Ausgesprochen verärgert reiste George Belts am nächsten Morgen ab. Niemand im ganzen Haus wurde im Zweifel über seine schlechte Laune gelassen, denn er verkündete sie dröhnend, noch beim Einsteigen in den Wagen.
»Sie machen da einen großen Fehler, Mandeville. Das werden Sie bald feststellen. Und dann stehen Sie mit dem Hut in der Hand vor meiner Tür. Aber bei Gott, das nächste Mal mache ich Ihnen kein so großzügiges Angebot.«
Jane hatte also gewonnen, was die Fabrik betraf. Lächelnd zog sich Megan von ihrem Fensterplatz zurück, von dem aus sie Belts’ Niederlage beobachtet hatte.
Der nächste Schritt lag nun bei ihr. Sie mußte erreichen, die Abende mit den Gästen im Salon zu verbringen, um Lady Georgina und Edmund zu beobachten.
Am Nachmittag gelang es ihr, Edmund auf dem Flur abzupassen. »Wenn Ihnen heute Abend nach musikalischer Unterhaltung zumute ist, Mr. Mandeville, so stehe ich gerne zur Verfügung.«
Sie brachte ihr Angebot mit soviel bezaubernder Bescheidenheit vor, daß Edmund dankbar lächelnd annahm. Sie bedankte sich im stillen bei Lord Henry. Die Enkelin von Lord Connacht war in einer Gesellschaft willkommen, zu der Miß O’Neill, die Gouvernante, kaum Zutritt gefunden hätte.
Lady Georginas Arroganz, auch diesmal grußlos durch sie hindurchzusehen, brachte sie keineswegs aus der Fassung. Doch das warme Lächeln und die ausgestreckte Hand, mit der Jane die Unhöflichkeit ihres Gastes wettmachen wollte, trieb Megan die Schamröte ins Gesicht; sie mußte an ihren Lauscherposten der gestrigen Nacht denken. Jane legte ihr Erröten als Verlegenheit aus und verdoppelte ihre Bemühungen um sie.
Unter den Herren, die gleich darauf den Salon betraten, befand sich Mr. Trumbull, der Anwalt der Familie. Edmund hatte keine Zeit verloren, seine Pläne voranzutreiben. Nicht den Verkauf der Fabrik – sonst wäre Belts nicht so wütend abgereist. Er mußte über die Umfriedung der Ländereien mit dem Anwalt gesprochen haben.
Megan hatte keine klare Vorstellung, was das bedeutete. Es hatte etwas mit dem freien, der Allgemeinheit zugänglichen Land zu tun, Felder und Wiesen, die seit Jahrhunderten ohne gesetzlichen Titel genutzt wurden. Durch Parlamentsbeschlüsse wurde das Land neu verteilt und in manchen Fällen denjenigen eine Ausgleichssumme bezahlt, die dadurch ihr Recht am Bestellen der Felder verloren. Für manche bedeutete das höhere Erträge; für andere, die davon lebten, ein paar Stück Vieh weiden zu lassen oder etwas Gemüse auf einem Teil des allgemein zugänglichen Landes anzubauen, bedeutete es bittere Not.
Megan schloß aus Edmunds heiterem Benehmen, daß Mr. Trumbull keine Einwände dagegen hatte. Jane konnte ihren Unmut nur schwer hinter einem maskenhaften Lächeln verbergen. Später beobachtete Megan eine Unterhaltung zwischen Jane und dem Anwalt, konnte jedoch nicht hören, worüber sie sprachen. Mr. Trumbull schien Jane von etwas überzeugen zu wollen, doch Jane schüttelte beständig den Kopf.
