Hört auf Soldier


Keller flog mit United nach Portland. Auf dem Flug vom JFK zum O’Hare las er eine Zeitschrift, während der Zwischenlandung in Chicago aß er zu Mittag, und auf dem Weiterflug nach Portland sah er sich den Film an. Als er um viertel vor drei Uhr Ortszeit mit seinem Handgepäck die Maschine verließ, musste er nur noch eine Stunde auf seinen Anschlussflug nach Roseburg warten.

Als er sah, wie groß das Flugzeug war, ging er an den Hertz-Schalter und sagte, dass er für ein paar Tage ein Auto mieten wollte. Er legte einen Führerschein und eine Kreditkarte vor, und sie gaben ihm einen Ford Taurus mit 230.000 Meilen auf dem Tacho. Sich das Flugticket von Portland nach Roseburg erstatten zu lassen, versuchte er erst gar nicht.

Der Hertz-Angestellte erklärte ihm, wie er auf den I-5 kam. Keller richtete den Wagen in Richtung Fahrtziel aus und stellte den Tempomat auf fünf km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Alle anderen fuhren ein bisschen schneller, aber er hatte es nicht eilig und wollte möglichst vermeiden, dass jemand einen zu genauen Blick auf seinen Führerschein warf. Wahrscheinlich war er okay, aber warum ein Risiko eingehen?

Es war immer noch hell, als er die zweite Ausfahrt nach Roseburg nahm. Er hatte ein Zimmer im Douglas Inn reserviert, einem Best Western in der Stephens Street, das er ohne Probleme fand. Das Zimmer lag im Erdgeschoss und nach vorne raus. Er ließ sich eins geben, das eine Etage höher und nach hinten raus lag.

Er packte aus und duschte. Im Telefonbuch war ein Stadtplan vom Zentrum Roseburgs, den er eine Weile studierte, um sich schon einmal grob zu orientieren. Dann riss er ihn heraus und steckte ihn ein, bevor er zu einem Spaziergang aufbrach. Die kleine Druckerei war nur ein paar Straßen weiter in der Jackson, zwei Häuser von der Kreuzung entfernt, zwischen einem Tabakladen und einem Fotografen, dessen Schaufenster voller Hochzeitsfotos war. Ein Schild im Fenster von Quik Print lockte mit einem Sonderangebot für Hochzeitseinladungen, möglicherweise um die Brautpaare auf sich aufmerksam zu machen, die den Fotografen nebenan aufsuchten.

Quik Print war natürlich geschlossen, ebenso wie der Tabakladen und der Fotograf und der Juwelier neben dem Fotografen und, soweit Keller das beurteilen konnte, die meisten Geschäfte des Viertels. Er blieb nicht lange. Zwei Straßen weiter war ein mexikanisches Restaurant, das schäbig genug aussah, um authentisch zu sein. Er nahm eine Zeitung aus dem Münzkasten vor der Tür und las sie, als er seine Chicken Enchiladas aß. Das Essen war gut und unglaublich billig. Wäre das Lokal in New York gewesen, wäre alles drei- bis viermal so teuer gewesen, glaubte er, und die Leute hätten vor dem Eingang Schlange gestanden.

Die Bedienung war eine schlanke Blondine, die überhaupt nicht mexikanisch aussah. Sie hatte kurzes Haar, eine Omabrille, einen starken Überbiss und am richtigen Finger einen Verlobungsring mit einem winzigen Diamanten. Vielleicht hatten sie und ihr Verlobter ihn bei dem Juwelier ein paar Straßen weiter ausgesucht, dachte Keller. Vielleicht würde der Fotograf daneben ihre Hochzeitsfotos machen. Vielleicht würden sie Burt Engleman beauftragen, ihre Hochzeitseinladungen zu drucken. Super Qualität, günstige Preise, zuverlässiger Service.

 
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Am Morgen kehrte er zu Quik Print zurück und schaute durchs Fenster nach drinnen. Eine Frau mit braunem Haar saß an einem grauen Metallschreibtisch und telefonierte. Am Kopiergerät stand ein Mann in Hemdsärmeln. Er trug eine Hornbrille mit runden Gläsern, und das Haar auf seinem eierförmigen Kopf war kurz geschnitten. Seine angehende Glatze ließ ihn älter aussehen, aber Keller wusste, dass er erst achtunddreißig war.

Keller stand vor dem Juweliergeschäft und stellte sich vor, wie sich die Bedienung und ihr Verlobter die Ringe aussuchten. Natürlich würden sie eine Doppelring-Trauung haben und auf den Innenseiten ihrer Ringe etwas eingravieren lassen, was sonst niemand zu sehen bekäme. Würden sie in einer Wohnung oder einem Haus leben?, fragte er sich. Bis sie genügend gespart hatten, um die Anzahlung für ein eigenes Haus leisten zu können, musste es wahrscheinlich eine Wohnung tun.

In einem Drugstore eine Straße weiter kaufte er einen unlinierten Block und einen schwarzen Filzschreiber. Er brauchte vier Blatt Papier, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Wieder zurück bei Quik Print, zeigte er der braunhaarigen Frau sein Werk.

»Mein Hund ist verschwunden«, erklärte er ihr. »Deshalb dachte ich, ich lasse mir ein paar Flyer drucken und hänge sie überall in der Stadt auf.«

HUND ENTLAUFEN , hatte er in Druckschrift geschrieben. ZUM TEIL SCHÄFER, HÖRT AUF SOLDIER. TEL. 555-1904 .

