Tomas hatte den Überblick verloren, wie viele Nachrichten Vera Berg auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Und eigentlich spielte es keine Rolle, ob sie versuchte, mit Klara zu sprechen, die mit den Kindern derzeit bei einer Freundin wohnte. Doch weil er befürchtete, die Journalistin könnte am Ende wieder bei ihm zu Hause aufkreuzen, hatte er die Arbeit mit in die Zinken Bar genommen. Außer seinem waren nur zwei weitere Tische belegt. An einem hockte ein älterer Mann, der mit dem Gesicht auf der Tischplatte lag und lautstark schnarchte.
In dem heruntergekommenen Schankraum war es stickiger denn je. Die Klimaanlage hatte kapituliert, wie ihm der Barmann erklärt hatte, und sämtliche Fenster standen offen. Damit sie nicht wegflogen, hatte Tomas die Unterlagen auf seinem Tisch mit vier leeren Gläsern beschwert. Im Fernseher an der Wand lief eine Wiederholung der Achtelfinalpartie Rumänien gegen Argentinien.
Die Filmgesellschaft Drei Herzen hatte ihm gestern Vormittag die Gagenliste der Dreharbeiten zum Thriller Die Jagd geschickt, und auch die Gagenliste der Hamlet -Inszenierung des Malmöer Stadttheaters, in der Micael Bratt die Hauptrolle gespielt hatte, war eingetroffen, gefolgt von der Gehaltsliste des Falcon-Werbespots, der seit Mittsommer im vierten Programm ausgestrahlt wurde.
Er hatte die Listen gestern sofort nach Namensübereinstimmungen überprüft, jedoch keine finden können. Und auch jetzt, nach zwei Stunden Arbeit in der Zinken Bar, hatte er – abgesehen von Bratt – keinen Namen entdeckt, der sich wiederholte. Aber Bratt gehörte nicht zum Kundenkreis der deutschen Glaskontaktlinsenhersteller.
Tomas brauchte eine Pause. Die Hitze weichte sein Gehirn auf, und seine Augen brannten vor Müdigkeit. Er stand auf, ging zum Tresen, griff nach ein paar Servietten und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bevor er an seinen Tisch zurückkehrte, bat er den lethargischen Barmann, dessen volle Konzentration der Spielwiederholung galt, ihm ein neues Lightbier zu bringen.
»Das ist noch nicht kalt«, erwiderte der Mann, ohne den Blick vom Geschehen auf der Mattscheibe zu wenden.
Tomas schaute hinter den Tresen, wo die volle Kiste Lightbier unverändert vor dem Kühlschrank auf dem Boden stand.
»Dann geben Sie mir eben ein paar Eiswürfel, und stellen Sie die anderen Flaschen in den Kühlschrank, damit sie kalt werden.«
Der Barmann griff eine Flasche aus der roten Kiste, hebelte den Kronkorken ab, gab Eis in ein Glas und schob es ihm hin.
»Ich arbeite seit drei Jahren in dieser Spelunke, und Sie sind der Erste, der Lightbier bestellt«, sagte er, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zuwandte.
»Drei zu zwei«, sagte Tomas verärgert und schenkte sich das Bier selbst ein.
Der Barmann drehte den Kopf.
»Was?«
»Das Spiel. Die Rumänen gewinnen drei zu zwei. Wir treffen Sonntag auf Rumänien.«
»Glauben Sie, das weiß ich nicht? Ich seh mir die Partie nur an, um einen Eindruck vom Spiel der Rumänen zu kriegen.«
Die Antwort überraschte Tomas.
»Wie lautet Ihre Analyse?«, fragte er.
»Auf die Nummer zehn, Gheorghe Hagi, müssen wir aufpassen, vielleicht auch auf die Nummer elf. Keine Ahnung, wie der Kerl heißt.«
Tomas kehrte an seinen Tisch zurück, öffnete noch einen Knopf seines luftig sitzenden Hemdes und rieb seine schweißnasse Brust mit einer Serviette trocken, während er darauf wartete, dass die Eiswürfel das Bier abkühlten.