Megan wandte ihre Aufmerksamkeit Lady Georgina zu. Im Verlauf des Abends gelang es ihr, die Lady mehrmals zu ungeschickten, heftigen Äußerungen zu verleiten – zugegeben keine schwierige Aufgabe –, auf die Megan mit ausgesuchter Höflichkeit antwortete. Sie achtete sehr wohl darauf, daß Edmund nicht nur Lady Georginas Unverschämtheiten, sondern auch ihre bescheidenen Antworten zu hören bekam, und beobachtete beglückt, wie er zuweilen leicht die Stirn runzelte. Sie hatte das Paar eingehend beobachtet und festgestellt, daß Edmund nicht in sie verliebt war. Sie kannte die Symptome dieser Krankheit nur zu genau, um sich zu irren.
Tachin hatte sich in den Salon eingeschlichen und sorgte für einen kleinen Zwischenfall. Eine Weile hatte sie sich unter dem Sofa gelangweilt, bevor sie beschloß, sich zu zeigen. Edmund mochte Tiere nicht im Haus, für Tachin hatte er ohnehin nicht viel übrig, da sie ihm die Zuneigung verweigerte, die ihm von allen Seiten entgegenströmte. An diesem Abend ignorierte sie ihn wie üblich und ging schnurstracks auf Mr. Trumbull zu, sprang auf seine knochigen Knie und fing zu schnurren an, als er sie unter ihrem pelzigen Kinn kraulte. Edmunds Vorschlag, das lästige Tier hinauszubefördern, wurde ihm lächelnd verwehrt.
»Tachin und ich sind alte Freunde, Edmund. Ich bin ein großer Katzen Verehrer.«
»Gräßliche, falsche Biester«, sagte Lady Georgina laut. »Ich kann sie nicht ausstehen.«
Tachin schien den Kommentar zu überhören, wartete mit listiger Berechnung ihre Rache ab, die Lady Georginas Urteil über ihre Rasse bestätigte. Irgendwann sprang sie von Trumbulls Schoß und verschwand für lange Zeit, bis jeder ihre Anwesenheit vergessen hatte. Ihre Wiederkehr geschah so überraschend wie ein Zaubertrick; plötzlich war sie da, festgekrallt an Lady Georginas Satinröcken, mit peitschendem Schwanz und ausgefahrenen Krallen.
Lady Georgina stieß einen schrillen Fluch aus, Edmund eilte zu Hilfe. Janes Gesicht verzog sich zu einer schauderhaften Grimasse bei dem Versuch, das Lachen zu unterdrücken. Tachin wartete ab, bis Edmunds Hand ihr Fell beinahe berührte, bevor sie mit einem Luftsprung entwich. Jane gelang es schließlich, sie unter dem Tisch hervorzulocken, und trug die in Ungnade Gefallene aus dem Salon. Megan vermutete, daß eine Schüssel Milch in der Küche auf sie wartete. Zwei Schüsseln übrigens. Megan hatte vor, ebenfalls eine beizusteuern.
Der Abend endete mit Musik. Megan genoß zufrieden die Harmonie ihrer gemeinsamen Stimmen im Duett, dem von allen Gästen begeistert applaudiert wurde – von fast allen. Dies war ein Triumph, doch Megan war nicht so naiv zu glauben, sie habe einen wichtigen Sieg errungen. Edmund war zwar nicht in Lady Georgina verliebt, aber ebensowenig in Megan O’Neill. Sie brauchte eine schärfere Waffe, doch im Moment wußte sie keine.
Nach der Abreise der Gäste fand Megan das Leben ziemlich langweilig. Sie hatten ihr zwar nicht gefallen, doch sie wirkten anregend, und das vertraute Familienleben kehrte nicht wieder ein. Edmund hatte lange Unterredungen mit dem Anwalt und verbrachte viele Stunden in der Fabrik, deren Leitung er übernommen hatte. Jane wanderte ziellos durchs Haus wie eine tragische Muse oder saß brütend in ihrem Zimmer. Lina benahm sich wie ein Teufel. Kein Wunder, die Kleine, das Lieblingsspielzeug der ganzen Familie, fühlte sich vernachlässigt von ihrer Tante Jane und ihrem geliebten Onkel. Auch ihre Gouvernante, dachte Megan schuldbewußt, schenkte ihr nicht sehr viel Aufmerksamkeit.
