ZWEI STUNDEN später war ich hellwach. Ich musste pinkeln, aber ich wollte nicht aufstehen. Das Zimmer war zu kalt und es war so warm unter den Decken. Als meine Blase mir keine Ruhe lassen wollte, stand ich vorsichtig auf und schaute mich um. Es war dunkel und ich lag in einem fremden Bett. Jemand lag neben mir unter einem Berg Decken mit einem Kissen zwischen uns. Ich hob die Ecke der Decke an und erstarrte bei dem Anblick von braunem Haar neben mir. Bruchstücke meines Abends kamen mir wieder in Erinnerung. Ein toller Auftritt, viele Drinks, eine weitere Bar und dann ... Will. In Pink. Heilige Scheiße.
Ich rieb mit der Hand über mein Kinn und betrachtete den schlafenden Mann neben mir. Ich konnte Will, meine schüchternen Gitarrenlehrer, nicht mit der Diva, der ich nach Hause gefolgt war, in Einklang bringen. Mein Gehirn war zu vernebelt und meine Blase war nicht sonderlich interessiert. Ich kletterte vorsichtig über ihn hinweg und eilte ins Bad. Ich starrte mit trüben Augen auf mein Bild im Spiegel in der Ecke über dem Waschbecken. Ich sah grauenhaft aus. Ich beugte mich näher und öffnete das Medizinschränkchen in der Hoffnung, Aspirin zu finden, um meinen unvermeidlichen Kater zu lindern, und mir vielleicht etwas Zahnpasta auf die Zähne schmieren zu können. Ich wollte nicht herumschnüffeln. Tatsächlich war ich dank der Erschöpfung und des restlichen Tequila in meinem Blutkreislauf noch vernebelt genug, um mich nur auf eine Sache konzentrieren zu können. Und so war ich überrascht von den zahlreichen Kosmetikprodukten im Schrank, was eigentlich unlogisch war. Ich nahm einen Lippenstift und öffnete ihn. Rubinrot. Wie in der letzten Nacht. Ich legte ihn zurück und schloss den Schrank. Verdammt, Will war wirklich ein interessanter Mann.
Ich schlich auf Zehenspitzen zurück zum Futon, schlüpfte aus meiner Jeans und dem T-Shirt, in denen ich eingeschlafen war, dann kroch ich wieder unter die Decken. Die Klamotten waren zu einengend und ungemütlich, um sie die ganze Nacht zu tragen. Einen Moment lang lag ich gedankenverloren da und war mir des Mannes neben mir deutlicher bewusst, als ich es je bei einem Menschen erlebt hatte. Ich fühlte mich magnetisch zu ihm hingezogen, als hätte ich keine Kontrolle darüber. Während ich meine Erinnerungen an das Ende des Abends wieder zusammensetzte, wurde ich plötzlich neidisch auf den alten Typen, der den Arm so besitzergreifend um Will gelegt hatte. Er war der Falsche für Will. Zu alt, zu glatt und zu ernst. Will brauchte jemanden, der ihn zum Lachen brachte. Er war selbst ernst genug. Ich schob das Kissen, das er zwischen uns platziert hatte, ans Fußende des Bettes, bevor ich so unauffällig wie möglich näher rutschte, um ihn besser betrachten zu können.
Die erste Ahnung von Körperwärme war himmlisch. Es erforderte jedes Bisschen Selbstbeherrschung, ihn nicht an mich zu ziehen und in die Arme zu nehmen. Etwas ging auf jeden Fall vor sich. Im Bett eines Kerls ohnmächtig zu werden war eine Sache. Über eine so unschuldige Berührung zu fantasieren war ... naja, wahrscheinlich doch nicht so unschuldig.
Will seufzte im Schlaf, dann dreht er sich auf den Rücken. Ich schluckte und hoffte, dass er nicht wach wurde. Ich wollte nicht, dass er durchdrehte. Und aus irgendeinem Grund wollte ich ihn anschauen. Meine Sicht hatte sich an das Dunkel gewöhnt. Ich konnte deutlich seine langen Wimpern und seine vollen Lippen erkennen. Ich konnte nicht glauben, dass ich ihn jemals für seltsam oder unscheinbar gehalten hatte. Er war so ... hübsch. Ich fühlte den plötzlichen Drang, ihn zu küssen. Das wäre keine gute Idee. Er würde aufwachen und mich so schnell rauswerfen, dass mir schwindelig würde. Aber je länger ich starrte, desto stärker wurde das Verlangen, ihn zu berühren. Ich konnte mich nicht davon abhalten, ihm die Haare aus den Augen zu streichen. Er zuckte und kräuselte die Nase, dann drehte er sich auf die Seite mit dem Rücken zu mir.
Ich lauschte seinem Atem, ein langsames, gleichmäßiges Ein- und Ausatmen. Er roch sauber, als ob er sich jeden Rest der Nacht von der Haut geschrubbt hätte. Die Erinnerung an seine Gespaltenheit erregte mich. Ich hatte angenommen, dass ich ihn kannte. Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Offensichtlich war das nicht der Fall, und das wollte ich ändern. Ich rutschte ein Stückchen näher, legte meinen Kopf auf das Kissen und legte ohne nachzudenken den Arm um seine Hüfte. Sofort bewegte er sich nach hinten gegen meinen Schritt. Ich schluckte schwer und fleht meinen zuckenden Schwanz an, sich zu benehmen. Als er es erneut tat, wusste ich, dass es kein Zufall gewesen war. Er war wach und wusste, was er tat. Ich biss auf die Innenseite meiner Wange und presste mich enger an ihn.
Ich schob meine Hand unter sein T-Shirt, aber dann hielt ich still und wartete auf seine Reaktion. Er seufzte, aber stieß mich nicht weg. Seine Haut war glatt und weich. Ich spreizte die Finger und strich über seinen flachen Bauch. Unter seinem Bauchnabel spürte ich eine Andeutung von Haaren. Ich verfolgte die schmale Spur mit dem Daumen, aber ich hielt sofort inne, als ich seinen steinharten Schwanz durch eine dünne Schicht Baumwolle spürte. Mir wurde schwindelig vor Verlangen. Wäre er jemand anderes gewesen, hätte ich nicht gezögert, sein geschwollenes Fleisch zu umfassen. Aber das war Will, der Mann, der am Besten kommunizieren konnte, wenn seine Gitarre als Schild zwischen ihm und der wirklichen Welt fungierte. Gut, es hatte sich herausgestellt, dass er gleichzeitig ein Netzstrümpfe-, Make-up- und High Heels tragender, frecher Kerl war. Wie auch immer, ich kannte den Mann nicht. Ich musste vorsichtig vorgehen, denn Rückzug war jetzt keine Option mehr.
