Der Fall Barschel

Ermittlungszeitraum: Januar–Februar 1988

Es ist exakt 18.46 Uhr, als bei der Einsatzleitstelle der Polizei ein Anruf eingeht.

»Guten Abend. Mein Name ist Hermann Wollschläger. Ich bin gerade mit meiner Frau in der Wohnung meiner Schwiegermutter. Sie hat sich heute nicht bei uns gemeldet, obwohl es so ausgemacht war. Wir haben dann mehrfach bei ihr angerufen, sie hat aber nicht darauf reagiert. Deshalb sind wir zu ihr gefahren, um nach dem Rechten zu sehen.«

»Ist Ihre Schwiegermutter in der Wohnung?«

»Wahrscheinlich. Das kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen. Auf dem Küchentisch haben wir einen Abschiedsbrief und den Hausschlüssel gefunden. Die Tür zum Badezimmer ist von innen versperrt. Zwischen dem Rahmen der Tür lehnt ein Besenstiel, das konnte ich durch das Schlüsselloch erkennen, und aus dem Bad ist das Rauschen von Wasser zu hören. Was soll ich denn jetzt machen?«

Der Anrufer scheint mit der Situation überfordert zu sein.

»Versuchen Sie die Badezimmertür zu öffnen, zur Not mit Gewalt. Ich schicke den Notarzt und einen Streifenwagen.«

Nachdem sich der Polizist die Adresse der Wohnung und die Personalien des Anrufers notiert hat, wird das Gespräch beendet.

Hermann Wollschläger bespricht sich kurz mit seiner Frau und öffnet die Tür zum Badezimmer mit einem verstellbaren Schraubenschlüssel. Dem 43-Jährigen schlagen dicke Dampfschwaden entgegen, dann sieht er die Schwiegermutter in der Badewanne liegen, leblos. Heißes Wasser läuft in die Wanne, in der ein Föhn liegt, dessen Schnur durch ein Verlängerungskabel mit der Steckdose an der Wand verbunden ist. Im Bad steht unter dem geschlossenen Fenster eine brennende Grabkerze. Hermann Wollschläger kümmert sich um die Schwiegermutter und überprüft die Lebenszeichen – die Frau atmet!

»Ernestine, deine Mutter lebt noch! Geh raus und warte auf die Polizei, sag denen, dass Gerda noch am Leben ist und sie sich beeilen sollen.« Daraufhin geht Hermann Wollschläger zurück ins Bad, zieht den Stecker des Föhns, nimmt das Gerät aus dem Wasser und legt es neben die Wanne auf den Boden.

Wenige Minuten später kommt der Notarzt. Die bewusstlose Frau wird geborgen und versorgt. Doch kurz darauf stirbt Gerda Golombek, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Die Kripo nimmt die üblichen Ermittlungen auf. Sie sichert Spuren und beweisrelevante Gegenstände, befragt alle am Tatort Anwesenden, führt eine Leichenbesichtigung durch, rekonstruiert später die Auffindesituation, nimmt mit dem Arzt der Verstorbenen Kontakt auf und befragt die übrigen Hausbewohner. Demnach ist die Wohnung mit einem Zweitschlüssel geöffnet worden, der Hausschlüssel hat auf dem Küchentisch gelegen. Dort ist auch ein nicht datierter Abschiedsbrief gefunden worden, den Gerda Golombek augenscheinlich selbst geschrieben hat. Ein Physiker des Landeskriminalamts ist bei seinen Untersuchungen im Badezimmer zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zustand der Erdungsverhältnisse für einen Stromschlag geeignet gewesen ist. Die Wohnung der Rentnerin hat auf die Kripobeamten einen ordentlichen und aufgeräumten Eindruck gemacht. Sie haben auch keine Spuren eines Einbruchs feststellen können – Schränke, Kommoden und andere Behältnisse sind offenbar nicht durchwühlt worden, alle Wertgegenstände sind vorhanden gewesen, in der Küchenschublade hat man 1200 Mark Scheingeld gefunden.

