Hinunter ins Flussbett wäre Jimmy Chee nur gestiegen, um den Mann, der ihm folgte, zu identifizieren oder ihn sogar zu stellen. Doch er wollte dem Unbekannten Zeit geben, dichter aufzuschließen. Dann würde er blitzschnell verschwinden, zum Beispiel in einem der Seitenarme des Flusslaufs ein Stück weiter oben. Der Verfolger müsste sich dann entscheiden, ihm nachzukommen oder nicht. Und auf jeden Fall würden sie das Spiel von diesem Moment an mit vertauschten Rollen spielen. Der Fremde wäre der Gejagte, Chee der Jäger.

Das war der Plan. Aber auf einmal glitzerten vor ihm im Sonnenlicht, keine hundert Schritte entfernt, die Trümmer des verunglückten Flugzeugs. Das Wrack, das ihn nichts anging – nur das FBI und die DEA. Jemand von der Navajo-Police hatte ohne ausdrückliche Aufforderung hier nichts zu suchen. Aber Chee war neugierig. Und für seinen Verfolger wäre eine Inspektion der Maschine vermutlich eine plausible Erklärung dafür, dass er nicht bei dem Windrad geblieben war.

Das Wrack war ausgeplündert, der Boden ringsum zertrampelt. Tragflächen und Landeklappen waren aufgeschlitzt, ein Tankbehälter war ausgebaut worden, und jemand hatte ins dünne Aluminium am Höhen- und Seitenleitwerk Löcher gebohrt – wahrscheinlich auf der Suche nach einer versteckten Fracht. Chee starrte talaufwärts und betrachtete stirnrunzelnd das Stück Flussbett, das die Maschine als Landebahn benutzt hatte. Sie war gegen einen Basaltbrocken geprallt, der vom Boden des Arroyo aufragte. Aber der Fluss hatte sich im Laufe der Zeit sein Bett links und rechts vorbeigegraben, sodass es jetzt aussah, als läge der schwarze Steinhöcker wie eine verlorene kleine Insel in einem Meer aus Sand. Wenn jemand schon nicht weiter flussaufwärts zur Landung ansetzte (und Platz genug wäre gewesen), hätte er das Flugzeug doch ohne Mühe im letzten Augenblick links oder rechts an diesem Hindernis vorbeisteuern können. Warum war der Pilot nicht ausgewichen? Sicher war er nicht einfach blind gelandet. Chee ging ein Stück das Flussbett hinauf, ließ den zertrampelten Bereich hinter sich. Den Blick hielt er nach unten gerichtet, suchte den Sand nach der Antwort ab. Der Mann, der ihm gefolgt war, konnte warten.

Etwas mehr als eine Stunde war vergangen (und Chee hatte inzwischen herausgefunden, warum es zu der Bruchlandung gekommen war), da hörte er das Motorengeräusch eines Autos.

Ein dunkelblauer Ford Bronco kam näher und hielt neben dem Flugzeugwrack. Zwei Leute stiegen aus, ein Mann und eine Frau. Sie blieben stehen, schauten das Flussbett hinauf zu Chee, gingen dann zum Wrack. Chee kam auf sie zu. Der Mann war groß, er trug Jeans und ein weißes Shirt, einen Hut hatte er nicht aufgesetzt, man sah sein steingraues Haar. Auch die Frau – eher zierlich, mit kurzen, dunklen Locken, die ihr Gesicht rahmten – trug keinen Hut. Nach FBI sahen die beiden nicht aus, nach DEA eigentlich auch nicht, obwohl praktisch jeder zu denen gehören konnte. Sie blieben neben dem Wrack stehen, betrachteten es, schienen aber auf Chee zu warten. Der stellte fest, dass der Mann älter war, als er ihn aus der Ferne geschätzt hatte, vielleicht Anfang fünfzig. Einer von denen, die etwas für sich tun, in den Tennisverein eintreten, joggen, ins Fitnesscenter gehen. In sein schmales, längliches Gesicht hatten sich tiefe Nasolabialfalten gegraben, und seine Augen hatten einen feuchten Glanz, wohl wegen seiner ungewöhnlich großen schwarzen Pupillen. Die Frau warf einen kurzen Seitenblick auf Chee, dann starrte sie wieder auf das Wrack. Ihr bleiches, ovales Gesicht wirkte entsetzt. Auch sie mochte in den Fünfzigern sein, sah in diesem Moment aber viel älter aus. Etwas an ihr weckte eine Erinnerung in Chee, aber welche? Der Mann wirkte angespannt, wie gefasst darauf, angesprochen und gefragt zu werden, was er hier zu suchen habe. Chee nickte ihm zu.