Das Gefühl, vorschnell geurteilt zu haben, nagte an seinem Ego. Er war sich hundertprozentig sicher gewesen, auf den Listen der Produktionsgesellschaften oder der Liste des Malmöer Stadttheaters auf den Namen eines Kontaktlinsenkunden zu stoßen. Er musste mit Zingo sprechen, erörtern, wie sie weiter vorgehen sollten, neue Ansatzpunkte finden, doch seit dem Achtelfinale gegen Saudi-Arabien schien sein Partner sich in Rauch aufgelöst zu haben. Wenn Zingo zu Hause war, ging er nicht ans Telefon, sobald Tomas anrief.
Am Tresen bestellte eine Frau ein Mineralwasser. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er drehte sich um. Es war Vera Berg, die jetzt auf seinen Tisch zusteuerte. Wutentbrannt.
»Ich kann jetzt nicht mit Ihnen reden. Ich bin mit einer Mordermittlung beschäftigt. Und wie Sie sehen, habe ich einiges zu tun«, sagte er mit einer ausholenden Geste über den Wust auf seinem Tisch.
Seinen Kommentar ignorierend, griff sie nach der Stuhllehne und setzte sich.
»Das hier wollen Sie hören, glauben Sie mir. Ich habe nämlich mit Ihrer Frau gesprochen.«
Vera entging nicht, dass Tomas Wolf sich eine Schweißperle von der Stirn wischte. Er trank einen Schluck von seinem Bier.
»Wollen Sie mir erzählen, warum Sie hier sind und was Sie Klara gesagt haben?«, fragte er.
Vera verglich Wolfs Gesichtszüge mit Mersiha Selimovic’ Zeichnung. Inzwischen wunderte sie sich über die Ähnlichkeit, die sie zu sehen geglaubt hatte.
»Dazu kommen wir später.«
Der Barmann ging zu dem Schlafenden an einem der entfernteren Tische, klopfte ihm auf die Schulter und teilte ihm mit, die Zinken Bar sei kein Übernachtungsbetrieb. Der Mann schrak schnarchend hoch, starrte sein Gegenüber einen Moment lang verblüfft an, dann rappelte er sich auf und schwankte zum Ausgang.
»Ich zahl beim nächsten Mal«, lallte er, bevor er auf den Ringvägen hinaustorkelte.
Der Barmann hob resigniert die Hände.
»Zuerst reden wir darüber, was ich von Ihrer Frau erfahren habe«, fuhr Vera fort.
Wolfs Miene nahm einen gequälten Ausdruck an.
»Sie waren in Malmö, als Mersiha Selimovic vergewaltigt wurde, und haben im Hotel Kramer übernachtet.«
Vera nahm die Streichholzschachtel, die Klara Wolf ihr gegeben hatte, aus der Brusttasche ihres Hemdes und schwenkte das Hotellogo demonstrativ vor Wolfs Gesicht.
Auch wenn er nicht der Mann auf der Zeichnung war, konnte sie nicht ausschließen, dass er irgendetwas mit dem Überfall auf Mersiha zu tun hatte. Es gab so viele Fragen und kaum Antworten. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass in dem Moment, als sie diesem Polizisten begegnet war, etwas Übles ins Rollen geraten war.
»Diese Streichhölzer haben Sie mit nach Hause genommen. Das Hotel hat Ihren Aufenthalt bestätigt.«
Das sollte ihn wenigstens so weit aus der Deckung locken, zuzugeben, jemanden auf sie und Sigge angesetzt zu haben.
»Das beweist gar nichts«, erwiderte Wolf.
»Vielleicht nicht. Aber die Tatsache, dass Ihre Frau keine Ahnung hat, wo Sie sich zum Zeitpunkt der drei Überfälle befunden haben, halte ich für auffällig. Zumal Sie sich weigern, meine Fragen zu beantworten.«
»Ich sitze vor Ihnen. Fragen Sie.«
Entweder war Wolf inzwischen gelassener geworden, oder er hatte kapituliert.
»Warum sind Sie erst am siebten März vom Balkan zurückgekommen? Ich weiß, dass Ihr Dienst am fünfundzwanzigsten Februar geendet hat. Hätten Sie nicht zusammen mit Ihrer Einheit nach Hause fliegen sollen?«
Wolf vergrub einen Moment lang die Stirn in den Händen, dann holte er tief Luft und sah sie an.
