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Michael Gerrety saß in seinem Kellerbüro im Amber’s, als Trisha aus dem Laden die Wendeltreppe runterkam. »Michael, hier oben ist wer, der mit dir reden will. ’n Mädchen.«
»Hat sie gesagt, was sie will?«, fragte er, ohne aufzusehen. Er war mit der Überprüfung seiner Konten beschäftigt. Während der Sommermonate brachen die Einkünfte für gewöhnlich ein, aber dieses Jahr war sehr stabil gewesen. Er vermutete, dass sich weniger Corker einen Auslandsurlaub leisten konnten, und darum suchten sie sich ihren Spaß zu Hause. Sein Betrieb in der Washington Street ließ sich nicht mit Bordellen auf Gran Canaria oder in Magaluf vergleichen, aber dafür musste man auch nirgends hinfliegen, um hinzukommen. Und wenn man sich nach dem Fick noch einen hinter die Binde kippen wollte, war es nur ein kurzer Fußmarsch zur Long Island Cocktail Bar in der Nummer elf.
Trisha zuckte mit den Schultern. »Sie hat nur gesagt, sie sucht Arbeit.«
»Sie ist weiß, oder?«
»Ja, warum?«
»Einfach so. Wie sieht sie aus?«
»Gar nicht so übel, würd ich sagen.«
Michael drehte sich zu seinem Aufpasser um. »Klingt harmlos. Werfen wir mal einen Blick auf sie.«
Charlie saß neben dem großen grauen Safe in der Ecke und las die Sun .
Sein schwarzes Haar war ordentlich geschnitten und er trug ein sauberes weißes Hemd mit kurzen Ärmeln und eine gebügelte Hose. Man könnte ihn als gut aussehend beschreiben, wäre sein Gesicht nicht unnatürlich beigefarben und läge darin nicht eine gewisse Leblosigkeit, wie bei einer Schaufensterpuppe beim Herrenausstatter.
»Molloy hat gesagt, Sie müssen sich vor ’ner Schwarzen in Acht nehmen.« Er sprach mit deutlichem Limericker Akzent, aber ohne jede Betonung. Als einer von Michaels Gläubigern ihn bedroht hatte, hatte Charlie gesagt: »Komm schon, Junge, dann tret ich dir’s Herz raus.« Aber auf eine derartig teilnahmslose Art, dass es schwierig war zu sagen, ob er es ernst gemeint hatte.
Auf den Stufen der Wendeltreppe ertönte das klumpige Auftreten von Keilabsatz-Sandalen und dann erschien das Mädchen. Michael schätzte sie auf 17 oder 18, weil sie ihren Babyspeck noch nicht ganz los war. Aber sie war hübsch, mit einem herzförmigen Gesicht und lockigem, aschblondem Haar. Sie trug einen sehr kurzen Minirock und ein ärmelloses Satin-Top. Michael lehnte sich in seinem Sessel zurück und bemerkte anerkennend, dass sie sehr große Brüste hatte.
»Na hallo.« Er ließ seinen Kugelschreiber auf den Schreibtisch fallen. »Und wie heißt du?«
»Sind Sie Mr. Gerrety?«, fragte das Mädchen, während ihr Blick nervös zwischen Michael und Charlie hin und her wechselte.
»Das bin ich«, stellte Michael klar. »Beachte ihn nicht, er gehört zur Inneneinrichtung, nicht wahr, Charlie?«
»Tu ich«, bestätigte Charlie, ohne den Blick von seiner Zeitung zu heben. »Charlie, der Stuhl.«
»Ich heiße Branna. ’ne Freundin hat mir gesagt, Sie könnten mir helfen, Arbeit zu finden.«
»Hier, setz dich, du musst nicht nervös sein. Was für Arbeit suchst du?«
Branna setzte sich auf die Kante des Bugholzstuhls vor Michael Gerretys Schreibtisch, drückte die Knie aneinander und stellte die Füße auseinander. »Sie wissen schon, Escort Service, so was halt.«
»Hast du so was schon mal gemacht?«
»Nee, noch nie. Ich hab ’ne Weile bei Dunne’s oben in Ballyvolane gearbeitet, aber dann hat man mich beschuldigt, ich hätte Make-up gestohlen, was ich nicht gemacht hab. Man hat mich trotzdem rausgeschmissen. Ich hab auch ein bisschen gekellnert und in ’ner Bar gearbeitet, aber die Bezahlung ist mies und meine Freundin hat gesagt, Sie zahlen wirklich gut.«
Michael lächelte. »Wenn du über mich arbeitest, kannst du gut verdienen, aber du musst auch dafür was tun. Du musst dich mit vielen verschiedenen Männern treffen und nett zu ihnen sein, was nicht immer leicht ist.«
»Ich denk, ich wär wirklich gut darin. Tu ich wirklich. Ich war schon immer ’ne gute Zuhörerin. Immerhin führen sie einen ja aus und so, diese Männer, stimmt’s? Sie zahlen fürs Essen und die Getränke und das ganze Zeug. Würde mich nicht stören, wenn ’n paar von denen Langweiler sind.«
»Manchmal erwarten sie eine Gegenleistung dafür, dass sie dich ausführen.«
»Sie meinen Sex? Ich bin nicht ganz naiv, Mr. Gerrety. Wenn ein Mann einen ausführt und man ’nen netten Abend hat, ist das völlig in Ordnung. Er verdient etwas Kuscheln, Sie wissen schon, oder sonst was.«
Als sie das sagte, öffnete sie die Knie ein wenig. Michael sah nicht hin, stattdessen sah er ihr weiter in die Augen.