Ich hakte meinen Daumen in den Bund seiner Pyjamahose und fuhr mit der Hand in seine Unterhose. Ich wartete auf ein Zeichen von ihm. Weitermachen oder aufhören. Ich wusste nicht, ob er noch atmete, denn ich konnte abgesehen von dem Klang meines Herzschlages nichts anderes hören. Ich bewegte meine Hand tiefer, schluckte schwer und legte sie auf sein hartes Gerät. Ich seufzte angesichts des wundervollen Gewichts. Er war lang und dick. Ungefähr meine Größe, stellte ich fest, während ich mit meinem Daumen über den breiten Kopf und den Schlitz rieb. Ein tiefes Stöhnen und eine leichte Drehung der Hüften erinnerten mich daran, dass er wusste, was ich tat, und, was noch besser war, es genoss. Ich presste meinen schmerzenden Schwanz gegen seine entblößte Arschspalte und küsste seine Schulter. Er protestierte nicht. Tatsächlich schob er die Hüften nach hinten für mehr Reibung. Dem Wunsch kam ich gerne nach. Ich winkelte meine Hüften an, während ich fester zupackte und ihn streichelte. Ein langes, langsames Gleiten mit einer leichten Drehung des Handgelenks von der Basis bis zur Spitze und wieder zurück. Er stöhnte und wand sich, dann langte er hinter sich, um meinen Oberschenkel über seinen zu ziehen und mich wortlos zu bitten, den restlichen Abstand zwischen uns zu schließen. Diese stille Einladung machte mich verrückt. Ich hakte mein Bein über seines und nutzte den Schwung, um ihn auf den Rücken zu drehen, sodass wir uns ansahen.
All meine Zurückhaltung war verschwunden. Wir waren zwei Erwachsene unter dem Deckmantel der Nacht, die sich einig waren, was sie wollten. Es fühlte sich zu gut an, um es zu hinterfragen. Ich konnte mich nicht davon überzeugen, dass das keine gute Idee war. Nicht im Moment. Ich beugte mich vor und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Er legte die Arme um meinen Hals und zog mich zu sich. Der Kuss war süß, eine zarte Begegnung der Lippen im Dunklen. Nicht fordernd, sondern fast schon liebevoll. Bis er über meine Lippen leckte und Einlass forderte. Ich stöhnte, als ich seine Zunge zum ersten Mal an meiner spürte. Ich versuchte, den Kuss zu vertiefen, aber er neckte mich mit kleinen Leckbewegungen, dann einem drängenden Stoß, bis ich frustriert aufstöhnte und meinen Mund über seinen schloss. Ich stieß mein Becken gegen seines. Ich liebte es, wie unsere Erektionen durch die dünne Barriere aneinanderglitten. Aber ich war gierig. Ich wollte Haut. Ohne Hindernisse.
Ich schob seine Pyjamahose und Unterhose aus dem Weg, bevor ich meine eigene auszog. Wir zischten vor Verlangen, als sich unsere blanken Schwänze berührten. Will legte die Hände auf meinen Hintern und spreizte die Beine, damit ich zwischen ihnen Platz hatte. Er stieß nach oben auf der Suche nach Reibung. Sein Verlangen machte ihn wild. Seine Fingernägel krallten sich in mein Fleisch, während er über meine Lippen leckte und an meiner Zunge saugte. Ich rieb meine Hüften an seinen, dann stützte ich mich auf eine Hand und packte uns beide in einem festen Griff. Will kratze über meinen Rücken und stieß in meine Faust. Er zog mich näher und verband unsere Körper, während er mich mit Küssen und Bissen genoss. Ich holte keuchend Luft und ließ meine Stirn einen Moment auf seiner ruhen, bevor ich begann, seine Ohrmuschel mit der Zunge nachzuzeichnen.
„Mach langsam, Baby.” Meine Stimme war tief und heiser. Ich erkannte sie kaum wieder.
„Ich kann nicht. Es fühlt sich so gut an.” Er legte seine Hand auf meine und drückte zu.
Der Druck wurde größer. Ich stieß mit Hingabe in unseren gemeinsamen Griff. Er hatte recht. Es fühlte sich verdammt gut an. Ich küsste seinen Mund, dann zog ich mich zurück, um über meine Handfläche zu lecken, bevor ich sie erneut um uns legte und das Tempo erhöhte. Als ich meine Finger tiefer wandern ließ, um mit seinen Eiern zu spielen, hob er sein Bein ein wenig, um mir mehr Spielraum zu geben. Und vielleicht auch die Erlaubnis, noch weiter zu gehen. Ich ließ es darauf ankommen und strich mit einem Finger über seine Öffnung. Es war nicht mehr als eine leichte Berührung, aber es reichte aus, um ihn über die Kante zu stoßen. Ich fühlte, wie er sich anspannte und dann den Schwung verlor. Er zog an meinem Haar und hielt mich fest, während er die Fassung verlor und unkontrolliert zitterte. Und ich folgte ihm. Vor meinen Augen tanzten Sterne, ein Kaleidoskop aus Farben, während sich unser heißer Saft zwischen uns ergoss.
Eine Weile lagen wir einfach nur still da, verbunden durch Schweiß und Sperma. Es war himmlisch. Ich konnte mich kaum bewegen und Will schien sich an meinem Gewicht nicht zu stören. Ich wollte nicht wieder in die wirkliche Welt zurückkehren, bevor ich unbedingt musste. Als er an meine Schulter drückte, rollte ich mich langsam von ihm runter und bereitete mich auf seine Reaktion vor.
Stille.
Ich begann, mich zu fragen, was die Stille zu bedeuten hatte, als er sich aufsetzte, sein weggeworfenes T-Shirt vom Fußende des Futons holte und es mir reichte. Als ich es nicht annahm, wischte er unsere Hinterlassenschaften von meinem Bauch, bevor er das Gleiche bei sich selbst tat. Er warf das verschmierte T-Shirt zur Seite und vergrub sich unter den Decken, dabei blickte er mich an.
