizblock. »Nok hat es für mich gezeichnet.«
Katie nahm den Block entgegen. Das Motiv war ein keltisches Kreuz mit einem Kreis in der Mitte und zwei ineinander verschnörkelten Buchstaben darin, ein G und ein S. Im Außenbereich des Kreuzes standen die Worte Gharda Síotchána na h-Éireann.
»Eine Garda-Marke.« Katie war schockiert. »Sagen Sie nicht, dass die beiden Gardaí sind.«
Detective Sergeant ó Nuallán holte sich ihren Notizblock zurück. »Sieht so aus, als wissen wir jetzt, wieso Mawakiya so lange niemandem aufgefallen ist. Er war nicht unauffällig, Ronan und Billy haben ihn gedeckt. Nok hat mir gesagt, dass er mit Sicherheit weiß, dass sie Polizisten sind, weil er beide schon in Uniform auf der Straße gesehen hat.«
Katie runzelte die Stirn. »Wenn Ronan und Billy mit Dessie O’Leary befreundet sind, müssen sie wissen, dass Michael Gerrety Mawakiya dazu benutzte, die minderjährigen Mädchen zu übernehmen. Ich wette zehn zu eins, dass Gerrety sie für’s Wegsehen bezahlt – wenn nicht direkt, dann indirekt. Indem er ihre Hypotheken bezahlt oder so was. Oder das Schulgeld für ihre Kinder.«
»Das wird kein Problem, sie zu identifizieren, diesen Ronan und seinen Kumpel Billy«, versprach Detective Sergeant ó Nuallán. »Ich dachte nur, Sie wollen vielleicht erst noch über sie Bescheid wissen.«
»Guter Gedanke«, lobte Katie. »Wir wollen nicht, dass Michael Gerrety jetzt schon merkt, dass wir eine Verbindung zwischen ihm und Mawakiya, oder Kola, oder wie er sich auch nannte, hergestellt haben. Das könnte Ronan und Billy gefährden, und was sie auch gemacht haben, ich will nicht, dass sie im Fluss treiben.«
»Noch was. Ich hab heute Morgen noch mal das Haus der Dumitrescus überprüft. Die sind alle ausgeflogen, definitiv. Sollte mich nicht wundern, wenn sie das Land verlassen haben.«
»Das schürt auf alle Fälle meinen Verdacht, dass unser toter Rumäne wirklich Mânios Dumitrescu ist. Und natürlich hat Dumitrescu auch mit Michael Gerrety zusammengearbeitet – hauptsächlich hat er das genaue Gegenteil von Mawakiya gemacht und ihm die älteren Nutten abgenommen.«
»Das bringt uns aber nicht näher an diejenige heran, die sie getötet hat, oder?«
»Könnte es durchaus.« Katie erzählte Detective Sergeant ó Nuallán, was sie von Lolade über Juju erfahren hatte und warum Mawakiya keine Hände und kein Gesicht mehr hatte.
Detective Sergeant ó Nuallán blickte nachdenklich drein. »Unsere Verdächtige hat mit dem weißen Opfer dasselbe gemacht, oder? Das könnte eine weitere Bestätigung dafür sein, dass sie Nigerianerin ist und an Juju glaubt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Reine Logik. Wenn sie Mawakiya so bestraft hat, nur weil er daran glaubt, dann hätte sie das weiße Opfer entsprechend seinem Glauben bestraft. Da er wahrscheinlich Rumäne war, war er vermutlich orthodox, und die glauben, dass Sünde bereits die Strafe ist. Sie hätte ihn also nur töten müssen und er wäre so oder so zur Hölle gefahren. Ihm die Hände abtrennen und das Gesicht wegschießen wäre völlig unnötig.«
»Das ist ziemlich scharfsinnig von Ihnen«, lobte Katie.
»Ich versuch nur immer, mich in die Psyche des Täters hineinzuversetzen. Wenn ich versteh, wie sie denken, hilft es mir normalerweise herauszufinden, wer sie sind.«
Katie stand auf, raffte die Unterlagen zusammen, die sie für Superintendent Molloy vorbereitet hatte. »Wenn Sie für mich unauffällig herausfinden können, wer Ronan und Billy sind, unterhalten wir uns noch mal darüber, wie wir als Nächstes vorgehen sollen. Ihr Tätowierer hat erwähnt, dass sie andere Freunde mitgebracht haben, also ist es vorstellbar, dass noch mehr Beamte beteiligt sind. Glauben Sie mir, bis wir das Ausmaß kennen, müssen wir diese Angelegenheit wie einen scharfen Blindgänger behandeln.«
Als sich Detective Sergeant ó Nuallán zum Gehen wandte, spielte Katies Handy And it’s no, nay, never – no, nay never no more …
»Patrick?«
»Ja, Ma’am. Man hat noch einen gefunden. Afrikaner, ohne Hände und mit zu Matsch zerballertem Kopf.«
»Heilige Maria, Muttergottes. Wo?«
»In ’ner Möbelwerkstatt in der Mutton Lane, zwischen dem Mutton Lane Inn und dem English Market.«
»Wann war das?«
»Vor gerade mal 20 Minuten. Der Besitzer kam ’n paar Tage früher aus dem Urlaub zurück und hat ihn da gefunden. Bringen Sie Ihr stärkstes Parfüm mit. Der Gestank reicht, um ’ne Made würgen zu lassen.«
»Geben Sie mir zehn Minuten«, bestätigte Katie. Dann wandte sie sich an Detective Sergeant ó Nuallán: »Ich hoff, Sie haben für den Rest des Tages noch nichts vor. Wir haben noch einen.«