Von seinem Bungalow aus hatte man einen wunderschönen Ausblick auf die glatte See. Es war still. Nur die Brandung schwappte leise und im beruhigenden Takt gegen den Steg, der vor dem kleinen, versteckten Haus ins Meer stieß. Ein graumelierter Mittsechziger genoss seinen Earl Grey auf der Veranda und ließ das Schnellboot, das über das spiegelglatte Meer schoss, nicht aus den Augen. Er war seit Stunden wach und hatte bereits in der Dämmerung die Megayacht am Horizont ausgemacht, die weit draußen vor Anker lang. Er leerte seinen Tee und ging zurück ins Haus. Diesmal hatte er leider nur eine Nacht hier verbringen können. Eine Auszeit wäre aber mehr als notwendig, doch leider spielte sein Terminkalender da nicht mit. Er nahm sein Jackett vom Küchenstuhl, schlüpfte hinein und schloss die Verandatür hinter sich ab.
Es verschlug ihm immer wieder auf‘s Neue den Atem, wenn sich die Gelegenheit bot, dieses majestätische Schiff zu besuchen. Sie war nicht die größte oder luxuriöseste Yacht der Welt, aber spielte definitiv in der obersten Liga mit. Mit ihren 145 Metern Länge und fünf Etagen brachte es dieser perlweiße Riese auf eine Geschwindigkeit von 30 Knoten. Nebst den 50 Mann Besatzung hätten noch bis zu 100 Gäste Platz, doch das war sehr selten der Fall. Hubschrauberlandeplätze und Anti-Paparazzi Laserabschirmung gehörten selbstverständlich zur Ausstattung. Sein Boss galt als äußerst paranoid, wenn es um seine Privatsphäre ging.
Das Schnellboot glitt durch die große Schleuse, die an der Steuerbordseite geöffnet worden war und verschwand im Bauch des riesigen Schiffes. Am Anlegeplatz wurde er vom Sicherheitschef in Empfang genommen. Gemeinsam fuhren sie mit dem Aufzug in die Master-Etage. In der sehr geschmackvollen Suite, dominiert von Leder und Holz, wurde er bereits erwartet.
„Wollen Sie etwas trinken?“, fragte der Mann, der gerade an der Bar stand und sich einen Drink mixte.
„Danke, das wär’ dann alles.“ Der Sicherheitschef verschwand wieder im Aufzug und ließ die beiden alleine.
„Whisky, bitte, pur.“
Der Mann goss zwei Finger breit Macallan 18 Years in den Tumbler. Obwohl er ein Leinenhemd und Bermuda Shorts trug, sein Körper braungebrannt war, die Ray Ban Wayfarer am weit offenen Kragen baumelte, sah er ganz und gar nicht wie ein neureicher Jet Set Tiger aus. Der Mann hatte Format. Man sah das Selbstbewusstsein in seiner Haltung. Ein Selbstbewusstsein, das nur Menschen in sich trugen, die mit Einfluss und Macht gesegnet waren. Und denen Einfluss und Macht nicht in den Schoß gefallen war, sondern die sich all das hart erarbeitet hatten. Dadurch war gleichzeitig viel an Menschlichkeit auf der Strecke geblieben.
„Ich bin immer wieder erstaunt, was man Menschen einreden kann, wenn man ihnen Macht verspricht. Wie dumm kann man sein, dass man so einer haarsträubenden Geschichte Glauben schenkt? Erbe der Habsburger? Rechtmäßiger Thronerbe? Dieser Reiter muss völlig den Verstand verloren haben, als er sich das von uns einreden ließ, Herrgott nochmal!“
Er reichte dem älteren Mann den Whisky und blickte ihn zufrieden an. Der ältere Mann nickte nachdenklich.
„Es hat gar nicht lange gedauert und er hat uns diese dämliche Story abgekauft. Der feine Herr Innenminister war sofort bereit, alles zu tun, nur um ein Stück mehr Macht zu bekommen. Die heutigen Politiker sind völlig frei von Idealismus. Und trotzdem werden sie immer wieder vom Volk gewählt.“
„Dann haben die Menschen ja wohl auch nichts Besseres verdient. Die Welt schreit nach jemandem, der die Dinge wieder zurechtrückt.“
Die beiden hoben die Gläser und stießen an. Ein paar Minuten vergingen, während sie schweigend den Single Malt genossen. Der ältere Mann zeigte auf die Schlagzeilen der verschiedenen Tageszeitungen, die auf dem Tisch lagen.
„Die Medien spielen wie immer brav mit. Die Sensationsgeilheit der Massenmedien ist uns eine große Hilfe, ohne dass sie es wissen. Die Unsicherheit in der europäischen Bevölkerung wird wachsen. Je mehr wir unsere Pläne umsetzen, umso mehr werden die Menschen an unserem aktuellen, völlig impraktikablen, demokratischen System zweifeln: gewählte Politiker, die Kaiser werden wollen! Ernsthaft?“
Der jüngere Mann nahm noch einmal die kristallene Whiskykaraffe zur Hand und schenkte beiden nach.
„Die Menschen werden sich fragen, was als Nächstes kommt, wenn man denen, die sie regieren, gar nicht mehr über den Weg trauen kann.“
Der Ältere verengte die Augen und gestikulierte wie ein Dirigent.
„Und für die, die es noch nicht ganz verstanden haben, helfen wir eben ein wenig nach. Guerra ist bereits dabei, unsere nächsten Schritte in die Wege zu leiten.“
„Und Hagen bekommt vermutlich gerade in diesem Moment, den nächsten Auftrag. Ein Auftrag, der ganz Europa zeigen wird, wie korrupt nahezu jeder Politiker geworden ist. Besonders jene, die Wahlen gewinnen und so tun, als würden sie sich ganz besonders für die kleinen, anständigen Menschen engagieren.“
„Projekt Renaissance hat perfekt funktioniert. Projekt Cornet wird das noch übertreffen. Die ganze Welt wird zusehen, und die Angst wird durch diese noch nie da gewesene Situation wachsen und eskalieren. Im wahrsten Sinne des Wortes auf Knopfdruck.“
Beide Männer blickten hinaus aufs weite Meer, wissend dass die kommenden Ereignisse Europa in seinen Grundfesten erschüttern würden. Sie jetzt noch aufzuhalten, schien unmöglich.