„Willst du reden?”, flüsterte ich.
Will lachte schnaubend und schüttelte den Kopf. „Nein. Schlaf jetzt, Rand.”
Unglaublicherweise tat ich das auch.
EINE ZUFRIEDENE Stille erfüllte den kühlen Raum, auch wenn weit entfernt Sirenen im Morgenlicht erklangen. Gedämpfte Klänge von hupenden Autos und schreienden Menschen drang durch die dünnen Wände, aber es war nicht störend, sondern beruhigend. Der übliche Klang einer Stadt, die den Tag beginnt. Ich blickte auf den schlafenden Will neben mir. Er sah so jung und unschuldig aus. Wenn ich nicht in seinem Bett aufgewacht wäre, hätte ich mich leicht davon überzeugen können, dass der letzte Teil des Abends ein Traum gewesen war. Und der Teil mitten in der Nacht ebenfalls.
Wills Augen öffneten sich flatternd. Er seufzte und streckte sich, bevor er sich auf den Rücken drehte. Ich beobachtete, wie sein Adamsapfel sich bewegte, und fragte mich, was wohl auf mich zukam. Es war lange her, dass ich in einem fremden Bett aufgewacht war und nicht wusste, was ich zu erwarten hatte. Ich hatte kein Problem mit One-Night-Stands, aber ich blieb selten über Nacht, und wenn doch, dann weil wir beide eine weitere Runde drehen wollten, bevor wir uns verabschiedeten. Das war ein ganz anderes Szenario.
„Guten Morgen”, wagte ich. „Wie hast du geschlafen?”
„Warum bist du hier?”
„Ich habe nur–” Mir fiel kein guter Grund ein, der ihn nicht verschrecken würde, also gab ich dem Impuls nach und strich mit der Hand vorsichtig über seinen Bauch. Er stieß mich weg und drehte sich um, um aus dem Bett zu steigen. „Geh nicht. Bitte.”
Will saß auf der Kante des Futons mit dem Rücken zu mir, während er seine weggeworfene Unterhose anzog. „Ich muss auf die Toilette.”
Ich sah zu, wie er sich zurückzog, und schaffte es, still zu bleiben und nicht alles zu ruinieren. Zumindest hatte er nicht gesagt, ich solle verschwinden. Ein Fortschritt. Ich hörte, wie eine Tür sich schloss, dann laufendes Wasser und schließlich nichts mehr. Geduld war nicht meine Stärke, aber ich bewegte keinen Muskel. Ich lauschte und wartete.
Als er zurück ins Zimmer kam und zu einer Garderobe bei der Eingangstür ging, setzte ich mich auf. „Nicht.”
Er neigte neugierig den Kopf, als wäre er überrascht, dass ich noch da war. „Was nicht?”
„Zieh dich nicht an. Komm wieder ins Bett.”
„Aber–”
„Bitte.”
Er zögerte, dann atmete er schnaubend aus, bevor er den Raum durchquerte und wieder unter die Decken schlüpfte. Die plötzliche Kälte ließ mich erzittern. Ohne nachzudenken, griff ich nach ihm, um ihn in meine Arme zu nehmen. Er versteifte ich und rutschte weg, dabei drehte er sich auf die Seite, das Gesicht mir zugewandt.
„Tut mir leid. Es ist nur so verdammt kalt.” Ich lächelte und tätschelte den schmalen Raum zwischen uns. „Bist du sicher, dass du nicht ein wenig Körperwärme teilen willst?”
Will kräuselte die Nase und schloss für einen Moment die Augen. Ich konnte praktisch sehen, wie sich die Räder hinter seiner Stirn drehten. „Du bist hier, weil du ohnmächtig geworden bist. So viel ist mir klar. Die Frage ist, warum du immer noch hier bist?”
„Ich bin – nicht sicher, aber ich bin froh darüber.”
Er biss sich auf die Unterlippe und ließ sich auf den Rücken fallen. „Rand, das ist zu viel für mich. Ich verstehe dich nicht und ich weiß nicht, wie ich mich erklären soll.”
Ich ließ die Stille noch einen Moment länger andauern, dann fuhr ich mit dem Zeigefinger seine Kinnlinie nach, bis er mich ansah.
„Kann ich einfach sagen, dass du hübsch bist?”
Wills Lippen zuckten vor widerwilliger Belustigung.
„Das hast du letzte Nacht schon gesagt, aber ... Danke.”
„Darf ich dir ein paar Fragen stellen?”
„Uff! Gott ... nein! Deswegen hättest du einfach gehen sollen.” Er drehte sich auf den Bauch und versteckte sein Gesicht in den Kissen. „Wir sehen uns am Dienstag. Wir können so tun, als wäre das hier nie passiert.”
Ich kicherte und zog vorsichtig an seinem Haar. „Ich denke nicht, dass wir das können. Ich bin zu neugierig. Erzähl mir von dir ... nein, sei nicht schüchtern. Ich wette, ich kenne ein oder zwei Geschichten, gegen die deine verdammt zahm wirkt.”
Will drehte sich auf die Seite und schnaubte. „Da bin ich mir sicher. Sieh mal, ich glaube, ich bin nicht bereit zu–”
„Ich weiß, dass du gesagt hast, dieser Typ wäre nicht dein Freund, aber hast du dich neulich Abend mit ihm getroffen?”
„Neulich Abend?”
„Ich habe dich in der U-Bahn gesehen. Du hast einen schwarzen Mantel über einem blauen Kleid getragen. Ich war mir bloß nicht sicher, dass du es warst, bis ich dich gestern Abend in der Bar gesehen habe.”
„Was hast du überhaupt dort gemacht? Du hast mir doch gesagt, du wärst hetero.”
Ich holte tief Luft. „Eigentlich habe ich dir bloß gesagt, dass ich nicht schwul bin. Ich bin bi. Ich habe dir nur die halbe Wahrheit erzählt. Es tut mir leid.”
„Die halbe Wahrheit”, wiederholte er mit einem höhnischen Schnauben. „Ich denke, so kann man es auch ausdrücken. Aber warum? Ich hatte dir gesagt, dass ich schwul bin. Warum also lügen?”