»Wir wollten uns die Maschine ansehen«, sagte der Mann. »Ich war sein Anwalt. Und das ist Gail Pauling.«

»Jim Chee.« Er schüttelte dem Mann die Hand und nickte der Frau zu.

»Jim Chee«, wiederholte sie. »Dann haben Sie meinen Bruder gefunden.«

Jetzt begriff Chee, warum sie ihm bekannt vorgekommen war: Der Mann, der die Maschine geflogen hatte, war ihr Bruder gewesen. »Ich denke, er hat nicht gelitten«, sagte er. »Es muss sofort vorbei gewesen sein. So schnell, dass kaum Zeit blieb zu begreifen, was geschehen ist.«

»Und was ist geschehen?«, fragte Miss Pauling. Sie deutete auf die Felsnase. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach dagegen geflogen ist.«

»Das ist er auch nicht«, sagte Chee. »Die Räder haben den Boden ungefähr fünfzig Schritte flussaufwärts berührt.«

Sie hielt den Blick auf das Wrack gerichtet, ihr Gesicht war noch immer wie erstarrt. Chee fragte sich, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. »Etwas muss ihm zugestoßen sein. Er wäre niemals gegen dieses Ding geflogen.« Sie schien mit sich selbst zu reden.

»Es geschah in der Nacht«, warf Chee ein. »Hat man Ihnen das nicht gesagt?«

»Man hat mir praktisch gar nichts gesagt«, antwortete Miss Pauling und sah Chee an, als nähme sie ihn jetzt erst wahr. »Nur dass es eine Bruchlandung war und er tot ist. Und dass die Polizei annimmt, er habe eine verbotene Fracht an Bord gehabt. Und dass ein Polizist namens Jim Chee Augenzeuge war.«

»Augenzeuge war ich nicht«, widersprach Chee. »Ich habe das Ganze gehört. Es war ein paar Stunden vor Morgengrauen. Der Mond war schon untergegangen.« Er beschrieb, was passiert war. Der Rechtsanwalt hörte aufmerksam zu, die feucht glänzenden Augen blickten Chee direkt an. Den Schuss und die anderen Geräusche erwähnte Chee nicht.

Die Frau sah ungläubig drein. »Er soll bei völliger Dunkelheit gelandet sein? Gut, er war in der Tactical Air Force. Aber da hatten sie eine Landebahn. Und Radar. Ich hab mir schon damals Sorgen um ihn gemacht. Aber dass er einfach blind zur Landung angesetzt hat, glaube ich nicht.«

»So war es auch nicht.« Chee deutete das Flussbett hinauf. »Er ist vorher mindestens dreimal hier gelandet. Den Spuren nach ein oder zwei Tage vor dem Unfall. Wahrscheinlich bei Tag. Um den Landeanflug zu üben, nehme ich an. Und bei der letzten Landung gab es Lichter.«

»Lichter?«, fragte der Anwalt.

»Sieht nach batteriebetriebenen Leuchten aus«, sagte Chee. »In einer Reihe auf dem Boden.«

Miss Pauling starrte verwundert talaufwärts.

