Ermittlungszeitraum: August 1965
Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde wählt die Nummer der Polizei. Er berichtet, dass ein älterer Mann überfallen und verletzt worden sei – allerdings liege der Vorfall bereits einige Stunden zurück. Zehn Minuten später klingeln zwei Kriminalbeamte bei Familie Dressel. Die Frau des Überfallenen öffnet und bittet die Beamten herein. Günther Dressel, das Opfer, liegt im Bett und klagt über Bauchschmerzen.
Kurz darauf erzählt der 64-jährige Rentner den Kommissaren, was passiert ist: »Ich fuhr heute Morgen gegen 7.30 Uhr mit meinem Fahrrad auf mein Obstgrundstück, um nach den Äpfeln zu sehen. Als ich dort angekommen war, kam ein fremder Mann auf mich zu. Er sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte. In der linken Hand hielt er eine noch nicht angezündete Zigarette, in der rechten so einen merkwürdigen Apparat, wahrscheinlich ein Feuerzeug. Er stand höchstens einen Meter von mir entfernt. Ich sah noch, dass aus dem Apparat Dunst auf mich zukam. Dann muss ich ohnmächtig geworden sein.
Als ich nach etwa 15 Minuten wieder zu mir kam, waren meine Hose und Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen. Im Bauch und Po hatte ich erhebliche Schmerzen. Außerdem war mein After blutverschmiert. Ich nehme an, dass sich der Mann unsittlich an mir vergangen hat. Ich meine auch, dass er mir etwas in den Po gesteckt hat, weil ich jetzt noch große Schmerzen verspüre.
Der Mann war zirka 1,65 Meter groß, etwa 30 bis 40 Jahre alt und hatte dunkelblondes zurückgekämmtes Haar. Bekleidet war er mit einer dunklen Jacke und dunklen Hose. In unserem Ort oder in der näheren Umgebung habe ich diesen Mann noch nicht gesehen.« Auf Nachfrage erklärt das Opfer noch, unterdessen von einem ehemaligen Amtsarzt untersucht worden zu sein. Jedoch habe sich dieser ihm gegenüber nicht zum Befund geäußert.
Dies tut er aber, als die Kripo sich an ihn wendet. Die Ermittler erfahren, dass die Untersuchung des Afters keinen Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch ergeben habe, auch sei der Po nicht blutverschmiert gewesen. Überhaupt sei zweifelhaft, ob Günther Dressel die Wahrheit gesagt habe. Wenn es sich nicht um einen Hirnschaden handele, könnten die Schmerzen möglicherweise von Darmkrämpfen herrühren. Deshalb habe der Arzt heiße Umschläge empfohlen und ein Zäpfchen verordnet.
Als Günther Dressel auch noch Stunden später von heftigen Unterleibsschmerzen geplagt wird, verständigt man einen weiteren Arzt. Der kommt nach seiner Untersuchung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass dem Mann mit Sicherheit kein Gegenstand in den After gesteckt worden sei. Obwohl auch dieser Mediziner die Angaben des Mannes bezweifelt, wird rein vorsorglich eine Überweisung ins städtische Krankenhaus veranlasst, wo der Patient weiter beobachtet werden soll. Günther Dressel wirkt erleichtert, als ihm dies mitgeteilt wird.
Nach mehreren Untersuchungen und einer Operation lautet der erste Befund der behandelnden Ärzte überraschenderweise so: »Bauchdecke weich, kein Meteorismus, normale Peristaltik. Zwischen dem rechten Rippenbogen und dem Nabel war ein umschriebener Tumor zu tasten, der sich bei der Röntgenuntersuchung des Bauchraumes als schattengebender Fremdkörper identifizierte. Dieser Fremdkörper wurde operativ entfernt; hierbei zeigte sich, dass es sich um ein 28 Zentimeter langes und 2,5 Zentimeter dickes Aluminiumrohr handelte.« Wegen der starken Verletzungen musste bei dem Patienten ein künstlicher Nebenausgang angelegt werden.