„Es ist ... kompliziert, aber–” Ich zog an seinem Arm, als er auf Abstand ging. „Ich werde versuchen, es dir zu erklären. Aber sag mir erst, wer der Kerl ist.”
„Ein Freund.”
„Arbeitest du für ihn?”
„Sozusagen.”
„Will, rede mit mir. Ich weiß, dass ich dir viel zu erklären habe, aber ich bin dein Freund.” Ich wollte hinzufügen, dass er jünger und besser aussehend war, als der Glatzkopf, aber ich glaubte nicht, dass das jetzt besonders gut ankäme. Ich schluckte die Worte hinunter und überlegte, wie ich mich erklären konnte „Ich weiß, ein Handjob mitten in der Nacht ist keine große Geste, aber der Mann, den ich als Gitarrenlehrer angeheuert habe, schien mir nicht der Typ zu sein, der A) freigiebig damit umgeht oder B) Frauenkleider im Schrank hängen hat. Ich schwöre dir, dass du mir vertrauen kannst. Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du darüber redest.”
Er zeigte mir ein schiefes Lächeln, das nicht gerade freundlich aussah. „Ich brauche keinen Psychologen. Ich bin irre, und das weiß ich auch. Verrücktheit zu erklären ist schwieriger, als verrückt zu sein”
„Also gut. Vielleicht komme ich von selbst darauf.” Ich schürzte die Lippen und verengte nachdenklich die Augen. „Du bist ein Callboy und dieser Kerl ist dein Zuhälter oder ein Kunde oder – also, war das warm oder kalt?”
Will starrte mich eine ganze Weile an, bevor er antwortete. „Lauwarm.”
„Was? Welcher Teil war richtig? Bist du ein Callboy? Wirst du dafür bezahlt, Frauenkleider zu tragen? Ist der Typ dein Sugar Daddy? Komm schon! Ich sterbe vor Neugier!”
Wills Gesichtsausdruck zeigte großes Unbehagen. Ein netterer Mensch hätte es auf sich beruhen lassen oder ihm versichert, dass er nichts preisgeben musste, was ihm unangenehm war. Nicht so ich. Ich war bekannt dafür, nur selten Anflüge von Nettigkeit zu haben, und ich war, verdammt noch mal, zu neugierig, um das Thema fallen zu lassen. Wie konnte ich auch? Mein sanfter, schüchterner Gitarrenlehrer war nebenher ein Crossdresser-Callboy.
„Du bist so melodramatisch.”
„Ich dachte, du wärst ein Nerd. Ein sexy Nerd, aber trotzdem ein Nerd. Ich war nicht auf dein wirkliches Selbst vorbereitet.
Will lächelte. „Ein sexy Nerd? Ich fühle mich geehrt. Glaube ich. Ich bin kein Mysterium, Rand. Nicht wirklich. Ich bin immer noch der Typ, der eine Brille trägt und lieber Gitarre oder Klavier spielt, statt zu reden. Aber jeder Mensch hat mehr als eine Seite, oder?”
„Aber nicht so eine! Wenn du mir erzählt hättest, dass du in deiner Freizeit gerne nähst, hätte ich gedacht, das ist seltsam, aber nicht total abgedreht. Hier geht es nicht darum, unterschiedliche Interessen zu haben. Wir reden hier eher von einer gespaltenen Persönlichkeit.”
„Welche ist dir lieber?”
Sein Tonfall war düster und provokativ. Ich studierte ihn einen Moment und fragte mich, ob er versuchte, mich aus der Bahn zu werfen. Er hielt meinen Blick mit einem ruhigen Selbstvertrauen, das mich mehr erschütterte, als ich wahrhaben wollte.
„Ich mag sie beide, aber welche ist dein wahres Selbst?”
Lange Zeit sprach er nicht. Ich dachte schon, dass er gar nicht antworten würde und dass seine Stille das Ende des Gesprächs markierte. Ich versuchte, etwas zu finden, womit ich seine Meinung ändern konnte, als er endlich sprach.
„Beide. Ich bin schon irgendwie ein Callboy. Sozusagen. Martin ist nicht mein Liebhaber, aber wir haben eine Vereinbarung. Irgendwie.”
„Halt, halt! Langsam. Ich komme nicht mehr mit. Noch mal zurück.”
„Wollen wir das jetzt wirklich auseinandernehmen?”
„Warum nicht? Wir sind nur zwei Typen, die in ihrer Unterwä– oh.” Ich schaute unter die Decke und zeigte, dass ich nackt war, um die Stimmung zu heben und ihm vielleicht ein Lächeln zu entlocken. Ich lobte mich im Stillen, als sich seine Lippen amüsiert kräuselten. „Fang ganz von vorne an. Sprich deutlich und versuch, ‘sozusagen’ und ‘irgendwie’ auszulassen. Was meinst du mit Callboy? Warum ziehst du dich wie eine Frau an? Wer war der Typ und warum, zum Teufel, hat er dich begrapscht?”
„Du klingst eifersüchtig”, stellte er gereizt fest.
„Eher verkatert”, witzelte ich, auch wenn ich nicht wusste, warum ich das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte.
Dann war Will eben eine heimliche Dragqueen. Nicht meine Angelegenheit. Dann hatte er eben einen Sugar Daddy. Auch nicht meine Angelegenheit. Ich konnte meine Anwesenheit in Wills Bett guten Gewissens auf den Alkohol schieben, aber ich wusste, der Grund, warum ich immer noch hier war, hatte mit etwas zu tun, das über eine natürliche Neugier hinausging. Andererseits war das ein anrüchiges Thema. So etwas passierte in Filmen, nicht im wahren Leben. Außer in New York City, grübelte ich.
„Ich habe Geld gebraucht.” Er zuckte mit den Achseln und wurde erneut still, als ob diese vier Worte alles erklären würden.
„Oookay ...”
„Martin Kanzler ist verheiratet. Er lebt in Jersey und–”
„Ich hatte recht”, flüsterte ich.
„– er ist stinkreich und hat den einen oder anderen Fetisch.”
„Und du bist sein Liebhaber, der sich von ihm fesseln oder in Frischhaltefolie einwickeln lässt?”
Will rollte mit den Augen. „Ich bin nicht sein Liebhaber.”
„Was bist du dann?”