»Es gibt Spuren«, erklärte Chee, »ich zeige sie Ihnen.«

Er führte die beiden das Flussbett entlang, hielt sich dicht an der steilen Uferböschung, im schmalen Schatten, den die fast senkrecht aufragende Erdwand warf. War der Mann, der ihn beobachtet hatte, noch in der Nähe? Wenn ja, wie erklärte er sich das alles? Wenn es Johnson war – oder einer von der DEA, den Johnson auf ihn angesetzt hatte –, würde er bestimmt nicht glauben, dass es sich um ein zufälliges Zusammentreffen handelte. Chee war sich dessen bewusst, aber es kümmerte ihn nicht.

Wo der Schatten der Uferböschung aufhörte, flirrte das Sonnenlicht über dem graugelben Boden. Alles schien in heißem Glanz zu schwimmen. Bis auf die Stiefelsohlen im Sand war es vollkommen still.

Hinter ihm räusperte sich der Rechtsanwalt. »Mr Chee, der Wagen, der laut Ihrer Meldung weggefahren ist – haben Sie den gesehen?«

»Sie haben meine Meldung gelesen?«, fragte Chee. Er war überrascht, sah sich aber nicht um. Es lief alles so, wie Largo vorausgesagt hatte.

»Wir haben bei Ihrer Polizeistation in Tuba City haltgemacht«, antwortete der Anwalt. »Man hat uns den Bericht gezeigt.«

Natürlich, dachte Chee. Warum auch nicht? Schließlich handelte es sich um den Rechtsanwalt des Unfallopfers und dessen nächste Angehörige.

»Der Wagen war schon weg«, sagte Chee. »Ich habe nur gehört, wie der Motor gestartet wurde. Es war ein Pkw oder ein Pick-up.«

»Und der Schuss?«, wollte der Anwalt wissen. »Ein Gewehr? Eine Schrotflinte? Eine Pistole?«

Interessante Frage, dachte Chee. »Keine Schrotflinte. Vermutlich eine Pistole.« Ihm war, als könnte er den Schuss noch hören. Wahrscheinlich eine großkalibrige Waffe.

»Was würden Sie sagen: eine Zweiundzwanziger? Oder ein stärkeres Kaliber? Eine Zweiunddreißiger? Oder eine Achtunddreißiger?«

Noch eine interessante Frage. »Das kann ich nur schätzen«, sagte Chee.

»Tun Sie das bitte.«

»Eine Achtunddreißiger, würde ich sagen, mindestens.« Chee wartete auf die nächste Frage. Wollte der Anwalt jetzt wissen, wer den Finger am Abzug gehabt haben mochte?

»Waffen haben mich immer fasziniert«, sagte der Anwalt.

Sie waren jetzt auf Höhe der Stelle, wo die Maschine aufgesetzt hatte. Chee löste sich aus dem Schatten der steilen Uferböschung, trat in die flimmernde Hitze und kauerte sich neben die Spuren.

»Hier«, zeigte er, »sehen Sie? Hier hat er die erste Bodenberührung gehabt, mit dem rechten Rad. Da drüben hat das linke Rad aufgesetzt. Er ist fast genau waagerecht reingekommen.«

Nahe dem Aufsetzpunkt war über den Sand eine etwa fünf Zentimeter tiefe Furche gezogen. Chee stand auf und ging ein Dutzend Schritte in Richtung der Unfallstelle. »Hier hat das Bugrad aufgesetzt«, erklärte er. »Ich nehme an, Pauling hat diese Rinne als Markierung gezogen. Und da vorn … Sehen Sie die Spuren?« Er zeigte ein Stück weiter. »Dort hat er zweimal wieder abgehoben.«

»Oder er ist dort gelandet und hier gestartet«, meinte der Anwalt mit seiner sanften Stimme und ließ ein leises, geschmeidiges Lachen hören. »Aber was spielt das schon für eine Rolle?«

»Keine große«, sagte Chee. »Trotzdem, das hier ist der Landepunkt. Der Abdruck ist tiefer, die Wucht beim Aufsetzen war größer. Und wenn Sie da drüben genau hinschauen, erkennen Sie, dass der Sand stärker aufgeworfen wurde, wo das Flugzeug startete. Der Motor läuft dann auf vollen Touren, bei der Landung ist er gedrosselt.«

Die sanften Augen des Anwalts musterten Chee. »Ja, natürlich. Und das kann man noch immer am Sand ablesen?«

»Wenn man genau hinsieht«, sagte Chee.

