Vattern kehrte nach Hause zurück.
Bekam Hilfe vom Taxifahrer um vom Beifahrersitz aufzustehen. Stützte sich schwerfällig auf eine Krücke. Muttern eilte herbei und trug sein Gepäck rein. Viel war es nicht. Ein paar Klamotten und ein Schuh. Den anderen hatten wir in der Jaucherinne gefunden.
Bror und ich standen in der Stalltür. Wir hatten alles erledigt. Die Milch wartete in kalten Kannen auf den Milchwagen. Die Kühe standen ruhig in ihren Boxen und käuten wieder. Doch es gab auch andere Zeichen. Das Pferd scharrte in seinem Verschlag mit den Hufen. Die Schweine lärmten im Koben als hätten sie seinen Duft gewittert.
Wir sahen ihn ins Haus hinken. Auf einen Stock gestützt.
Ich ging zurück zum Pferd. Wir müssen jetzt mutig sein sagte ich. Er ist gefährlicher denn je. Ein Gottesfürchtiger wie er von sich behauptet.
Wir standen Maul an Maul Limerick und ich. Ich werd dich beschützen sagte ich. Alles wird gut. Er kann uns nichts mehr anhaben. Er ist ein Krüppel.
Irgendwann waren wir doch gezwungen hineinzugehen. Für einen Moment hielten wir uns an den Händen obwohl wir so groß waren Bror und ich. Wie eine Girlande mit gleich großen Albinopfefferkuchenmännchen an einem Weihnachtsbaum.
Vattern saß in der Küche. Die Krücke hatte er an den Tisch gelehnt.
Da seid ihr also sagte er und lächelte uns an. Seht ihr sagte er und klopfte sich auf den Bauch. Bald kann ich wieder normal gehen.
Er war nicht mal ein wirklicher Krüppel.
Muttern lächelte und schenkte ihm Kaffee nach. Kommt Kinder. Setzt euch und nehmt ein Teilchen. Bittschön.
Der einzige freie Platz war der neben Vattern.
Er legte seinen Arm um meine Schulter. Kniff mich leicht in den Nacken. Ich duckte mich weg wagte es aber trotzdem nicht seine gute Laune herauszufordern.
Endlich sind wir wieder zusammen sagte er. Was hab ich mich danach gesehnt. Wenn das kein Grund zum Feiern ist weiß ich auch nicht.
Er schnipste mit den Fingern und Muttern hastete zum Kühlschrank. Holte eine bauchige Flasche mit gelbem Etikett und vier Gläser.
Jetzt wird gefeiert sagte Muttern eifrig bekam jedoch den Korken nicht aus der Flasche. Gab Vattern die Flasche der den Korken auch nicht herausbekam. Er wurde vor Anstrengung ganz rot im Gesicht. Teufel auch sagte er. Her mit der kleinen Axt Siri befahl er. Ich werd doch wohl verdammt noch mal diese Scheißflasche aufkriegen. Mit einem angewinkelten Hieb schlug er den Flaschenhals ab. Die festliche Flüssigkeit schäumte über die Tischdecke und in unsere Gläser.
Auf euch sagte Vattern und blickte uns in die Augen. Keiner entkam ihm. Wie schön euch wiederzusehen. Nichts gegen das Krankenhaus aber der Hort der Familie ist unersetzlich.
Ich tat so als würde ich trinken. Muttern tat so als würde sie trinken. Bror leerte das Glas in einem Zug und bat um ein weiteres. Vattern gluckste vergnügt und schenkte ihm nach. Schau an schau an. Der Junge scheint ganz nach seinem Vater zu schlagen.
Umso besser dass es an diesem Abend nichts mehr zu trinken gab.
Am nächsten Morgen wurden wir von Lärm geweckt.
Der Schlachterwagen fuhr rückwärts auf den Hof.
Ich rannte im Schlafanzug hinaus.
In der Stalltür stand Vattern mit Limerick und hielt sein Halfter mit festem Griff.
Das Pferd rollte vor Angst mit den Augen.