»Hoffentlich bekommen Sie ihn zurück«, sagte die Frau. »Ist es ein Er? Soldier hört sich jedenfalls nach einem Rüden an, aber man weiß ja nie.«

»Ja, es ist ein Rüde«, sagte Keller. »Vielleicht hätte ich das erwähnen sollen.«

»Das spielt wahrscheinlich keine Rolle. Möchten Sie eine Belohnung aussetzen? Normalerweise tun das die Leute, obwohl ich nicht weiß, ob es wirklich etwas bringt. Wenn ich den Hund von jemand fände, wäre mir die Belohnung egal. Ich würde ihn seinem Besitzer in jedem Fall zurückgeben.«

»Nicht jeder ist so anständig wie Sie«, sagte Keller. »Vielleicht sollte ich doch eine Belohnung aussetzen. Daran habe ich gar nicht gedacht.« Er legte die Handflächen auf den Schreibtisch und beugte sich vor, um auf das Blatt Papier zu schauen. »Aber irgendwie sieht das Ganze ziemlich selbstgestrickt aus. Sollte ich es vielleicht richtig setzen lassen? Was meinen Sie?«

»Keine Ahnung«, sagte sie. »Ed? Könntest du eben mal kommen und dir das ansehen?«

Der Mann mit der Hornbrille kam zu uns und sagte, seiner Meinung nach wäre bei der Suche nach einem entlaufenen Hund eine handschriftliche Nachricht besser. »Das sieht persönlicher aus«, sagte er. »Ich kann es Ihnen natürlich setzen, aber so ist die Wirkung besser, glaube ich. Vorausgesetzt, jemand findet den Hund überhaupt.«

»So tragisch ist das Ganze sowieso nicht«, sagte Keller. »Meine Frau hängt sehr an dem Hund, und deshalb würde ich ihn, wenn möglich, gern zurückbekommen. Aber mein Gefühl sagt mir, dass er nicht mehr auftaucht. Mein Name ist übrigens Gordon. Al Gordon.«

»Ed Vandermeer«, sagte der Mann. »Und das ist meine Frau Betty.«

»Angenehm«, sagte Keller. »Ich schätze, fünfzig Stück müssten genügen. Das sind wahrscheinlich mehr als genug, aber ich nehme fünfzig. Dauert das lange?«

»Wenn Sie möchten, kann ich sie Ihnen gleich machen. Dauert etwa drei Minuten und kostet sie drei fünfzig.«

»Was will ich mehr?« Keller zückte den Filzstift. »Ich setze nur noch schnell die Belohnung drauf.«

 
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Zurück in seinem Motelzimmer, ließ er sich zu einer Nummer in White Plains durchstellen. Als eine Frau dranging, sagte er: »Kannst du ihn mir schnell mal geben, Dot?« Es dauerte ein paar Minuten, dann sagte er in den Hörer: »Ja, ich bin hier. Er ist es, ganz sicher. Inzwischen nennt er sich Vandermeer. Seine Frau heißt immer noch Betty.«

Der Mann in White Plains wollte wissen, wann er zurückkäme.

»Heute haben wir was, Dienstag? Ich habe für Freitag einen Flug gebucht, aber es könnte sein, dass ich etwas länger brauche. Lieber nichts überstürzen. Ich habe was gefunden, wo ich gut essen kann. Ein Mexikaner, und im Motel haben sie HBO. Deshalb lasse ich mir Zeit und mache es gescheit. Engleman läuft mir ja nicht davon.«

 
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Er aß in dem mexikanischen Lokal zu Mittag. Diesmal bestellte er das Kombigericht. Die Bedienung fragte, ob er es mit rotem oder grünem Chili wollte.

»Was schärfer ist«, sagte er.

Ein Wohnwagen vielleicht, dachte er. Man bekam sie oft sehr günstig. Ein schöner, besonders geräumiger; wäre doch ein super Einstieg für sie und ihren Typen. Oder noch besser, sie kauften sich ein Doppelhaus und vermieteten erst eine Hälfte und dann, sobald sie sich was Schöneres leisten konnten, auch die andere. Mit Immobilien geht das ziemlich schnell, man bekommt eine gute Rendite und kann zusehen, wie seine Investitionen an Wert zunehmen. Sie müsste nicht mehr als Bedienung arbeiten, und ihr Mann bräuchte sich nicht mehr im Sägewerk den Buckel krumm schuften und in wirtschaftlich schlechten Zeiten wegen drohender Personaleinsparungen Sorgen machen.

Du machst dich aber ganz schön ran, mein Lieber, dachte er.

 
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Den Nachmittag brachte er damit zu, in der Stadt herumzugehen. In einem Waffenladen nahm der Inhaber, ein Mann namens McLarendon, ein paar Gewehre und Schrotflinten von der Wand, damit er sich einen Eindruck verschaffen konnte, wie sie in der Hand lagen. Auf einem Schild an der Wand stand SCHUSSWAFFEN TÖTEN MENSCHEN NUR, WENN MAN WIRKLICH GUT ZIELT . Keller unterhielt sich mit McLarendon über Politik, und über Sozioökonomie. Es war nicht allzu schwer, sich seinen Standpunkt zusammenzureimen und als seinen eigenen zu übernehmen.

»Was ich eigentlich kaufen will«, sagte Keller, »ist eine Handfeuerwaffe.«

»Sie wollen sich und Ihr Eigentum schützen«, sagte McLarendon.