„Das habe ich dir schon gesagt.” Er setzte sich auf und verschränkte die Beine, dann schaute er mich mit einem Blick an, den ich in keiner Weise deuten konnte. „Wir haben eine lockere ... Vereinbarung.”
„Der sexuellen Art.”
„Nein. Ich habe doch erklärt, dass ich nicht sein Liebhaber bin. Ich ... bediene nur seine Launen.”
Schluck. „Welche Art von Launen?”
„Er steht auf Männer in Frauenkleidung. Ich verkleide mich und gehe mit ihm aus. In Bars oder Clubs. Keine große Sache.”
„Das ist alles, was er will? Kein Sex?”, fragte ich ungläubig.
„Kein Sex. Manchmal passiert schon etwas mehr, aber nicht in letzter Zeit. Es ist schon eine Weile her, seit er sich einen runterholen wollte, während er dabei meinen blanken Hintern in Netzstrumpfhosen beobachtet.”
„Heilige Scheiße.” Ich zuckte zusammen, als mein Schwanz bei der Erwähnung der Strumpfwaren von letzter Nacht zuckte.
Will zeigte ein jungenhaftes Grinsen, eine Unschuld, die so gegensätzlich war zum Thema unseres Gesprächs. Er schien keine Ahnung zu haben, wie verführerisch und sexy er war, wenn er mit seinen verwuschelten Haaren und den Sommersprossen auf der Nase von Dingen sprach, die ich in einer Million Jahren nicht mit dem zugeknöpften Musiker in Zusammenhang gebracht hätte, den ich kannte.
„Jedenfalls–”
„Moment! Er hat sich also immer zu deinem blanken Hintern in Netzstrumpfhosen einen runtergeholt, und jetzt will er nur noch Zeit mit dir verbringen?” Mein skeptischer Tonfall war nicht zu überhören.
„Manchmal gibt es noch ein kleines Rollenspiel, aber–”
„Oh mein Gott”, stöhnte ich. Ich presste meine Augen zu und zählte still bis zehn. Alles, um nicht meinen mittlerweile pulsierenden Schwanz zu packen. „Welche Art von Rollenspiel?”
Meine Stimme war ein ersticktes Flüstern. Entweder bemerkte Will es nicht, oder er hatte beschlossen, es zu ignorieren. Er schüttelte lässig den Kopf, als wäre dies das Normalste der Welt.
„Es kann alles sein - vom Szenario über einen Chef und einen eigensinnigen Angestellten bis zu einer Daddy-Sache. Er denkt sich eine Geschichte aus und ich spiele meine Rolle. Es ist irgendwie lustig, aber ziemlich unschuldig.”
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich sprachlos. Das würde nicht lange anhalten, aber ... wow.
„Daddy”, würgte ich hervor.
„Ja. Er denkt sich zu Beginn des Abends eine Szene aus. Etwas, in dem ich ihm widersprechen soll. Dann verwarnt er mich ein paar Mal, wenn ich tue oder sage, was das Skript vorgibt und dann ...” Er zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen „Macht das nicht jeder?”
„Und dann was? Bestraft er dich? Ich verstehe es nicht. Du musst gestern Abend also gearbeitet haben, aber er schien nicht eifersüchtig gewesen zu sein, als ich aufgetaucht bin. Es war zwar nicht mein bester Abend, aber dennoch.”
„Er ist nicht mein Freund, Rand. Es ist nichts Persönliches. Überhaupt nicht. Es ist ein Geschäft. Ein Akt zwischen zwei Erwachsenen, die wissen, was sie tun. Aber es ist sowieso vorbei.”
„Was meinst du?”
„Unser Arrangement ist beendet. Er hat es recht gut aufgenommen. Vielleicht hat er jemand Neuen in seinem Leben, mit dem er richtigen Sex haben kann. Und dem es nichts ausmacht, gelegentlich den Hintern versohlt zu bekommen.”
„Meine Güte, das ist ...”
„Seltsam? Nicht wirklich. Die Jungfrau und der verheiratete Geschäftsmann. Jeder fühlt sich von etwas anderem erregt”, meinte er mit einem Achselzucken. „Er ist kein schlechter Mensch. Wir passen bloß nicht zusammen. Ich habe es gestern Abend beendet. Ich werde das Geld, das ich ihm schulde, einfach auf den riesigen Berg von meinem Studentendarlehen packen.
„Gut. Nicht der Teil mit dem Studentendarlehen, und das soll jetzt keine Verurteilung sein, aber Escort ist nichts für dich. Wir überlegen uns etwas anderes.
Er sah erstaunt aus. „Wir? Rand, ich–”
Ich legte den Finger auf seine Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ich wusste nicht, was ich gemeint hatte. Nicht in aller Tiefe. Ich fuhr mir aufgeregt mit der Hand durchs Haar. „Das ist echt hart für mich. In mehr als einem Sinn. Ich habe noch eine Frage.” Er starrte mich direkt an, zweifellos, um mich zum Schweigen zu bringen. „Du hast gesagt, dass du Jungfrau bist. Heißt das, du hast nie etwas Sexuelles mit Martin gemacht oder mit Männern überhaupt, abgesehen von mir? Letzte Nacht haben wir–”
Will schloss die Augen und stöhnte tief. „Ich wünschte, ich wäre nicht aufgewacht. Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Gespräch bereuen werde. Nimm dir einen Mantel und gib ihn mir am Dienstag zurück. Falls du immer noch Stunden haben willst”, fügte er mit einem besorgten Stirnrunzeln hinzu, bevor er an die Kante des Futons rutschte. „Können wir alles andere bitte vergessen?”
„Warum? Es war der Wahnsinn. Will, sieh mich an.” Ich hielt ihn am Ellenbogen fest und schlug die Decken über ihn, als würde ihn das am Rückzug hindern. Ich leckte nervös über meine Lippen, als er nicht nachgab. Sturer Bock. „Bitte. Ich bewundere dich. Es erfordert wirklich Mut, sich wie jemand vom anderen Geschlecht anzuziehen. Es ist nicht einfach, in dieser Stadt mit acht Millionen Menschen, etwas aus sich zu machen. Hör nicht auf zu glauben, dass–”
„Du fängst jetzt aber nicht an, Lieder von Journey zu singen, oder?” Er grinste mich schelmisch an.