»Auf meinem Anrufbeantworter haben Sie gedroht, meiner Frau mein Geheimnis, oder wie auch immer Sie es bezeichnet haben, zu verraten. Ich habe keine Ahnung, was Sie zu wissen glauben, aber die Wahrheit ist die.«
Wolf sprach leise.
Vera lehnte sich über den Tisch näher zu ihm hin. Die stickige Luft im Gastraum brachte sie zum Schwitzen, und ihr Hemd klebte am Körper.
»Ihr Name ist Azra. Meine Frau weiß nichts von ihr. Wir haben uns in Bosnien kennengelernt. Oder besser gesagt: Ich habe sie in den Trümmern ihres Heimatdorfs gefunden. Sie war die einzige Überlebende. So etwas bezeichnet man für gewöhnlich als Wunder, aber es war kein Wunder. Ich glaube, sie wäre glücklicher gewesen, wenn sie dort gestorben wäre.«
Wolf blickte Vera resigniert an.
»Wir haben uns ineinander verliebt. Ich habe ihr einen Platz in einem der Busse verschafft, die Bosnien verlassen haben, und die Schlepper bezahlt. Als mein Dienst zu Ende war, bin ich in das kroatische Flüchtlingslager gefahren. Ich musste sie wiedersehen. Klara habe ich gesagt, ich würde mit dem Bus nach Hause kommen, weil ich Zeit bräuchte, um die Erlebnisse auf dem Balkan zu verarbeiten. Das war nicht gelogen, aber auch nicht die volle Wahrheit.«
»Sehr ergreifend. Aber jetzt haben Sie eine andere, hier in der Heimat?«
Wolf zuckte unmerklich zusammen. Vera konnte nicht sagen, ob seine Verblüffung echt oder gespielt war. Sollte sie ihm erzählen, dass sein Bruder Peter ihn in Hallstahammar mit einer Muslimin gesehen hatte? Doch sie beschloss, damit noch zu warten. Sie wollte Wolfs Glaubwürdigkeit auf die Probe stellen, testen, ob er die Wahrheit sagte.
»Sie wurden in Begleitung einer Frau gesehen.«
»Das ist Azra. Ich habe herausgefunden, dass sie in einer Flüchtlingsunterkunft in der Nähe meines Elternhauses in Hallstahammar wohnt. Wie hätte ich nicht zu ihr fahren können?«
»Ist das Geld für Azra? Die zweitausend Kronen, die Sie jeden Monat abheben?«
»Hat Klara Ihnen davon erzählt?«
»Ja.«
»Dann wissen Sie, dass das Geld nicht für Azra ist. Ich habe es einem Mann aus Hallstahammar gegeben. Er heißt Mauricio Ortega, und ich habe ihn vor vielen Jahren zum Krüppel geschlagen. Klara weiß davon.«
»Ihre Frau scheint Ihnen nicht zu glauben.«
Wolf hob erschöpft die Hände.
»Ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Aber es ist die Wahrheit. Sie können hinfahren und mit seiner Frau sprechen, wenn Sie wollen.«
»Was ist mit den anderen Ausländern, die Sie als Streifenpolizist misshandelt haben? Die Sie angezeigt haben, ihre Anzeige aber wieder zurückgezogen haben. Zahlen Sie denen auch Geld?«
Wolf stöhnte irritiert.
