Mit heftigen Kopfschmerzen klopfte Vera an Tomas Wolfs Wohnungstür. Die Sonne schien sich in ihre Augen zu bohren und kleine Krater in ihr Hirn zu brennen.
Sie hatte heute Nacht kein Auge zugetan, sich schlaflos hin und her gewälzt und an den Unbekannten gedacht, der Sigge im Freibad weggelockt hatte. Bevor sie Tomas Wolf nicht in die Augen gesehen und ihn gefragt hätte, ob er Sigge und sie verfolgen ließ, würde sie keine Ruhe finden.
Der Laubengang vor Wolfs Tür wirkte verlottert. Der Aschenbecher auf dem Tisch quoll über, auf dem Boden lagen zwei leere Bierdosen. Die Vorhänge waren zugezogen, und niemand öffnete.
Vera legte das Ohr an die Tür und lauschte. Aus der Wohnung drang kein Laut. Dann steckte sie sich eine von Wolfs Zigaretten an, die auf dem Tisch lagen. Sie würde einfach so lange warten, bis er auftauchte.
Nach dem zweiten Zug ließen ihre Kopfschmerzen ein wenig nach. Die messerscharfen Stiche wichen einem dumpfen Pochen hinter den Schläfen. Mit einem plötzlichen Gefühl von Unbehagen begann sie, auf und ab zu laufen.
Irgendwo in ihrem Unterbewusstsein schrillte eine Alarmglocke. Sie fühlte sich beobachtet. Wieder. Hastig drehte sie sich um, aber der Laubengang war leer.
Was hatte sie gesehen?
Ihr Herz raste. Die Kopfschmerzen hallten wie Hammerschläge in ihrem Schädel, ließen sie keinen klaren Gedanken fassen. Sie beugte sich über das Balkongeländer und blickte die Hornsgatan entlang, bis zu der Stelle, wo sie ihren Saab geparkt hatte.
Vera schrak zusammen. Neben ihrem Auto stand ein Mann. Er spähte durchs Seitenfenster und schien etwas in der Hand zu halten.
Auf die Entfernung konnte sie nicht erkennen, ob es der Fremde vom Freibad war. Aber wer sollte es sonst sein? Rasch duckte sie sich hinter die Balkonbrüstung. Hatte sie das Auto abgeschlossen? Das vergaß sie gerne.
Nach einem letzten tiefen Zug von der Zigarette drückte sie den Stummel aus und traf eine Entscheidung. Auf der Hornsgatan konnte ihr nichts passieren, da waren zu viele Menschen. Sie würde zum Saab gehen und ihren Verfolger in Augenschein nehmen.
Im Schutz der Balkonbrüstung lief sie ins Treppenhaus. Am Fuß der Treppe holte sie tief Luft und spähte aus der Tür. Doch parkende Autos versperrten ihr die Sicht auf die andere Straßenseite.
Sie schlüpfte aus der Tür und joggte von den parkenden Pkws verdeckt die Straße hinunter. Als sie eine Autotür klappen hörte, duckte sie sich hinter einen weißen Volvo, lugte um die Ecke und sah, wie sich jemand an der Beifahrerseite ihres Saab zu schaffen machte.
Vera rannte weiter. Auf Höhe ihres Wagens hielt sie hinter einem grünen Spendrups-Lkw nach Luft ringend inne. Sobald sie herausgefunden hatte, ob es sich um den Mann vom Freibad handelte, würde sie umdrehen und sich im Supermarkt die Straße hinunter verstecken. Langsam schlich sie um die Ladefläche des Lkw. Ihre schweißnassen Handflächen klebten an der Karosserie.
Sie trat hinter dem Lkw hervor, überquerte im Laufschritt die Straße und ging hinter dem Auto zwei Parklücken vor ihrem Saab in Deckung. Sie blickte zur Beifahrerseite, wo sie den Mann gerade eben gesehen hatte.
Verdammt .
Der Fremde war weg.
Das verwirrte sie. Der Sprint in der Sonne hatte sie außer Atem gebracht, und sie konnte keine Ordnung in ihre Gedanken bringen.
Hatte der Mann sie entdeckt?
Vera lief zum Saab und blickte sich um. Ein Stück die Hornsgatan hinunter bog ein Radfahrer gerade nach rechts in die Lignagatan. Sie spurtete ihm nach, gab jedoch nach einigen Metern auf. Es war sinnlos. Sie ging zurück zum Saab und zog an der Tür. Wie vermutet hatte sie nicht abgeschlossen.
Ihre Recherchemappe lag aufgeschlagen auf dem Beifahrersitz. So hatte sie sie nicht zurückgelassen. Ganz sicher. Sie griff nach ihrem Handy und rief Tomas Wolf an. In der Leitung klingelte es, aber er meldete sich nicht.
Was wäre passiert, wenn Sigge im Auto gesessen hätte? Was würde ihr Verfolger mit den Informationen, auf die er in ihrer Mappe gestoßen war, anstellen?
Sie hatte keine Ahnung. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie Tomas Wolf zur Rede stellen musste, bevor Sigge etwas zustieß.