Miss Pauling blickte Richtung Flugzeugwrack. »Aber wenn er hier aufgesetzt hat, hatte er jede Menge Zeit, die Maschine zum Stehen zu bringen. Platz genug war doch.«

»In der Unfallnacht hat er nicht hier aufgesetzt«, sagte Chee. Er ging hundert, zweihundert Meter auf das Wrack zu, kauerte sich wieder hin und wies mit dem Finger auf eine schwache Vertiefung im Sand. »Hier stand die erste Orientierungsleuchte.« Mit einem Blick über die Schulter setzte er hinzu: »Und hier haben die Räder den Boden berührt, sehen Sie? Gleich hinter der ersten Leuchtmarkierung.«

Miss Pauling betrachtete erst die Reifenspuren, dann das Wrack, das vor ihnen aufragte. »Mein Gott«, sagte sie, »er hatte keine Chance, oder?«

»Jemand hatte fünf Orientierungsleuchten in gerader Linie zwischen hier und dem Felsen aufgestellt«, sagte Chee. »Und fünf weitere hinter dem Basaltblock.«

Der Anwalt starrte ihn mit leicht geöffneten Lippen an. Er hatte sofort begriffen, was diese Anordnung der Leuchten bedeutete. Miss Pauling überlegte etwas anderes. »Hatte er die Landescheinwerfer eingeschaltet? In Ihrer Meldung wird das nicht erwähnt.«

»Weil ich kein Licht bemerkt habe«, sagte Chee. »Und ich hätte es sehen müssen, mindestens den Widerschein.«

»Also musste er sich völlig auf die Bodenleuchten verlassen«, stellte sie fest. Dann erst begriff sie, was Chee gesagt hatte. Erschrocken sah sie ihn an. »Fünf Lampen hinter dem Felsen? Dahinter?«

»Ja.« Chee empfand Mitleid mit ihr. Den Bruder zu verlieren, ist schlimm genug. Zu erfahren, dass ihn jemand umgebracht hat, ist schlimmer.

»Aber warum …?«

Chee schüttelte den Kopf. »Vielleicht wollte jemand, dass er landet, aber nicht wieder startet, ich weiß es nicht. Es kann auch sein, dass ich mich irre, was die Leuchten betrifft. Ich habe nur die schwachen Abdrücke gefunden. Den hier zum Beispiel.«

Sie sah ihn wortlos an, musterte ihn. »Sie glauben aber nicht, dass Sie sich geirrt haben.«

»Nein«, gab Chee zu. »Dieser kleine ovale Abdruck mit den scharfen Einkerbungen an den Rändern sieht ganz nach den Trockenbatterien aus, mit denen diese Leuchten betrieben werden. Ich werde das noch nachmessen und prüfen, aber ich kann mir nicht vorstellen, was es sonst gewesen sein könnte.«

»Nein«, sagte Miss Pauling, atmete tief aus und ließ die Schultern hängen, als verließe sie der Lebensmut. »Ich auch nicht.« Dann strafften sich ihre Züge, ihr Gesicht wurde härter. »Jemand hat ihn umgebracht.«

»Diese Leuchten waren nicht mehr da, als Sie hier ankamen?«, fragte der Anwalt. »In Ihrem Bericht steht nichts darüber.«

»Sie waren weg«, bestätigte Chee. »Ich habe die Spuren erst vorhin gefunden. Als ich das letzte Mal hier war, war es dunkel.«