»Damals gab es regelmäßig Ärger in einem Jugendzentrum in Akalla. Einmal bin ich einen der Jugendlichen zu hart angegangen. Aber er war ein richtiger Dreckskerl, hat die Mädchen belästigt und ist zudringlich geworden. Bei so etwas sehe ich rot. Ich habe ihm den Arm gebrochen.«
»Das kann nicht das einzige Vorkommnis gewesen sein.«
»Nein. Danach haben mich die anderen Jungs jedes Mal angezeigt, wenn wir auf der Bildfläche erschienen sind, und haben Verletzungen erfunden, um mir eins reinzuwürgen. Wenn Sie die internen Ermittlungsakten anfordern, sehen Sie, dass ich unschuldig bin. Aber sie haben trotzdem gewonnen. Ich durfte mich nicht mehr in dem Jugendzentrum blicken lassen. Und kurz darauf machte das Gerücht die Runde, ich hätte sie mit Drohungen zum Schweigen gebracht.«
»Selbst wenn sich das, was Sie sagen, als zutreffend erweisen sollte, finde ich es extrem sonderbar, dass Sie Ihrem Bruder Kristian Geld gegeben haben, damit er im Bosnienkrieg kämpft. Ich meine, Sie haben schließlich auf entgegengesetzten Seiten gestanden.«
»Glauben Sie etwa, ich hätte ihm das Geld gegeben, damit er da unten Söldner spielt?« Erneut nahm Wolfs Gesicht einen gequälten Ausdruck an. »Er hat behauptet, er bräuchte das Geld, um sein Haus zu renovieren.«
Vera dachte einen Augenblick nach. Als Journalistin hatte sie gelernt, den Wahrheitsgehalt einer Aussage einzuschätzen. Wahre Geschichten besaßen eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sie waren nicht perfekt. Was wie eine Ungereimtheit wirkte, konnte die Glaubwürdigkeit im Gegenteil untermauern.
Ein Lügner wollte sämtliche Löcher stopfen und war darauf vorbereitet, Ungereimtheiten klarzustellen. Wolf war es nicht. Seine Geschichte klang wie eine Aneinanderreihung tragischer Zufälle. Fehler, die begangen worden waren, gefolgt von dilettantischen Versuchen, sie wieder geradezubiegen.
Das Muster, das ihr anfangs suspekt erschienen war, empfand sie jetzt nur noch als bedauernswert.
Doch eine entscheidende Frage war noch nicht geklärt. Um Wolf ein für alle Mal als Täter ausschließen zu können, musste sie wissen, wo er zum Zeitpunkt des Märsta-Mordes gewesen war.
»Warum haben Sie Ihre Frau angelogen, was Ihren Aufenthaltsort in der Nacht des Mordes an Nadija Alihodzic betrifft?«
»Ich glaube nicht, dass ich gelogen habe.«
»Sie haben Klara gesagt, Sie müssten arbeiten. Aber Ihre Frau hat mir erzählt, sie hätte Sie nicht nach Hause kommen hören. Und am nächsten Morgen, als Sie einen Banktermin hatten, waren Sie vollkommen durch den Wind. Aber Sie haben nicht gearbeitet, Sie hatten frei. Das hat mir eine meiner Quellen bestätigt.«
Vera hatte Jerker Wretström überredet, ihr die Dienstpläne des fraglichen Abends zu besorgen. Tomas Wolfs Name glänzte darauf durch Abwesenheit.
»Warum haben Sie gesagt, Sie müssten arbeiten?«
»Ich weiß weder, was ich gesagt habe, noch wo ich an dem Abend gewesen bin.«
»Das ist noch nicht allzu lange her.«
Wolf wand sich hin und her, schien mit sich zu debattieren.
»Manche Dinge lassen sich nicht so einfach erklären.«
Er suchte nach Worten und fuhr schließlich mit fester Stimme fort.
»Seit ich aus Bosnien zurückgekommen bin, vergesse ich Dinge. Und ich werde jähzornig. Es trifft mich wie ein Blitzschlag, und ich erinnere mich an nichts mehr. Wenn Klara mich dann etwas fragt, sage ich ihr das Erste, was mir in den Sinn kommt. Wahrscheinlich habe ich im Auto gesessen und mir gewünscht, ich wäre da unten krepiert. Wenn die Kinder nicht wären, weiß ich nicht, ob … Ich bin nicht der Einzige, dem es nach einem Kriegseinsatz so geht.«
Wolf zuckte erschöpft mit den Schultern. Vera machte dem Barmann ein Zeichen, Nachschub zu bringen. Kurz darauf stellte er ein Mineralwasser und ein Lightbier auf ihren Tisch. Tomas umfasste die Bierflasche mit beiden Händen und warf dem Mann einen gereizten Blick zu.
Sie schwiegen eine Weile, wie um abzuschätzen, wohin ihre Unterhaltung geführt hatte. Draußen auf dem Ringvägen ertönte die Sirene eines Rettungswagens, der in Richtung Mariatorget fuhr.
»Ich glaube, ich bin dicht dran«, sagte Wolf schließlich.