»Genau.«

»Und Ihre Lieben.«

»Sowieso.«

Er ließ sich von ihm eine Pistole verkaufen. Bei Waffen gibt es, regional unterschiedlich, eine so genannte Cooling-off-Frist, damit man sich erst mal abreagiert. Man sucht sich eine Waffe aus und füllt ein Formular aus, und vier Tage später kann man wieder vorbeikommen und sie abholen.

»Sind Sie ein Hitzkopf?«, fragte ihn McLarendon. »Sind Sie jemand, der sich schnell mal das Autofenster runterlässt und auf dem Heimweg einen State Trooper abknallt?«

»Eher nicht.«

»Dann will ich Ihnen einen Trick verraten. Wir datieren dieses Formular einfach ein paar Tage zurück, und schon haben Sie Ihre Abkühlphase. Für mich sehen Sie jedenfalls cool genug aus.«

»Sie sind ein guter Menschenkenner.«

Der Mann grinste. »Das muss man in dieser Branche auch sein.«

 
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Es hatte schon was, eine kleine Stadt wie Roseburg. Man brauchte sich bloß zehn Minuten ins Auto zu setzen, und schon war man auf dem Land.

Keller hielt mit dem Taurus am Straßenrand an, machte die Zündung aus, öffnete das Fenster. Er nahm die Knarre aus der einen Tasche, die Schachtel mit der Munition aus der anderen. Die Knarre – McLarendon hatte sie hartnäckig eine Waffe genannt – war ein 38er Revolver mit einem Zwei-Zoll-Lauf. McLarendon hätte ihm gern etwas Schwereres und Durchschlagskräftigeres angedreht. Hätte Keller gewollt, hätte er ihm wahrscheinlich mit wahrer Begeisterung eine Panzerfaust verkauft.

Keller lud den Revolver und stieg aus. In etwa zwanzig Meter Entfernung lag eine Bierdose auf dem Boden. Er hielt den Revolver mit einer Hand und zielte darauf. Vor ein paar Jahren hatten sie in Fernseh-Krimis zweihändig zu schießen begonnen, und inzwischen sah man nichts anderes mehr: Fernsehpolizisten, die durch Türen sprangen und um Ecken wirbelten, die Knarre wie einen Feuerwehrschlauch mit beiden Händen weit von sich gestreckt. Keller fand das lächerlich. Er wäre sich komisch vorgekommen, eine Knarre so zu halten.

Er drückte ab. Der Revolver bockte in seiner Hand, und er verfehlte die Bierdose bestimmt um einen Meter. Das Krachen des Schusses hallte lange nach.

Er zielte auf alle möglichen anderen Dinge – auf einen Baum, eine Blume, einen weißen Felsbrocken von der Größe einer Faust. Aber er konnte sich nicht überwinden, noch einmal abzudrücken und die Stille mit einem weiteren Schuss zu brechen. Und wozu auch? Wenn er den Revolver verwendete, wäre er zu nah dran, um danebenzuschießen. Man kam nah ran, zielte, drückte ab. So schwer war das wirklich nicht. Dafür musste man nicht studiert haben. Jeder konnte das.

Er ersetzte die benutzte Patrone und verstaute den geladenen Revolver im Handschuhfach. Den Rest der Munition ließ er in seine Handfläche kullern und ging ein paar Meter vom Straßenrand weg, schleuderte sie mit einer seitlichen Bewegung des Arms von sich. Er warf die leere Munitionsschachtel hinterher und stieg wieder ein.

Kein unnützer Ballast, dachte er.

 
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Zurück in der Stadt, fuhr er an Quik Print vorbei, um sich zu vergewissern, dass sie noch offen hatten. Dann folgte er der Route, die er in den Stadtplan eingezeichnet hatte, an den nördlichen Stadtrand zur Cowslip Lane 1411, einem Haus im holländischen Kolonialstil. Der Rasen war frisch gemäht und knallgrün, und auf beiden Seiten des Wegs, der vom Gehsteig zur Haustür führte, war jeweils ein Beet mit Rosensträuchern.

In einer der Broschüren im Motel hatte es geheißen, dass Rosen eine lokale Besonderheit waren. Aber die Stadt war nicht nach den Blumen benannt, sondern nach Aaron Rose, einem frühen Siedler.

Er fragte sich, ob Engleman das wusste.

Er fuhr einmal um den Block und parkte zwei Häuser weiter auf der anderen Straßenseite. »Vandermeer, Edward« hatte der Eintrag im Telefonbuch gelautet. Keller fand das einen ungewöhnlichen Decknamen. Er fragte sich, ob sich Engleman selbst dafür entschieden hatte, oder ob ihn das FBI für ihn ausgesucht hatte. Wahrscheinlich letzteres, vermutete er. »Das ist Ihr neuer Name«, hatten sie ihm vermutlich erklärt, »und hier werden Sie jetzt leben, und beruflich werden Sie Folgendes machen.« Die Willkürlichkeit des Ganzen sprach Keller irgendwie an, so, als ob sie einem die Last der Entscheidung abnähmen. Hier ist Ihr neuer Name, und hier ist Ihr neuer Führerschein, in dem bereits Ihr neuer Name steht. Sie mögen in Ihrem neuen Leben Rohrkartoffeln und sind allergisch gegen Bienenstiche, und Kobaltblau ist Ihre Lieblingsfarbe.

Betty Engleman war jetzt Betty Vandermeer. Keller fragte sich, warum ihr Vorname gleich geblieben war. Trauten sie Engleman nicht zu, das hinzubekommen? Hielten sie ihn für einen Schussel, der im falschen Moment mit »Betty« herausplatzte? Oder war es reiner Zufall oder gar Schlamperei ihrerseits?