Auf dem Telefon im Wohnzimmer hat ein Kissen gelegen. Die 77-Jährige wollte anscheinend nicht durch ein mögliches Klingeln gestört werden. Der Besenstiel zwischen dem Rahmen der Badezimmertür sollte wahrscheinlich als Warnung dienen, falls sich jemand hätte Zutritt verschaffen wollen. Der Hausarzt hat berichtet, dass Gerda Golombek an einer endogenen Depression gelitten habe, die auf veränderte Stoffwechselvorgänge im Gehirn zurückzuführen sei. Diese Erkrankung sei medikamentös mit »Saroten« behandelt worden, um die von der Patientin berichteten Gefühle von Traurigkeit, Wertlosigkeit und Schuld zu mildern. Das in der Wohnung gefundene »Saroten«-Röhrchen ist leer gewesen – eigentlich hätten noch 47 Tabletten vorhanden sein müssen, wäre das Medikament verordnungsgemäß eingenommen worden.

Aufgrund dieser Erkenntnisse und Befunde besteht für die Kripo kein vernünftiger Zweifel daran, dass Gerda Golombek Selbstmord verübt hat. Bei der Obduktion hat man zwar keine verifizierbare Todesursache feststellen können, doch aufgrund der Vorgeschichte hält der Gutachter ein Herzversagen durch Stromdurchfluss und Tablettenintoxikation für wahrscheinlich – es ist im Übrigen ein typisches Verhalten für Suizidenten, mehrere Methoden gleichzeitig oder in rascher Folge anzuwenden, um den eigenen Tod sicher herbeizuführen. Da auch keine Hinweise auf Fremdeinwirkung vorliegen, wird der Leichenfundort wieder freigegeben.

Neun Tage nach dem Tod der Rentnerin erreicht das Fachkommissariat für Todesermittlungen jedoch eine Hiobsbotschaft, als das chemisch-toxikologische Gutachten vorliegt. Im Blut der Leiche ist Chloroform nachgewiesen worden, eine farblose und flüchtige Flüssigkeit, deren Dämpfe zu Bewusstlosigkeit und eine Überdosis zum Tod führen. Weiter wird im Gutachten ausgeführt, dass die Aufnahme des Chloroforms oder dessen Beibringung unmittelbar vor den notärztlichen Maßnahmen passiert sein dürfte. Die hohe Konzentration im Blut spreche eher gegen eine Selbsttötung durch Einatmen. Hingegen könne eine orale Aufnahme aufgrund der vergleichsweise geringen Konzentration im Magen ausgeschlossen werden. Aus Sicht des Rechtsmediziners muss Gerda Golombek das Chloroform injiziert worden sein.

Der Sachverständige schließt seine Ergebnisse mit einer Feststellung, die den angeblichen Selbstmordfall in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt: »Insgesamt ist aus forensisch-toxikologischer Sicht bei derzeitigem Kenntnisstand der gesamte Handlungsablauf ohne Mitwirkung einer weiteren Person nur sehr schwer vorstellbar. Zumindest muss eine weitere Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem Tod von Gerda Golombek Spuren beseitigt haben. Insbesondere fehlt jeder Hinweis auf einen geeigneten Träger wie etwa einen Wattebausch, den die Frau hätte benutzen müssen, wenn sie sich das Chloroform in typischer Weise als Inhalation in der Badewanne selbst beigebracht hätte.«

Der Fall muss demnach neu aufgerollt werden. Besonders verdächtig erscheint natürlich der Schwiegersohn, der Gerda Golombek gefunden hat und mit ihr einige Zeit allein gewesen ist. Wenn Hermann Wollschläger seiner Schwiegermutter das Chloroform nicht direkt verabreicht haben sollte, dann müsste er eine Spritze oder Ähnliches vor dem Eintreffen von Rettungskräften und Polizei beiseitegeschafft haben. Der Mann wird diesbezüglich vernommen und bestreitet die Vorhaltungen heftig – er habe seiner Schwiegermutter sicher kein Leid angetan und auch nichts aus der Wohnung entfernt, zudem kenne er sich mit Chloroform überhaupt nicht aus.

Die Ermittlungen werden dadurch erschwert, dass die Tatortwohnung, insbesondere aber das Badezimmer, mittlerweile gereinigt worden ist. Dennoch werden alle Räume, die der Rentnerin zugänglich waren, akribisch nach einem Gegenstand abgesucht, der geeignet erscheint, Chloroform aufzunehmen, zu transportieren oder zu verabreichen. Doch die Beamten finden nichts.

