Tomas schlug die Augen auf, war schlagartig hellwach. Horchend versuchte er herauszufinden, was ihn geweckt hatte. Lautes Poltern aus dem Flur. Irgendjemand befand sich in der Wohnung. Im Nebel der Tabletten, die er gestern vor dem Schlafengehen geschluckt hatte, versuchte er, sich zu orientieren. Konnte es ein Einbrecher sein? Einbrüche waren in dieser Gegend gang und gäbe, vor allem in den Sommermonaten, wenn viele Anwohner verreist waren. Doch im nächsten Moment kam ihm ein anderer Gedanke in den Sinn. War es womöglich dieselbe Person, die Azra überfallen hatte? Dieselbe Person, die in Vera Bergs Wohnung eingebrochen war? Sein Kopf war schwer und träge, und er konnte nicht klar denken.
Mühsam setzte er sich im Bett auf, während er versuchte, sein Gehirn in Gang zu bringen. Ein paar verworrene Sekunden lang wusste er nicht zu sagen, ob das mit Azra Wirklichkeit war oder ob er einen Albtraum gehabt hatte. Doch dann fiel ihm das Blut auf dem Laken zwischen ihren Beinen wieder ein. Azra war so schwer misshandelt worden, dass sie das Kind verloren hatte, und nun war irgendjemand in seine Wohnung eingedrungen. Das war Realität, es musste Realität sein.
Sein Blick blieb auf dem Stuhl vor Klaras Schreibtisch haften. Seine gestrige Kleidung und sein Schulterholster mitsamt Dienstwaffe hingen über der Lehne. Seit dem Überfall auf Azra bewahrte er sie, entgegen allen Regeln und Vorschriften, zu Hause auf. Tomas stellte die Füße auf den Boden, griff nach der Sig Sauer, entsicherte sie und schlüpfte in seine Boxershorts. Diesmal würde er nicht zu spät reagieren wie in Jörgen Waltz’ Hütte. Sein Zögern hätte Zingo und ihn das Leben kosten können.
Hatte der Eindringling gemerkt, dass jemand zu Hause war, und das Weite gesucht? Er hoffte es. Vorsichtig drückte er die Klinke nach unten und schlich hinaus in den Flur. Als er das dunkle Schlafzimmer verließ, ging ihm auf, dass es Morgen war, nicht Nacht, wie er geglaubt hatte. Langsam bewegte er sich mit der Waffe in der Hand durchs Wohnzimmer, spürte den Luftzug von der offen stehenden Eingangstür auf der Haut.
»Hallo?«, rief er.
Vor dem Fenster zum Laubengang huschte ein Schatten vorüber. Instinktiv hob er die Waffe. Einen Augenblick später tauchte Klara im Türrahmen auf. Sie hielt mitten in der Bewegung inne und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
Tomas ließ die Sig Sauer sinken.
»Was machst du da?«, fragte Klara. »Was machst du mit der Pistole?«
Sie stellte die Tasche ab, die sie in der Hand hielt, und griff sich an die Brust.
»Entschuldige, ich dachte, es wäre jemand eingebrochen.«
»Steck die Waffe weg«, fauchte Klara. »Die Kinder kommen gleich.«
»Wie viel Uhr ist es?«
»Halb drei. Hast du getrunken? Du stinkst nach Alkohol.«
Tomas sank aufs Sofa, legte die Sig Sauer auf der Lehne ab und rieb sich die Augen. Er hatte seit acht Uhr gestern Abend geschlafen. Kopfschmerzen und Übelkeit wurden stärker, als die Anspannung von ihm abfiel. Er fühlte sich wie gerädert.
»Ich wusste nicht, dass ihr heute nach Hause kommt«, sagte er.
Im Laubengang erklangen die fröhlichen Stimmen der Kinder. Alexander und Ebba stürzten zur Tür herein und auf ihn zu. Tomas umarmte sie. Ebba kletterte auf seinen Schoß, während Alexander an seinem Arm zerrte und ihn bestürmte, draußen mit ihm Fußball zu spielen. Beide trugen die gelben Schwedentrikots, die er ihnen geschenkt hatte.
»Kinder, könnt ihr bitte kurz in eure Zimmer gehen? Ich muss mit Papa reden«, sagte Klara.
Alexander und Ebba gehorchten widerwillig. Klara senkte die Stimme.