Gegen halb sieben kamen die Englemans von der Arbeit nach Hause. Sie hatten einen Honda Civic mit Ortskennzeichen. Offensichtlich hatten sie auf dem Heimweg Lebensmittel eingekauft. Engleman hielt in der Einfahrt an, und seine Frau öffnete die Heckklappe und nahm eine Einkaufstüte heraus. Dann fuhr er das Auto in die Garage und folgte ihr ins Haus.

Keller sah, wie im Haus Lichter angingen. Er blieb, wo er war. Als er zum Douglas Inn zurückfuhr, wurde es allmählich dunkel.

 
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Keller sah sich auf HBO einen Film über eine Bande von Kriminellen an, die in eine Stadt in Texas gekommen waren, um eine Bank auszurauben. Ein Bandenmitglied war eine Frau, die mit einem der Bankräuber verheiratet war und mit einem anderen ein Verhältnis hatte. Keller fand, da war die Katastrophe schon vorprogrammiert. Am Ende kam es zu einer langen Schießerei, bei der jeder in Zeitlupe starb. Als der Film aus war, stand er auf und schaltete den Fernseher aus. Dabei fiel sein Blick auf den Packen Flyer, den Engleman für ihn gedruckt hatte. HUND ENTLAUFEN, ZUM TEIL SCHÄFER, HÖRT AUF SOLDIER. TEL. 555-1904. BELOHNUNG .

Guter Wachhund, dachte er. Kinderlieb.

 
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Es war schon fast Mittag, als er aufstand. Er ging in das mexikanische Lokal und bestellte huevos rancheros und machte viel scharfe Soße darauf. Er beobachtete die Hände der Bedienung, als sie das Essen servierte, und dann wieder, als sie den leeren Teller abtrug. In dem kleinen Diamanten brach sich das Licht. Vielleicht landen sie und ihr Mann in der Cowslip Lane, dachte er. Natürlich nicht gleich; erst einmal kam das Doppelhaus, aber davon träumten sie wahrscheinlich, ein Haus im holländischen Kolonialstil mit so einem komischen Steildach. Wie nannte man das eigentlich genau? War das ein Giebeldach, oder bezeichnete man damit etwas anderes? Ein Mansardendach vielleicht?

Er fand, dass er so etwas lernen sollte. Man sah die Wörter und wusste nicht, was sie bedeuteten, man sah die Häuser und konnte sie nicht richtig beschreiben.

Er hatte sich auf dem Weg in das Lokal eine Zeitung gekauft, und jetzt hatte er den Anzeigenteil aufgeschlagen und las die Immobilienangebote. Häuser schienen hier sehr günstig zu sein. Man konnte ein billiges Haus für das Doppelte von dem kaufen, was er für diese eine Woche Arbeit bekam.

Er hatte unter einem Namen, den er für nichts anderes verwendete, ein Schließfach angemietet, von dem niemand etwas wusste, und darin hatte er genügend Bargeld, um sich hier, bar auf die Hand, ein schönes Haus kaufen zu können.

Vorausgesetzt, das ging noch. Neuerdings hatten die Leute bei Bargeld etwas Manschetten. Sie hatten ständig Angst, zum Waschen von Drogengeld benutzt zu werden.

Aber spielte das eine Rolle? Er würde sich nicht hier niederlassen. Aber die Bedienung konnte gern hier leben, in einem schnuckeligen Häuschen mit Giebeln und Mansarden.

 
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Engleman war gerade über den Schreibtisch seiner Frau gebeugt, als Keller Quik Print betrat. »Wen haben wir denn da?«, sagte er. »Und? Haben Sie Soldier schon zurückbekommen?«

Er erinnerte sich an den Namen, fiel Keller auf.

»Ob Sie’s glauben oder nicht«, sagte er. »Der Hund ist von allein zurückgekommen. Wahrscheinlich wollte er die Belohnung.« Betty Engleman lachte.

»Da sehen Sie, wie schnell Ihre Flyer gewirkt haben«, fuhr Keller fort. »Der Hund ist von allein zurückgekommen, bevor ich sie überhaupt verteilen konnte. Aber irgendwann werde ich sie wohl doch noch brauchen. Früher oder später wird der gute, alte Soldier bestimmt wieder abhauen.«

»Solange er wieder von selbst zurückkommt …«, meinte sie.

»Warum ich vorbeikomme«, sagte Keller. »Wie Sie sich vielleicht schon gedacht haben, bin ich neu in der Stadt, und ich habe eine Geschäftsidee, die ich gern umsetzen würde. Dafür brauche ich einen Drucker, und deshalb dachte ich, vielleicht könnten wir uns mal zusammensetzen und reden. Haben Sie Zeit, auf eine Tasse Kaffee mit mir zu kommen?«

Hinter der Brille waren Englemans Augen schwer zu lesen. »Klar«, sagte er, »gern.«

Sie gingen die Straße runter zur nächsten Ecke, und Keller sagte, was für ein schöner Tag es war. Engleman sagte kaum etwas, außer dass er ihm zustimmte. An der Ecke sagte Keller: »So, Burt, wo sollen wir Kaffee trinken?«

Engleman erstarrte. »Hab ich’s doch gewusst.«

»Ich weiß, dass Sie’s gemerkt haben. In dem Moment, in dem ich zur Tür reingekommen bin. Woran?«

»Die Telefonnummer auf dem Flyer. Ich habe sie gestern Abend anzurufen versucht. Dort hat aber niemand was von einem Mr. Gordon gehört.«

»Dann ist es Ihnen also gestern Abend klar geworden. Sie hätten sich natürlich bei der Nummer täuschen können.«

Engleman schüttelte den Kopf. »Ich habe mich dabei nicht auf mein Gedächtnis verlassen. Ich habe einen Flyer behalten und die Nummer davon abgelesen. Kein Mr. Gordon und kein entlaufener Hund. Aber abgesehen davon habe ich es schon vorher gewusst. Ich glaube, von dem Moment an, als Sie zur Tür reingekommen sind.«

»Dann gehen wir erst mal Kaffee trinken«, sagte Keller.