»Ich habe eine Idee«, sagte sie eines Morgens. »Wir beide machen einen Tag Ferien. Ich glaube, den haben wir uns verdient, findest du nicht?«
»Ja, ja.« Lina war begeistert.
»Wir machen einen Ausflug ins Dorf. Vielleicht finden wir ein Stück Spitze oder ein paar Bänder, um Mimis Garderobe wieder etwas auszubessern. Sie paßt wirklich nicht auf ihre hübschen Sachen auf.«
Lina gluckste vor Vergnügen. »Ja, sie ist sehr unfolgsam. Ich habe ihr ausdrücklich verboten, mit ihrem besten Kleid das Treppengeländer runterzurutschen. Aber sie tut es trotzdem.«
»Komm, Lina, wir nehmen deine Ponykutsche«, sagte Megan.
Es war eine beschauliche Fahrt, die schmale Landstraße mit den alten Bäumen entlang, deren Stämme mit Efeu und wilden Kletterrosen überwuchert waren. Am Fuß des Hügels ging die stille Landstraße in die Dorf Straße über, und sie fuhren an der neuen Arbeitersiedlung vorbei, bevor sie das alte Dorf erreichten. John Mandeville hatte die kleinen, hübschen Häuser für seine Fabrikarbeiter bauen lassen. Sie sahen fast alle gleich aus, und Johns Monogramm war über jeder Haustür in den Verputz eingelassen. Nur die Gärten waren je nach Geschmack der Bewohner gestaltet. Die Hauptstraße war ungewöhnlich leer an diesem Tag; in einem Ringelblumenbeet schlief eine dicke Tigerkatze. Das alte Dorf liebte Megan besonders, es wirkte wie ein Freilichtmuseum englischer Geschichte: Holzhäuser mit verschnörkelten Schnitzereien aus der Tudorzeit, windschiefe, weißgekalkte Bauernhäuser, bis hin zu den klaren Formen der roten Ziegelbauten des 18. Jahrhunderts. Die Gärten standen in ihrer bunten Farbenpracht – lange, blaue Stiele des Rittersporns, roter Klatschmohn und Rosen jeder Farbnuance von Schneeweiß bis zum tiefen Dunkelrot prangten in der Sommersonne.
Der Laden, dem Megan zustrebte, lag gleich am Anfang des Marktplatzes. Ein paar hundert Meter weiter hinten stand die Dorfkirche, ein monströser grauer Steinbau, dessen Erbauer zwar großzügig, aber mit wenig gutem Geschmack gesegnet war. Er hatte sie an die Stelle der alten Kirche, die einem Brand zum Opfer gefallen war, errichten lassen. Vor dem Kirchenportal hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Das halbe Dorf schien dort zu sein.
Megans Neugier war erwacht, und sie lenkte das Ponygespann an dem Geschäft vorbei.
»Ja, ich weiß«, sagte sie, als Lina sie vorwurfsvoll auf ihren Fehler hinwies. »Wir kehren gleich um. Ich möchte nur wissen, was da vorne los ist.«
Die Menge begann sich zu zerstreuen, als sie am Straßenrand anhielt. Einige Frauen nickten ihr zu oder wünschten einen guten Morgen, doch niemand blieb stehen, um sie aufzuklären. Megan erkannte ein weißes Viereck an der Kirchentür. Eine Bekanntmachung, an der die Dorfbewohner ziemliches Interesse zeigten.