„Nein”, kicherte ich. „Ich meine es ernst. Du warst letzte Nacht in den hohen Absätzen und den Strumpfhosen einfach atemberaubend. Einen Teil von mir macht dieses abgedrehte Zeug an, da werde ich nicht lügen. Und damit meine ich ... es macht mich wirklich an. Ich will ...”
Ich biss mir auf die Zunge und fragte mich, wie ich weitermachen sollte, als ich seine angespannten Schultern und seinen vorsichtigen Blick sah.
„Was willst du?”
„Ich will dich versohlen.”
„Gesprächszeit ist offiziell vorbei”, verkündete er und warf die Decken zurück.
Ich packte ihn am Arm, erleichtert, dass er eher amüsiert als wütend aussah, als ich ihn wieder neben mich zog.
„Das war ein Scherz. Naja, vielleicht auch nicht. Sieh mal, ich rede dummes Zeug, wenn ich nervös bin, und du machst mich wirklich nervös. Ich verstehe es nicht, aber ich will dich kennenlernen. Dein wirkliches Selbst.”
Wills Lächeln begann mit einem winzigen Kräuseln seiner Lippen, aber dann strahlte er. Meine Nasenflügel blähten sich, als ich eine lose Strähne seines Haar hinter sein Ohr steckte. Ich brauchte eine Entschuldigung, ihn zu berühren. Mit seinen leuchtenden Augen und den pinkfarbenen Lippen, auf denen noch Reste des roten Lippenstifts vom gestrigen Abend zu erkennen waren, war er außerordentlich anziehend.
„Aber du stehst nicht mal auf Männer”, flüsterte er mit einer herausfordernd hochgezogenen Augenbraue.
Ich lachte auf. „Das ist offensichtlich nicht korrekt.”
„Offensichtlich. Erklär mir mal, warum du nackt in meinem Bett liegst, nachdem du mich hast glauben lassen, dass du hetero bist. Ich weiß, dass es dunkel war, aber du schienst dich mit Schwänzen ziemlich gut auszukennen.”
„Ich habe doch gesagt, dass ich bi bin. Ich kenne mich mit beiden Geschlechtern recht gut aus.” Ich schüttelte den Kopf und schämte mich erneut für meine Lüge. „Es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich war. Ich habe versprochen, nicht zu – egal.”
Sein Gesichtsausdruck machte mich nervös. „Du hast versprochen, was nicht zu tun? Ich habe dir gerade erzählt, dass ich mich für Geld als Frau anziehe, um mein Studentendarlehen abzubezahlen. Jetzt bist du dran, also was ist es? Du hast versprochen, niemandem zu erzählen, dass du bi bist, oder hast du versprochen, dich von Männern fernzuhalten?”
Ich schluckte schwer, denn das klang grauenhaft. „Ja. Beides.”
„Dann frage ich noch einmal ... warum bist du hier? Ist es, weil ich Kleider trage? Macht es dich an, wenn die Grenzen zwischen Mann und Frau verwischen?”
„Nein. Jedenfalls bisher nicht. Ich glaube, es liegt an dir. Sieh mal, ich bin nicht stolz darauf, dass ich gelogen habe. Das war feige. Besonders, nachdem du so ehrlich zu mir warst. Aber jetzt sage ich die Wahrheit.”
„Wie nobel”, stichelte er und zog sich eine Ecke der Decke über die Schultern wie ein Cape.
„Es tut mir leid. Ich hasse es, wenn jemand unehrlich ist. Ich fühle mich wirklich schlecht deswegen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist. In meiner Vorstellung war es nur eine Sache des Willens, und dann wäre es keine Lüge gewesen.”
„Aber warum ist es so wichtig, dass du hetero bist? Es gibt haufenweise schwule und bisexuelle Musiker.”
„Überleg mal. Diejenigen, von denen man es weiß, haben schon den Durchbruch geschafft. Man hält sie entweder für hetero, oder sie geben zu, dass sie bi sind, aber auf Bildern sieht man sie nur mit jemandem vom anderen Geschlecht. Ein Agent, den wir angeheuert haben, als wir in die Stadt gekommen sind, hat mit gesagt, es wäre kein Problem, dass ich bi bin, aber es wäre eines, wenn ich einen Freund hätte. Als ich zugab, dass ich mich mehr zu Männern hingezogen fühle, hat er mir geraten, überhaupt nicht über meine Sexualität zu sprechen. Das lenke ab, sagte er, und sei keine gute Strategie. Seiner Meinung nach kann man als etablierter Star etwas Derartiges zugeben, aber nicht als Newcomer. Angeblich ist mein Erscheinungsbild ein Teil des Gesamtpaketes, und wenn die Fans Schlagworte wie Schwul oder Bi hören, nehmen sie nichts anderes mehr wahr.” Ich versuchte zu kichern, aber war nicht überrascht, dass es hohl klang. „Es hat sich herausgestellt, dass es viel schwerer ist, als ich erwartet habe. Einen wichtigen Teil von mir zu verleugnen, um den anderen großen Teil von mir zu vermarkten, ist ... ermüdend.”
„Das Gefühl kenne ich. Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, dass ich nur halb geoutet bin? Manchmal denke ich, es wäre einfacher, wenn ich das Outing ganz zurücknehme.”
„Wieso? Ich verstehe, dass es eine Weile dauert, bis man sich mit dem Schwulsein arrangiert hat, aber warum es ganz zurücknehmen? Meine Güte, wie hast du es ohne Sex ausgehalten? Ich liebe Schwänze. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht alles–”
„Was? Alles zu haben? Du bist eben gierig, Rand. Du willst alles. Du bist sogar bereit, dich den Regeln von anderen zu unterwerfen, um deine Unersättlichkeit zu befriedigen.” Dieses Mal war es unmöglich, seine Verachtung zu überhören.
„Unersättlichkeit? Sieh mal, ich weiß, dass es nicht schön klingt, aber wenn ich mich auf die Musik konzentriere, spielt die geschäftliche Seite für mich keine Rolle. Ich fokussiere mich auf das, was uns Gehör verschafft. Nur wenn ich ich selbst bin, dann ist es ... einengend. Ich bin nicht hetero und ich bin nicht schwul. Ich bin irgendwo dazwischen. Meine sogenannte Angepasstheit ist eine–”
„Geschäftliche Entscheidung. Alles klar. So hat es mit Martin und mir auch angefangen. Ich wünschte, ich hätte mich nie darauf eingelassen, aber ich glaube, ich verstehe, warum du gelogen hast.”