 
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Sie gingen in ein Lokal, das Rainbow Diner hieß, und tranken ihren Kaffee an einem Tisch auf der Seite. Engleman gab Süßstoff in seine Tasse und rührte lange genug darin, um Marmorbröckchen aufzulösen. Er hatte drüben an der Ostküste für den Mann, den Keller in White Plains angerufen hatte, als Buchhalter gearbeitet. Als das FBI Englemans Boss wegen eines RICO -Vergehens dranzukriegen versuchte, bot sich Engleman als naheliegendster Ansatzpunkt an. Er war nicht wirklich kriminell, er hatte nicht wirklich etwas ausgefressen, aber sie drohten ihm mit Gefängnis, wenn er sein Schweigen nicht bräche und gegen seinen Boss aussagte. Wenn er täte, was sie von ihm verlangten, bekäme er einen neuen Namen und würde an einem sicheren Ort untergebracht. Wenn nicht, könnte er einmal im Monat durch ein Drahtmaschengeflecht mit seiner Frau reden und bekäme zehn Jahre Zeit, um sich daran zu gewöhnen.

»Wie haben Sie mich gefunden?«, wollte er wissen. »Hat jemand in Washington nicht dichtgehalten?«

Keller schüttelte den Kopf. »Ziemlich verrückte Geschichte das. Jemand hat Sie auf der Straße gesehen und erkannt und ist Ihnen nach Hause gefolgt.«

»Hier in Roseburg?«

»Nein, ich glaube nicht. Waren Sie vor einer Woche oder so verreist?«

»Ich fasse es nicht«, sagte Engleman. »Wir waren übers Wochenende in San Francisco.«

»Das könnte hinkommen.«

»Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich kenne nicht mal jemand in San Francisco. Ich war vorher noch nie dort. Es war an ihrem Geburtstag. Wir dachten, es wäre vollkommen ungefährlich. Ich kenne dort keinen Menschen.«

»Aber jemand hat Sie gekannt.«

»Und ist mir bis hierher gefolgt?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er sich auch nur Ihre Autonummer notiert und von jemand überprüfen lassen. Vielleicht hat er im Gästebuch des Hotels nachgesehen. Spielt das denn eine Rolle?«

»Nein, keine.«

Engleman griff nach seiner Kaffeetasse und starrte hinein.

»Sie haben es schon gestern Nacht gewusst«, sagte Keller. »Sie sind im Zeugenschutzprogramm. Gibt es denn niemand, den Sie in so einem Fall anrufen sollen?«

»Schon«, sagte Engleman und stellte seine Tasse ab. »So berauschend ist das Programm aber nicht. Sie stellen es zwar als was ganz Tolles hin, wenn sie es einem schmackhaft machen wollen, aber in der Praxis lässt das Ganze einiges zu wünschen übrig.«

»Das habe ich auch schon gehört«, sagte Keller.

»Wie auch immer, ich habe niemand angerufen. Was sollten sie außerdem groß tun? Sagen, dass sie mein Haus und die Druckerei überwachen und mich abholen. Selbst wenn sie Ihnen was anlasten können, nützt mir das herzlich wenig. Wir müssen trotzdem wieder umziehen, weil der Typ einfach jemand anders losschickt, oder?«

»Wahrscheinlich schon.«

»Jedenfalls, ich ziehe nicht mehr um. Sie haben uns dreimal woanders hingebracht, und ich weiß nicht mal, warum. Ich glaube, das passiert automatisch, es ist Teil des Programms. Sie lassen einen in den ersten ein, zwei Jahren einfach ein paarmal umziehen. Das hier ist das erste Mal, dass wir uns heimisch zu fühlen begonnen haben, nachdem das alles angefangen hat, und inzwischen wirft Quik Print sogar was ab, und es gefällt mir hier. Ich mag die Stadt, und ich mag die Arbeit. Ich will nicht von hier weg.«

»Die Stadt macht einen netten Eindruck.«

»Allerdings«, sagte Engleman. »Es ist schöner hier, als ich dachte.«

»Und Sie wollten nicht wieder als Buchhalter zu arbeiten anfangen?«

»Um Himmels willen, nein«, sagte Engleman. »Davon habe ich endgültig die Nase voll. Sehen Sie doch selbst, was es mir eingebracht hat.«

»Sie müssten ja nicht unbedingt für Gangster arbeiten.«

»Woher wollen Sie wissen, wer ein Gangster ist und wer nicht? Aber egal, ich will keinen Job mehr, bei dem ich Einblick in die Firma von jemand anders bekomme. Lieber habe ich da mein eigenes kleines Geschäft, in dem ich zusammen mit meiner Frau arbeiten kann. Wir sind direkt an der Straße, für alle deutlich zu sehen, man braucht nur durch das Ladenfenster zu schauen. Jeder braucht Briefpapier, jeder braucht Visitenkarten, jeder braucht Rechnungsformulare und Quittungen, und ich drucke sie den Leuten einfach.«

»Wie haben Sie das Handwerk gelernt?«

»Es ist so ein Franchisesystem, ein Komplettpaket. Das kann jeder in zwanzig Minuten lernen.«

»Im Ernst?