»Ich habe den ganzen Vormittag versucht, dich zu erreichen, aber du hattest offensichtlich anderes zu tun. Mein Vater liegt im Söderkrankenhaus, er hatte einen Herzinfarkt.«
Tomas starrte sie an. Rasch stand er auf und nahm sie in die Arme, doch Klara wand sich aus seiner Umarmung.
»Entschuldige, Liebling. Ich habe das Telefon nicht gehört. Wie geht es ihm?«
»Er wird überleben. Aber ich muss jetzt zu ihm. Mama ist vollkommen durch den Wind. Du musst dich um die Kinder kümmern. Mach ihnen etwas zu essen. Sie haben nur gefrühstückt. Hast du was im Haus?«
Tomas nickte rasch.
»Ich kümmere mich darum. Fahr du ins Krankenhaus und umarme Roland von mir.«
Klara maß ihn mit einem langen Blick, dann drehte sie sich um und verschwand aus der Tür.
Tomas riss sich zusammen. Er würde sich um seine Kinder kümmern, um die zwei, die noch am Leben waren, bei denen er noch die Chance hatte, sie großziehen und lieben zu dürfen. Das würde ihm guttun. Der Abstand zwischen ihm und den Kindern war seit seinem Bosnien-Einsatz immer größer geworden, und auch nach seiner Rückkehr war die Kluft weiter gewachsen. Das war allein seine Schuld. Er hatte sie von sich gestoßen. Er spürte ihre Sehnsucht nach ihm, ihre Freude, wenn er Zeit mit ihnen verbrachte, aber er konnte ihre Liebe nur für kurze Phasen annehmen. Das würde er von heute an ändern.
Tomas ging in die Küche und inspizierte Vorratsschränke und Kühlschrank. Es würde Makkaroni und Tiefkühl-Fleischklößchen geben. Er rief nach Alexander und Ebba, die in die Küche gerannt kamen.
»Wir kochen uns jetzt was Leckeres!«, rief er enthusiastisch und nahm Ebba auf den Arm. »Habt ihr Hunger?«
Seine fünfjährige Tochter roch wunderbar. Tomas drückte sein Gesicht in ihr von der Sonne ausgebleichtes Haar. Ebbas nach Seife duftende Haut gab ihm das Gefühl, schmutzig zu sein. Er sehnte sich nach einer Dusche, aber zuerst würde er dafür sorgen, dass seine Kinder satt waren.
»Du kannst kochen?«, fragte Alexander voller Skepsis.
»Ich habe früher in einem Restaurant gearbeitet«, antwortete Tomas, während er sich bückte und nach einer Bratpfanne griff.
»Wann?«
»Als ich fünfzehn war. In einer Spelunke in Hallstahammar, wo sogar der Wind in der Tür kehrtgemacht hat.«
Tomas verschwieg, dass er gefeuert worden war, nachdem Kristian und er eines Nachts nach Feierabend in das Büro des Lokals eingebrochen waren und die Tageskasse geklaut hatten. Der Eigentümer hatte ihm nichts nachweisen können, ihn aber zwei Tage später hochkant rausgeworfen.
»Was ist eine Spelunke?«, fragte Ebba.
Tomas gab ihr lächelnd einen Kuss auf die Wange.
»Ein Restaurant, in dem das Essen nicht besonders gut schmeckt.«
»Und was hast du da gekocht?«, bohrte Alexander weiter, immer noch mit einer erheblichen Portion Skepsis in der Stimme.
»Ich war Spülhilfe, hab mir bei den Köchen aber den einen oder anderen Trick abgeguckt. Jetzt braten wir Fleischklößchen. Das ist nicht schwer. Mit eurer Hilfe kriege selbst ich das hin.«
Tomas setzte Ebba auf der Spüle ab, gab ein Stück Margarine in die Pfanne und schüttete die Fleischklößchen dazu.
Er genoss es, seine Kinder wenig später essen zu sehen. Vielleicht lag es an der Zeit in Bosnien, dass es ihn jedes Mal mit einer tiefen Zufriedenheit erfüllte, wenn seine Kinder vor einem vollen Teller saßen.
Nach dem Essen wusch Tomas das Geschirr ab und sagte Alexander und Ebba, sie sollten ihre Badesachen anziehen. Es war vier Uhr nachmittags. Noch Zeit genug, um einen Ausflug an den Badestrand in Hornstull zu machen. Die Kinder rannten jubelnd in ihre Zimmer.