„Ich habe nicht gelogen, ich habe bloß nicht die ganze Wahrheit erzählt.” Sofort zuckte ich zusammen. „Ich meine, ich erzähle nicht jedem, was ihn eigentlich überhaupt nichts angeht.”
„Nicht viel besser, aber auf eine verdrehte Art verstehe ich es.”
„Was bedeutet das jetzt für uns? Die letzte Nacht hat alles verändert, Will. Du weißt über mich Bescheid und ich weiß, dass du–”
„Dass ich ein Callboy-Freak bin, der Frauenkleider trägt?”
„Dass du außergewöhnlich bist. Du bist ein wunderschöner Mann ... und eine sexy Frau. Ich fühle mich sehr zu dir hingezogen.” Ich malte ein kreisförmiges Muster über seinem Knie und massierte die Innenseite seines Oberschenkels. Er schlug mir auf die Hand und legte sich neben mich. Seinen Kopf legte er auf dem Ellenbogen ab.
„Oh bitte! Ich bin gewöhnlich–”
„Tut mir leid, wenn ich dir das sagen muss, aber gewöhnliche Männer haben keinen eigenen Lippenstift in ihren Medizinschränkchen. Wenn du gewöhnlich bist, dann mag ich gewöhnlich. Sagen wir es so, die meisten Kerle sind wie Scheiblettenkäse. Du bist wie Gouda.”
„Käse?” Seine Augenbrauen kräuselten sich verwirrt. Wer konnte ihm das vorwerfen? Wovon, zum Teufel, redete ich da?
„Schlechtes Beispiel. Kann ich dich küssen?”
Er blinzelte ein paar Mal, aber bewegte sich nicht. Ich kam näher, sodass sich unsere Knie berührten, dann berührte ich vorsichtig mit dem Finger sein Ohrläppchen. Als er sich in meine Hand lehnte, umfasste ich seinen Hals, zog ihn zu mir und fühlte seinen Atem auf meinen Lippen. Der Drang, unsere Münder zusammenzupressen und meine Zunge um seine zu schlingen war stark. Ich atmete seinen Geruch nach Schlaf und Pfefferminze ein, bevor ich über seine Unterlippe leckte und meinen Mund zärtlich auf seinen presste. Sein tiefes Stöhnen hallte in dem kalten Raum. Ich hörte ein Geräusch, das ich verspätet als mein eigenes Wimmern nach mehr erkannte. Mehr Kontakt. Mehr Will. Ich hob sein Kinn und leckte erneut über seine Lippen. Dieses Mal forderte ich Einlass. Er kam der Forderung gerne nach.
Die Luft war schwer vor Erwartung und einem fast schon unschuldigen Staunen, das ich seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Ich genoss das Gefühl seiner weichen Lippen und dem begierigen Stoßen seiner Zunge. In dem Kuss lagen mehr Begehren und rohes Verlangen als Finesse, und das machte jedes kleine Seufzen und Stöhnen umso süßer. Ich fuhr mit den Händen durch sein dichtes Haar, über seine Schultern an seinem Rücken hinunter und hielt kurz über dem Bund seiner Unterhose inne. Ich wollte nicht mehr verlangen, als er bereit war, mir zu geben. Aber als er sein Gewicht nach vorne auf einen Arm verlagerte und dabei unabsichtlich seinen harten Schaft an meinen drückte, dachte ich, ich würde ohnmächtig werden. Wir stöhnten wie aus einem Munde, als die leidenschaftliche Verbindung unserer Lippen von einem rhythmischen Stoßen unserer Hüften begleitet wurde. Auch wenn uns eine dünne Schicht Baumwolle trennte, fühlte es sich unglaublich gut an.
Will biss auf meine Lippe, dann küsste und leckte er an meinem Kinn entlang und an meinem Hals hinunter. Dass wir uns noch nicht rasiert hatten, gab dem Ganzen eine sexy Reibung. Aber es war das Wiegen seiner Hüften, das mir den Verstand nahm. Wenn ich ihn jetzt nicht aufhielt, würde ich auch das letzte Bisschen Kontrolle verlieren.
„Will, mach langsam, Baby. Wir–”
„Ich will, dass du es bist.”
„Was?” Ich zog mich verwirrt zurück.
„Mein erstes Mal. Ich will, dass du mein Erster bist”, platzte er heraus.
Ich war sprachlos vor Staunen.
„Wenn ich im Mai wieder hetero werden muss, will ich keine Jungfrau mehr sein. Ich will, dass du es bist.”
Meine Augenbrauen hoben sich vor Überraschung. „Was passiert im Mai, damit das nötig wird?”
„Ich mache den Abschluss.” Er schnaubte, als ich ihn verständnislos anstarrte. „Es ist schwer, jetzt ins Detail zu gehen, aber zusammengefasst würde meine Familie meine sexuelle Orientierung lieber eine Weile geheim halten.”
„Von Mai an?”
„Ja, spätestens ab dem Sommer.”
„Also willst du, dass es eine einmalige Sache wird, oder sollen wir es so oft wie möglich tun zwischen jetzt und dann?”
Will kicherte. „Eher das Letztere. Ich will nicht heiraten und eine Familie gründen, aber ich ... ich fühle mich zu dir hingezogen.”
Wir saßen still da, denn keiner von uns wusste, wie wir weitermachen sollen. Bis ich es nicht mehr aushielt. Ich zog die Decken zurück und entblößte mich.
„Ich bin nackt und hart. Kommen wir jetzt zum Hauptteil oder später?”, fragte ich trocken.
Will lachte leise und langte nach meinem Schwanz. „Ich bin nicht sicher. Ich habe noch nie jemanden gebeten zu – ich meine, das ich nicht normal für mich.”
„Das hatte ich auch nicht erwartet”, sagte ich und stoppte vorsichtig seine Hand. Das war nicht einfach, wo mein Körper lautstark nach Erlösung verlangte. „Aber nach letzter Nacht denke ich, dass du zumindest etwas Erfahrung hast.”
„Ein wenig, aber ich habe nicht ... du weißt schon.”