Nach zwei Tagen wird eine Zwischenbilanz gezogen, die nun Ermittlungen »gegen unbekannt wegen des Verdachts eines Tötungsdeliktes« notwendig macht. Denn: Das Chloroform muss kurz vor Eintreffen des Notarztes in den Körper des Opfers gelangt sein, indes ist kein Chloroformträger oder -behälter gefunden worden. Mehrere Zeugen haben ausgesagt, dass Gerda Golombek nicht gewusst habe, wie mit Chloroform umzugehen ist, und sie mit dieser Substanz auch beruflich nicht in Berührung gekommen sei. Und schließlich finden die Ermittler heraus, dass Hermann Wollschläger an einer Klinik arbeitet und das Verhältnis zu seiner Schwiegermutter sehr angespannt gewesen sein soll.

So gerät der Schwiegersohn des Opfers ins Visier der Mordkommission. An Chloroform zu gelangen, hätte ihm als Krankenpfleger keine Schwierigkeiten bereitet. Möglicherweise hat der Mann die hilflose Lage, in der sich Gerda Golombek befand, kaltblütig ausgenutzt, um die Probleme mit der Schwiegermutter endgültig aus der Welt zu schaffen: Hermann Wollschläger findet die ältere Dame also im Badezimmer – die Umstände lassen einen Selbstmord vermuten –, Gerda Golombek lebt aber noch, worauf er die günstige Gelegenheit nutzt und dem Opfer das Chloroform injiziert oder sonst dafür sorgt, dass die Substanz so lange eingeatmet wird, bis der Tod eintritt. Eine durchaus plausible Tatversion, wenn der Verdächtige sich nicht auch darum bemüht hätte, den Notarzt und die Polizei zur Eile aufzurufen, nachdem er die Schwiegermutter gefunden hat. Dieses Verhalten passt nicht unbedingt zu einem kaltblütigen Täter, der beabsichtigt, die ältere Dame in den nächsten Minuten zu töten. Es hätte dem Mann vielmehr darauf ankommen müssen, sich noch mehr Zeit zu verschaffen, um die Tat auch erfolgreich durchzuführen.

Vernehmungen der aktuellen und ehemaligen Bewohner des Hauses ergeben, dass Gerda Golombek nach dem Tod ihres Mannes allein und sehr zurückgezogen lebte. Nur zu zwei Frauen hatte sie engeren Kontakt, ging mit ihnen spazieren oder unternahm Ausflüge in die nähere Umgebung. Gerda Golombek habe insgesamt einen deprimierten Eindruck gemacht, wird berichtet, allerdings sei von Selbstmord niemals die Rede gewesen. Zu ihrer einzigen Tochter hatte sie ein vertrauensvolles, jedoch nicht immer unbelastetes Verhältnis. Häufig stritt man sich über den Schwiegersohn, mit dem Gerda Golombek einfach kein Auskommen fand. Überhaupt konnte die Frau sehr direkt und plump werden, wenn ihr etwas nicht gefiel. Von der Tochter erfährt die Kripo noch, dass ihre Mutter sich in letzter Zeit sehr für den Fall Barschel interessiert habe. Der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident ist ein paar Monate zuvor tot in einer Badewanne gefunden worden und soll – so sehen es die Ermittlungsbehörden – Selbstmord begangen haben.

»In den beiden Tagen vor ihrem Tod hat mich meine Mutter besucht und dabei sehr niedergeschlagen gewirkt«, erzählt Ernestine Wollschläger der Kripo. »Nachts ist sie im Haus herumgegeistert und einfach nicht zur Ruhe gekommen. Tagsüber hat sie dann kaum ein Wort herausgebracht. Ihr war deutlich anzumerken, dass sie wieder unter starken Depressionen litt – wirklich ein Bild des Jammers.« Die Ermittler überlegen in diesem Zusammenhang, ob Gerda Golombek, sollte sie nicht getötet worden sein, vielleicht im Haus der Tochter in den Besitz von Chloroform gelangt sein könnte. Diesbezügliche Nachfragen weisen Ernestine und Hermann Wollschläger jedoch zurück. Mittlerweile hat ihnen ein Rechtsanwalt geraten, der Mordkommission besser nichts mehr zu sagen.