Dann erinnerte sie sich, daß Edmund erwähnt hatte, seine Pläne über die Landbefriedung bekanntzugeben. Ob das Brauch oder Gesetz war, wußte Megan nicht. Vielleicht war dies die Bekanntmachung. Megan war im Begriff, den Ponywagen zu wenden, als sich ein Mann aus einer Gruppe löste und auf die Kutsche zukam. Lina hörte auf zu quengeln und schrie begeistert: »Das ist Sam. Sam, hier bin ich!«
Megan war Sam Freeman einige Male nach dem Rundgang durch die Fabrik begegnet, aber sie hatte nie mehr als einige höfliche Worte mit ihm gewechselt. Nun stand er vor ihr, den Hut in der Hand, sein schwarzes Lockenhaar wehte im Sommerwind. Lina begann in den Taschen seiner Jacke zu kramen, und Megan sagte lächelnd: »Guten Morgen. Schwänzen Sie die Arbeit bei dem schönen Wetter?«
»Nein, nein, Miß O’Neill, wo denken Sie hin!« antwortete Sam. »Ich wollte nur die Bekanntmachung den Leuten vorlesen, die nicht lesen können.«
»Und wie nehmen sie es auf?«
»Sie warten ab, was daraus wird. Das ist so üblich.«
»Vermutlich sind Sie von dieser Neuerung nicht gerade begeistert«, sagte Megan unbekümmert; Sams Meinung war ihr eigentlich ziemlich gleichgültig. Da er jedoch ein Schützling Janes war, würde er wohl deren Ansichten teilen.
Sam betrachtete Lina, die ein Freudengeheul ausstieß, als sie ein giftgrünes Bonbon aus seiner Tasche hervorzauberte. Es sah ein wenig schmuddelig aus, und Megan wollte es ihr schon wegnehmen, schupp – da war es schon in dem Schleckermäulchen verschwunden.
»Nein, warum denken Sie das?« fragte er. »Es kann gut sein, kann aber auch schlecht sein. Je nachdem, wie man so was macht.«
»Sie werden also wie die anderen ab warten, was passiert.«
Sam grinste. »So ist es. Ist auch nicht das Schlechteste.«
Er schien es nicht eilig zu haben, das Gespräch zu beenden. Doch Lina drängte wieder, wollte endlich in den Laden, und Megan nahm dies zum Vorwand, das Gespräch abzubrechen. Als sie wendete, sah sie, daß Sam zur Kirche zurückgegangen war und mit den Händen in den Taschen vergraben auf den Anschlag starrte.
Trotz seiner Versuche, sich eine höhere Bildung anzueignen, dachte Megan innerlich amüsiert, war er doch so bäuerlich, langsam denkend und schwerfällig wie die anderen Dorfbewohner geblieben. Mit seinen breiten, hochgezogenen Schultern und dem vorgereckten Kopf erinnerte er sie an den Stier auf dem Schloßgut. Nur wenn er lächelte, verlor sein Gesicht die düstere Schwere. Doch er war ein gutmütiger Kerl. Lina hatte fest damit gerechnet, ein Bonbon in seiner Tasche zu finden, offenbar trug er ständig kleine Überraschungen für die Kinder, denen er begegnete, mit sich herum.
Damit entließ sie Sam aus ihren Gedanken. Es hätte ihn traurig gestimmt, zu wissen, wie oberflächlich sie sich mit ihm beschäftigte.
Bald bevölkerte eine ganze Armee von Arbeitern das Haus. Gerüste wurden die Wände hochgezogen, das unablässige Klopfen der Hämmer und Meißel vertrieb das Vogelgezwitscher im Garten, und Lizzie lamentierte ununterbrochen über die Verwüstung, den Staub und den Schmutz. Megan schwebte wie auf Wolken. Sie schien unabkömmlich für Edmund; er fragte sie bei jedem Detail um Rat. Sie heuchelte sogar Begeisterung für seine Pläne, einige Räume im alten Tudorflügel zu renovieren, und begutachtete fachmännisch die Fortschritte, als die Arbeiter ganze Mauern einrissen, um größere Fenster einzubauen. Jane hielt sich aus dem ganzen Unfug heraus. Sie verbrachte lange Stunden in ihren Zimmern und weigerte sich, die Entwicklung der Renovierungsarbeiten zu begutachten oder zu kommentieren.
Megans glückliche Zeit sollte bald ein Ende haben, als nämlich die Astleys aus Schottland zurückkehrten.