28.

Wenig später saßen sie in einer der hinteren Reihen.

So dicht neben ihm zu sitzen fühlte sich himmlisch und absolut atemberaubend an. Ruth konnte kaum gleichmäßig atmen.

Sobald ihr Ellbogen seinen berührte, blieb ihr Herz für einen Moment stehen. Wenn er sich anders hinsetzte, hoffte sie, er würde noch ein wenig näher heranrutschen, dabei war das kaum möglich.

»Gefällt er Ihnen?«, flüsterte er, nachdem der Film eine halbe Stunde lief.

»Ja«, flüsterte sie.

»Es ist wirklich schön, dass Sie hier neben mir sitzen.«

Erneut stockte ihr der Atem, und sie überlegte ernsthaft, sich vorzubeugen und ihn zu küssen. Natürlich war das nur ein vorübergehender, erschreckender, aber zugleich höchst berauschender Gedanke, den sie nie und nimmer in die Tat umsetzen würde. Aber sie stellte es sich vor, sehr lebhaft und bildlich.

»Ich habe übrigens das Buch gelesen«, raunte er.

»Ich auch.«

Sein Gesicht kam näher, und in ihrem Magen stoben wieder die Schmetterlinge auf. »Und? Wie fanden Sie es?«

»Sehr schön.«

»Lesen Sie viel?«

»Schsch!«, machte jemand hinter ihnen, und er drehte sich um und murmelte eine Entschuldigung.

Um gleich darauf weiterzuflüstern. »Ich lese wahnsinnig gern. Man ist in einer anderen Welt, oder?«

»Schsch!«

»Entschuldigung.«

Ruth musste lachen und presste die Hand vor den Mund.

Sie schauten weiter, diesmal ganz still, nur ab und zu drehte er den Kopf und sah sie an.

Und irgendwann tastete seine Hand nach ihrer. Seine Finger strichen über ihren Handrücken, berührten jeden ihrer Finger und umschlossen sie dann sacht.


Hand in Hand verließen sie das Kino.

»Danke, Rainer«, sagte Ruth, nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren.

»Wofür?«

»Für den schönen Abend.«

»Ich danke dir.« Er duzte sie einfach. »Gehen wir noch irgendwo was trinken?«

»Gern.«

Nach ein paar Schritten blieb er stehen, sah sie an und zog sie schließlich an sich.

Sie lehnte den Kopf an seine Brust, hörte seinen dumpfen Herzschlag und genoss seine Nähe. So fühlte es sich also an.

Zunächst sagte er kein Wort, dann hielt er sie etwas von sich und sah sie erneut an. »Weißt du, dass du das Geschenk bist, um das ich gebeten habe?«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht …« Was kein Wunder war, sie war verwirrt und vor Glück wie benebelt.

»Ich habe irgendwann – es ist schon eine kleine Ewigkeit her – darum gebeten, dass ich dem Menschen begegne, mit dem mich das verbindet, was ich mir so sehr gewünscht habe.« Er verdrehte die Augen. »Ich glaube, ich habe selbst nicht verstanden, was ich da gerade gesagt habe. Was ich sagen wollte, ist, dass ich mich immer nach jemandem gesehnt habe, mit dem ich mein Leben verbringen möchte.« Er küsste sie so überraschend, dass ihr die Luft wegblieb.

Als er sie losließ, umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und zog ihn wieder heran. »Nicht aufhören, ja?«


»Ich habe mich schon in dich verliebt, als ich dich das erste Mal sah«, sagte Rainer kurz darauf, als sie an einem Tisch in einem Lokal ein paar Straßen weiter saßen.

Er nahm ihre Hände und hielt sie fest. »Ich habe nie an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt, für mich war das Blödsinn. Ich hab gedacht, dass man jemanden erst sehr gut kennen muss, bevor man ihn lieben kann. Aber dann sehe ich dich in diesem Käfer sitzen, ein hinreißendes Lächeln auf den Lippen …« Er drückte ihre Hand, und sie versank in seinem Blick. »Und ich wusste plötzlich, was die Leute meinten, wenn sie davon sprachen.«

Es ging ihr zu schnell, viel zu schnell. Eigentlich. Doch ihr Herz sagte etwas anderes.

»Ich weiß, es geht viel zu schnell mit uns«, sagte er, als hätte er schon wieder ihre Gedanken erraten. »Ehrlich gesagt lasse ich mir gern Zeit, aber jetzt … Das hier mit dir und mir … Ich will einfach nur genießen, dass du da bist, Ruth, hier bei mir.« Er machte eine kurze Pause, bevor er weiterredete. »Als du plötzlich im Salon standst und dich als Friseuse vorgestellt hast …« Er holte tief Luft. »Ich hatte mir so lange gewünscht, dass es irgendwo eine Frau gibt, mit der ich glücklich werden kann – und dann steht plötzlich die Frau vor mir, die meinen Hund umgefahren hat …«

»Moment! Ich habe ihn nur fast umgefahren.«

»Und die mein Herz zum Hüpfen gebracht hat«, sagte er weiter. »Du siehst schon, ich bin ein fürchterlicher Romantiker.«

Ruth lächelte. Ihr Herz pochte zum Zerspringen. »Damit werde ich zurechtkommen.«


Rainer fuhr sie heim, und sie blieben vor dem Haus im Auto sitzen. Und redeten. Und redeten.

Zwischendrin küssten sie sich wieder und wieder, bis Ruth irgendwann sagte: »Wenn ich jetzt nicht aussteige, sitzen wir noch morgen früh hier.« Sie umfasste sein Gesicht und strich mit den Daumen über seine Nase, seine volle Unterlippe, seine Stirn und die gepflegten Koteletten. »Ach, Rainer …« Beinahe hätte sie ihm gesagt, wie verliebt sie war, doch wenigstens das wollte sie nicht überstürzen. Er durfte es glauben, annehmen, aber sagen wollte sie es ihm erst, wenn etwas Zeit vergangen war. »Gute Nacht.«

Sie stiegen gleichzeitig aus, und Rainer kam auf die Fahrerseite. »Nacht, Ruth. Es war ein wunderschöner Abend.«

»Oh ja.«

»Schlaf gut.«

»Du auch.«

»Ich werde von dir träumen. Ich habe schon mehr als ein Dutzend Mal von dir geträumt. Meistens standst du irgendwo, und ich habe mir den Hals nach dir verrenkt. Aber du hast mich nicht bemerkt, und ich war sicher, dass du auf einen anderen Mann wartest.« Er küsste sie erneut. Und wieder.

Ruth machte sich schließlich los. »Jetzt sollte ich aber wirklich …«

»Lass uns morgen irgendwohin fahren«, schlug er vor. »Wir gehen spazieren, und hinterher lade ich dich zu Kaffee und Kuchen ein.«

»Das klingt gut.«

»Kriege ich noch einen Gute-Nacht-Kuss?«

»Noch einen?« Sie musste lachen und stellte sich auf die Zehenspitzen. »Na schön.«

Was passierte hier? Konnte es wirklich und wahrhaftig sein, dass sie den Mann ihrer Träume getroffen hatte? Vor lauter Verliebtheit kaum klar denken konnte?

Schweren Herzens machte sie sich los und lief zum Haus. Dort winkte sie ihm zu, rief: »Bis morgen, ich freue mich!«, und verschwand im Haus. Im dunklen Flur lehnte sie sich mit dem Rücken an die Briefkästen. Sie war verliebt, und wie!