»Klar, überhaupt kein Problem.«

Keller nahm einen Schluck Kaffee. Er fragte Engleman, ob er seiner Frau etwas erzählt hätte, was er verneinte. »Das ist gut«, sagte Keller. »Dann erzählen Sie ihr auch jetzt nichts davon. Ich bin einfach jemand, der verschiedene Projekte hat, einen Drucker braucht und erst mal sicherstellen muss, dass es keine Cashflow-Probleme gibt. Außerdem rede ich nicht gern im Beisein von Frauen über geschäftliche Dinge, weshalb wir beide ab und zu zusammen Kaffee trinken gehen.«

»Okay«, sagte Engleman.

Der arme Teufel macht sich halb in die Hosen, dachte Keller. »Wissen Sie, Burt«, fuhr er fort, »ich will Ihnen nichts tun. Wenn ich das wollte, würden wir dieses Gespräch nicht führen. Dann würde ich Ihnen eine Knarre an den Kopf halten und tun, was ich tun soll. Sehen Sie hier irgendwo eine Knarre?«

»Nein.«

»Die Sache ist nur, wenn ich es nicht tue, schicken sie jemand anders. Wenn ich unverrichteter Dinge zurückkomme, wollen sie wissen, warum. Deshalb muss ich mir was einfallen lassen. Sie wollen also auf keinen Fall abhauen?«

»Nein. Ich habe keine Lust mehr, ständig wegzulaufen.«

»Gut, dann werde ich mir was einfallen lassen. Das wird ein paar Tage dauern. Aber irgendwas fällt mir schon ein.«

 
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Am nächsten Morgen fuhr Keller nach dem Frühstück in das Büro eines Immobilienmaklers, dessen Anzeigen er gesehen hatte. Eine Frau, die etwa im gleichen Alter wie Betty Engleman war, zeigte ihm drei Häuser. Nichts Großartiges, aber nett und gemütlich, und sie kosteten zwischen vierzig- und sechzigtausend Dollar.

Er hätte jedes von ihnen mit dem Geld aus seinem Schließfach kaufen können.

»Hier hätten wir Ihre Küche«, sagte die Frau. »Hier Ihre Gästetoilette. Hier Ihren eingezäunten Garten.«

»Ich melde mich bei Ihnen«, sagte er und steckte ihre Visitenkarte ein. »Ich stehe gerade in wichtigen Geschäftsverhandlungen, von deren Ausgang viel abhängt.«

 
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Am nächsten Tag ging er mit Engleman mittagessen. Sie waren in dem mexikanischen Lokal, und Engleman wollte alles so wenig scharf wie möglich. »Nicht umsonst war ich mal Buchhalter«, sagte er zu Keller.

»Aber jetzt sind Sie Drucker«, sagte Keller. »Drucker vertragen scharfes Essen.«

»Nicht dieser Drucker. Nicht der Magen dieses Druckers.«

Beide tranken eine Flasche Carta Blanca zum Essen. Keller genehmigte sich danach eine zweite. Engleman bestellte eine Tasse Kaffee.

»Wenn ich ein Haus mit eingezäuntem Garten hätte«, sagte Keller, »könnte ich mir einen Hund zulegen, ohne ständig fürchten zu müssen, dass er wegläuft.«

»Ja, könnten Sie.«

»Als kleiner Junge hatte ich mal einen Hund«, sagte Keller. »Nur dieses eine Mal. Ich hatte ihn etwa zwei Jahre, als ich elf, zwölf war. Er hieß Soldier.«

»Ich habe mich schon gefragt.«

»Er war aber nicht zum Teil ein Schäfer. Irgend so ein kleiner Kläffer. Wahrscheinlich irgendeine Terriermischung.«

»Ist er weggelaufen?«

»Nein, er wurde von einem Auto überfahren. Was Autos angeht, war er total blöd, er rannte einfach auf die Straße. Der Fahrer konnte nichts machen.«

»Wieso haben Sie ihn Soldier genannt?«

»Das weiß ich nicht mehr. Und als ich dann den Flyer bestellt habe, keine Ahnung, bei ›Hört auf …‹ musste ich ja was einsetzen. Und mir sind nur Namen wie Fido und Rover und Spot eingefallen. Das ist etwa so, wie wenn man sich in einem Hotel mit John Smith einträgt. Und dann ist es mir wieder eingefallen. Soldier. Ist schon Jahre her, dass ich das letzte Mal an den Hund gedacht habe.«

 
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Nach dem Mittagessen kehrte Engleman in die Druckerei zurück, und Keller ging im Motel sein Auto holen. Er fuhr auf derselben Straße aus der Stadt, die er an dem Tag genommen hatte, als er den Revolver kaufte. Diesmal fuhr er ein paar Meilen weiter, bevor er am Straßenrand anhielt und den Motor abstellte.

Er nahm den Revolver aus dem Handschuhfach, klappte die Trommel aus und ließ die Patronen in seine Handfläche kullern. Er warf sie weg, dann wog er kurz den Revolver in der Hand, bevor er ihn ins Gebüsch schleuderte.