Nach wie vor beschäftigt die Ermittler die Frage, ob sie am Tatort etwas übersehen haben; irgendetwas, das Aufschluss darüber geben könnte, wie das Narkosemittel in den Körper der Frau gelangt ist. Wieder und wieder holt man die Tatortfotos hervor und betrachtet sie mit der Lupe. Und irgendwann fällt einem Beamten auf, dass die Innenfläche der rechten Hand der Toten bläulich verfärbt ist. Nur sind bei der Leichenbesichtigung und auch bei der Obduktion keine entsprechenden Beobachtungen gemacht worden. Hat man da etwas übersehen? Handelt es sich bei der Blaufärbung auf den Bildern lediglich um Farbeffekte? Oder hat es im Badezimmer einen bläulichen Gegenstand gegeben, der auf die rechte Hand der Toten abgefärbt hat? Und warum ist die Innenfläche von Gerda Golombeks linker Hand nicht auch bläulich verfärbt gewesen?

Bei nochmaliger Durchsicht der Tatortaufnahmen ist auf mehreren Fotos eine blaue Badehaube zu erkennen, abgelegt in Kopfhöhe am Rand der Wanne. Im Bericht über den Tatortbefund wird diese Kopfbedeckung auch erwähnt, nur ist sie nicht aufbewahrt worden, da man seinerzeit keinen Tatzusammenhang gesehen hat. Nichtsdestotrotz wird wenig später die Badewanne abermals in Augenschein genommen. Und dabei stoßen die Ermittler in den Bereichen, in denen der Oberkörper der Frau gelegen hat, auf eine Reihe von blauen Anhaftungen, die bei der ersten Besichtigung nicht als tatrelevant erkannt worden sind. Diese Antragungen werden jetzt gesichert und Chemikern des Landeskriminalamts übergeben. Die Experten sollen feststellen, ob Chloroformrückstände nachweisbar sind. Bei den Untersuchungen kommt schließlich heraus, dass es sich bei den Anhaftungen um Material eines blauen Produktes aus Kautschuk handelt. Chloroform kann jedoch nicht nachgewiesen werden.

Die Mordkommission verständigt sich nach einer längeren Diskussion auf folgenden Tathergang: Gerda Golombek schüttet Chloroform in die Bademütze, atmet es ein und legt die Kappe an den Rand der Wanne, bevor sie bewusstlos wird. Nur muss diese Hypothese wieder verworfen werden, da ein solcher Ereignisablauf nur dann möglich gewesen wäre, wenn Gerda Golombek sich mit dem Narkosemittel ausgekannt hätte. Und genau hierfür gibt es keinen Hinweis, was Zeugenaussagen bestätigen. Auch die frühere Arbeit der Toten als Küchenhilfe sollte einen Kontakt mit Chloroform ausschließen.

Als die Ermittler eher routinemäßig nochmals mit dem Personalbüro der Firma Kontakt aufnehmen, in der Gerda Golombek letztmals vor 15 Jahren gearbeitet hat, erleben sie allerdings eine große Überraschung. Dort wird nämlich mitgeteilt, dass die Frau nicht nur als Küchenhilfe, sondern vor ihrem Ausscheiden auch ein Jahr lang als Laborhilfskraft eingesetzt wurde und in dieser Funktion täglich Umgang mit Chloroform hatte. Also ist Gerda Golombek doch nicht so unbedarft gewesen.

Aus dieser Erkenntnis ergibt sich eine neue Fragestellung: Falls Gerda Golombek seinerzeit Chloroform mit nach Hause genommen haben sollte, hätte sie das Mittel über einen so langen Zeitraum überhaupt aufbewahren können? Die konsultierten Fachleute sind sich uneins, doch gehen sie mehrheitlich davon aus, dass sich Chloroform auch nach anderthalb Jahrzehnten nicht verflüchtigt haben muss, sofern es fachgerecht aufbewahrt wird und verschlossen bleibt.