»An Bratt?«
»Es gibt eine andere Spur. Eine Kontaktlinse, die nach der Vergewaltigung in Malmö sichergestellt wurde.«
»Millionen Menschen tragen Kontaktlinsen.«
»Ja, aber bei dieser Linse handelt es sich um ein altes Modell aus Glas, das in Schweden nicht mehr erhältlich ist und nur per Postversand aus Deutschland bestellt werden kann.«
Wolf deutete auf die Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
»Ob Bratt nun unser Mann ist oder nicht: Sämtliche Überfälle haben sich in der Nähe von Dreharbeiten oder, in Malmö, einer Theaterinszenierung ereignet. Ich habe die Kundenlisten der Kontaktlinsenhersteller mit den Gagenlisten der Filmgesellschaften und des Malmöer Stadttheaters verglichen.«
»Und haben Sie jemanden gefunden?«
»Leider nein. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass er da irgendwo ist. Ich weiß, dass ich auf der richtigen Spur bin, aber ich blicke nicht durch.«
Wolf klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Unterlagen.
»Die Lösung liegt hier vor mir. Sein Name muss hier stehen. Ich weiß, dass es so ist.«
Vera griff nach ihrer Tasche, die sie neben ihren Stuhl gestellt hatte. Doch dann fiel ihr ein, wie wütend sie bei ihrem Eintreffen in der Zinken Bar gewesen war. Es gab noch immer eine Frage, die sie Wolf stellen musste.
»Haben Sie mich verfolgt? Oder mich beschatten lassen?«
Wolfs Verblüffung wirkte echt.
»Nein. Sie haben mein Wort. Warum hätte ich das tun sollen?«
»Ein Mann war in meiner Wohnung. Nach dem Einbruch. Eine Nachbarin hat ihn aus der Tür kommen sehen. Sie dachte, er wäre mein Freund. Und als ich am Wochenende mit Sigge im Freibad war, hat ihn ein fremder Mann weggelockt und ihm ein Eis gekauft. Sagen Sie einfach, wenn Sie es waren. Der Grund ist mir egal, ich will nur, dass es aufhört.«
»Ich war es nicht.«
»Bevor wir losgefahren sind, um Mersiha Selimovic’ Zeichnung zu holen, sind Sie auf die Toilette verschwunden. Eine ganze Weile. Sie waren der Einzige, der von der Zeichnung wusste. Und als wir in meiner Wohnung ankamen, war sie weg.«
Wolf wirkte beschämt.
»Mir ist klar, wie das aussehen muss. Ich … Ich nehme manchmal Tabletten. Um den Tag durchzustehen. Ich kaufe sie von einem Typen, der hier abhängt. Wir haben uns auf dem Klo getroffen.«
Wolf sackte auf dem Stuhl zusammen, richtete sich jedoch gleich wieder auf.
»Wenn ich es nicht war …«, sagte er mit neuer Schärfe in der Stimme.
»Ja?«
»Und ich war es nicht.«
»Okay.«
»Dann war es vielleicht der Täter.«
Vera dachte an den Einbruch. Der Einbrecher hatte die Wohnung verwüstet, aber nur das Geld und die Zeichnung mitgenommen. Auf dem Küchentisch hatte eine Systemkamera im Wert von über zehntausend Kronen gelegen. Diverse Schmuckstücke im Badezimmer. Trotzdem waren nur Geld und Zeichnung verschwunden.
Ich muss mir eine neue Bleibe suchen, dachte sie. Ich muss Sigge schützen. Nicht nur vor Jonny, sondern auch vor dem Unbekannten auf der Zeichnung. Wolf und seine Kollegen müssen mir helfen. Und ich muss ihnen helfen. Es geht nicht mehr nur um eine Story, sondern um Sigges und meine Sicherheit.
»Glauben Sie mir?«, fragte Wolf.
Vera blickte zum Bartresen hinüber, antwortete nicht. Dann griff sie nach ihrer Tasche, öffnete sie, nahm ein Blatt Papier heraus und schob es Wolf hin.
»Hier haben Sie unseren Täter«, sagte sie.
Zwischen ihnen auf dem Tisch lag Mersiha Selimovic’ Zeichnung ihres Peinigers.