McLarendon wäre entsetzt, dachte er. So mit einer Waffe umzugehen. Da sah man wieder, was für ein guter Menschenkenner der Mann war.

Keller stieg ein und fuhr in die Stadt zurück.

 
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Er rief in White Plains an. Als die Frau dranging, sagte er: »Du brauchst ihn nicht zu stören, Dot. Sag ihm einfach, ich habe meinen Flug heute nicht mehr erreicht. Ich habe jetzt für Dienstag einen gebucht. Sag ihm, es ist alles okay, es dauert nur etwas länger als ursprünglich gedacht.« Sie fragte ihn, wie das Wetter war. »Richtig gut«, sagte er. »Sehr angenehm. Glaubst du etwa, dass es nicht zum Teil auch daran liegt? Wenn es hier ständig regnen würde, hätte ich es längst erledigt und wäre wieder zu Hause.«

 
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Samstags und sonntags war Quik Print geschlossen. Am Samstagnachmittag rief Keller Engleman zu Hause an und fragte ihn, ob er Lust auf einen kleinen Ausflug hätte. »Ich komme Sie abholen«, bot er ihm an.

Als er vor dem Haus eintraf, wartete Engleman bereits auf ihn. Er stieg ein und schnallte sich an. »Schöner Wagen«, sagte er.

»Es ist ein Mietwagen.«

»Hätte mich auch gewundert, wenn Sie mit Ihrem eigenen Auto bis hierher gefahren wären. Sie haben mir übrigens einen ganz schönen Schreck eingejagt. Als Sie gefragt haben, ob ich Lust auf einen kleinen Ausflug hätte. Sie wissen ja, woran man da in meiner Situation gleich denkt.«

»Eigentlich hätten wir Ihren Wagen nehmen sollen«, sagte Keller. »Ich dachte, ob Sie mir vielleicht die Gegend ein bisschen zeigen könnten.«

»Es gefällt Ihnen wohl hier, hm?«

»Ja, sehr«, sagte Keller. »Ich bin schon am Überlegen. Angenommen, ich bleibe einfach hier.«

»Würde er dann nicht jemand anders schicken?«

»Meinen Sie? Ich weiß nicht. Er hat sich ja auch nicht gerade die Beine ausgerissen, um Sie zu finden. Erst schon, klar, aber dann hat er es vergessen. Bis Sie zufällig irgend so ein Streber in San Francisco sieht, und klar, dann schickt er mich natürlich her, damit ich mich der Sache annehme. Aber wenn ich einfach nicht zurückkomme …«

»Dem Reiz von Roseburg erlegen.«

»Ich weiß nicht, Burt, so schlecht ist es hier doch wirklich nicht. Aber ich werde damit aufhören müssen.«

»Womit?«

»Sie Burt zu nennen. Sie heißen jetzt Ed, deshalb nenne ich Sie jetzt einfach Ed. Wie finden Sie das, Ed? Klingt das gut, Ed, altes Haus?«

»Und wie soll ich Sie nennen?«

»Einfach Al«, sagte Keller. »Was soll ich tun, hier links abbiegen?«

»Nein, fahren Sie noch ein paar Straßen weiter«, sagte Engleman. »Dort gibt es eine Nebenstraße, führt durch eine landschaftlich richtig schöne Gegend.«

Nach einer Weile fragte Keller: »Fehlt es Ihnen sehr, Ed?«

»Was? Für ihn zu arbeiten?«

»Nein. Das Großstadtleben.«

»New York? Ich habe sowieso nie richtig in der Stadt gelebt. Wir waren oben in Westchester.«

»Trotzdem, die ganze Region. Fehlt Ihnen das nicht?«

»Nein.«

»Ich wüsste gern, wie es mir damit ginge.« Darauf fuhren sie schweigend weiter, bis Keller etwa fünf Minuten später sagte: »Mein Vater war Soldat. Er ist gefallen, als ich noch ein Baby war. Deshalb habe ich den Hund Soldier genannt.«

Engleman sagte nichts.

»Allerdings glaube ich, meine Mutter hat mir was vorgemacht«, fuhr Keller fort. »Ich glaube nicht, dass sie verheiratet war, und ich habe den Verdacht, dass sie nicht wusste, wer mein Vater war. Aber das habe ich nicht gewusst, als ich den Hund Soldier genannt habe. Eigentlich ein blöder Name für einen Hund, wenn man sich’s genauer überlegt. Soldier. Es ist auch ziemlich blöd, einen Hund nach seinem Vater zu nennen.«

 
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Am Sonntag blieb er auf seinem Zimmer und schaute im Fernsehen Sport. Das mexikanische Lokal war geschlossen; er aß zu Mittag in einem Wendy’s und zu Abend in einem Pizza Hut. Montagmittag ging er wieder in den Mexikaner. Er hatte die Zeitung dabei und bestellte das Gleiche wie beim ersten Mal, Chicken Enchiladas.

Als ihm die Bedienung hinterher einen Kaffee brachte, fragte er sie: »Wann ist die Hochzeit?«

Sie sah ihn verständnislos an. »Die Hochzeit«, wiederholte er und deutete auf den Ring an ihrem Finger.