»Aber auch im späteren Polizeibericht wurden sie nicht erwähnt, also in dem Bericht, der nach der Untersuchung des Flugzeugs geschrieben wurde. Und bei dieser Untersuchung war schließlich Tag.«

»Darum hat sich die Bundespolizei gekümmert«, sagte Chee. »Ich nehme an, die haben die Abdrücke nicht bemerkt.«

Der Anwalt sah Chee nachdenklich an. »Ich hätte sie auch nicht bemerkt«, meinte er lächelnd. »Aber es heißt ja immer, dass Indianer gute Spurenleser sind.«

Vor vielen Jahren, in seinem letzten Studienjahr an der University of New Mexico, hatte Chee sich vorgenommen, sich über solche Verallgemeinerungen nicht länger zu ärgern. Nur selten gelang es ihm, sich an diesen Vorsatz zu halten. »Ich bin ein Navajo. Wir kennen in unserer Sprache das Wort ›Indianer‹ nicht. Wir reden von bestimmten Stämmen, von den Ute, den Hopi, den Apachen. Ein Weißer ist ein belacani, ein Mexikaner ein nakai und so weiter. Einige Navajo sind gute Spurenleser, andere nicht. Es ist wie mit den Regeln des Gesetzes – man muss sie studieren, um sie anwenden zu können.«

»Sicher«, sagte der Anwalt und musterte Chee noch immer. »Aber wie haben Sie das erlernt?«

»Ich hatte einen guten Lehrer, den Bruder meiner Mutter. Er hat mir gezeigt, worauf ich achten muss.« Chee brach ab, er war nicht in der Stimmung, mit diesem seltsamen Fremden über das Spurenlesen zu reden.

»Worauf denn so?«, fragte der Anwalt.

Chee dachte nun doch über Beispiele nach. »Man sieht einen Mann vorbeigehen, prägt sich ein, wie seine Fußspuren aussehen. Ein andermal sieht man ihn, während er in einer Hand etwas Schweres trägt. Wieder merkt man sich, wie die Spur jetzt aussieht. Und am nächsten Tag geht man hin, um zu sehen, wie die Spur sich verändert hat. Und am übernächsten Tag wieder. Oder man sieht zwei Männer im Schatten hocken und miteinander reden. Der eine ist dick, der andere dünn. Wenn sie weggegangen sind, schaut man nach und merkt sich, wie die Spuren des Dicken aussehen und die Spuren des Dünnen.«

Dabei ließ Chee es bewenden. Er dachte daran, wie ihn sein Onkel auf Maultierhirschjagd in die Chuska Mountains mitgenommen hatte. Wie er ihm die Hufspuren der Böcke bei der Paarung gezeigt hatte. Wie er ihm beigebracht hatte, das Alter einer Hirschkuh daran abzuschätzen, wie weit die Hufzehen gespalten waren. Wie der Onkel sich neben die Reifenspuren eines Pick-ups gekniet und ihm gezeigt hatte, dass der trocknende Schlamm verriet, vor wie vielen Stunden das Fahrzeug hier entlanggekommen war. Und natürlich noch vieles mehr. Aber er hatte genug gesagt, um der Höflichkeit Genüge zu tun.

Der Anwalt hatte seine Brieftasche gezückt, nahm seine Karte heraus und gab sie Chee. »Ich bin Ben Gaines und regele Paulings Nachlass. Wären Sie bereit, für mich zu arbeiten? In Ihrer Freizeit, meine ich?«

»Warum das?«

»Eigentlich, um das zu tun, was Sie ohnehin tun.« Ben Gaines wies auf das Flugzeugwrack. »Um alles, was hier passiert ist, zu einem genauen Bild zusammenzufügen.«

