42.

Als Ruth und ihr Ehemann aus dem Standesamt kamen, schien die Sonne, obwohl es zuvor noch genieselt hatte und ungemütlich windig gewesen war.

Sie hatte während der Trauung weinen müssen, und Rainer hatte ihr wortlos sein Taschentuch gegeben.

Auch Rosemie, die Trauzeugin war, hatte einige Tränen vergossen. »Das war mal eine schöne Trauung«, sagte sie begeistert. »Und so romantisch.«

Vor dem Standesamt hatten sich ein paar Leute versammelt, und Gisela begann sogleich, Sekt auszuschenken. Wo die Flaschen und Gläser plötzlich herkamen, verriet sie nicht.

Sie hatte sich um die kompletten Hochzeitsvorbereitungen gekümmert, hatte Gästelisten geschrieben und die Einladungen verschickt, das Lokal gebucht und die Speisen abgesprochen.

Ruth und Rainer hatten sich um nichts kümmern müssen. »Das ist mein Hochzeitsgeschenk an euch.« Und später hatte sie gemeint: »Schade, dass man so was nicht beruflich machen kann. Das würde mir gefallen.«

Reiskörner flogen durch die Luft, und Sektkorken ploppten.

»Hoch lebe das Brautpaar!«

Auch Kurt und Beatrix waren gekommen, und als Ruth die beiden begrüßte, sagte sie zu Beatrix: »Ich dachte, wir lernen uns auf eurer Hochzeit kennen, und nun ist es meine.«

»Wann ist es denn so weit?«, erkundigte sich Beatrix.

»Im Juni.« Ruth zupfte an ihrem Brautkleid. »Gisela war so nett und hat es mir etwas weiter gemacht.«

Dennoch zwickte es überall. Ihr Bauch war innerhalb der letzten Wochen enorm gewachsen.

Kurt umarmte sie so lange, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie an seiner Schulter.

Er ließ sie los, strahlte. »Und wie. Mir geht’s prächtig, Ruth­chen, und dir auch, wie man sieht.« Er sah gut aus, trug einen gepflegten Schnauzbart und einen tadellos sitzenden Anzug mit Weste.

Er schaute über ihre Schulter. »Was meinst du, ob ich Gisela mal beim Ausschenken helfe?«

»Ich glaube, das ist eine gute Idee.« Ruth ging zu Hella, die stellvertretend für Elfie und Brigitte gekommen war.

»Ich gratuliere, Frau Kronewinkel. Muss ich jetzt Chefin zu dir sagen?«

»Natürlich. Ich bestehe darauf.«

Hella deutete auf ihren Bauch. »Wie bist du in das Kleid gekommen?«

»Frag lieber nicht.«

Hannelore stand mit einem Mal vor ihr, einen überdimensionalen Blumenstrauß in der Hand. Sie breitete die Arme aus und zog Ruth an sich. »Meinen Glückwunsch.«

Ruth winkte Rainer zu sich, damit er Hannelore kennenlernen konnte. Es hatte sich noch nicht früher ergeben. Rosemie kam angelaufen, um ihr den Blumenstrauß abzunehmen. »Oh, sieh nur.« Sie warf einen fachmännischen Blick auf die Blumen. »Das sind Pfingstrosen und Sterndolden. Sind die nicht wunderschön?«

»Manchmal frage ich mich, ob du nicht auch den Beruf verfehlt hast.« Ruth lachte.

»Auch? Wer denn noch?«

»Da würden mir so einige einfallen.«

Gisela zwinkerte ihr zu und drückte ihr ein Glas Saft in die Hand. »Auf euch.«

Dann wurde sie mit einem Mal stumm und sehr blass. Sie starrte an Ruths Schulter vorbei.

»Was hast du denn?« Ruth drehte sich um und schlug die Hand vor den Mund.

Marianne war soeben aus einem Taxi gestiegen, auch sie hatte einen großen Blumenstrauß dabei. Sie trug ein hinreißendes kniekurzes Kostüm, das wie angegossen saß. Als hätte man es ihr auf den Leib geschneidert. Ihr Haar war auf Schulterlänge geschnitten, leicht toupiert und an einer Seite hinters Ohr geklemmt. Sie sieht aus wie France Gall , war der erste Gedanke, der Ruth durch den Kopf schoss, als sie begriffen hatte, dass es wirklich und wahrhaftig Marianne war.

Dann lief sie los, das Kleid mit einer Hand gerafft.

Der Blumenstrauß war bei ihrer Begrüßung im Weg, und wieder war es Rosemie, die herbeigeeilt kam und ihn ihr abnahm.

Sie umarmten und hielten sich, wollten sich gar nicht loslassen.

Bis sich jemand neben ihnen räusperte. Gisela.

Sie war schneeweiß geworden. »Marianne«, flüsterte sie und breitete die Arme aus. »Was für eine Überraschung.« Sie weinte, schniefte.

»Ich kann leider nicht lange bleiben«, sagte Marianne. »Ich muss später weiter nach Paris. Aber ich wollte unbedingt wenigstens kurz vorbeischauen und gratulieren.« Sie zwinkerte Ruth zu. »Und dich in deinem Kleid sehen.«

Nach und nach kamen auch Rainer, dann Kurt und Beatrix, und schließlich Hannelore. Sie nahmen Marianne in ihre Mitte, und es schien, als genieße sie es sehr. Aber möglicherweise nicht, weil sie eine Berühmtheit und Bewunderung gewohnt war, sondern weil sie sich als Teil der Familie, ihrer Familie fühlte. Weil alle sich freuten, sie wiederzusehen und sie hier einfach nur Marianne König sein durfte und Ann in London hatte lassen können.

Nach einer Weile nahm sie Ruths Hand. »Es ist so schön, wieder hier zu sein«, sagte sie leise. »Ich hab euch alle so vermisst.«

Gisela nahm ihre andere Hand, und wie sie so zu dritt beieinanderstanden, musste Ruth an früher denken.

Wie sie im Salon von Günthers feuchten Küssen erzählt hatte, von ihrer unpassenden Unterwäsche und dem Loch in ihrem Unterrock. Wie sie sich vor Lachen gebogen hatten.

Gisela sah sie von der Seite an. »Weinst du etwa schon wieder?«

»Ich? Nein!« Sie wischte sich die Tränen weg und lächelte.