»Ach so«, sagte sie. »Ich bin nicht verlobt. Der Ring ist von meiner Mom, aus ihrer ersten Ehe. Sie hat ihn nie getragen, deshalb habe ich sie gefragt, ob ich ihn tragen könnte, und sie hatte nichts dagegen. Ursprünglich habe ich ihn an der anderen Hand getragen, aber hier passt er besser.«

Seltsamerweise ärgerte ihn das, gerade so, als hätte sie die Fantasie betrogen, die er um ihre Person gesponnen hatte. Er ließ das gleiche Trinkgeld wie immer auf dem Tisch und machte einen langen Spaziergang durch die Stadt, schaute in Schaufenster, ging eine Straße rauf, die nächste runter.

Er dachte, dann könntest doch du sie heiraten. Einen Verlobungsring hatte sie bereits, Ed konnte die Einladungen drucken, aber wen würde er einladen?

Und ihr könntet euch ein Haus mit einem eingezäunten Garten kaufen und einen Hund zulegen.

Lächerlich, dachte er. Vollkommen lächerlich.

 
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Als es Zeit zum Abendessen wurde, wusste er nicht, was er tun sollte. Er wollte nicht in das mexikanische Lokal gehen, hatte perverserweise aber auch keine Lust, woanders hinzugehen. Noch ein mexikanisches Essen, dachte er; am liebsten hätte er den Revolver wieder gehabt, um sich erschießen zu können.

Er rief Engleman zu Hause an. »Könnten wir uns in der Druckerei treffen. Es ist wichtig.«

»Wann?«

»So bald wie möglich.«

»Wir sitzen gerade beim Essen.«

»Dann lassen Sie sich auf keinen Fall beim Essen stören«, sagte Keller. »Wie spät ist es jetzt, halb acht? In Ordnung, wenn wir uns in einer Stunde treffen?«

Er wartete im Eingang des Fotografen, als Engleman in seinem Honda vorfuhr und vor der Druckerei parkte. »Ich wollte Sie nicht stören«, sagte er, »aber mir ist eine Idee gekommen. Könnten Sie aufschließen? Ich möchte Ihnen drinnen was zeigen.«

Engleman schloss die Tür auf, und sie gingen nach drinnen. Währenddessen erzählte ihm Keller, er wüsste jetzt eine Möglichkeit, wie er in Roseburg bleiben könnte, ohne sich wegen des Mannes in White Plains Sorgen machen zu müssen. »Dieses Ding da«, sagte er und deutete auf eins der Kopiergeräte. »Wie funktioniert es?«

»Wie es funktioniert?«

»Wofür ist dieser Knopf da?«

»Der hier?«

Engleman beugte sich vor, und Keller zog die Drahtschlinge aus seiner Tasche und schlang sie ihm um den Hals. Die Garrotte wirkte rasch, effektiv, lautlos. Keller vergewisserte sich, dass Englemans Leiche an einer Stelle war, wo man sie von draußen nicht sehen konnte, und wischte seine Fingerabdrücke von allen Oberflächen, die er berührt haben könnte. Er machte das Licht aus und schloss die Tür hinter sich.

Im Douglas Inn hatte er bereits ausgecheckt, und jetzt fuhr er direkt nach Portland. Der Tempomat des Ford war knapp unterhalb der erlaubten Höchstgeschwindigkeit eingestellt. Nach etwa einer halben Stunde machte er das Autoradio an und versuchte, einen erträglichen Sender zu finden. Als er keinen fand, der ihm gefiel, gab er auf und schaltete das Radio aus.

Irgendwo nördlich von Eugene sagte er laut: »Mein Gott, Ed, was hätte ich denn anderes machen sollen?«

Er fuhr durch Portland und nahm sich in einem ExecuLodge am Flughafen ein Zimmer. Am Morgen gab er den Leihwagen zurück und vertrieb sich mit einer Tasse Kaffee die Zeit, bis sein Flug aufgerufen wurde.

Nach der Landung am JFK rief er sofort in White Plains an. »Alles klar«, sagte er. »Ich komme morgen irgendwann vorbei. Erst mal möchte ich bloß noch nach Hause, ein bisschen schlafen.«

 
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Am nächsten Nachmittag fragte ihn Dot in White Plains, wie ihm Roseburg gefallen hatte.

»Gut«, sagte er. »Richtig nette kleine Stadt, nette Leute. Ich wollte dort bleiben.«

»Ach, Keller«, sagte sie. »Hast du dir etwa wieder Häuser angesehen?«

»Nicht wirklich.«

»Egal, wo du hinfährst«, sagte sie, »willst du dich dort immer gleich niederlassen.«

»Es war wirklich schön dort, Dot. Und im Vergleich zu hier ist das Leben dort unglaublich billig. In diesem Bundesstaat haben sie nicht mal eine Mehrwertsteuer, stell dir vor.«

»Ist die Mehrwertsteuer ein großes Problem für dich, Keller?«

»Dort könnte man ein anständiges Leben führen«, sagte er.

»Eine Woche vielleicht«, sagte sie. »Dann würdest du durchdrehen.«

»Glaubst du wirklich?«

»Jetzt hör aber mal. In Roseburg, Oregon? Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte er. »Länger als eine Woche würde ich es dort wahrscheinlich wirklich nicht aushalten.«

 
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Ein paar Tage später durchsuchte er seine Taschen, bevor er ein paar Sachen in die Reinigung brachte. Er fand den Stadtplan von Roseburg und studierte ihn. Er wusste noch genau, wo was war. Quik Print, das Douglas Inn, das Haus in der Cowslip Lane. Der Mexikaner, die anderen Lokale, in denen er gegessen hatte. Der Waffenladen, die Häuser, die er sich angesehen hatte.

Es schien alles so lang her zu sein, dachte er. So lang her und so weit weg.