Nein schrie ich das darfst du nicht.
Ich versuchte Vattern das Halfter zu entreißen aber er war stark. Er mochte vielleicht anderswo an Kraft eingebüßt haben aber nicht in den Armen.
Er rief nach dem Schlachter. Hol das Bolzenschussgerät. Der Gaul soll zu Hackfleisch verarbeitet werden.
Limerick stieg. Tänzelte hin und her um zu entkommen.
Ich boxte den Schlachter in den Bauch. Boxte Vattern in den Bauch und überall dort wo ich hinkam. Doch sie lachten mich nur aus.
Als der Schlachter das Halfter übernahm umschloss Vattern meinen kämpfenden Körper mit eisernem Griff. Zwang mich zuzusehen wie der Schlachter sein Bolzenschussgerät an Limericks Stirn presste und abdrückte. Seine Beine gaben nach. Er lag auf dem Boden. Einige letzte Atemzüge verließen sein Maul. Er sah mich an als fragte er mich ob ich nichts unternehmen wolle.
Ich schrie. Vattern hielt mich immer noch fest. Er drückte mich an sich und ließ mich in seinen grünen Bauernoverall weinen. Ich hatte noch nie wegen irgendetwas geweint. Weder im Melkraum noch sonst aber jetzt konnte ich nicht mehr aufhören. Er hielt mich weiter in seinen Armen. Ich sehnte mich so sehr nach Trost dass ich mich bei Limericks Henker ausweinte. Er strich mir über das Haar. Sagte das Pferd sei schon alt gewesen. Es wäre besser so. Aber ich hatte es genau verstanden. Mich konnte er nicht töten also nahm er stattdessen das Pferd.
Der Schlachterwagen fuhr davon.
Als Vattern seinen Griff lockerte rannte ich in Richtung Wald.
Ich kam an Bror vorbei der sich hinter ein paar Strohballen versteckt hatte. Er sah mich nicht einmal. Sah nur Vattern.
Ich sprang über Steine und Felsen. Pflügte durch Fichten Sumpfporst und Blaubeerbüsche und kam an der Kapelle unterhalb der Nordseite des Dämmerbergs heraus. Meine Füße bluteten. Mein Schlafanzug hatte einen langen Riss im Ärmel. Ich betrat die Kapelle und stellte mich ganz vorn vor den Holzaltar.
Jesus blickte auf mich herab. Die Apostel blickten auf mich herab. Die Propheten blickten auf mich herab. Maria blickte auf ihr Kind.
Ich nahm in einer Bank Platz. Jemand kam herein. Ich hörte wie die Tür aufging. Gott war in unserer Nähe. Ich spürte sein sanftes Maul an meiner Wange. Seinen Atem an meiner Hand. Hätte ich die Heugabel wieder herausgezogen wäre Vattern tot und ich eine Mörderin. Stattdessen lebte Vattern und Limerick war tot. Das war nicht Gottes Werk. Es war mein eigener Fehler.
Ich wollte eine Kerze anzünden obwohl ich weder Geld besaß um sie zu bezahlen noch Streichhölzer. Ich dachte Gott würde verstehen für wen ich das Licht anzündete.
Ich blickte zu der Person die ein paar Reihen entfernt saß. Niemand den ich kannte.
Ist was passiert fragte er. Du siehst traurig aus.
Der Schlachter hat das Pferd geholt sagte ich. Ich möchte eine Kerze anzünden aber ich hab kein Feuer.
Er stand auf und reichte mir ein Feuerzeug. Dann versteh ich dass du traurig bist sagte er und sah mich mit seltsamen Augen an. Sie waren durch und durch schwarz. Als würde das Weiß darin fehlen.
Wie macht man das fragte ich. Er hielt seine Hand über meine. Gemeinsam entzündeten wir die Kerze und beteten für Limerick.
Dann ging ich durch den Wald nach Hause. Konnte nicht mehr rennen.
Vattern saß beim Essen. Schlürfte Fleischsuppe mit Klößchen. Er sah nicht auf als ich hereinkam.