Außerdem hätte Gerda Golombek noch eine weitere Gelegenheit gehabt, sich das Narkosemittel zu verschaffen, finden die Ermittler heraus. Vor fünf Jahren hielt sie sich für zwei Wochen in einer Klinik auf, und nur einige Meter von ihrem Krankenzimmer entfernt lag das Labor, in dem auch Chloroform vorrätig war. Allerdings wird mitgeteilt, dass es zu dieser Zeit keine Fehlbestände gegeben haben soll. Eine erneute Sackgasse.

Auch wenn sich die Herkunft des Chloroforms nicht zweifelsfrei klären lässt, verdichten sich nach Auffassung der Ermittler die Anzeichen für einen Freitod der alten Dame. Der Verdacht gegen Hermann Wollschläger lässt sich nicht länger aufrechterhalten, zumal der Gerichtsmediziner inzwischen den Hinweis gegeben hat, dass beim direkten Einwirken von Chloroform am Gesicht der Frau Austrocknungserscheinungen hätten festgestellt werden müssen, wie sie beim Aufdrücken oder Auflegen eines mit dem Narkosemittel getränkten Materials durch fremde Hand entstehen. Dies ist jedoch nachweislich nicht der Fall gewesen.

Nach langwierigen und wendungsreichen Ermittlungen halten die Experten der Kripo und der Rechtsmedizin schließlich folgenden Handlungsablauf für wahrscheinlich: Gerda Golombek beendet ihren Besuch bei der Tochter abrupt, kehrt in ihre Wohnung zurück und schreibt den Abschiedsbrief. Nachmittags dämpft sie mit einem Kissen das Klingeln des Telefons, schluckt mindestens 20 Tabletten »Saroten« – was sie sich vom Fall Barschel abgeguckt hat –, sperrt sich im Badezimmer ein und stellt den Besenstiel in den Türrahmen. Die Frau legt sich in die Wanne, die sich langsam mit heißem Wasser füllt, um – ebenfalls wie im Fall Barschel – auf den Tod zu warten. Zuvor nimmt sie noch einige Handtücher, um sich damit an den Füßen abzustützen und nicht zu ertrinken. Da die Handtücher ihren Zweck nicht erfüllen, legt sie sie in den Schrank zurück und verwendet stattdessen ihren Bademantel.

Die Tabletten beginnen nach einiger Zeit zu wirken, doch die lediglich »mittelgradige Intoxikation« führt nicht zum Tod. Deshalb holt Gerda Golombek ein Verlängerungskabel, stöpselt es an der Steckdose in Türnähe ein und legt die Kupplung am Wannenrand ab. Danach greift sie zum Föhn, um sich durch einen Stromschlag zu töten. Erst einmal nimmt sie jedoch das Chloroform, gießt es in die Badehaube und inhaliert kräftig. Als sie benommen wird, legt sie die Haube in Kopfhöhe auf dem Wannenrand ab. Dann lässt sie den eingeschalteten Föhn ins Wasser fallen, bekommt aber zunächst keinen Stromschlag (wie das rechtsmedizinische Gutachten ergeben hat). Erst als sie das Wasser abdrehen will, kommt es zum Stromdurchfluss, der die Frau bewusstlos werden lässt, jedoch nicht tötet. Aus der neben dem Kopf liegenden Badekappe fließt Chloroform ins Wasser, und geringe Mengen des Narkosemittels verdampfen sowohl aus der Mütze als auch aus der Wanne. Das ausdampfende Chloroform bildet einen sogenannten Teppich über der Wasseroberfläche. Im bewusstlosen Zustand bzw. bei nur noch eingeschränkter Bewegungs- und Reaktionsfähigkeit atmet Gerda Golombek die narkotisierenden Dämpfe ein, wobei der Kopf in unmittelbarer Nähe der Haube liegt.

Die Selbsttötung dürfte in dieser Form gar nicht beabsichtigt gewesen sein, das Chloroform sollte wohl lediglich betäubende Wirkung entfalten, um den vermuteten Schmerz des Stromschlags nicht spüren zu müssen bzw. erträglich zu machen. Auch wenn dieser Handlungsablauf durch eine Vielzahl von Indizien gestützt wird, bleibt doch eine gewisse Unsicherheit – denn der Behälter, in dem sich das Chloroform befunden haben muss, bevor es in die Badehaube geschüttet wurde, ist niemals gefunden worden.