Tomas trocknete sich die Hände ab und ging in den Flur, um Azra anzurufen. Die Kollegen aus Hallstahammar hatten ihn gestern informiert, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Er hatte sie nicht gleich anrufen wollen, um ihr so viel Ruhe wie möglich zu lassen.
Aber er musste wissen, wie es ihr ging. Bei ihrem letzten Telefonat vor einigen Tagen, als sie gerade aus dem Koma aufgewacht war, hatte sie kaum auf seine Ansprache reagiert.
Nach einigen Klingelzeichen meldete sich der Leiter der Flüchtlingsunterkunft und bat ihn zu warten.
Ein paar Minuten später erklangen Azras schlurfende Schritte.
»Ich bin’s«, sagte er, als sie den Hörer in die Hand nahm.
Sie antwortete nicht, aber er hörte ihre Atemzüge.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
Die Kinder tobten in Alexanders Zimmer herum. Aufgedreht. Voller Vorfreude. Tomas wölbte die Hand um die Sprechmuschel, um den Lärm abzuschirmen.
»Nicht besonders gut«, sagte Azra.
Ihre Stimme klang angestrengt, als seien die drei Worte das Erste, was sie seit Stunden über die Lippen brachte. Tomas suchte nach einer Erwiderung, die Trost oder wenigstens Linderung spendete, doch es war, als hätte er ihre gemeinsame Sprache vergessen. Dabei war es ihnen immer so leichtgefallen, miteinander zu reden.
»Isst du regelmäßig?«, fragte er und kam sich vor wie ein Idiot.
»Ich kann jetzt nicht reden«, sagte Azra.
»Warum nicht?«
»Weil mir die Kraft fehlt. Ich möchte nicht, dass du mich weiter anrufst.«
»Was meinst …?«
Azra legte auf. Tomas blieb ratlos mit dem Hörer in der Hand stehen. Die Kinder kamen in den Flur gestürmt. Umgezogen und fertig. Alexander stellte sich an die Wohnungstür.
»Komm jetzt, Papa«, forderte er.
Tomas’ Kopf dröhnte. Ihm war schwindelig. Sein Körper schwankte langsam vor und zurück, und er musste sich an der Kommode festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er seinen Sohn aus zusammengekniffenen Augen zu fixieren versuchte.
»Papa, warum kommst du nicht? Wir wollen doch baden fahren.«
Alexanders Stimme klang blechern, entfernt. Tomas richtete seinen Blick auf Ebba, die schon ihre orangen Schwimmflügel übergestreift hatte.
Sie sah ihn an und sagte etwas. Der Mund seiner Tochter bewegte sich, aber er konnte den Sinn ihrer Worte nicht begreifen.
Tomas schluckte krampfhaft. Der Speichel schmeckte fremd, metallisch.
»Wartet kurz«, stieß er hervor.
Er stolperte ins Schlafzimmer, machte die Tür zu, drehte den Schlüssel um. Dann legte er sich bäuchlings auf das ungemachte Bett. Alexanders und Ebbas enttäuschte Stimmen drangen zu ihm in die Dunkelheit. Er musste sich beruhigen. Die Situation unter Kontrolle bekommen. Aus dem Wohnzimmer tönte das Geräusch des Fernsehers. Tomas zog die Nachttischschublade auf und griff nach dem Blisterstreifen. Er enthielt nur noch drei Tabletten. Er drückte eine nach der anderen heraus, schob sie sich in den Mund, kaute und schluckte sie herunter.
Er erwachte von einem Schrei. Benommen setzte er sich im Bett auf. Im ersten Moment glaubte er, geträumt zu haben, doch dann erklang der herzzerreißende Schrei ein zweites Mal.
Er kam aus dem Wohnzimmer.
Von Klara.
Er musste zu ihr, ihr helfen, seine Familie beschützen.
Tomas sprang aus dem Bett, stürzte zur Tür und wollte sie aufreißen. Als ihm klar wurde, dass sie abgeschlossen war, geriet er in Panik, hatte keine Ahnung, wie er sie aufbekommen sollte. Wo war der Schlüssel? Klara schrie wieder, lauter diesmal. Tomas begann zu brüllen. Er begriff, dass der Schlüssel im Schloss steckte, drehte ihn um und drückte die Tür mit der Schulter auf.
Der Anblick, der sich ihm bot, würde für den Rest seines Lebens wie funkelnde Glassplitter in seiner Netzhaut stecken.