Demnach haben sich die erstbehandelnden Ärzte getäuscht, und Günther Dressel wurde scheinbar tatsächlich missbraucht. Um eine weitere Expertenmeinung zu bekommen, werden die Krankenhausärzte um Stellungnahme ersucht. Sie sollen die Glaubwürdigkeit des Patienten beurteilen. Noch am selben Tag erhalten die Ermittler Antwort. »Es handelt sich bei dem Patienten um einen besonnenen und glaubwürdigen Menschen«, heißt es in dem Schreiben. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann gesagt werden, dass das bezeichnete Rohr nicht vom Patienten selbst, sondern fremdtätig eingeführt worden ist.«
Bei ihren routinemäßigen Recherchen stoßen die Fahnder auf einen ähnlich gelagerten Fall, der sich anderthalb Monate zuvor ereignet hat: Im Werk eines Autoherstellers ging ein Techniker nach Schichtende in den Waschraum, um sich wie üblich zu duschen. Zu dieser Zeit hielten sich in einer Nebenkabine zwei Ausländer auf, vermutlich Marokkaner. Als das Opfer nach dem Duschen in den Umkleideraum ging, wurde ihm von hinten ein mit Äther getränkter Wattebausch ins Gesicht gedrückt. Der Mann verlor das Bewusstsein. Als er nach etwa 20 Minuten wieder aufwachte, ging er zurück zur Dusche und spülte sich das Blut vom Po ab. Der Mann ging fest davon aus, dass ihn die Ausländer sexuell missbraucht hatten. Erst am nächsten Tag ließ sich das Opfer im Krankenhaus untersuchen, woraufhin ein Fremdkörper im After entdeckt wurde. Es handelte sich dabei um seine eigene Salbendose von 22 Zentimetern Länge und 5 Zentimetern Durchmesser, die rektal entfernt werden musste.
Um weitere Ermittlungsansätze zu bekommen, wird Günther Dressel erneut vernommen. Der Rentner schildert den Tathergang im Großen und Ganzen so wie bei der ersten Begegnung mit der Kripo. Den »Apparat«, der das Betäubungsmittel versprüht hat, beschreibt der Mann jetzt als eine Art Wasserpistole. Auf die Nationalität des Täters angesprochen, äußert Günther Dressel den Verdacht, es könne sich durchaus um einen Ausländer gehandelt haben. Außerdem fällt dem Opfer noch ein, dass ein hell glänzender und etwa 25 Zentimeter langer Gegenstand aus der Tasche des Täters herausgeragt habe.
Die Ermittler bezweifeln insbesondere die Wirkungsweise des Mittels, das zur sofortigen Betäubung des Opfers geführt haben soll. Einerseits. Andererseits hat man in Günther Dressels Darm ein Aluminiumrohr gefunden, das er sich den Ärzten zufolge nicht selbst eingeführt haben kann. Die Ermittlungen werden auch unter Beteiligung von Interpol geführt, allerdings konzentriert sich die Kripo bei ihren Nachforschungen zunächst auf die Klärung der Herkunft des Betäubungsmittels und des Aluminiumrohrs. In einem Fachgespräch mit dem Leiter der Gerichtsmedizin und seinen Mitarbeitern erfahren die Kripobeamten, dass die herkömmlichen Narkotika als Tatmittel ausscheiden, weil sie nicht in der vom Opfer geschilderten Weise wirksam würden. Ein derartiger Fall, erklären die Experten abschließend, sei ihnen bisher weder in der Praxis noch in der Literatur begegnet.
Als sich die Ermittlungen festgefahren haben, wird das Bild des Aluminiumrohres veröffentlicht. Zeitgleich wird das Beweisstück im Schaufenster eines Fotogeschäftes im Zentrum der Gemeinde ausgestellt. Zwei Tage später meldet sich daraufhin Joachim Dressel, der jüngere Sohn des Opfers.