»Das tue ich gar nicht«, sagte Chee, »ich habe mit diesem Fall nichts zu tun. Hier geht es um ein Kapitalverbrechen. Und die Leute, die daran beteiligt waren, sind keine Navajo. Außerdem war diese Gegend zwar bis vor einiger Zeit Teil der Navajo-Hopi Joint Use Reservation, aber jetzt ist es Hopigebiet, also bin ich nicht zuständig. Ich bin wegen einer anderen Sache hier und nur aus Neugier noch mal zu dem Wrack gegangen.«

»Umso besser«, sagte Gaines, »dann gibt es keinen Interessenkonflikt.«

»Ich weiß nicht, ob meine Dienstvorschriften das zulassen, ich muss das erst mit meinem Captain besprechen.« Trotzdem hatte Chee das Gefühl, dass er am Ende doch tun würde, was der Anwalt von ihm wollte. Seine Neugier würde ihn dazu treiben.

Gaines lachte leise. »Ich hatte gerade gedacht, dass Ihr Boss nichts von unserem kleinen Arrangement erfahren müsste. Nicht dass ich was dagegen hätte. Aber wenn man einen Bürokraten fragt, ob dieses oder jenes gegen eine Dienstvorschrift verstoßen könnte, findet er bestimmt etwas.«

»Tja«, sagte Chee, »worum geht es Ihnen genau?«

»Herauszufinden, wie sich die Sache mit Pauling abgespielt hat. Dem Polizeibericht nach sollen sich zur fraglichen Zeit drei Leute hier aufgehalten haben. Das möchte ich genau wissen. Erst haben Sie einen Schuss gehört, dann einen Pkw oder einen Pick-up, der weggefahren ist. Ich will wissen, was hier los war.« Gaines machte eine weit ausholende Handbewegung. »Könnte ja sein, dass Sie Spuren finden, die das verraten.«

»Spuren gibts inzwischen mehr als genug«, sagte Chee. »Ungefähr ein Dutzend Federal Cops war hier, dazu kamen Leute von der Arizona State Police, von der örtlich zuständigen Polizei und so weiter. Die haben hier alles zertrampelt. Und Ihre Spuren und meine kommen noch dazu. Und die von Miss Pauling.«

»Meine Kanzlei zahlt vierzig Dollar pro Stunde für solche Ermittlungen. Sehen Sie zu, was Sie rausfinden können.«

Versprechen wollte Chee nichts und sagte deshalb nur: »Sie hören von mir. Was wollen Sie sonst noch wissen?«

»Ich habe den Eindruck«, sagte Gaines langsam, »dass die Polizei im Dunkeln tappt bei der Frage, was aus dem Wagen geworden ist, den Sie gehört haben. Anscheinend geht sie davon aus, dass er sich noch in der Gegend befindet. Wenn Sie da bitte auch recherchieren würden.«

»Feststellen, wo der Wagen geblieben ist?«

»Wenn möglich, ja.«

»Es wäre einfacher, wenn ich wüsste, wonach ich suche«, sagte Chee.

Gaines zögerte auffallend lange. »Ja, sicher. Aber berichten Sie mir einfach, was Sie herausfinden.«

»Wo?«

»Wir wohnen in diesem Motel, das die Hopi betreiben. Oben in der Second Mesa.«

Chee nickte.

Wieder ein längeres Zögern, dann sagte Gaines: »Noch was … Wie ich höre, hatte die Maschine Fracht an Bord. Falls Sie die zufällig auftreiben, wäre mir das eine Sonderprämie wert. Bestimmt zeigen sich dann auch die Eigentümer erkenntlich.« Gaines lächelte, und seine feuchten Augen blickten freundlich. »Sehr erkenntlich. Falls Sie auf etwas stoßen, lassen Sie es mich wissen. Vertraulich. Um alles andere kümmere ich mich dann. Irgendwie komme ich schon mit den Leuten in Kontakt, denen die Fracht gehört. Sie finden das Zeug, ich finde die Eigentümer. Wir beide wären also gewissermaßen Partner. Sie verstehen, was ich damit sagen will?«

»Ja«, sagte Chee, »ich verstehe.«