In der Entzugsklinik war heute Tag der Angehörigen und Bror hatte mich gebeten zu kommen. Jetzt saßen wir in einem Stuhlkreis und stellten uns vor.
JanaKippo Angehörige sagte ich. BrorKippo Alkoholiker sagte er.
Menschen die mit Abhängigen zusammenleben sind coabhängig erklärte der Drogentherapeut. Das bedeutet dass Sie Ihr Verhalten ändern und an den Abhängigen anpassen weil sie glauben es würde ihm helfen. Ich möchte dass Sie sich ab sofort als CoAbhängige vorstellen. Niemand kann einem Abhängigen helfen wenn er sich nicht helfen lassen will. Das sagte er und noch ein paar andere Phrasen. Auf dem Gebiet waren Bror und ich längst Experten. Er noch ein bisschen mehr als ich weil er nicht nur CoAbhängiger war sondern auch Abhängiger.
Ich mochte diesen Ausdruck nicht. Coabhängig. Wir konnten nichts für Vattern. Und jetzt war ich anscheinend schon wieder coabhängig von Bror und John. Hier war Alkoholiker eine Identität und CoAbhängiger eine Berufsbezeichnung. Der Säufertrupp marschierte an meinem Blickfeld vorbei und zeigte mir dass ich schon genügend Berufserfahrung gesammelt hatte.
Wie gehts dir denn fragte ich Bror später bei einem Spaziergang im Garten.
Ach ja sagte er. Eigentlich ganz gut. Ich vermisse das Betrunkensein. Alles ist grau. Früher wars auch ein bisschen schwarz.
Warum hast du mir nicht erzählt dass Diana dich vor mehreren Jahren angerufen und nach meiner Adresse gefragt hat.
Hat sie das fragte er.
Ja.
Wer ist Diana.
Meine Tochter.
Dein und Vatterns Kind fragte er.
Ja oder mein und Johns Kind.
Johns. Bror blieb stehen und steckte sich eine Kippe an.
Ja. Er sagt so könnte es sein.
John redet viel wenn der Tag lang ist falls du das noch nicht kapiert hast.
Ja doch. Aber nicht immer. Blau und blau kann nicht zu braun werden. Oder in dem Fall schwarz.
Maria hatte Angst vor ihm sagte Bror.
Maria schien auch viel zu reden wenn der Tag lang war sagte ich. Wusstest du dass sie fast gleichzeitig etwas mit Katarinas Vater und mit GöranBäckström und dir und sicher auch ein paar anderen hatte.
Hör auf sagte er. Du brauchst nicht.
Doch sagte ich. Du brauchst das.
Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Der sogenannte Park bestand aus einer Gruppe Birken und Ebereschen auf einer einsamen Rasenfläche. Ringsherum wuchs eine dichte Fichtenhecke um vor neugierigen Blicken zu schützen. Es fiel schwer nicht an einen Friedhof zu denken.
Unsere Schuhe schmatzten im nassen Schnee. Ich verstand was Bror mit dem grauen Leben meinte. Um das zu empfinden musste man weder Alkoholiker noch CoAbhängiger sein.
Hast du mit Emelie gesprochen fragte ich.
Ich hatte sie gebeten mich zu besuchen aber sie ist nicht gekommen.
Wo wohnt sie gerade fragte ich.
In einer geschützten Wohnung sagte er.
Warum fragte ich und lehnte mich an einen Baum. Versuchte einen letzten Sonnenstrahl in der Klirrkälte zu finden. Stieß ihn an. Warum.
Meinetwegen sagte er und schnipste die Zigarette über die Hecke.
Jemand kam heraus und rief dass es weitergehe. Wir saßen wieder im Kreis und stellten uns diesmal brav als CoAbhängige vor. Der Therapeut wirkte schwer zufrieden und bat uns etwas über uns und unser Verhältnis zum Angehörigen zu erzählen.