Der Mann behauptet in der noch am selben Tag durchgeführten Vernehmung, das im Schaufenster liegende Aluminiumrohr stamme aus dem Haushalt seiner Eltern. Es sei Teil einer Spielzeugkanone gewesen, die sein Vater und sein älterer Bruder vor vielen Jahren für ihn gebastelt hätten. Der Zeuge erklärt außerdem, dass er mit seinem Vater im Krankenhaus über die Sache mit dem Rohr bereits vor der Presseveröffentlichung gesprochen habe. Sein Vater habe ihm darauf gesagt, dass er das Aluminiumrohr zusammen mit anderen Altmetallen ein halbes Jahr zuvor an einen Schrotthändler verkauft habe.
Die Eltern des Zeugen bestätigen die Aussage. Damit ist die Herkunft des Aluminiumrohres geklärt. Ebenfalls sei es zutreffend, erklärt Günther Dressel den Beamten, dass er das Rohr an einen Schrotthändler verkauft habe, den er auch beim Namen nennen kann. Der Schrotthändler behauptet jedoch, als er anderthalb Stunden später befragt wird, das Aluminiumrohr sei ganz sicher nicht unter dem abgegebenen Altmaterial gewesen. Denn Buntmetall, zu dem auch die Alu-Röhre gehöre, hätte er sofort ausgesondert, weil dafür ein wesentlich höherer Preis erzielt werde.
Der Fahrer der Schrottfirma bestätigt die Angaben seines Vorgesetzten. Falls sich die beiden aber doch geirrt haben sollten, wäre das Aluminiumrohr zum Großhändler auf den Schrottplatz gekommen, schlussfolgern die Ermittler. Dort müsste der Täter das Rohr gefunden und ausgerechnet dem Vorbesitzer in den Hintern gesteckt haben. Komisch! Die Kripo hält einen solchen Zufall für undenkbar und vermutet nun, dass Günther Dressel selbst Hand angelegt haben könnte, wahrscheinlich um sich sexuell zu befriedigen. Und dabei sind ihm die Dinge irgendwie außer Kontrolle geraten. Möglicherweise ist er beim Hantieren mit dem Rohr in einer Hockstellung ausgerutscht oder hingefallen, sodass der Fremdkörper in voller Länge in den Mastdarm eindringen konnte. Jedenfalls dürfte es ein folgenreicher Unfall gewesen sein und kein Überfall.
Die wesentlichen Punkte dieser Überlegungen und das Ergebnis der Nachforschungen werden Günther Dressel am Krankenbett mitgeteilt. Ferner wird ihm gesagt, er müsse sich nun wegen des Verdachts verantworten, den Überfall vorgetäuscht und die Polizei in die Irre geführt zu haben. Der Mann beteuert abermals seine Unschuld und versucht vom Thema abzulenken. Er weist darauf hin, niemals außerehelichen Sex gehabt zu haben – außerdem sei er seit zehn Jahren impotent. Er habe sich nichts vorzuwerfen, die Beschuldigung sei absurd. Dabei bleibt er.
Seine Frau bestätigt der Kripo in einem anschließenden Gespräch die Impotenz ihres Mannes. Nur berichtet sie darüber hinaus, dass man auch im Familienkreis ein Selbstverschulden in Betracht gezogen habe, nachdem bekannt geworden sei, dass es sich bei dem Aluminiumrohr um ein Teil der eigenen Spielzeugkanone handele. Ihr Mann sei mit dieser Vermutung auch konfrontiert worden, habe minutenlang geweint und die Anwesenden schließlich für geisteskrank erklärt. Als die Ermittler zwei Tage später Günther Dressel nochmals zu wahrheitsgemäßen Angaben ermuntern wollen, kommen sie zu spät: Der Mann ist anderthalb Stunden zuvor bei einer erforderlich gewordenen Nachoperation gestorben.