Ebba hielt seine Sig Sauer in beiden Händen und richtete sie mit ausgestreckten Armen auf Alexander. Klara schrie besinnungslos. Alexander stand mit offenem Mund da, die Hände über dem Kopf. Mit erhobenen Handflächen bewegte sich Tomas langsam auf Ebba zu.
»Lass die Pistole los, Ebba, Schatz. Leg die Pistole weg«, flehte er.
Die Zeit existierte nicht mehr. Tomas befand sich in einem Vakuum, in einem Rabbit Hole, in dem alles gleichzeitig geschah – überall und nirgends.
»Die Pistole ist echt, Schätzchen. Das ist kein Spielzeug«, sagte er, bemüht, seine Stimme fest klingen zu lassen.
Er machte einen Schritt auf Ebba zu, näherte sich ihr von der Seite und sah flüchtig zu Alexander hinüber, der seine Schwester mit offenem Mund anstarrte, die Augen weit aufgerissen und voller Angst. Er war alt genug, um zu verstehen, was passieren konnte. Sein Sohn, sein kleiner Sohn, hatte Todesangst.
Tomas fiel ein, dass er die Waffe vorhin, im Glauben, jemand sei in die Wohnung eingebrochen, entsichert hatte. Das Klicken, mit dem die Kugel in den Lauf gerutscht war, hallte in seinem Kopf, während er auf seine Tochter zuging, die die Pistole nach wie vor in den Händen hielt, die Arme ausgestreckt.
»Wenn du schießt, stirbt dein Bruder«, sagte Tomas so ruhig, wie er nur konnte.
Er hatte keine Ahnung, was Klara tat. Er konzentrierte sich auf Ebba, darauf, sie dazu zu bewegen, die Sig Sauer wegzulegen. Der Abstand zwischen ihnen betrug jetzt keinen Meter mehr. Seine Verzweiflung wuchs. Er spürte, dass seine Stimmbänder arbeiteten, hörte aber nicht, was er sagte.
»Sollen wir Eis essen gehen, Schätzchen? Was hältst du davon, wenn wir uns ein Eis kaufen? Und Süßigkeiten, wenn du willst. Und dann fahren wir baden. Das haben wir ja vorhin nicht gemacht. Aber draußen ist es immer noch warm. Und heute Abend leihen wir uns einen Film aus. Mehrere Filme. Disneyfilme. Vielleicht gibt es einen Film, den du gucken möchtest? Du darfst dir so viele Filme ausleihen, wie du willst.«
Er schwitzte stark.
Ebba drehte sich zu ihm um, weg von Alexander, die Augen zusammengekniffen und fokussiert. Ihre Arme zitterten vor Kraftanstrengung, und mit einem Mal sanken sie herab. Tomas machte einen Satz auf sie zu, legte seine rechte Hand auf die Mündung der Pistole und wand sie behutsam aus Ebbas Griff. Er atmete angestrengt durch den Mund aus und sicherte die Waffe. Dann nahm er Ebba auf den Arm und drückte sie fest an sich.
Klara stürzte zu dem starr vor Angst dastehenden Alexander und presste ihn an ihre Brust. Alexander begann zu weinen. Klara ebenfalls. Schluchzend und am ganzen Leib zitternd, strich sie ihm übers Haar.
Ebba flüsterte Tomas irgendwas ins Ohr. Er verstand einzelne Wörter wie Eis und Videofilme, doch er hörte nicht zu, er spürte Ebbas warmen Atem, sah, dass sein Sohn noch lebte und dessen Brustkorb unversehrt war. Das war alles, was er aufzunehmen imstande war.
Nach einer Weile drehte Klara den Kopf in seine Richtung und maß ihn mit einem Blick abgrundtiefer Abscheu. Er begriff, dass ihre Ehe vorbei war. Vielleicht hatte sie den Entschluss noch nicht laut ausgesprochen, doch er wusste, dass sie es tun würde. Eine Frau konnte mit einem Mann zusammenleben, den sie hasste, sogar mit einem Mann, vor dem sie Angst hatte, nicht aber mit einem Mann, den sie verachtete.
Die Erkenntnis machte ihn traurig. Er drückte Ebba fester an sich, spürte, wie der Schweiß auf seiner Brust von ihrem T-Shirt aufgesogen wurde.
Abends um halb zehn schliefen die Kinder ein. Tomas und Klara trugen sie in ihre Betten und schlossen die Zimmertüren.
»Lass uns draußen reden«, sagte Klara dann und deutete auf den Laubengang.