„Das volle Programm?”
„Hm-mh.” Er beugte sich zu mir und schnurrte vor Verlangen, als ich seinen Hintern packte und ihn an mich zog, dabei glitt mein Schwanz an seinem entlang. Es wäre so einfach, die Stoffbarriere wegzuschieben und mir zu nehmen, was er mir anbot.
„Also haben du und Marty nie–”
Will setzte sich abrupt auf und funkelte mich an. „Nein. Ich habe dir doch gesagt, dass ich nie Sex mit Martin hatte.”
„Wie nennst du es, wenn du dich für jemanden in Netzstrumpfhosen vornüber beugst?”
„Das war kein Sex!”
„Sex definiert man nicht dadurch, dass man seinen Schwanz in–”
„Musst du so primitiv sein? Ich habe ihm weder einen geblasen noch es ihm mit der Hand gemacht. Das Äußerste, was ich getan habe, war, ihm zu küssen. Das ist kein Sex”, beharrte er.
„Küssen ist in Ordnung, aber jemandem deinen blanken Hintern zu zeigen, überschreitet eine Grenze, Babe. Akte der Intimität und sexuelle Gefälligkeiten sind Formen von Sex, genau wie–”
„Komm mir nicht mit einer weiteren Käse-Metapher. Warum spielt es überhaupt eine Rolle? Wir können unser Arrangement auch als geschäftliche Sache betrachten. Wir können es langsam angehen lassen, abwarten, ob wir kompatibel sind. Du bist ziemlich nervtötend. Vielleicht funktioniert es überhaupt nicht, und wenn doch, dann haben wir bis Mai Zeit.”
„Kompatibel? Was hat das damit zu tun? Tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber inwiefern löst es die Probleme mit deinen Eltern, wenn du ein Hetero-Leben führst? Du bist erst zweiundzwanzig. Die Dinge ändern sich. Du wirst jemanden kennenlernen und–”
„Wenn das passiert, überlege ich es mir noch einmal. Ich denke, im Moment ist es das Richtige. Vielleicht kann ich auf die Art unser Verhältnis kitten.”
„Indem du verleugnest, wer du bist? Das wäre unehrlich.”
„Wie bei dir?” Er blickte mich selbstzufrieden an, was mir sofort unangenehm war. „Denk darüber nach. Wir hätten beide etwas davon. Du könntest dein Geheimnis für dich bewahren und könntest trotzdem ...”
„Deinen Arsch haben?”, fragte ich, unfähig, die Missbilligung aus meiner Stimme zu halten. Es fühlte sich falsch an und dennoch ...
„Weist du mich ab?”
„Bestimmt nicht!” Ich setzte mich auf und drückte einen harten Kuss auf seine Lippen. „Holen wir uns einen Kaffee und reden darüber.”
Will zog sich überrascht zurück. „Willst du nicht ... du weißt schon?”
„Doch, ich will auf jeden Fall ... du weißt schon. Aber nicht alles auf einmal. Ich bestimme das Tempo. Üblicherweise bedeutet das: Halt deinen Hut fest und hoffe, dass du in Kansas landest, Dorothy. Aber ich werde versuchen, meine impulsive Natur für dich zu zügeln. Du bist viel leichtsinniger als ich, und du bist absolut nicht darauf vorbereitet, dich der wirklichen Welt zu stellen.”
„Wie bitte?” Seine Stirn legte sich ungläubig in Falten.
„Komm schon, Will! Was weißt du wirklich über den Kerl? Du kannst nicht so vertrauensselig sein. Marty, der Ehemann könnte sich in Marty, den Mörder, verwandeln. Diesen Arsch könnte es anmachen, dich zusammenzuschlagen, dir anschließend die Seele aus dem Leib vögeln und dich dann in einem dreckigen Hotelzimmer in Hell’s Kitchen zurücklassen. Dein Ruhm bestünde aus einer kurzen Erwähnung in den Elf-Uhr-Nachrichten, nicht von deinem Namen, der hell erleuchtet am Broadway steht. Das ist nicht schön. Ich bin immer dafür, Chancen zu nutzen, aber eine gewisse Vorsicht ist wichtig zum Überleben, Babe. Besonders, wenn dein gesunder Menschenverstand etwas ... fragwürdig ist.”
„Fragwürdig?”, schnaubte er. „Ich lebe schon länger hier als du. Ich kann mich um mich selbst kümmern, Rand. Und ich kenne Martin seit Jahren. Er würde mir nicht wehtun.”
„Seit Jahren?”
„Ja, er ist ein Freund meiner Eltern”, erklärte er und warf einen verärgerten Blick über die Schulter, bevor er zum Wäscheregal in der Ecke ging.
Ich langte nach meiner weggeworfenen Jeans und zog sie an, während ich zusah, wie er ein kariertes Hemd über ein Harry Potter-T-Shirt zog und dann seine Brille aufsetzte.
„Gerade ist das Ganze noch gruseliger geworden. Und sei nicht naiv. Du weißt gar nichts. Gut, dass du mich getroffen hast.”
Er rollte mit den Augen und deutete auf die Jacke, die ich auf dem Futon liegen gelassen hatte. „Richtig. Ich Glückskind. Aber deine Argumentation ist falsch. Wieso bist du vertrauenswürdiger als jeder andere? Woher weiß ich, dass du kein Scheiblettenkäse bist ... oder Schlimmeres?”
Ich keuchte theatralisch und wartete einen Moment, bevor ich todernst fragte: „Was ist schlimmer als Scheiblettenkäse?”
„Käsebällchen. Die mit den Nüssen”, antwortete er grinsend, während er sich eine rote Wollmütze anzog. „Holen wir uns Kaffee. Du bezahlst.”
Ich brummte gutmütig und schloss den Mantel, den er mir geliehen hatte, dann beugte ich mich zu ihm, um ihn zu küssen. „Na schön, aber keine Bagels.”
Ich folgte Wills melodiösem Lachen durch die Tür. Dabei war ich mir des dümmlichen Grinsens auf meinem Gesicht ebenso bewusst wie der interessanten Wendung, die mein Leben in den letzten zwölf Stunden genommen hatte. Ich war nicht sicher, dass das mit uns eine gute Idee war, aber hey ... das hatte mich noch nie abgehalten.