Das Wort wurde weitergegeben und ich wurde immer nervöser. Der Bandwurm nagte und zwickte. Die Menschen um mich herum teilten freimütig ihre traurigsten Geschichten. Die meisten waren Frauen oder Partnerinnen von einem Mann mittleren Alters. Einige weinten. Die Männer sahen nicht besonders mitgenommen aus. Sie wirkten wie ganz normale Wölfe im Schafspelz.
Als ich an der Reihe war kam es zu einer Unterbrechung. Hallo sagte ich. Ich heiße CoAbhängige und Bror ist mein Zwilling.
Das sehen wir sagte der Drogentherapeut aber wer bist du Jana. Als ich nicht antwortete bat er mich stattdessen ein paar positive Sachen über Bror zu erzählen.
Ich sah Bror an. Hörte was er dachte.
Er ist ein formidabler Schütze. Kann toll kochen. Ist lieb zu Tieren und tischlern kann er auch. Vor allem aber hat er unseren Vater mit einem Spaten erschlagen. Und noch ein paar andere Sachen an die ich mich gerade nicht erinnern kann.
Bror grinste. Erst grinste er dann lachte er. Ich musste auch lachen. Wir waren die einzigen die lachten. Wir konnten gar nicht mehr aufhören. Keiner außer uns verstand was so lustig war.
Man hätte die Möglichkeit zur Übernachtung gehabt aber ich fuhr nach Hause. Bror ging es besser und das war die Hauptsache. Jedenfalls duschte er jetzt.
Auf der Rückfahrt rief Petra an.
Papa hat einen Rückfall sagte sie. Sitzt in der Küche und weint.
Bist du bei ihm fragte ich.
Ja. Ich trau mich nicht wieder zu fahren. Er sagt er möchte sterben. Kannst du kommen.
Ist ihm das denn recht fragte ich.
Keine Ahnung aber ich schaff das nicht allein.
Zehn Minuten später rief sie erneut an. Hatte sich im Klo eingeschlossen. Beeil dich sagte sie. Er dreht völlig am Rad. Bildet sich ein ich wär Mama. Sagt er will mich umbringen.
Ich hörte wie er von der anderen Seite gegen die Tür hämmerte. Und alles was er schrie.
Ruf die Polizei wenn er sich nicht beruhigt. Ich bin gleich da. Dann wurde das Gespräch unterbrochen.
Zehn Minuten später bog ich auf EskilBrännströms Hof ein. Schloss die Autotür und versuchte zu horchen wie die Lage war. Von außen war das Haus still.
Ich hätte die Polizei oder GöranBäckström oder jemand anderen aus dem Dorf rufen sollen aber jetzt war es zu spät um kalte Füße zu bekommen. Ich konnte sie nicht dort drinnen alleinlassen. So wie Muttern uns immer alleingelassen hatte wenn Vattern ausgetickt war.
Ich brauchte eine Waffe. Im Kofferraum fand ich ein Radkreuz. Dann entschied ich mich um. Ein Radkreuz hätte zu viel Blut verursacht. Ich konnte kein Blut mehr sehen.
Auf der Vortreppe stand ein Holzkorb. Ein Birkenscheit musste reichen. Die Tür war unverschlossen. Hinter der Scheibe bewegte sich etwas. Ich legte das Ohr ans Glas und horchte.
Verstehst du sagte er. Diese Erniedrigung. Ich kannte sie. Sie waren meine Nachbarn. Sogar meine Freunde. Er schlug gegen die Toilettentür.
Petra sagte von drinnen etwas.
Vorsichtig öffnete ich die Tür. Nur einen kleinen Spalt. John kniete vor dem Bad als würde er beten oder auf seine Hinrichtung warten. Mit den Händen vor dem Gesicht und so bemerkte er mich nicht. Ich hielt das Holzscheit vor mich.
Papa sagte Petra versuchsweise.