Das waren die ersten Worte, die sie an ihn richtete. Tomas nickte und ging ihr voraus zur Wohnungstür. Sie setzten sich. Von der Hornsgatan wehte ein warmer Wind herauf. Tomas holte seine Prince und das Feuerzeug unter dem Blumentopf hervor, steckte sich eine Zigarette an, lehnte sich im Stuhl zurück und blickte Klara schuldbewusst an.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, begann er. »Aber ich hoffe, dass du mir glaubst, dass ich mich schäme … Scheiße, nein, es ist viel mehr als Scham. Ich würde die Kinder niemals absichtlich in Gefahr bringen. Und dich auch nicht.«
»Das weiß ich, Tomas. Trotzdem hast du es getan.«
In der Wohnung gegenüber wurde eine Party gefeiert. Die Bässe wummerten über die Straße, wurden vom lichten Abend verschluckt. Hinter sperrangelweit offen stehenden Fenstern zeichneten sich tanzende Silhouetten ab.
»Ich habe keine Vorstellung davon, was du in diesem Krieg erlebt hast, aber der Mann, den ich geheiratet habe, ist nicht mehr da. Vielleicht bist du vom Kopf her immer noch in Bosnien. Vielleicht halten dich die Geschehnisse, die du gesehen und miterlebt hast, da fest. Ich habe keine Ahnung. Ich war nie in einem Krieg, und ich möchte es nie sein.«
Klara sah ihn an. Tomas forschte nach Zeichen von Feindseligkeit in ihrem Gesicht, fand aber keine. Ihr Blick war voller Mitgefühl.
»Es ist eine Sache, den Kindern zuliebe zusammenzubleiben, das schaffen die meisten Paare, das schaffe ich. Aber unsere Liebe wird nie wieder das sein, was sie einmal war. Du hast unsere Kinder in Gefahr gebracht. Du hast eine Waffe offen herumliegen lassen und bist eingeschlafen. Unsere Tochter hat eine Waffe auf unseren Sohn gerichtet, in unserem Zuhause. In unserem Zuhause, Tomas!«
Bei den letzten Worten war Klaras Stimme scharf geworden. Sie holte tief Luft und sammelte sich.
»Das kann ich unmöglich akzeptieren. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken, wie ich weitermachen will. Wie wir weitermachen sollen.«
»Das verstehe ich, Klara. Ich verstehe, dass du nicht so leben kannst. Ich mache dir keinen Vorwurf, wie sollte ich? Nach allem, was du für mich getan hast. Nach allem, was du mir gegeben hast.«
Sie hat es verdient, glücklich zu sein, dachte er, als er Klaras traurigen Blick sah.
Sie hatten viele schöne Jahre miteinander verbracht, glückliche Jahre. Die besten in seinem Leben.
»Vielleicht kann ich mit den Kindern für einige Tage bei einer Freundin wohnen, bis ich eine Entscheidung getroffen habe. Solange Papa im Krankenhaus liegt, kann ich nicht nach Rättvik fahren.«
Tomas nickte.
»Wir machen es so, wie es für dich am besten ist.«
Er zog an seiner Zigarette, streckte seine rechte Hand aus und legte sie auf Klaras.
»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Es ist ganz allein meine Schuld. Und wenn es mir möglich wäre, nicht ich zu sein, sondern ein anderer, dann würde ich mich ändern. Ich will euch nicht verletzen. Weder dich noch die Kinder. Aber ich kann nicht. Ich kann nicht aus meiner Haut. Das verstehst du doch?«
Klara lächelte ihn traurig an.
»Ich verstehe es.«
»Ich werde die Sache mit dem Haus regeln. Ich werde das Geld auftreiben, damit ihr das Haus bekommt, das du dir erträumt hast. Das verspreche ich dir. Du musst mir nicht glauben.«
»Ich will keine Versprechungen mehr, Tomas.«
Klara stand auf, ging um den Tisch herum, setzte sich auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn. Tomas legte die Zigarette im Aschenbecher ab und erwiderte ihre Umarmung. Klaras Lippen suchten seine, und sie küssten sich. Er berührte ihre Zunge mit seiner, sog gierig ihren Speichel auf, wollte den Kuss so lange wie möglich ausdehnen. Klaras Art, ihn zu küssen, gab ihm zu verstehen, dass sie das Gleiche wollte – sie wussten beide, dass es ihr letzter Kuss sein würde und dass der letzte Kuss entscheidender und bedeutungsvoller war als der erste.