»Und wenn er sonst nichts will? Was, wenn er kein Interesse daran hat, dich auszuführen, sondern nur Sex will?«
Branna sah kurz zu Boden, zeigte ein sachtes, selbstzufriedenes Lächeln, das Michael nicht deuten konnte. Seiner Meinung nach konnte er Frauen leichter als Bücher lesen – nicht dass er jemals Bücher las. Aber Brannas Gesichtsausdruck war wie Hieroglyphen. Er bedeutete etwas. Vielleicht sogar etwas Wichtiges, aber er verstand nicht, was.
Charlie sagte: »Zehn nach elf, Mr. Gerrety.«
Michael sah auf seine Uhr. »Scheiße, wusste gar nicht, wie spät es ist. Ich hab einen wichtigen Termin in Maryborough, vor zehn Minuten oder so. Hör mal, Branna, warum kommst du nicht zu mir nach Hause, dann können wir uns im Detail über alles unterhalten. Ich kann dir sagen, wie du deine Dienste als Escort-Dame über meine Website anbietest, was dich das kostet und was du nach den ganzen Unkosten am Ende rausbekommst. Ich versuch nicht, dich zu was zu überreden. Ich bin der ehrlichste Mann im ganzen Geschäft. Das wird dir jeder bestätigen.«
»Unkosten?«, fragte Branna. »Was für Unkosten?«
»Nun, zum einen, hast du was Eigenes, etwas, wo du einen Mann hin mitnehmen kannst? Wenn man dir ein Abendessen im Hayfield Manor bezahlt hat, erwartet man etwas Besseres als ein Wohnschlafzimmer mit einem Einzelbett, auf dem sich Teddys stapeln, und einem Poster von Pa Cronin an der Wand.«
»Im Moment wohn ich mit ’ner Freundin zusammen. Wissen Sie, weil ich so pleite bin. Meine Freundin, die mir vorgeschlagen hat, ich soll mit Ihnen reden. Vermutlich kann sie’s gar nicht abwarten, mich loszuwerden.«
»Da hast du es, du brauchst ein anständiges Zimmer und das kann ich dir bieten, aber nicht kostenlos. Das mein ich mit Unkosten.«
Er stand auf, zog seine Brieftasche aus der Gesäßtasche und gab ihr eine Visitenkarte. »Da wohn ich, im Elysian Tower. Heute können wir uns nicht treffen, weil ich zu einem Wohltätigkeitsbankett muss, aber komm doch morgen Abend vorbei, sagen wir gegen sieben? Vor der Tür stehen Wachen, aber ich sag ihnen, dass du erwartet wirst. Zeig ihnen die Karte und sie lassen dich rein.«
Branna stand ebenfalls auf. »Jetzt bin ich gespannt«, verriet sie ihm.
»Nun, du bist eine sehr hübsche junge Frau, wenn ich das so sagen darf. Ich glaub, du kannst viel Geld verdienen. Übrigens, wie alt bist du? Stört dich doch nicht, dass ich frage? Aber viele der Mädchen heutzutage sehen um einiges älter aus, als sie tatsächlich sind.«
»Ja, wie meine Freundin«, warf Charlie ein.
»Ich bin 19.«
Michael tätschelte väterlich ihren Rücken und führte sie zur Wendeltreppe. Er stand unten, als sie wieder hinaufstieg, sodass er unter ihren Rock sehen konnte. Charlie gesellte sich zu ihm und fragte: »Ja oder nein?«
»String.«
»Na ja, ein Anfang.«
»Komm, wir verspäten uns noch, und du weißt, wie sehr ich es hasse, spät dran zu sein. Dann haben die Leute Zeit, sich hinter dem Rücken das Maul über einen zu zerreißen, und dann lächeln alle nur noch sardonisch, und man hat keine Ahnung, warum.«
»Nur keine Angst, Boss, wenn ich wen dabei erwisch, dass er Sie so anlächelt, tret ich ihm in den Nacken.« Er zögerte, dann fragte er: »Was heißt ›sardonisch‹? Ist das so, wie wenn man Sie wie ’n Fisch anglotzt?«