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Sie fand sie in ihrem Streifenwagen am Parnell Place, vor Mulligan’s Kneipe, wo sie Sandwiches aßen und Tee tranken. Die Einsatzzentrale hatte ihr gesagt, wo sie waren, und es war nur einen kurzen Fußmarsch von der Anglesea Street entfernt.
Sie öffnete die Hintertür und stieg ein, bevor sie mitbekamen, was vor sich ging. Der Fahrer drehte sich um. »Was in Herrgotts Namen
glaubst du, machst du da, Kleine?«, und spuckte dabei sein Sandwich aus. Dann aber erkannte er sie. »Oh. Entschuldigung. Tut mir leid, Ma’am. Sie ham mich überrascht.«
»Dann ist ja gut, dass ich unbewaffnet und nicht gefährlich bin?«, fragte Katie.
»Wir ham uns nur ’n Frühstück genehmigt«, erklärte der Garda auf dem Beifahrersitz. »Unsere Schicht hat um sechs angefangen und der Koch in der Kantine war besoffen.«
»Schon in Ordnung, ich kann ja nicht erwarten, dass Sie hungern. Aber das tun Sie vermutlich ohnehin nie.«
Bevor einer von ihnen darauf antworten konnte, sah sie den Fahrer an und fragte: »Sie sind Billy, stimmt’s?«
»Ja, Ma’am.« Billy sah seinen Partner stirnrunzelnd an, als wollte er fragen: Was soll das?
Billy Daly hatte schwarzes Haar, dichte schwarze Augenbrauen, blaue Augen und eine Knollennase wie aus Knetgummi. Ein Doppelkinn wölbte sich über den Kragen seiner Uniform, die viel zu eng für ihn aussah, als müsste er sich jeden Morgen anstrengen, um alle Knöpfe zuzubekommen.
Ronan Lynch hingegen war blond und dürr, mit hellen Augen, kantigen Wangenknochen und einer Hakennase. Es sah fast so aus, als hätte er gar keine Lippen, und er bewegte sie auch kaum beim Sprechen, fast wie ein Bauchredner.
»Sie wissen von dem Nigerianer, den man gestern ermordet in der Mutton Lane gefunden hat? Beide Hände abgetrennt, das Gesicht mit einer Schrotflinte in alle vier Winde zerfetzt?«
»Natürlich, klar, wir ham heute Morgen alle Details bekommen«, antwortete Billy. »Und was ist mit ihm?«
»Das Opfer war ein illegaler Einwanderer namens Owoye Danjuma, besser bekannt als Bula. Er hat für Desmond O’Leary, besser bekannt als ›Mister Dessie‹, als Mädchen für alles gearbeitet.«
»Ja … stimmt.« Billy klang immer argwöhnischer.
»Wie Sie wissen, haben wir eine ganz gute Ahnung, wer die Täterin ist, da sie sich nicht besonders viel Mühe gibt, sich zu verstecken. Wir haben sie schon zweimal auf Kameras des CCTV entdeckt. Tatsächlich hat der Pathologe angemerkt, dass sie vielleicht einen Grund hat, so offen vorzugehen. Er denkt, sie will sich an diesen Dreckskerlen rächen, aber gleichzeitig will sie zeigen, wie unfähig die Garda ist, sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«
»Nun, das ist doch mal ’ne Theorie«, sagte Ronan Lynch. »Könnte aber auch sein, dass sie einfach nur dämlich ist, wie die meisten Mörder, und nicht mal merkt, wie auffällig sie sich verhält. Wenn die Leute wüssten, wie viele CCTV-Kameras wir in Cork haben, würden die sich nicht so auf offener Straße am Arsch kratzen.«
»Wir ham ihr Bild und wir halten die Augen nach ihr offen«, versprach Billy Daly. »Viel mehr können wir nicht tun, oder?«
»Sie könnten auch Ihren Kumpel Mister Dessie im Auge behalten. Bis jetzt hat dieser Racheengel drei von Michael Gerretys Männern auf dem Gewissen, und wenn sie so weitermacht, kann es sehr gut sein, dass Mister Dessie der Nächste ist. Vielleicht hat sie es ja auch auf Michael Gerrety selbst abgesehen.«
»Was meinen Sie mit ›im Auge behalten‹?«, fragte Ronan Lynch.
»Sichergehen, dass Sie wissen, wo er ist, 24 Stunden am Tag, und dafür sorgen, dass ich
es auch weiß. Er ist vielleicht nur ein Stück Scheiße, aber es ist trotzdem unsere Pflicht, ihn zu beschützen, wenn wir der Meinung sind, dass er Gefahr läuft, sich umbringen zu lassen.«
»Das wird ihn nicht begeistern.«
»Was wird ihn nicht begeistern? Dass man ihn im Auge behält oder dass man ihn umbringt?«
»Er steht nicht drauf, dass Leute wissen, wo er ist, oder bei wem.«
»Warum? Weil er in Michael Gerretys Machenschaften verwickelt ist und Michael Gerrety sich nicht die Hände schmutzig machen will?«
Weder Ronan Lynch noch Billy Daly antworteten darauf, aber sie sahen einander argwöhnisch an.