Ich bin nicht dein Papa brüllte er zurück.
John sagte ich. Wiederholte seinen Namen so oft bis er sich umdrehte. Er wirkte nicht betrunken. Petra hatte Wahnsinn mit Trunkenheit verwechselt. Ich fand kein besseres Wort für seinen Zustand.
Was machst du hier fragte er. Hau ab. Ich hab keine Zeit für dich. Du musst an nem andern Tag zum Putzen kommen.
Er erkannte mich nicht wieder.
John sagte ich. Da drinnen sitzt Petra. Deine Tochter Petra. Du musst dich beruhigen.
Niemand hat euch gebeten zu kommen sagte er. Vor allem nicht dieses Weib. Er hämmerte erneut gegen die Tür. Maria schrie er. Maria mach auf verdammte Scheiße.
Petra schrie ich. Ruf die Polizei.
Ich kann nicht antwortete sie kläglich. Mein Akku ist leer.
Mein Handy lag noch auf dem Beifahrersitz.
Hier rennen zu viele Leute rum sagte er. Keiner hat hier was zu suchen. Ihr müsst jetzt gehen. Ich will meine Ruhe. Hört ihr mich denn nicht brüllte er und richtete sich auf wie ein wütender Gorilla. Ich will meine Ruhe.
Ich wusste so einiges über den Wahnsinn. Dies war unsere letzte Chance hier rauszukommen.
Wir werden ja auch gehen sagte ich. Wollte ihn dazu bringen zurückzuweichen. Dachte meine Stimme würde ihn zur Vernunft bringen. Als er stattdessen auf mich zukam war ich vorbereitet. Ich schlug ihm den Holzscheit von der Seite gegen den Kopf. Er schien es nicht einmal wahrzunehmen. Wie sollte er da eine Stimme hören.
Ich rannte in die Küche. Er hinterher. Ich schob den Küchentisch in die Mitte. Wir liefen drumherum. Als er auf der anderen Seite des Tischs und am weitesten vom Flur entfernt stand kippte ich den Tisch auf ihn. Schrie Petra zu. Jetzt.
Ich hörte wie sie die Tür aufschloss und losrannte. Ehe John es verstanden hatte war sie aus dem Haus und auf und davon. Er hätte sich leicht von dem Tisch befreien können doch er harrte aus. Ich sah die Verwandlung in seinem Blick als er wieder er selbst wurde. Er stieß den Tisch zur Seite und fasste sich an den Kopf. Rieb über die Angriffsstelle die sich als Beule abzeichnete. Hatte eine blutverschmierte Schläfe. Er sah sich um. Der Tisch umgekippt. Die Stühle wild durcheinander. Das Porzellan zerschlagen. Die Küche ein Schlachtfeld.
Was ist passiert fragte er.
Erinnerst du dich nicht.
Ich erinnere mich dass Petra hier war.
Du hast geglaubt sie wäre Maria. Petra musste sich im Bad einschließen. Sie ist rausgerannt als ich den Tisch auf dich gekippt habe. Sie holt sicher Hilfe. Vielleicht ruft sie die Polizei.
Er stellte den Tisch wieder auf. Legte die Arme um mich. Wiegte mich. Wiegte sich selbst. Ich stand einfach nur reglos da und wartete auf den nächsten Schritt.
Ich versteh das nicht sagte er. Ich versteh nicht wie es so weit kommen konnte.
Du brauchst Hilfe sagte ich.
Darf ich dir was zeigen fragte er. Es geht schnell. Ich wagte es nicht nein zu sagen.
Er schloss die Haustür ab. Mein Bandwurm wurde wieder wach. Müssen wir abschließen fragte ich.
Wir brauchen nur etwas Zeit sagte er und zog mich zur Treppe.
Ich weiß nicht erwiderte ich. Vielleicht sollte ich gehen.
Bald sagte er. Ich will dich nicht einsperren falls du das denkst.