Vera warf Kieselsteine über den Zaun des Clublokals des Odin MC in Bromma. Nach einer Minute ertönte Gebrüll.
»Zum Teufel, Vera! Leute sind hier schon für weniger draufgegangen!«, rief Pål.
»Dann solltest du besser abnehmen, wenn ich anrufe.«
Die Stacheldrahtrollen schwankten, als das Tor im Zaun aufglitt und hinter ihr wieder zuging.
»Was ist so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?«, blaffte Pål wütend.
Er trug schwarze Jeans und seine übliche Lederweste. In seinem Brusthaar glänzten Schweißperlen. Die Sonne schien auf seine Stirn.
»Ich muss Jonny finden. Ich war bei dieser Tittentussi in Rissne, aber die beiden scheinen Schluss gemacht zu haben.«
Pål stieß ihr grob mit dem Zeigefinger gegen die Brust.
»Du kannst hier nicht einfach aufkreuzen. Du gehörst nicht zu unserem Club. Warum glaubst du, soll ich dir helfen?«
»Weil ich nützlicher für dich bin, jetzt, wo Jonny in den Knast wandert«, erwiderte Vera.
Pål blickte sich um. Dann trat er einen Schritt vor und öffnete den Reißverschluss ihres Kleids. Vera geriet ins Stolpern, als er ihren Körper abtastete. Der Biker drehte sie um und wiederholte die Prozedur. Vera merkte, dass er gestresst war. Diesmal grabschte er sie nicht an, sondern nahm nur eine Leibesvisitation vor. Ihre Brüste schien er nicht einmal zu sehen.
Als er fertig war, richtete sie ihr Kleid und drehte sich zu ihm um. Dass er die Gelegenheit nicht ausnutzte, zudringlich zu werden, verlieh ihr Oberwasser.
»Glaubst du wirklich, die Polizei könnte eine Journalistin beschwatzen, Wanzen zu tragen?«, fragte sie.
»Eins habe ich gelernt«, sagte Pål. »Euch Bräuten kann man nie über den Weg trauen.«
»Vielleicht nicht der Sorte, mit der ihr euch umgebt. Sklaven sind schließlich dafür bekannt, dass ihre Loyalität endet, sobald sie eine Chance zur Flucht wittern.«
Pål ignorierte den Kommentar.
»Woher weißt du, dass Jonny in den Bau geht?«, fragte er.
»Die Polizei hat Fragen über ihn gestellt. Und weil ich weiß, was dahintersteckt, weiß ich auch, dass sie genug Beweise haben. Zwischen den Zeilen haben sie durchblicken lassen, dass er einfährt, sobald sie ihn finden.«
Das war nicht die volle Wahrheit, aber so gut wie. Tomas Wolfs Kollege Zingo hatte die Konservendosen bereits sichergestellt. Und weil bei dem missglückten Raubüberfall Waffen im Spiel gewesen waren, drohten Jonny bis zu zehn Jahre Gefängnis. Um ihn für eine Festnahme aus der Versenkung hervorzulocken, musste sie Pål dazu bekommen, ein Treffen zwischen ihnen zu organisieren.
»Wie du weißt, kümmere ich mich um Jonnys Sohn. Und wie du dir vielleicht denken kannst, möchte ich deshalb, dass die Festnahme ruhig verläuft, ohne dass wir in die Schusslinie geraten, sozusagen. Die Polizei wird Jonny festnehmen, so oder so. Also ist es besser, das Ganze läuft kontrolliert ab. Ohne dass Jonny mit einer Waffe rumfuchtelt, auf der sich zum Beispiel die Fingerabdrücke eines deiner Kumpel befinden.«
Pål kratzte sich im Nacken, eindeutig beunruhigt.
»Kann irgendwas davon zu mir führen?«, fragte er.
»Nein. Das war eine Sache in Malmö. Ein bewaffneter Raubüberfall.«
»Dann wird es nicht billig.«
»Ich tue dir damit einen Gefallen, das weißt du.«
»Das macht noch mal zehntausend«, erwiderte Pål. »Aber du lässt dir eine Lösung einfallen, wie wir Jonny zum gewünschten Treffpunkt locken. Und wenn er fragt, bist du diejenige, die ihn reingelegt hat. Ich wasche meine Hände in Unschuld, okay?«
»Du kannst doch einfach sagen, dass du dich mit ihm treffen willst?«
»Die Situation ist gerade ein bisschen heikel. Als ich neulich in Malmö war, bin ich mit einer seiner Tussis im Bett gelandet. Wir sind zurzeit nicht die besten Kumpel.«
»Ach, bitte.«
»Jungs sind eben Jungs. Wir haben gewisse Bedürfnisse.«
Vera dachte einen Augenblick nach, versuchte, sich auf das eigentliche Problem zu fokussieren und nicht darauf, dass Jonny neben Anette Rydén in Rissne offenbar noch weitere Eisen im Feuer hatte.
»Jonny weiß nicht, dass Sigge bei mir ist. Verkauf es ihm als Versöhnungsgeschenk. Sag ihm, dass Sigge dabei sein wird, wenn ich euch euer Geld gebe, und dass die Übergabe Sonntag stattfindet. Dass ihr später in die Zinken Bar kommt, damit er mir vorher Sigge wegnehmen kann. Und dann taucht ihr nicht auf, weil ihr gesehen habt, wie die Bullen in die Bar gegangen sind.«
Pål nickte beifällig.
»Kein schlechter Plan für eine Braut.«
»Stimmt.«
Vera nickte in Richtung Tor.
»Mach das Tor auf, damit ich deine Visage nicht mehr sehen muss. Und gib mir Bescheid, sobald alles gedeichselt ist.«
Draußen auf der Straße rief sie Tomas Wolfs Kollegen mit dem seltsamen Namen Zingo an.
»Habt ihr Stig Hoffsten gefunden?«, fragte sie.
»Fehlanzeige. Ist die Sache mit Ihrem Ex geregelt?«
»Zinken Bar. Sonntag, 12:30 Uhr.«
»Wunderbar. Da kann man sich ja anschließend ein flüssiges Mittagessen genehmigen.«