Katie rutschte vor und stützte die Ellbogen auf die Lehnen der Vordersitze. »Ich erwarte nicht, dass Sie Mister Dessie sagen,
dass Sie ihn im Auge behalten. Ich will, dass Sie es unauffällig
machen. Aber von jetzt an, und ich meine jetzt,
heute, diesen Morgen, will ich ganz genau wissen, wo er ist, und soweit machbar, was er da tut.«
»Ich will ja nicht respektlos sein, Ma’am, aber wie in Gottes Namen sollen wir das anstellen?«
»Jetzt tun Sie nicht so unschuldig, Garda Lynch. Als ich Mister Dessie als Ihren Freund bezeichnet hab, war das kein Scherz. Mister Dessie gibt Ihnen beiden Geld und Frauen, und im Austausch dafür bemerken Sie praktischerweise nicht, dass Mister Dessie minderjährige Mädchen einschleust und alle von Michael Gerretys sogenannten Massagesalons und Fitnessclubs verwaltet. Sie beide haben gewusst, was Mawakiya getrieben hat, und Sie wussten sofort, dass er das Mordopfer in der Lower Shandon Street war. Ich kann mir vorstellen, Sie haben auch gewusst, dass das zweite Opfer Mânios Dumitrescu war.«
Ronan Lynch und Billy Daly schwiegen, sahen sich aber nach wie vor an, als würden sie versuchen, telepathisch zu beratschlagen, was sie als Nächstes tun sollten.
»Abstreiten ist zwecklos«, machte Katie deutlich. »Ich hab zu viele Zeugen und zu viele Beweise gegen Sie beide. Ich muss später noch einen umfassenden Bericht verfassen, aber in der Zwischenzeit können Sie Ihre Verfehlung mindern, indem Sie für mich Mister Dessie im Auge behalten. Ich erwarte auch, dass Sie mir alles melden, was er sagt, egal ob Sie es für illegal halten oder nicht.«
»Was, wenn er sich Pizza bestellt?«, fragte Ronan mürrisch durch zusammengekniffene Lippen.
»Sie sind nicht in der Position, Witze zu machen, Garda Lynch«, wies ihn Katie zurecht. »Ich meine, wenn er Taxis ruft, um Frauen durch die Stadt zu fahren, oder wenn er Vorbereitungen trifft, jemanden am Flughafen abzuholen, oder wenn er Arzttermine vereinbart, so was. Und natürlich auch alles, was direkt mit Menschenhandel oder Prostitution zu tun hat. Und absolut alles, was mit Michael Gerrety zu tun hat.«
»Kann man’s glauben?«, sagte Ronan Lynch. »Sie ham mir den Appetit auf mein Bacon Sandridge verdorben.«
»Tut mir leid, aber das ist alleine Ihre Schuld. Und was Sie jetzt machen wollen, ist alleine Ihre Entscheidung. Wenn Sie mir helfen, sorg ich dafür, dass Sie bei einem Disziplinarverfahren die Anerkennung dafür bekommen. Und das Verfahren wird auf alle Fälle kommen. Vielleicht sogar ein Strafverfahren.«
»Wir sind nicht die Einzigen!«, protestierte Billy Daly.
»Hältst du wohl die Fresse!«, schnappte Ronan Lynch.
»Auch das weiß ich. Was wollen Sie in der Zwischenzeit machen? Wollen Sie mir helfen oder nicht? Wenn Sie Nein sagen, dann geh ich direkt zum amtierenden Chief Superintendent Molloy und melde Sie.«
Beide Gardaí schwiegen einen Moment lang, und dann sagte Ronan Lynch: »Warum warnen wir Dessie nicht einfach, dass ihm das schwarze Täubchen ans Leder will?«
»Weil er dann Vorsichtsmaßnahmen ergreift, wie sich einen Leibwächter zuzulegen und seine täglichen Routinen zu ändern, und vielleicht besorgt er sich auch eine Waffe.«
»Und? Zumindest bekommt er dann nicht die Hände abgehackt und den Kopf zu Brei zerblasen.«
»Was, denken Sie, versuch ich hier, Garda Lynch? Ich versuch diesen Racheengel zu erwischen, aber wenn Mister Dessie offen zeigt, dass er weiß, er ist der Nächste auf ihrer Liste, dann wird sie sich von ihm fernhalten. Oder? Sie braucht Zeit für das, was sie mit ihren Opfern anstellt, Zeit und Abgeschiedenheit. Sie folgt ihren Opfern. Sie wird nicht versuchen, sich Mister Dessie zu schnappen, wenn sie sieht, dass er ständig einen Aufpasser dabeihat.«
»Woher wollen Sie wissen, dass er der Nächste auf ihrer Liste ist?«, fragte Billy Daly. »Es gibt Dutzende
andere Zuhälter in der Stadt, oder? Meine Güte – ich bräuchte drei Hände, um sie an den Fingern abzuzählen.«
»Natürlich kann ich mir nicht hundertprozentig sicher sein«, gab Katie zu. »Aber Bula hat mich drauf gebracht, dass es sehr wahrscheinlich ist. Mawakiya und Dumitrescu waren beide Zuhälter, stimmt schon, aber Bula war nur ein Handlanger. Was die drei gemeinsam hatten, war, dass sie für Michael Gerrety gearbeitet und sich um seine Mädchen gekümmert haben. Es gibt nur noch einen, der das macht, und dieser jemand ist Mister Dessie.«
»Wenn das alles rauskommt, geht Michael an die beschissene Decke.« Ronan Lynch schüttelte den Kopf. »Ich weiß echt nicht, wovor ich mehr Angst hab. Meinen Job zu verlieren oder vor ’nem wütenden Michael.«
Katie öffnete die Tür und eine warme, nach Fluss duftende Brise wehte in den Wagen. »Ich treff mich jetzt mit dem amtierenden Chief Superintendent Molloy. Schreiben Sie mir eine Textnachricht, sobald Sie herausfinden, wo Mister Dessie ist und was er macht. Schicken Sie Detective Sergeant ó Nuallán eine Kopie. Sie weiß über alles Bescheid, auch dass wir uns hier unterhalten. Sollte ich verhindert sein, kann sie sich um jede Krise kümmern.«